Polizei darf nur noch Gewaltvideos drehen

Ein ziemlich erstaunliches Urteil des Verwaltungsgerichts Münster. Das beschied soeben: die Polizei darf Teilnehmer an Demonstrationen nur noch filmen, wenn "erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit" bestehen. Immerhin handele es sich um einen starken Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht.

Bild: flickr.com

Geklagt hatten Atomkraftgegner aus dem Münsterland, verteidigt wurden sie von dem Münsteraner (Bürger-)Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, klick. Im Juni vergangenen Jahres hatte ein Kamerafahrzeug der Polizei dauerhaft und intensiv eine – wie heißt es bei den Veranstalters so schön – eigentlich "ereignisfreie" Demo von 70 Atomkraftgegnern gefilmt, die gegen die Urantransporte von Gronau nach Russland protestierten. 

Endlich: RĂŒttgers Sommerinterview!

Was haben wir gewartet. Uns gefragt: Kommt es noch? Oder lässt er es diesmal wirklich ausfallen – das große "Jürgen-Rüttgers-Sommerinteriew". Doch jetzt ist das Rätsel gelöst.

Noch in bald jedem Sommer räumte JR bislang als Zukunftsminister, CDU-Fürst oder Ministerpräsident mit "lieb gewordenen Lebenslügen" (Rüttgers) auf, die sich das Jahr über angesammelt hatten. Andere machen kräftig Hausputz, Rüttgers lüftete gerne oben herum: Die "CDU sei keine kapitalistische Partei", es würde "zu wenig über Menschen geredet" oder die Spritpreise seien viel zu hoch. Aber ausgerechnet im Vorwahlsommer 2009 schweigt sich der Pulheimer beharrlich aus.

Nach zwei, drei allenfalls höflichen Plaudereien mit WDR und Privaten machte der Rheinländer nichts als Frankreich-Urlaub und Schnauze halten. Doch jetzt wissen wir warum: Rüttgers beweist wieder sein überragendes Gespür fürs politisch-mediale Timing. Denn HIER (ab 1:30) ist es, das grandiose, gewichtige, gewaltige Sommergespräch, Rütte trifft Schlämmer – zwei "linksliberale Konservative" unter sich!

Übrigens hat Tobias Kniebe heute richtige Fragen gestellt zu den Verwirrungen, die entstehen, wenn Schlämmer und andere auf Wirkliche treffen:

"Bin ich noch Jürgen Rüttgers, oder spiele ich ihn nur – und zwar schon seit Jahren? (…) Man darf da wohl nicht zu lange drüber nachdenken." klack

Presseschau Migration/Integration: Mord in Dresden, Iran u.v.m.

Foto: Beate Moser

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Mord in Dresden:

Zeit-Autoren fürchten Kulturkampf (Zeit)

Viele Dresdner wollen nichts mehr von der Bluttat hören (taz)

Es geht nicht um fremde, sondern deutsche Kulturen (taz)

Schweigen als Skandal (Berl. Zt.)

Ein Anschlag auf die Forschung (Zeit)

Hilal Sezgin: Schuldabwehr statt Schuldbewältigung (taz)

Andrea Dernbach: Ein Fall wie der Karikaturenstreit? (Tagespiegel)

Der Islam und die Feindbilder – Kommentar von Stephan Hebel  (FR)

Tarik A. Bary: Die Wahrheit hinter dem Schleier (FR)

Politik hat die Tragweite unterschätzt (taz)

Kritik an der Dresden-Berichterstattung (Telepolis)

Islamophobie in Russland (Tagesspiegel)

Iran:

Werner Ruf: Iran ist ein Rentenstaat (Junge Welt)

"EU darf beim Iran nicht überziehen", meint der ehemalige Moerser und heutige SWP-Chef Volker Perthes (Tagesspiegel) 

Tiefe Risse im iranischen Regime (FAZ)

Ajatollahs in Aufruhr (FR)

Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi: "Sind Menschenrechte nur für den Westen gut?" (SZ)

Der iranische Botschafter im Interview (Junge Welt)

Mehdi Mahdavikia trat aus der iranischen Nationalmannschaft zurück (Jungle World)

Deutsche Konzerne exportieren Zensurtechnologien in den Iran und nach China (Jungle World)

"Schiitisches Kalifat"? – Wie geht es weiter im Iran (Telepolis)

Mohssen Massarrat und Pedram Shayar warnen vor linken Irrtümern in Bezug auf Iran (Junge Welt)

Obama/USA

Ein Radiofeature von Michael Kleff aus den USA: Die Obama-Welle – Ernüchterung nach dem Rausch? (Manuskript des DLF)

Obama gegen Opferideologien (taz)

Warum wurde Henry Louis Gates jr. verhaftet? (FAZ), zum gleichen Thema (Spiegel-online)

Oprah – die Allmächtige (Tagesspiegel)

Obamas Afrikareise, kommentiert von Abdourahman A. Waberi (FR) und Wole Soyinka (FR)

Weitere Themen:

Der palästinensische Psychoanalytiker Gehad Marzaweh über den Antrieb von Selbstmordattentätern und die Wirkung von Obama (Tagesspiegel)

Stefan Weidner über Islam und Aufklärung (Junge Welt)

Wandel in der Türkei: Ergenekon-Prozess (taz)

Radikales Rauchverbot in der Türkei (SZ)

China und Uiguren: Islamisten und Nationalisten auf dem Vormarsch (Jungle World)

Ein Kameruner schildert seine Reise nach Europa und zurück: "Irgendwann dachte ich, ich kann nicht mehr" (taz)

Studie: Deutsches Asylrecht verfassungswidrig (taz)

Neues Bleiberecht hilft wenig (DLF-Manuskript)

Flüchtlingsangst in Sachsen-Anhalt (Berl. Zt.)

Wie BKA und BND "bedrohliche Migrationsentwicklungen" bekämpfen wollen (Jungle World)

Schweiz und Spanien folgen Italiens Weg zur Abschottungspolitik (Telepolis)

Eskalation der Flüchtlingsverfolgung in Griechenland (Hintergrund)

Roma-Verfolgung in Nordirland (Jungle World)

Wissenschaftlerinnen warnen vor rassistischen Untertönen im Menschenhandelsdiskurs: "Abschiebung wird als Rettung inszeniert" (Jungle World)

In Frankreich brennen weiter Autos (taz)

Vielgesuchte LehrerInnen mit Migrationshintergrund verlassen Berlin (Tagesspiegel)

Berliner Ballermann – sie kommen zum Feiern und Trinken – im Rudel (Tagesspiegel)

Rechte, Autonome und Szenetouris in Berlin-Friedrichshain (taz)

Berliner Taxifahrerkrieg am Flughafen Tegel (Tagesspiegel)

Bald auch im Ruhrgebiet? Dönerverbot auf Augsburgs Straßen (Tagesspiegel)

Noch eine Parallelgesellschaft: das Oldenburger Münsterland (Zeit)

Konzerne zu deutsch und männlich – aber Frauen auf der Überholspur (Die Zeit)

Und weltweit überholen die Asiaten: "sie haben eine Vision, wie ihr Land in 30 Jahren aussehen soll, die Amerikaner nicht" meint Prof. Kishore Mahbubani (Zeit)

Schwule Fußballer "Bitte sorgsam outen" (Junge Welt)

Interview: Schwule und Lesben im Nahen Osten: Wir sind keine Opfer (Jungle World)

"Deutschsein ist das Ergebnis jahrhundertelanger Vermischungen" – Interview mit dem WDR-Zeitzeichen-Autor Heiner Wember (FR)

In Südafrika wurde ein "Antivergewaltigungskondom" erfunden: Rape-axe (Jungle World)

Filmregisseur Marco Bechis ("Birdwatchers") über den Mythos von den "Edlen Wilden" (taz)

Erstes Fernsehduell auf dem Mond

Draußen Holland im Regen. Da ist es gut, drinnen mit der FAZ zu sein. Auf einer ganzen Zeitungsseite erzählen heute "elf Zeitzeugen", wie sie die Mondlandung vor 40 Jahren am Fernseher verfolgt haben. Darunter die Kanzlerin, der Kandidat, Claudia Roth und Gregor Gysi. Überraschung für die gebeutelte SPD: Diese erste Elefantenrunde vor der Bundestagswahl konnte Frank-Walter Steinmeier klar für sich entscheiden.

Die Grüne Claudia Roth stieg 1969 mit Decken, Hund und Familie in den Partykeller hinab, zu der Zeit  "Fernsehraum" der Familie. Die Roths gingen zum Fernsehen also in den Keller, irgendwie traurig. Die Gysis hatten als Fernseher erstaunlicherweise schon 1969 eine "alte Krücke", so schaute er bei seiner Schwester wie "der Vorsprung der Sowjetunion" eingeholt wurde. Ganz ostdeutsch erinnert sich auch Merkel. "Sie ist Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende" steht unter ihrem Beitrag und von sich schreibt sie nur in der dritten Person: "Angela Merkel hat gerade ihren 15. Geburtstag gefeiert, als erstmals ein Mensch den Mond betrat." Wäre auch ein schöner Einstieg für ihre Autobiografie!

Gruselig geht es weiter: "früh aufgestanden war sie, draußen herrschte noch stockfinstere Nacht. Auf dem Pfarrhof der Eltern in Templin flimmerte ein Fernsehgerät." Doch dann kommt die Mondlandung, "die Bundeskanzlerin weiß noch, wie das Gefühl in ihr brannte, eine einmalige historische Stunde live miterleben zu dürfen". Die "Bundeskanzlerin" "live", und das in der DDR, anno 1969. Respekt! Respektabel findet "sie, die Physikerin," die ganze Mondmission – einfach "großartig, besonders in technischer Hinsicht!" Ein Kompliment, das sich die Kanzlerin auch für ihren Beitrag verdient hat, "besonders in technischer Hinsicht!" Doch ihr Herausforderer macht dann doch das Rennen.

"Frank-Walter Steinmeier, Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat" – die Autobiografie ist gerade erschienen – da fließt dem Kandidaten die Mondgeschichte leicht aus der Feder: "Ich denke gern zurück an den 21. Juli 1969", schreibt er, sie hätten die Mondlandung mitten in der Nacht "live" verfolgt: "ich, damals, 13, mein siebenjähriger Bruder gebannt vorm Fernseher, daneben unsere Eltern". Das war aber keine reine Idylle, denn die Steinmeiers waren arm, "einen eigenen Fernseher hatte sich die Familie (also ich, mein siebenjähriger Bruder, daneben die Eltern) vielleicht ein oder zwei Jahre vorher gekauft".

Nachts vorm Fernseher, das gab es übrigens auch ein Jahr später wieder, fällt dem Mann aus Lippe ein und geschickt spielt er die Fußballkarte. Auch zur Fußball-WM 1970, Mexiko, "das spannende – und traurige – Halbfinale zwischen Deutschland und Italien", habe man zusammen vor der Glotze gehockt. Aber zurück zur Mondlandung, "hatte eine fast mythische Bedeutung" auf den jungen Steinmeier, zumindest eine pathetische: "Das technisch Machbare kam dem nahe, was wir uns in der Phantasie ausmalten. Und es entfernte sich immer mehr vom Fassbaren." Unfassbar ist wie Frank-Walter S. dann die Wahlkampfkurve kriegt – fast sieht man, wie er beim Schreiben die weißen Hemdärmel aufrollt und jedes seiner Worte heiser mitröhrt.  

Denn die Apollo-Mission habe in die "Aufbruchstimmung dieser Jahre" gepass. Zack. "Die Umwälzungen, die mit dem Schlagwort 1968 verbunden sind, waren auch in der ostwestfälischen Provinz nicht mehr zu übersehen." Zack. Eine Mondmission sei zwar heute zwar nicht mehr "vordringlich", aber mit dem gleichen  "Erfindungsgeist und Optimismus" könne man die globale Energiekrise lösen und dafür sorgen, "dass niemand mehr Hunger leiden muss". Zack. 1969 sei übrigens ein gutes Jahr für die Sozialdemokratie gewesen, Willy Brandt wurde später Bundeskanzler. Zack.

Ginge es nur nach Monderinnerungen, Steinmeier könnte im Herbst tatsächlich in Brandts Fußstapfen treten – in wenigen Sätzen alles gesagt: Armut, Ostwestfalen, großer Bruder, Fußball, 1968, Willy-Wählen. Nur einer der elf FAZ-Zeitzeugen ist noch gewiefter in eigener Sache: "Das Ereignis hat mich weitgehend unberührt gelassen", schreibt er, "damals bekam ich das Angebot meine erste Expedition zum Nanga Parbat zu machen" – und es ist natürlich Reinhold Messner. 

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Jacko: Kong of Pop gefleddert


Heute ist ein 16seitiges „Extrablatt“ der WAZ zum Tod von Michael Jackson erschienen. Das einzig Überraschende an der offenbar hastig zusammengestoppelten Zielgruppenpublikation ist ihre chronische Faktenanämie.

Zur Verwendung kommen „sollte“-„hätte“-„könnte“-Konjunktive, die mit der Wirklichkeit vielleicht gar nichts zu tun haben. Es ist zum Beispiel die Rede davon, er habe „zuletzt angeblich einen 500 Millionen Dollar großen Betrag an Verbindlichkeiten aufgetürmt“. Ja, hat er nun oder hat er nicht?

Auch viele andere Begebenheiten rund um seine Prozesse, sein Leben in den letzten Jahren, Zahlungen, die er leisten mußte, Erlöse, die er vereinahmt haben soll – über all dies: nur Spekulationen und Fortführung der hinlänglich bekannten Gerüchte. Selbst wieviele „Thriller“ die Zuhörer gethrillt haben, bleibt sein großes Geheimnis: So werden zu dessen Verkaufszahlen verschiedene Angaben gemacht: auf  Seite 6 des WAZ-„Extrablatt“ sind es erstaunliche 105 Millionen, auf Seite Seite 7 immerhin noch 70 Millionen, gefolgt von 100 Millionen auf Seite 8 um auf Seite 12 mit 50 Mio. zu enden – ja, was denn nun?

Viele Michael-Jackson-Fans werden sich über die Huldigung ihres Idols freuen und hernach eifrig „Der Westen“ besuchen – um auch dort nicht mehr zu erfahren. Aufklärung über strittige Sachverhalte dürfen sie dabei nicht erwarten.

Michael Jackson erscheint eingedenk dieser publizistischen Operation ein weiteres Mal wie umoperiert. Er ist offenbar gar nicht der „King of Pop“ sondern so etwas wie ein Personal Jesus, der als stellvertretend Leidender über seinen Tod hinaus ertragen muß, was eigentlich schon dem lebendigen Leser unerträglich scheint. Lieber Gott: Steh! uns! bei!

Vom Bergbau lernen heißt sichern lernen – heute ein Blick in die FAZ

Andreas Rossmann, sehr landeskundiger NRW-Korrespondent für das Feuilleton der FAZ, leitet aus dem Einsturz des Kölner Stadtarchives, der die abgewandelte Form eines U-Bahn-Unglückes war, aufschlussreiche Lehren ab. Wäre nämlich der öffentliche Tiefbau nach den gleichen Spielregeln organisiert wie der Bergbau, wäre es zumindest nicht zu der organisierten Unverantwortlichkeit gekommen, die der schockierten Kölner Öffentlichkeit auf der Nase rumtanzte. Rossmanns Analyse hier.

 

Siemens und die grĂŒne Revolution

revolutionäre werbung auf spiegel online

Siemens hat sich in den Zeiten der Proteste gegen das ausgerufene Wahlergebnis im Iran eine besondere Werbung ausgedacht, möchte man meinen.

Ich habe unter der Werbung, die ich bei Spiegel online entdeckt habe, mal einen Artikel von Golem.de verlinkt. Dort wird aus dem Wallstreet Jounal zitiert, wie sich der Siemens-Konzern darum kümmert, den Herrschenden im Iran eine Technik zur Kommunikationskontrolle zu bieten.

Hinter diesem link hier versteckt sich eine etwas kritischere Betrachtung des Siemens- (und Nokia-) Engagements im Iran. Aber zu diesem Zeitpunkt und vor diesem Hintergrund mit "Antworten für die grüne Revolution" zu werben, während man durch eigene Technik dafür sorgt, dass die "grünen" Protestler im Iran nicht bzw. nur eingeschränkt kommunizieren können, das hat schon eine gewisse Arroganz.

 

Edit 23.06: Mittlerweile ist die Werbung von Spiegel-Online verschwunden und es lässt sich sogar hier ein langer Artikel über die Geschäftsbeziehungen deutscher Firmen mit dem Iran finden.

Europawahl: Hier die guten Nachrichten

Glaubt man den Mainstream-Medien sind wir bei der Europwahl in einer Flut rechtskonservativer Hegemonie mit zahlreichen rechtsradikalen Merkmalen versunken. Mit der daraus erhofften selbstmitleidigen Larmoyanz auf linker und ökologischer Seite der europäischen Gesellschaft, eine Hoffnung, die leider nicht ganz unrealistisch ist, hofft man dann weiter auf der neoliberalen Welle surfen zu können.

Meine These ist: wenn die europäische Linke darauf reinfällt, ist sie selber schuld. Dass die Wahl vergeigt wurde, liegt nicht an rechter Stärke, sondern der linken Schwäche, keine inhaltliche und strategisch glaubwürdige Alternative aufzubieten. Die Fakten sprechen nicht für rechte Hegemonie. Sie sollen, weil in den meisten Medien absichtsvoll weggelassen, hier gesammelt werden.

1. Deutschland

Tatsache ist, dass die FDP die CDU-Verluste nicht kompensieren kann. Ihre Umfragebäume (16-18%) sind nicht in den Himmel gewachsen. Die Linkspartei hat dagegen schon alle Fehler begangen, weitere sind kaum denkbar; trotzdem erreichte sie 7,5%. Die Grünen stabilisierten das beste Ergebnis ihrer Geschichte (12,1). Die Piratenpartei, deren Existenz bisher reines Szenewissen ist, bekam in allen Großstädten, die diese Bezeichnung verdienen, über 1%.

2. Belgien

Die Ecolo-Liste steigerte sich von 3,7 auf 8,1%, Groen blieb stabil bei 5%, macht 13% links der Sozialisten.

3. Dänemark

Die Volkssozialisten mit linksgrüner Ausrichtung stiegen von 8 auf 14,8%.

4. Finnland

Die Grünen verbesserten sich von 10,4 auf 12,4%.

5. Frankreich

Die Grünen stiegen von 7,4 auf 16,3%. Die desolaten Ex-Kommunisten konnten sich im Bündnis mit anderen Linken von 5,3 auf 6% stabilisieren.

6. Griechenland

Hier konnten sich sogar die korrupten Pasok-Sozialisten von 34 auf 36,7% steigern. Die notorisch sektiererischen und gespaltenen diversen Kommunisten links der Pasok haben in der Summe kaum verloren: 13,1% (vorher 13,7).

7. United Kingdom

Alle schauen auf den Zusammenbruch von Labour, schlimmschlimm, jaja. Die Liberaldemokraten, die im Gegensatz zu Deutschland im UK schon links von Labour zu verorten sind, sind stark geblieben: 13,7% (vorher 14,9), die Grünen haben sich – ohne Parlamentspräsenz im Unterhaus! – von 6,3 auf 8,6% gesteigert.

8. Irland

Labour verbessert sich von 10,6 auf 13,9, Sinn Fein bleibt stabil auf 11,2%.

9. Italien

Die italienische Rechtskoalition ist noch nie über 50% gekommen, sondern profitiert immer vom Wahlsystem und der politischen Zersplitterung einer möglichen linken Alternative. Berlusconis Truppe plus die rassistische Lega Nord landeten diesmal bei 45,5%, weniger als bei der letzten Parlamentswahl. Das "Italien der Werte" von Ex-Staatsanwalt di Pietro und dem Mafiagegner Leoluca Orlando steigerte sich von 2,1 auf 8% – im Gegensatz zu den der SPD vergleichbaren windelweichen Demokraten (von 31,1 auf 26,2) fordern sie eine klare Opposition gegen Berlusconi.

10 Luxemburg

Die Grünen steigen von 15 auf 17,4%.

11. Malta

Die Arbeiterpartei (Labour) steigt von 48,4 auf 55%.

12. Niederlande

Die deutschen Medien konzentrierten sich ausschliesslich auf den Aufstieg der Rechten. Ein WDR-Radiokorrespondentenbericht, der die tatsächliche Amibivalenz des zutreffend beschrieb, wurde penetrant falsch und tendenziös anmoderiert. Hier die andere Seite: die Linksliberalen D 66 stiegen von 4,2 auf 11,3%, Groenlinks stieg von 7,4 auf 8,9%. Die Lafontaine-ähnlichen populistischen Sozialisten blieben bei 7 % und damit sicher unter ihren Erwartungen – macht 27% links der großkoalitionären Sozialdemokraten. Da werden wir in Deutschland noch lange von träumen, oder?

13. Österreich

Von den Ösis gibts leider wirklich nichts Positives zu berichten.

14. Polen

Kaum zu glauben, aber die Demokratische Linksallianz stieg im Woytila-Land von 9,4 auf 12%.

15. Portugal

Ein "Linker Block" stieg von 4,9 auf 10,7%, die altdogmatischen Kommunisten von 9,1 auf 10,7%.

16. Rumänien

Hier ist alles anders, die Sozialdemokraten gewannen 30,8% (nach 23,1).

17. Schweden

Die Piratenpartei errang 7,1% und einen Sitz; bei den jungen Männern wurde sie stärkste Partei. Die Grünen stiegen von 6 auf 10,8%.

18. Spanien

Trotz dramatischer Wirtschaftskrise hat sich die rechte Opposition kaum verbessert: 42,2% (+ 1,0), links der regierenden Sozialisten haben 6,2% gewählt.

19. Tschechien

Die Sozis gewannen von 8,8 auf 22,4%, u.a. zu Lasten der Kommunisten (von 20,3 auf 14,2).

20. Zypern

Die Linkspartei Akel verbesserte sich von 27,9 auf 34,9%, die Sozialisten eroberten weitere 9,9%.

Man kann sich über die Bewertung solcher Zahlen unendlich streiten. Tatsache ist: nicht alles ist ein Bild des Jammers, und vieles davon ist selbstverschuldet und fern jeder Ohnmacht.

Und hier noch die Lesetipps in heutigen Mainstream-Medien 😉

Robert Misik erklärt in der taz das "Monsterminus" der Sozialdemokraten.

Andre Brie, der geschulte Dialektiker kleidet seine fundamentale Lafontainismuskritik in eine Lafontaine-Hommage und publiziert sie im Spiegel.

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Im Labyrinth des Minotaurus

Anders noch als bei meiner schlussendlich erfolgreichen Suche nach der Labyrinth-Höhle des Minotaurus im letzten Sommer, hieß die große Herausforderung in diesem Jahr, den schmalen Einstieg zu meistern, um die Höhle zu erkunden.

Mein Begleiteter Mick sprang galant durch die schmale Öffnung, eine Drehung und drin war er. Dass er in frühester Jugend begeisterter Speläologe in Wales war erzählte er jedoch erst später. Mir selbst blies dagegen der kalte Hauch der Unterwelt entgegen und ich war kurz davor zu sagen: Ist ja schön, aber ich warte draußen. Doch all meinen Mut zusammennehmend machte ich mich einem Schlangenmensch gleich durch den schmalen Eingang auf in die Dunkelheit der vor mir liegenden 2,5 km langen Gänge.

Im in den 50er Jahren erbauten betonierten Eingangstunnel angekommen war ich dann ob der relativen Helligkeit erstaunt, die durch das Eingangsloch hineinschien. Schwager Karsten stand als nächster vor dem gleichen Problem: Wie bloß die Klaustrophie überwinden…

Der Weg durchs Labyrinth entsprach schon der Bedeutung des Wortes. Einige Schritte geradeaus gelaufen die panzerbrechende Munition betrachtet, die dort neben leeren Hülsen und anderem Munitionmaterial zu Hauf herumliegt, stellt sich beim Blick zurück schon die Frage, aus welchem Gang wir gerade gekommen waren.

Da helfen auch die vielen Fäden der Ariadne nicht weiter, die von vorherigen Besuchern auf dem Boden ausgelegt waren. Zu dritt kurz abgesprochen kamen wir jedoch schnell überein wo der Weg zurück verlief. Mehr Bedenken als die Orientierung in der nur von unseren Stirnlampen erhellten Höhle machte uns jedoch der Zustand der Höhlendecke. Denn beim Labyrinth handelt es sich um einen unterirdischen Steinbruch aus der Antike. Zudem sprengten die Nazis im Oktober 1944 bei ihrem Abzug das von ihnen als Munitionsdepot genutzten Labyrinth. Die Sprengung war Gottseidank nicht zur Gänze erfolgreich, führte jedoch zu geologischen Instabilitäten. Unsere Befürchtung war, dass sich Teile der Sandsteinplatten lösen könnten oder sich gar eines der in Kreta nicht gerade seltenen Erdbeben just zum Zeitpunkt unseres Aufenthalts ereignet. Die vielen Verschüttungen in den Gängen untermalten unsere Ängste ganz gut.

Auch wenn uns dreien der Aufenthalt lang vorkam, letztendlich haben wir uns nur in den Räumen des Eingangsbereichs aufgehalten. Der Besuch des Salle Trapezas mit den Beschriftungen der Besucher seit dem 15. Jahrhundert oder gar die vollständige Erkundung des Labyrinths haben wir auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Weitere Bilder meines Besuchs im Labyrinth und ein weiteres Video. Dieses ist vermutlich von der Griechischen Speläologischen Gesellschaft Mitte der 80er Jahre aufgenommen worden.

Historische Bilder der Wehrmacht beim bild.bundesarchiv.de unter dem Stichwort Labyrinth

Die Labyrinth-Höhle des Minotaurus auf Kreta

Griechenland und vor allem Kreta ist nicht umsonst das Land der Mythen und Sagen. Von der Sage des Minotaurus, des Ungeheuers halb Mensch, halb Tier mit dem Stierkopf der vom Kretischen König Minos in eine Höhle gesperrt wurde, hat fast jeder schon mal gehört. Seit der Ausgrabung des Palast von Knossos durch Evans ist die Labyrinth-Höhle jedoch in Vergessenheit geraten. Dann gab es noch die Höhle, in der die Nazis bei der Besetzung von Kreta eine Munitionsdepot einrichteten. Aber wo genau liegt diese Höhle und was ist dran am Mythos des Minotaurus?

Bis weit in die 90er Jahre hinein entsinne ich mich nachts an den Stränden der Südküste der Insel Kreta dumpf durchdringende Explosionen zu Hören. Begleitet von kretischen Fischern, die am frühen Morgen mit Keschern die tot an der Oberfläche schwimmenden Fische einsammeln. Noch im Sommer letzten Jahres wurde ein befreundeter Taucher am gleichen Ort gewarnt und aufgefordert, das Wasser schnellstens zu verlassen, da man mit Dynamit fischen wolle. Damals wie heute fragte ich mich, woher diese Fischer das Dynamit haben.

Die Höhle des Minotaurus: Nur eine griechische Sage? Seit Generationen schwelt unter Archäologen der Konflikt, wo genau sich dieser Ort auf der Insel Kreta befindet. Als einer von drei möglichen Orten wird der große unterirdische Steinbruch auf der Südseite der Insel nahe der Stadt Mires angesehen. Aus diesem Steinbruch stammt ein Großteil des Baumaterials der Siedlung Gortys, die als eine der größten antiken Stätten Griechenlands gilt. Zur Römerzeit war Gortys die Hauptstadt von Kreta mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 10.000 Menschen. Doch die Geschichte des Ortes reicht über eine Zeitdauer von 6000 Jahren und in ihren Mythen lassen sich Namen der Apostel Paulus und Titus wie auch der Götter Zeus, Europa, Demeter und des Gottkönig Minos und des Minotaurus finden.

Auf historischen Kretakarten wird die Höhle bis ins 19 Jahrhundert hinein als Labyrinth eingezeichnet. Erste dokumentierte Begehungen der Höhle nach der Antike stammen aus dem 15. Jahrhundert. Belegt werden sie mit den eingeritzten Jahreszahlen im „Salle Trapeza“, einem großen Raum der Höhle. Die älteste stammt aus dem Jahr 1415. Angebracht wurde sie von vom Venezianer Christoforo Buondelmonti, der auch den ältesten Plan des Labyrinths veröffentlichte. Weitere Jahreszahlen aus den folgenden Jahrhunderten zeigen die Popularität der Höhle bei den Reisenden aus dieser frühen Epoche der Tourismus. Entsprechend gibt es eine Anzahl von Reiseberichten über das Labyrinth. 

Mit der Ausgrabung von Knossos durch Sir Arthur Evans und seiner Interpretation des Palasts als Labyrinth des Minotaurus Anfang des 20. Jahrhunderts geriet die Höhle auf der Messara Hochebene jedoch in Vergessenheit. Die Gegend von Gortys mit den Überresten der Titus Basilika, der ersten christlichen Gemeinde außerhalb von Kleinasiens und ihren vielen häufig noch auf den Äckern herumliegenden antiken Fundstücken fasziniert mich seit meiner ersten Kretareise Mitte der 80er Jahre. Begeistert von der antiken Geschichte las ich in Paul Faures „Das Leben im Reich des Minos“ erstmals vom Labyrinth des Minotaurus. Seit 2001 unternahm ich verschiedene Anläufe den Eingang des Labyrinths zu entdecken. Doch erst durch den zufälligen Fund der Fotodokumentation des Schweizers Thomas Waldmann im Internet gelang es mir, den richtigen Weg den Berg hinauf zu finden. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet er sich durch den Berg und erstellt eine umfassende kartografische Dokumentation aller Gänge und Räume des Labyrinths. Sein umfangreicher Bericht findet sich unter www.labyrinthos.ch.

Nördlich des halbverlassenen Dorfes Kastelli erhebt sich ein Hügel von gut 400 m Höhe, der von den Ortschaften Roufas, Ambelouzas, Moroni, Plouti eingekreist wird. Weit oben auf dem Hügel befindet sich die Labyrinth-Höhle, die aus einem weitverzweigten Netz von gut 2,5 Km langen Gängen und Räumen besteht. Die begehbare Fläche umfasst annähernd 9000m². Doch die Nutzung eines Teils der Höhle als Munitionsdepot durch die Wehrmacht im 2. Weltkrieg und dessen Sprengung beim Verlassen der Insel machte die Höhle zu einer Gefahr durch die bis heute dort lagernde Munition. Die Nazis ließen den drei Kilometer langen Weg bergauf von der Ortschaft Kastelli befestigen.

Die damals zur Begrenzung angelegten Randsteine sind heute zum Teil noch sichtbar. Während meiner abenteuerlichen Fahrt den Berg hinauf waren sie für mich ein Zeichen dafür, nach vielen Fehlversuchen diesmal auf dem richtigen Weg zu sein. Für westeuropäische Verhältnisse ist der Weg bergauf recht schlecht. Jedoch gibt es im Süden von Kreta häufig noch schlechtere Straßen. Wobei im August hat der kretische Sommer oftmals mehr als 45 Grad im Schatten hat. Genau den gibt es den Berg hinauf natürlich nicht. So gerät der Weg zur historischen Stätte in der Bruthitze extrem schweißtreibend und Nerven aufreibend. Vor allem die letzten 500 Meter, wo hohe Sträucher auf der Wegkuppe die Verlassenheit der Gegend deutlich anzeigten, waren eine Herausforderung für den geliehenen Renault Twingo. Im ersten Gang endlich oben angekommen, dankte er es mir mit einem dampfenden Motor. Von der Parkgelegenheit klettere ich knapp 50 Meter den kurzen Talkessel hinein. Plötzlich vor einer 15 Meter hoch aufragenden Felswand am Ende des Talkessels stehend, sehe ich, dass ich am Höhleneingang vorbei gelaufen bin. Dieser liegt ebenerdig hinter einem Olivenbaum von einigen größeren Felsbrocken umsäumt. Auf dem Gitter des Eingangs stehend, verspürt man deutlich den kühlen Luftzug, der dem Hades gleich aus der Tiefe emporsteigt. Warnschilder von denen berichtet wird sind im Sommer 2008 bis auf eines, das direkt auf dem Eingangsgitter liegt, verschwunden. Der Stacheldrahtzaun, der nach einer schweren Explosion mit mehreren Todesopfern im April 1961 um das Eingangsgelände angelegt wurde, ist gleichfalls bis auf wenige Reste nicht mehr vorhanden. Bei dieser Explosion innerhalb der Höhle kamen acht Einwohner der Dörfer Kastelli und Roufas ums Leben. Zwei der Leichen wurden bis heute nicht gefunden und sind wohl noch immer unter den Einbrüchen begraben, die sich an mehreren Stellen der Höhle befinden. 

Vom eigenen Einstieg ins Labyrinth ist abzuraten. Nicht etwa, weil der Weg hinaus zu schwierig ist. Gefahr droht von den dort immer noch offen herumliegenden Granaten aus dem 2. Weltkrieg. Auch Abbrüche des Gesteins in der Höhle geschehen recht häufig. Vermutlich entnehmen die Fischer der Gegend bis heute das Dynamit aus der Labyrinth-Höhle. Dies erklärt wieso Kreter, die in dieser Gegend aufgewachsen sind, noch heute nicht gerne über die Höhle sprechen und das Labyrinth des Minotaurus darüber immer mehr in Vergessenheit gerät.