Rettet den Blätterwald (4) – Heute: Jungle World

"Rettet den Blätterwald" ist eine lose, aber inhaltlich recht stringente Serie, in der der Autor die Sinnhaftigkeit von Printmedien hinterfragt. So geschehen bisher mit Rolling Stone, SFT und StadtRevue. Dabei hieß es zu Beginn, der Autor würde im Anschluss an den Artikel die Publikation nie mehr kaufen, bis ihn einige Kommentatoren darauf aufmerksam machten, dass ohne eine gewisse Grundsympathie diese Artikel doch gar nicht zustande kommen würden. Hm. Jedenfalls ist nach der fünften Woche Jungle World Kauf am Donnerstag in Folge jetzt mal ebendiese an der Reihe.

Ein Wochenblatt, das inhaltliche Beschäftigung verlangt. Ein Artikel über dieses in einem Medium, das durchaus politisch verschieden ausgerichtete Leserinnen und Leser hat. Und damit ist man schon bei der Entstehungsgeschichte dieses Blattes, das in Abgrenzung zur Junge Welt entstand und heutzutage mehr denn je Position gegen allzu simple eurozentrische oder national orientierte anti-kapitalistische Positionen in Deutschland bezieht. Manche empfinden das als so auf eine deutsche Sonderstellung hin gedacht, dass es als "anti-deutsch" einsortiert wird. Und dieser Begriff flog bei den Ruhrbaronen allzu oft durch die Zeilen in letzter Zeit. Also in’s Blatt.

Editorial, große Karikatur, Inhalt und Briefe links, "Thema" direkt rechts auf Seite 3: Globalisierung und Protektionismus. In "Schuld sind immer die anderen" wird Deutschlands Politik als ein Teil Europas kritisiert, und zwar in Bezug auf z.B. die Senkung von Lohnnebenkosten als Sicherung eines Kostenvorteils für einheimische Unternehmen. Kein Land in Europa mute seinen Bürgern soviel zu wie dieses hier, um in punkto Export und innerhalb Europas vorne zu liegen. Dabei würde bereitwillig in Kauf genommen, gesamt-europäische Konjunkturprogramme zu gefährden, und auch Rettungspakete für Osteuropa.

Rainer Trampert analysiert denn auf den Folgeseiten auch gleich die Renationalisierung der Kapitalströme als globalen Trend und greift gegen Ende recht unbefangen Sahra Wagenknecht ("Es gibt genug Anreiz, wenn einer fünfmal soviel hat wie der andere.") von links an: "Lasst Opel pleite gehen und schüttet die Milliarden an die Kollegen aus. (…) Entweder kämpft man für die Beseitigung des Kapitalismus, um ihn durch ein solidarisches und demokratisches Plansystem zu ersetzen, oder man bleibt Spielball seiner Krisen…" Direkt darunter verkündet Attac denn auch gleich noch einmal, dass man sich nicht über Krisen freut, weil die Teil des sich selbst regulierenden Systems sind. Stimmig alles, aber etwas wenig konkret und recherchiert dies alles. Positionen, na okay.

Erstaunlich passend danach aber auch wieder Artikel über die Genügsamkeit der Deutschen, die einfach immer noch nicht ohne Befehl der Chefetage für ihre Rechte auf die Straße gehen wollen und ein Problem der Linken, dass die Bourgeoisie weniger etatistisch und liberaler als viele der Linken ist. Nach soviel schon fast kampf-protestantischer Selbsthinterfragung ein Auflockerer mit der Vorstellung von Partei-Jungstars im Superwahljahr. Na gut. Der Steinbach-Artikel zitiert zumindest Gesine Schwan ("Ich glaube nicht, dass Frau Steinbach ins Amt kommt.") den neuesten Entwicklungen hinterher – aber wieso sollte man das einem Wochenblatt übler nehmen als einer Tageszeitung? Stimmt, die liest man ja direkt nach dem Aufstehen und hat seit 17 Uhr am Vortag keine Medien mehr benutzt, haha.

Es folgen kleinere Artikel mit beispielhaftem lokalen Inhalt zu Antisemiten, Bürokraten und Arbeitsrecht, dann eine Reportage über Hindu-Nationalisten, die in Indien den Valentinstag und die Emanzipation bekämpfen. Womit man so langsam im Ausland ist, bei den Erwartungen an Obama, Neuem aus Guantánamo, der französischen Linken, spanischer (Nicht-)Migrationspolitik und dem Arbeitsmarkt in Mexico. Rechtzeitig danach wieder bunte Kurznachrichten, bevor die Allianz Junge Freiheit + Vatikan auf historische Kontinuitäten überprüft wird. Und damit ist man bei der Antifa (Dresden, Leipzig, Potsdam – mal nicht Duisburg) und dementsprechenden "Veranstaltungstipps". Auf der Rückseite denn mal wieder eine Abo-Bitte, dafür gibt es aber ja auch noch die Beilage "dschungel". Bisheriger Eindruck: Manches ließe sich auch kürzer sagen, Trampert nervt, Flow und Zusammenhänge passen diesmal sehr gut.

Also der Kulturteil: Warum das Deutsche Historische Museum die Sprache Deutsch nicht einfach nur vom Deutschen aus gedacht präsentieren sollte. Eine Geschichte über Enthüllungsjournalisten, die die Arbeit einer französische Enthüllungsjournalistenzeitung, sagen wir, an die Öffentlichkeit bringen. Eine alternative Biografie über Hildegard Knef, dann eine über die französische Regisseurin Claire Denis. Hier ist man kulturell der taz einfach so weit voraus, dass der Gedanke fast hinfällig ist. Und Werbung von Suhrkamp! Auf zwei der acht farbigen Seiten insgesamt, vorher gab es nur Kleinanzeigen (Preis der Zeitung: Euro 3,20). Dann wieder diverses: Kino, Musik, TV und Buch – immer etwas beliebig bis wie gewollt nebensächlich, dann ein Bericht über eine Dissertation zum Sportbegriff in der Nazizeit und einer über den Unterschied zwischen Extremismus-Begriffen, der Antifaschisten gegen die Denkweise von Extremismusforschung zu impfen sucht. Dies recht lang – wo sonst auch einmal eine Art "persönliche Erzählung" steht – dann vier Comicstrips und Schluss. Im Grunde das beste Wochenblatt des Landes, als Ersatz für die fehlende Sonntagszeitung. Schlimm genug. Ein Skandal, das Printwesen hierzulande!

Weltgeist in Wattenscheid: Ein Gespräch über Gerechtigkeit und Fanatismus

Foto: Inkyhack

Seit Jahrzehnten tritt Shirin Ebadi aus dem Iran als Rechtsanwältin für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Nun war sie im Ruhrgebiet. Im Rahmen des Projekts "Herausforderung Zukunft" besuchte Shirin Ebadi am Freitag die Pestalozzi-Realschule in Bochum-Wattenscheid. Hier unterhielt sich die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2003 mit Schülern der Klassen 9 und 10 über Freiheit, Unterdrückung und ihre schwierige Arbeit in Iran.

Während ihres Besuchs in Bochum-Wattenscheid wird Shirin Ebadi von mehreren schrankbreiten Sicherheitsleuten bewacht. Kurz bevor sie in die von einer Polizeieskorte begleitete Limousine einsteigt, lächelt sie und sagt: „Am wichtigsten ist nicht, welche Religion, Sprache oder Kultur man hat, sondern dass man an die Menschenrechte glaubt.“

Frau Ebadi, was ist Ihr Antrieb, sich unter Einsatz des eigenen Lebens für die Menschenrechte in Iran einzusetzen?

Jeder Mensch kommt mit besonderen Eigenschaften auf die Welt. Als ich klein war, mochte ich etwas, von dem ich nicht wusste wie es heißt: Gerechtigkeit. Ich beobachtete, dass sich Kinder stritten und ergriff Partei für die Schwächeren. In diesem Zusammenhang kam es vor, dass ich auch selber Prügel bezog. Dieser Umstand führte dazu, dass ich Rechtswissenschaften studierte und Richterin wurde. Als mir dann 1979 unmittelbar nach der islamischen Revolution gesagt wurde, dass ich nicht mehr das Richteramt bekleiden darf, dachte ich, dass ich mich als Rechtsanwalt für diejenigen Menschen einsetzen möchte, deren Menschenrechte verletzt werden. Dazu folgende Geschichte: Wenn Sie sich auf dem Feld der Menschenrechte engagieren möchten, müssen sie aber nicht unbedingt Jurist werden. Jeder Mensch und jeder Schüler hat besondere Neigungen und Fähigkeiten. Der eine mag Mathematik, der andere Literatur. Jeder sollte seine eigene berufliche Ausbildung so gestalten, wie es ihm zusagt. Das heißt aber nicht, dass man sich um die Situation anderer nicht mehr kümmert. Beispielsweise kann ein Fotograph mit einem gelungenen Foto, das Wesen des Hungers viel besser verdeutlichen als es ein Jurist oder ein Arzt vermag. Mit literarischen Mitteln, mit einer Geschichte kann man die Unterdrückung viel besser darstellen und auch bekämpfen als ein Jurist. Ich will sagen, der Einsatz für die Menschenrechte ist nicht beschränkt auf Juristen. Das kann jeder tun.

Wie war Ihre erste Reaktion als das Menschenrechtsbüro in Iran geschlossen wurde?

Wenn alle Voraussetzungen wegfallen, die einem helfen, wird es schwer. Der Einsatz für die Menschenrechte ist aber per se immer mit schwierigen Bedingungen verknüpft. Die iranische Regierung hat dieses Büro geschlossen. Aber das ist nicht wichtig. Zwar ist unsere Arbeit dadurch schwieriger geworden. Lassen sie mich aber sagen, dass die Kunst darin besteht, dass man die Schwierigkeiten bewältigt und sich seiner Arbeit widmet. Darauf kommt es an. Ein Beispiel: Wenn einem Schüler hier an der Schule erschwert wird, seine Ausbildung fortzusetzen, kommt es darauf an, sich dafür einzusetzen, dass dieser Schüler seine Ausbildung fortsetzen kann.

Wie hat es sich 1969 angefühlt, in Iran als erste Richterin tätig zu sein?

Ich war sehr stolz. Es war eine sehr große Ehre, einen Wunsch umgesetzt zu haben. Lassen Sie mich aber gestehen, dass ich eine schlechte Eigenschaft habe. Jedes Mal, wenn ein Wunsch von mir in Erfüllung geht, möchte ich sofort, dass ein weiterer, größerer Wunsch in Erfüllung geht. (Shirin Ebadi überlegt) Ich frage mich manchmal, wo das alles enden soll.

Was verstehen Sie unter Gerechtigkeit und wann ist dieses Ziel in einem Staat erreicht?

Ich darf Ihnen empfehlen, sich jeden Tag diese Frage zu stellen. Das Stellen dieser Frage gibt ihrem Leben eine neue Richtung. Wir leben in einer Welt voller Ungerechtigkeit. Schauen Sie, nach Angaben der Vereinten Nationen kann man mit der Menge an Lebensmitteln, die in Europas Restaurants weggeworfen wird, den gesamten Hunger auf dem afrikanischen Kontinent stillen. Sie und ich, wir leben in Gesellschaften, wo es normal ist, dass zu Hause zu jeder Zeit kaltes und warmes Wasser aus dem Wasserhahn läuft. Sie wissen sicherlich, dass viele Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Die Armut auf der Welt breitet sich täglich weiter aus. Wir alle leben auf einer Erdkugel, aber es ist so, dass eine Minderheit durch Ihren großen Konsum erheblich zur Weltverschmutzung beiträt. All das sind Fragen, die man sich im Rahmen der Frage nach Gerechtigkeit stellen muss. Es ist, so denke ich, die Pflicht eines jeden Menschen gegen diese Ungerechtigkeit anzukämpfen.

In Iran sind Frauen und Mädchen stark benachteiligt, wie gehen Sie und andere Frauen in Iran mit dieser Benachteiligung um?

Über 65 Prozent der Studenten in Iran sind weiblich. In einigen Fachrichtungen wie Literatur und Jura ist der Prozentsatz noch höher. Das heißt: Was Ausbildung und Studium betrifft, gibt es keine Probleme für Mädchen und Frauen in Iran. Auch was die berufliche Tätigkeit betrifft gibt es keine Probleme. Schauen Sie: Nach dem Abschluss des Jura-Studiums war ich Dozentin an der Universität, Rechtsanwältin und Richterin. Auf allen diesen Feldern hatte ich keine Probleme als Frau. Die Probleme beginnen dann, wenn man sich für Menschenrechte und Gerechtigkeit einsetzt. Aber die Probleme haben auch meine männlichen Kollegen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Ich werde ein Beispiel geben, um zu verdeutlichen, worum es sich handelt: Jede Frau in Iran, ob Muslima oder nicht Muslima, ob Iranerin oder nicht Iranerin, jede Frau muss die islamische Kleiderordnung einhalten. Tut sie das nicht, gibt es eine entsprechende Strafe. Beispielsweise kann ich so, wie ich hier vor Ihnen stehe, in Iran nicht auf die Straße treten. Ich müsste etwas auf dem Kopf tragen und meine Haut bedecken. Diese gesetzlichen Vorschriften schränken unsere Freiheit ein. Dagegen protestieren in Iran aber nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Wenn ich zum Gericht gehe, muss ich natürlich die Kleiderordnung einhalten. Vor Gericht aber rede ich genauso wie meine männlichen Kollegen. Diese Vorschriften wurden den Frauen nach der islamischen Revolution aufgezwungen. Die Frauen sind eindeutig dagegen. In Iran gibt es eine sehr starke Bewegung gegen diese diskriminierenden gesetzlichen Vorschriften.

Was meinen Sie, wie sollte der Westen dem Iran begegnen?

Das Wichtigste ist, dass wir den Iran gut kennen lernen. In Iran lebt nicht nur Herr Ahmadinedschad, es leben dort auch andere Menschen. Deswegen sollte man, wenn man etwas aus dem Iran hört, was verwundert – beispielsweise das, was er über den Holocaust gesagt hat – beachten, dass es auch andere Stimmen gibt. Wenn man die iranische Geschichte eingehend studiert, wird man feststellen, dass der Iran immer ein sicherer Ort für die Juden gewesen ist, die dort ohne Probleme ihre heiligen Stätten gehabt haben. Man muss wissen, dass eine Vielzahl von Juden dort leben und es hat niemals Probleme zwischen Iranern und den dort lebenden Juden gegeben. Das ist heute nicht anders. Wenn Sie beispielsweise Sachen hören, dass in Iran Gliedmaßen abgehackt werden, müssen Sie wissen, dass das gesamte iranische Volk gegen diese Strafen ist und sich dagegen einsetzt. Meine Bitte an Sie ist, wenn Sie sich ein Bild von Iran machen wollen, nehmen Sie nicht das als Grundlage, was der Präsident des Iran sagt, sondern studieren Sie die iranische Literatur und Geschichte. Das sollte Ihr Maßstab für die Beurteilung sein.

Was glauben Sie, ist der Hauptgrund der Schwierigkeiten zwischen Iran und Israel?

Das Hauptproblem ist auf den Streit zwischen Israel und den Palästinenser zurückzuführen. Es gab vor Jahren in Oslo Friedensgespräche zwischen beiden Parteien. Wenn man diese Gespräche auf eine Formel bringen wollte, könnte man sagen: Land gegen Friede. Beide Seiten hatten akzeptiert, dass es zwei Staaten geben muss, die in Frieden nebeneinander leben sollen. Es wurde vereinbart, dass bis zum Erreichen dieses Ziels beide Seiten Frieden einhalten. Leider wurde dieser Prozess des Friedens unterbrochen und die Auseinandersetzungen wieder aufgenommen. Der Grund waren – auf beiden Seiten – extremistische Kräfte. Diese Stimmen wollten alles auf einmal. Die einzige Lösung für diese Problematik ist, dass der Vertrag von Oslo umgesetzt wird. Ich hoffe, dass die Extremisten auf beiden Seiten begreifen, dass es nun reicht mit Krieg und Blutvergießen. Die Problematik zwischen beiden Ländern wird auch von einigen Staaten missbraucht. Iran ist ein Land, dass keine gemeinsame Grenze zu Israel hat. Die jüdische Religion ist in Iran als offizielle Religion anerkannt. Ich hoffe, das beide Seiten zu einer friedlichen Lösung kommen. Dann hat man Extremisten auf beiden Seiten jeden Vorwand genommen. Warum ist der Iran nicht bereit, Religion und Staat voneinander zu trennen? Die Gesellschaft in Iran ist dazu ganz und gar bereit. Wer nicht bereit ist, ist die Regierung. (Shirin Ebadi lacht) Wir sind Muslime, genau so wie die meisten Schüler hier wohl Christen sind. Die Religion ist eine persönliche Angelegenheit, die Gesellschaft sollte durch demokratische Regeln geregelt werden. Das heißt, die Regierung muss fern jeder Religion und Ideologie sein.

Sie sind selbst praktizierende Musima. Welche Bedeutung hat der Islam für Sie persönlich?

Der Islam ist für mich etwas, woran ich glaube. Ich praktiziere den Islam. Aber zugleich bin ich der Überzeugung, dass es jedem Menschen möglich sein muss, selbst zu entscheiden, welcher Religion er angehören will. Im Moment ist der am meisten diskutierte Gegenstand in Iran das Verfahren gegen die Bahai-Religionsgemeinschaft, die nicht als solche anerkannt ist. Sieben ihrer höchsten Vertreter sind in Haft und ich bin ihre Verteidigerin. Wenn sie ein Mädchen oder eine Frau sehen, sollte man dieses Mädchen nicht ausstoßen. Alle Menschen sind gleich und haben dieselben Rechte – ungeachtet der Religion. Die Frage nach der Religion des anderen sollte irrelevant sein. Religion ist eine Herzensangelegenheit, man sollte die Frage nach der Religion des anderen erst gar nicht stellen.

Auf der Internetseite www.muslima.com waren Sie sowohl mit als auch ohne Kopftuch zu sehen. Es wurde gesagt, Sie seien deshalb eine verkommene Person. Was sagen Sie dazu?

Ich glaube, eine der schlechtesten Eigenschaften, die ein Mensch haben kann, ist, dass er fanatisch ist. Fanatismus bedeutet, dass man den Kopf zumauert und keinen neuen Gedanken reinlässt. Ich möchte sagen, dass das Phänomen des Fanatismus nicht ein spezifisch islamisches Phänomen ist. Das gibt es auch im Christentum. Sie erinnern sich vielleicht, dass Bush vor einigen Jahren gesagt hat, er habe von Gott den Auftrag erhalten, die Demokratie in den Nahen Osten zu bringen. Der Fanatismus war auch die Ursache für den Holocaust. Der Fanatismus hat bewirkt, dass das Leid über die Juden gebracht wurde. Fanatismus gibt es aber auch bei Juden. Wir haben gerade über die Verhandlungen von Oslo gesprochen. Der israelische Ministerpräsident, der diese Verträge unterschrieben hat, wurde leider von einem Fundamentalisten umgebracht. Man kann auch in Indien beobachten, wie fundamentalistische Hindus andere Religionen unterdrücken. Für den Fundamentalismus gibt es verschiedene Definitionen. Aber auf einen Nenner gebracht sagt der Fundamentalist: Jeder Mensch, der anders denkt als ich, ist irregeleitet. Es gibt viele muslimische Frauen auf der Welt, die die islamische Kleiderordnung einhalten – aber eben auch viele, die sie nicht einhalten. Das heißt: Diejenige Person, die mich als verkommen bezeichnet, muss eine fundamentalistische Person sein.

Gibt es so etwas wie einen Alltag für Sie? Wenn ja, wie sieht dieser aus?

Bei mir ist es so, dass ich in einem Jahr vorausplane. Die meiste Zeit aber bin ich in Iran. Ein normaler Tag dort sieht für mich folgendermaßen aus: Um 6:30 Uhr beginnt mein Tag – viermal die Woche – mit einer Sitzung mit anderen Rechtsanwälten. Sie stellen sich vermutlich die Frage, warum wir uns so früh treffen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gerichtsverhandlungen um neun Uhr beginnen. Deshalb müssen wir die Vorarbeit auf eine so frühe Uhrzeit legen. Um neun Uhr gehe ich dann zur Gerichtsverhandlung. Steht keine Gerichtsverhandlung an, widme ich mich meinen anderen Aufgaben. In der Regel ist es so, dass ich mich dann nach einem kleinen Mittagessen bis zu eine Stunde ausruhe. Dann gehe ich in meine Kanzlei. Dort arbeite ich bis ca. 20:30 Uhr. In dieser Zeit bis halb neun kommen meine Mandanten, oder auch Journalisten zu Besuch. Wenn ich dann zuhause bin, kappe ich alle Leitungen zur Außenwelt und koche. Dann werde ich zur Mutter und Hausfrau. Ich habe zwei Töchter, die erwachsen sind und nicht mehr zu Hause leben. Die eine promoviert in den Vereinigten Staaten, die andere ist Juristin und macht ein Praktikum am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Das heißt, wenn ich koche, koche ich für meinen Mann und mich. Dann, um 23 Uhr etwa, fange ich mit dem Schreiben an. Ich habe bisher 14 Bücher geschrieben. Sie denken jetzt vielleicht, ich schreibe alle meine Bücher nach 23 Uhr. Das stimmt nur zu einem Teil. Der andere Teil wurde auf Flughäfen geschrieben. Wenn sie also irgendwo eine Verrückte sehen, die am Flughaffen schreibt – das bin ich!

Haben Ihre Töchter Nachteile durch Ihr Engagement in Iran?

Als ich Kinder bekam, habe ich meine Kanzlei in die Wohnung verlegt. Dadurch konnte ich zwischendurch zu meinen Kindern gehen, wenn sich kurz die Gelegenheit ergab. Glücklicherweise war ich so in der Lage, meiner Rolle als Mutter gerecht zu werden. Ich hatte das Glück, dass auch meine Eltern in diesem Haus lebten. Mittags war es so, dass nie abzusehen war, wann ich Pause hatte, so dass meine Kinder nach der Schule zu den Großeltern kamen und gegessen haben. Die Gefahren, denen ich ausgesetzt war, haben meine Familie nicht berührt – bis zum letzten Jahr. Da bekam meine jüngere Tochter nach und nach die Macht des Regimes zu spüren. An dem Tag als in den Zeitungen iranischer Regierungskreise meine Tochter als schlechte Musima beschimpft wurde, habe ich zur ihr gesagt: Willkommen in der Welt der Menschenrechte.

Frau Ebadi, was glauben Sie, wie sieht die Zukunft des Iran aus?

In Iran gib es viel Potential für Veränderung. Die iranische Bevölkerung ist sehr jung. Etwa 70 Prozent ist jünger als 30 Jahre alt. Das ist ein gutes Potential für Veränderung. Ich bin mir sicher, dass es Veränderung in Iran geben wird. Diese Veränderung wird eine Veränderung der Jugend sein. Es wird eine Gesellschaft sein, in der jeder frei ist, in der die Religionszugehörigkeit keine Rolle spielt. In der sich jeder anziehen darf wie er möchte. In der es keine Diskriminierung gibt. Es wird eine Gesellschaft sein, die demokratisch regiert ist. Eine Gesellschaft, in der der Abstand zwischen Arm und Reich klein ist. Gegenwärtig ist der Abstand sehr groß. 5 Prozent in Iran sind überaus reich, die anderen 95 Prozent werden Tag um Tag ärmer. Die Kluft darf nicht groß sein, alle Menschen sollen in relativem Wohlstand leben.

Zurüttgers in die Zukunft

"Wir sehen uns in der Zukunft", grüßt Zukunftsforscher Lars Thomsen auf seiner Webseite. Streng genommen könnte es am Freitag auf dem Petersberg bei Bonn so weit sein. Noch strenger genommen, sehen "wir" uns dort nicht direkt, sondern Thomsen – laut seiner Webseite "Europas Vor und Querdenker Nr. 1"  – tritt als einer der Diskutanten auf dem Zukunftskongress der NRW-Landesregierung auf, der so genannten "Petersberger Convention".

foto:ruhrbarone.de

Zukunftskongresse sind großartig. Dieser – immerhin geht es um die Zukunft des ganzen Bundeslandes – beschäftigt sich mit dem Jahr 2025 auf vier Foren namens "Innovation", "Beschäftigung", "Lebensqualität" und "Wissen". Thomsen, der im Forum "Beschäftigung" auftreten wird, betreibt die Zukunft als kleines Familienunternehmen. Sein Bruder Frank Thomsen ist zwar nicht "Top-Zukunftsforscher" und auch nicht auf dem Petersberg, aber immerhin ist es Franks "Stärke, die Analyse von menschheitsprägenden Entwicklungen und Themen der Vergangenheit und der Gegenwart, um Zusammenhänge zwischen einzelnen Entwicklungen und Themengebieten zu erkennen und daraus Prognosen für die Zukunft abzuleiten".

Wirklich schade, dass nur Lars am Freitag kommt. Denn worum soll es im Siebengebirge gehen, wenn nicht darum "menschheitsprägende Entwicklungen und Themen zu erkennen und daraus Prognosen abzuleiten?"

Aber immerhin kommen Deutschlands andere Chef-Erkenner wie Fritz Pleitgen, Peter Maffay, Jürgen Großmann (RWE) und René Obermann (Telefon). Und da man die Zukunft keinesfalls verplappern darf, ist das Programm eng gesteckt. Ein Vormittag muss genügen für die Zukunft. Und bereits um halb zwei will Gastgeber Jürgen Rüttgers der Presse vorstellen, wie sich NRW 2025 darstellen wird.

Ministerpräsident Rüttgers hat auch das Grußwort zum Zukunftskongress verfasst. Er zitiert einen "der großen amerikanischen Zukunftsforscher", der gefordert habe, nicht mehr aus der Vergangenheit zu lernen – "das könne jeder" – sondern aus der Zukunft. Sehr gelehrig hat Rüttgers deshalb schon einmal einen zeitlosen Begrüßungstext verfasst: "Wir stehen vor teilweise dramatischen Umwälzungen", schreibt Dr. Rüttgers, "die enorme Chancen, aber auch große Risiken bergen". Es gelte zu "reagieren" auf Globalisierung, "zweite industrielle Revolution" und umgestürzte "Bevölkerungspyramiden" und sich zu fragen, "wie wir unseren Wohlstand auch in Zukunft sichern können".

Die Weltwirtschaftskrise scheint in der Zukunft jedenfalls (noch?) nicht angekommen zu sein, was ja irgendwie ziemlich beruhigend ist. 

PS: Aus der Zukunft zu lernen, heißt siegen lernen, ist übrigens so etwas wie ein Motto fürs ganze Polit-Land NRW. Im vergangenen Jahr veranstalteten nicht nur nordrhein-westfälsche SPD, CDU und Grüne Partei ihre jeweiligen  "Zukunftskongresse", auch das Ruhrbistum und der Initiativkreis Ruhrgebiet luden zum futuristischen Gespräch.

Dr. House vs. Arthur Schopenhauer: Wer von beiden ist der größere Aphoristiker?

Foto Dr.House: grape vine Foto Schopenhauer: Sobibor

Auf den ersten Blick scheint es nicht viel zu geben, was der ausgesprochen unsympathische, aber nichtsdestoweniger ungemein populäre Protagonist der Fernsehsendung Dr. House und der Philosoph Arthur Schopenhauer gemeinsam haben. Und doch: Es ist der Pessimismus und die Abscheu vor Menschen, die diese beiden Figuren verbindet. Inwieweit Dr. House tatsächlich an Schopenhauers Weltsicht anknüpft, verdeutlicht diese vergleichende Übersicht.

Dr. House über einen Patienten, der vorgibt, Wunderheiler und ein Sprachrohr Gottes zu sein: „Ist das nicht interessant, religiöse Innbrunst und Wahnsinn sind sich so ähnlich, dass man sie kaum unterscheiden kann.“

Schopenhauer: „Im ganzen Verlaufe des beschriebenen Hergangs kannst du immer beobachten, daß Glauben und Wissen sich verhalten wie die zwei Schalen einer Waage: in dem Maaße, als die eine steigt, sinkt die andere.“

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Dr. House zu einem Patienten, der an Gott glaubt: „Der Glaube ist Schwachsinn.“ In einer anderen Folge heißt es zum selben Thema: „Glauben ist ein anderes Wort für Ignoranz, oder? Ich habe nie verstanden, wieso Leute stolz darauf sind an etwas zu glauben, wofür es keinen eindeutigen Beweis gibt.“

Schopenhauer: „Religionen sind Kinder der Unwissenheit, die ihre Mutter nicht lange überleben.“

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Ein Patient von Dr. House entschließt sich dazu, auf eine lebensnotwendige Behandlung zu verzichten und sagt: „Ich war lange genug Gefangener in diesem nutzlosen Körper. Es wäre schön endlich daraus auszuziehen.“ Daraufhin Dr. House, sichtlich entgeistert: „Auszuziehen? Und wohin? Glauben sie, ihnen wachsen Flügel, sie fliegen mit den anderen Engeln rum und trinken Mana? Wie blöd ist das denn, es gibt kein danach, nur das Jetzt.“

Schopenhauer: „Vor uns bleibt allerdings nur das Nichts.“

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Dr. House beim Anblick eines Patienten, der gerade verstorben ist: „Tut mir leid das zu sagen: Das ist das Ende.“

Schopenhauer: „Der Lebenslauf des Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tod in die Arme tanzt.“

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Dr. House’ Patient will Suizid begehen, da er die Schmerzen nicht mehr aushält. Dr. House: „Schmerzen sind besser als nichts.“ Daraufhin sagt Dr. Wilson: „Du kennst das Nichts nicht, du hast es selbst nie gesehen.“ Dr. House erwidert: „Ich muss nicht nach Detroit fahren, um zu wissen, dass es dort übel riecht.“

Schopenhauer: "Das Leben gleicht einem Kinderhemd: Es ist kurz und beschissen."

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Dr. Wilson über Dr. House: „Man sollte dir ein Monument setzen für deine Ich-Bezogenheit!“

Schopenhauer: „Ein Denkmal wird die Nachwelt mir errichten.“

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Dr. House zu seiner Patientin, die am CIPA-Syndrom leidet, im Gegensatz zu ihm also keine Schmerzen fühlen kann: „Du kannst keinen Schmerz spüren. Du kennst nur Freude und Genuss. Los, sag mir wie super das ist!“ Daraufhin sie: „Es ist ätzend.“ Dr. House: „Aber besser als immer Schmerzen!“  Etwas später sagt sein Mitarbeiter zu ihm: „Sie sind grantig!“ Daraufhin brüllt Dr. House: „Ich habe Schmerzen!“

Schopenhauer: „Neun zehntel unseres Glückes beruhen allein auf der Gesundheit. Mit ihr wird alles eine Quelle des Genusses, hingegen ohne sie kein äußeres, welcher Art es auch immer sei, genießbar.“

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Info: Dr. House läuft immer dienstags auf RTL um 21:15 Uhr. Nächste Woche Dienstag läuft die neue, fünfte Staffel an.

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Rettet den Blätterwald (3) – Heute: StadtRevue

In dieser Reihe wird beständig die Sinnhaftigkeit von Printpublikationen hinterfragt. Erste Opfer waren Rolling Stone und SFT. Und auch diesmal geht es wieder dahin, wo es weh tut. Nein, nicht nur nach Köln, sondern auch zu einem Stadtmagazin. Der Autor stand kurz vor einem Besuch in der Stadt und erinnerte sich an die Karnevalstradition, empfand also den Zeitpunkt für das Thema als gekommen. Es könnte jede andere Stadt sein, aber es trifft halt Köln – diese Art Magazin natürlich.

Dom, adrette junge Frau. "Ist Zukunft planbar?". Karneval. Fußball. Und noch zwei Herzensthemen auf dem Titel: Ein schließendes Bad und ein Museum im Umbau. Die erste Anzeige innen dann für die Philharmonie. War das nicht mal ein alternatives Stadtmagazin? Wieso dann all die offiziösen Themen? Und wie als Gegengewicht direkt ein Editorial, das "ganz Persönliches" von Redakteuren erzählt und dies mit dem Titelthema in Verbindung bringt. Fehlende Distanz? Berufsbedingte Überidentifikation? Marketingkniff? Man wird sehen. Rein ins Blatt.

Nach den Leserbriefen erst einmal weitere "Geburts- und Todesmeldungen". Club eröffnet, Zentrum schließt, Rheinuferstraßebäume in Gefahr, Schweinepest in Rösrath. Weitere Themen im Ticker: Nazis, Fußball, Drogen, Migranten, Arbeitsagentur, eine autofreie Siedlung, ein Anwohnerbeirat. Einzelne Stadtteile und Initiativen werden umarmt. Das ist natürlich für ein Monatsmagazin nett, wirkt aber irgendwie etwas pflichtbewusst und nur bedingt aktuell.

Es geht so weiter, sorry. Der Deutzer Hafen, Schüler beim Nachwuchsjournalistenwettbewerb. Nochmal Fußball und ein Gastkommentar des Geschäftsführers des Flüchtlingsrates, der seine Unschuld am Misslingen der Umsetzung eines Papiers zur Integration beteuern darf. Schwierig. Weiteres unter "Kommunal" – welch Rubrikenname! – ist dann Graffiti- und sonstige Jugendpolitik, bevor nach einer Seite Gastrotipps plötzlich die Redaktion in Karnevalskostümen dasteht. Daneben natürlich total alternative Tipps zur Sause. Und im Anschluss ein Bericht über ein Buch plus CD über Straßenmusiker von Mitte des 20. Jahrhunderts. Abtrünnige von Stockhausen haben das mal gemacht und resümieren im Schlussatz: "Dieses Kölsch ist mittlerweile historisch." Dann eine Fotostrecke über das sterbende Bad! Und die Titelstory zur Stadtplanung darüber wie die Nationalsozialisten die "drei Reiche" in der Stadt baulich repräsentiert wissen wollten, nach dem 2. Weltkrieg denn aber unkoordiniert Wiederaufbau betrieben worden sei und die neuesten Planungen irgendwie auch nur Schwammiges erwarten lassen. Durchaus lesenswert, aber inmitten von soviel Identifikationshuberei auch verstörend, denn nur sechs Seiten nach einem Foto von Hitler kommt dann eines von Clickclickdecker. Man ist nahtlos bei "Musik". Und findet auch gleich eine Beilage zur Reihe "Neue Musik Köln". Hängt ja auch alles bestimmt irgendwie zusammen.

Und im Kulturteil ist natürlich alles ordentlich, gute Themen und Kritiken, allerdings natürlich alles im Bewusstsein der Tatsache, dass es eher um stilsichere Alternativ-Unterhaltung geht. Anzeigen von Live-Clubs und sogar für CDs – die ersten nach einer Beilage für ausgerechnet einen Kurpark. Zielgruppe scheint tatsächlich 17 bis 70 zu sein. Man muss halt alles repräsentieren, Themen besetzen, etc. Kennt man ja. Wozu eigentlich nochmal? Hm.

Die Filmkritiken sortieren recht sezierend historisch ein, der Theaterteil bringt Porträts, Berichte und Kritik, "Kunst" ebenso, und bei "Literatur" geht es spätestens recht viel um Bücher, die wohl mit Bekannten oder Verlagspartnern zu tun haben – aber all das auf recht hohem Niveau. Da ist wirklich kaum zu meckern bevor der Kalender beginnt, die Kleinanzeigen kommen, dann Kolumne und Fotowitz (statt Comic) und schließlich Anzeigen des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg und von Rheinenergie. Und da gibt es denn auch keinerlei Glaubwürdigkeitsprobleme, ist ja alles irgendwie kölsch. Und man mag nach Lektüre einfach die Filme nicht sehen, die Musik nicht hören, die Orte nicht besuchen und erst recht nicht mit einzelnen Stadtteilinitiativen in Berührung kommen. Weil das alles so fürchterich Alternativ-Boulevard ist. StadtRevue halt. Dass einem schummerig wird. Und das ist gar nicht mal Schwarz-Grün. Eher so eine abblätternde Kinderfarbenschicht von einem im Grunde grau-braunen Haus irgendwo in Deutz. Aber es könnte natürlich überall (in Deutschland) sein. Nur: Köln ist so entsetzlich offensichtlich.

?Wo warst du als,??? ? Musik für?s TV von Tim Bernhardt und Joachim Schaefer

Wenn ab kommenden Sonntag um 23.35 Uhr wöchentlich die ersten drei Folgen von „Wo warst du als,…?“ (Autor: Christian Dassel) in der ARD ausgestrahlt werden, dann stammt die Musik hierzu von zwei im Ruhrgebiet wohl bekannten Komponisten. In der Serie geht es um persönliche Erinnerungen an plötzliche historische Ereignisse (9/11, die Tsunami-Katastrophe, der Mauerfall), im Ruhrbarone-Gespräch mit Tim Bernhardt um Soundästhetik und das Arbeiten für verschiedene Medien.

Ruhrbarone ?: Das ist ja nun jetzt nicht die erste Arbeit von Yoshino und dir für’s Fernsehen, es gab ja zum Beispiel auch schon „Kriminalzeit“. Wie kommt es eigentlich zu so etwas? Per Ausschreibung?

Tim Bernhardt !:
Das sind natürlich Kontakte, die man sich über die Jahre erarbeitet hat. Es geht in erster Linie um Vertrauen, da kann nicht einfach ausgeschrieben und dann mal geguckt werden, ob das auch klappt. Die Leute brauchen innerhalb einer vorgegebenen Zeit und im Rahmen eines vorgegebenen Budgets Musik zu den Bildern, die sie im Kopf haben.

?: Bekommt man dann die gesamte Serie zu sehen oder passiert alles viel früher?

!: Das geht schon alles viel journalistischer zu. Die Leute schicken Drehbücher, Skripte zur Sendung, vielleicht auch ein paar Bilder. Es gibt zunächst die Zusage an die Autoren, dass eine Serie gemacht werden kann, und dann kommen immer mehr Ideen und Themen, die an uns weitergegeben werden, so dass wir uns immer aktuell auf den Stand der Dinge einstellen können.
?: Und wie konkret gibt man etwas ab? Gibt man einzelne Themen, Stücke ab, oder auch dezidiert zu einer Szene passende Musik?

!: Im Grunde beides. Es gibt eine Grundstimmung und eine Dramaturgie. Also entwickelt man ein Stück, das verschiedene Phasen hat. Abgegeben werden natürlich Dinge, die schon hörbar sind, weshalb die dann meist schon recht elaboriert sind. Und dann werden die Bälle noch dreimal hin und her gespielt, so á la „Das ist ja schon einmal nicht schlecht, aber an der Stelle brauche ich noch das und das.“ Die Leute in der Post-Produktion brauchen dann auch immer Klänge, auf die sie ihre Schnitte setzen können. Irgendwelche „zips“ und „zapps“ kommen da immer gut an. Also beginnt man manchmal sogar mal eher direkt mit so etwas.

?: Und inwiefern kann man sich vorher überhaupt mit der Bildästhetik auseinander setzen, um es stimmig zu bekommen?


!:
Fast gar nicht. Man ist halt günstigenfalls auf die Vorlieben der Macher eingestellt. An einer Stelle bei „Wo warst du als…?“ wollte Christian Dassel alles sehr dissonant haben, aber das kam nicht durch. Das war für alle Beteiligten schlecht, also haben wir daraus gelernt. Die Sendung an sich hat von der Umsetzung her eine gewisse Härte, so eine nüchterne Direktheit, und dazu passt es dann auch, dass wir teilweise eher Sounddesign machen. Wir haben also hin und wieder nur einzelne Spuren geschickt, und Christian Dassel bearbeitet die dann selbst und benutzt manchmal nur einzelne Elemente. Er produziert sonst auch „Hier und Heute“ und „Hart aber Fair“ und mag durchaus abgefahrene Themen, aber nicht unbedingt das Reißerische.

?: Ihr arbeitet ja zu zweit an dieser Sache, und Joachim Schaefer (Foto unten) ist ja auch noch Musiklehrer. Was macht ein Tim Bernhardt (Foto oben) sonst in diesem Bereich noch?

!: Zunächst einmal ist das ein großer Vorteil, zu zweit zu arbeiten. Oft kommt man halt alleine nicht weiter, verzweifelt fast, verliert sich in einem Detail… Aber weil Yoshino jetzt auch noch Familienvater ist, mache ich derzeit quasi die Geschäftsführung alleine. Ich arbeite sonst generell im Bereich der Film-, Funk- und Fernsehwerbung. Das hat zum Beispiel gegenüber der Spielebranche auch den Vorteil, dass man sich nicht groß über Tagessätze streiten muss. Das ist gar nicht mein Metier. Ich habe ein großes Soundarchiv das ich lizensiere, da brauche ich nicht immer zwingend etwas neues entwickeln. Ein aktuelles Beispiel wäre derzeit eine AOK-Homepage für Jugendliche, die dann für 15- bis 20-Jährige direkt mal alles von Indierock über HipHop bis Techno geliefert bekommen hat.

?: Besten Dank für das Gespräch.

Ein Gespräch mit Wladimir Kaminer, dem russischsten aller deutschen Schriftsteller

Wladimir Kaminer (41), sieht sich selbst gern “privat als Russe und beruflich als deutscher Schriftsteller“. Die seltsame Beschreibung hat ihren Ursprung in der Geschichte des gebürtigen Sowjetmenschen. 1990 kam Kaminer nach Berlin und erhielt „humanitäres Asyl“ in der damals noch bestehenden DDR. Seinen Durchbruch erlebte er als Schriftsteller mit den Bestsellern Russendisko, Militärmusik und Schönhauser Allee. Gerade ist er mit seinem aktuellen Buch „Salve Papa“auf Lesereise. Daneben veröffentlicht Kaminer weiter Kolumen in verschiedenen Zeitungen und tritt hier und da als DJ auf. Im Berliner Kaffee Burger ist er zudem als Veranstalter grandioser Parties in bleibender Erinnerung. Olga Kapustina sprach mit ihm über Kinder und Sprache, Studium und Bücher, Russland und Ruhrgebiet.

 

 

Über die deutsche Sprache

 

Ruhrbarone ?: In welcher Sprache führen wir das Interview – in deutscher oder in russischer?

Kaminer!: Wird das hier auf Deutsch veröffentlicht? Dann auf Deutsch.

 

 

?:   In welcher Sprache reden Sie beim Frühstück?

!: Zuhause sprechen wir grundsätzlich Russisch. Meine Kinder versuchen mich auf Deutsch umzustellen. Ich versuche immer etwas dagegen zu unternehmen. Aber manchmal schaffen es die Kinder, dass wir mit ihnen Deutsch reden.

?: Können Ihre Kinder besser Deutsch als Russisch?

!: Meine Kinder sind beide in Deutschland auf die Welt gekommen. Sie sind in deutscher Sprache sozialisiert. Wenn wir nach Russland fahren, sprechen sie dort Russisch und machen das relativ korrekt. Aber ihre erste Sprache ist Deutsch, klar.

?: Die Namen Ihrer Kindern sind auch eher Deutsch…

!: Sie sind international. Sebastian und Nicole sind Namen, die für russische und deutsche Ohren gleichermaßen zugänglich sind.

?: Als Sie 1990 nach Deutschland kamen, sprachen sie kein Wort Deutsch. Wie haben Sie es geschafft, die Sprache so gut zu beherrschen?

!: Das ist überhaupt keine Heldentat. Man kann jedem Kaninchen eine Fremdsprache beibringen, wenn man ihn jeden Tag auf den Kopf schlägt.

?: Das scheint geklappt zu haben. Sie haben 13 Bücher auf Deutsch veröffentlicht…

!: Ich schreibe diese Bücher seit 1998. Geschlagen hat mnich niemand, aber in zehn Jahren kann man doch alles lernen. Ich habe mir nie große Mühe gegeben. Ich habe Deutsch aus Neugier, aus Not, also aus gut nachvollziehbaren Gründen gelernt.

?: Stört es Sie, dass Ihre Aussprache Sie als Nicht-Muttersprachler verrät?

!: Ich höre meine Aussprache ehrlich gesagt nicht. Eine typische russische Aussprache, wie sie zum Beispiel in amerikanischen Hollywood-Filmen vorkommt, hört sich für mich anders an.

 

Über das Lernen

?: Ihre Kinder, um die es in Ihrem neuen Buch „Salve Papa“ geht, sind noch Schüler. Aber vielleicht machen sie sich schon Gedanken darüber, was sie später werden wollen…

!: Klar, natürlich. Sie wissen alles. Mein Sohn will Koch werden, meine Tochter – Schriftstellerin.

?: Ihr ersten Roman hat Nicole schon geschrieben, Sie erzählen darüber in Ihrem Buch…

!: Ja, über Kaninchen. Sie schreibt ziemlich fleißig, ziemlich viel. Aber ich möchte diese Literatur nicht bewerten. Ich sage nur: Das, was mein Sohn kocht, gefällt mir besser, als das, was meine Tochter schreibt.

?: Sollten wir in 7-10 Jahren, wenn Ihre Kinder ein Studium anfangen sollten, mit einem Buch von Ihnen über das deutsche Hochschulsystem rechnen?

!: (Lächelt).Ich weiß nicht, inwiefern dieses Thema interessant sein wird. Zur Zeit arbeite ich an Projekten mit anderen Inhalten. Ich schreibe ein Buch über den Kaukasus. Ein anderes Buch hat sich aus dem Stoff, das ständig neu ankommt, herauskristallisiert. Der Titel wird heißen „Deutschland ist in Ordnung“. Es geht um verschiedene Facetten des deutschen Lebens. Das wird quasi das zweite deutsche Dschungelbuch.

?: Sie selber haben Musik in einer Theaterschule in Moskau studiert… In einem Interview präsentierten Sie sich neulich als Sozialwissenschaftler, da Sie sich mit Lebensforschung beschäftigen. Wenn Sie jetzt vor der Wahl stünden, was sie lernen wollten. Welches Fach würden Sie wählen?

!: Mich interessiert die Geschichte der Menschheit, die letzten dreitausend Jahre. Die Entstehung der Sprache und der Kultur, theologische, politische und soziale Aspekte. Dieses Wissen ist unverzichtbar, um die Gegenwart zu verstehen. Unwissen ist der Geisel der Menschheit. Es stellt sich nicht die Frage: Was studieren? Alles!

 

Über Russland

?: Man sieht in Ihren Interviews und Ihrem Blog, dass Sie sich gut über Ereignisse in Russland informieren…

!: In Russland ist es sehr schwer, wenn irgendwas passiert, an wahre Information zu kommen.Die Presse hat da ihre Spielregeln. Russland ist, was die Presse oder Politik betrifft, zu einem großen Theater geworden. Das geht gar nicht mehr um Wahrhaftigkeit der einen oder der anderen Nachrichtenquelle, sondern nur um die Rolle, die diese Nachrichtenquelle im politischen Theater des Landes spielt. Wahre Informationen über Russland kann man nur aus Blogs erfahren. 

?: Welche Blogs lesen Sie denn?

!: Ich lese Blogs von Schriftstellern und von Journalisten, wenn ich sehe, dass sie in ihren Blogs objektiver urteilen als in offiziellen Medien. Ich lese Menschen, die ich interessant finde. Zum Beispiel: Gortschew, Baru und Beresin.

 

Über sein Buch

?: Am Ende des Buches „Salve Papa“ steht es: „Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind weder vorhanden noch beabsichtigt. Es sei denn, die Personen wollen sich in dem Buch erkennen“. Ist das eine Lehre aus Ihren früheren Veröffentlichungen oder rein prophylaktisch?         

!: Prophylaktisch.

?: Man kann sich schon vorstellen, dass die mit einem Vampir verglichene Leiterin des Gymnasiums ihrer Tochter den Vergleich übel nimmt…

!: Ich konnte das nicht vermuten. Ich finde das total blöd. Aber letzte Woche kam zu Nicole eine Schülerin aus einer anderen Klasse und sagte: „Die Schulleiterin lässt deinen Vater grüßen und bittet dich, ihn zu fragen, falls er konkrete Vorschläge hat, wie man das Schulsystem verbessern kann, dann soll er dir das sagen. Ich komme nächste Woche wieder.“ Anstatt mich anzurufen, schickt die Schulleiterin ein Kind zu einem anderen Kind. Warum? Ich habe doch diese Schule nur verherrlicht. Sie soll froh sein, dass sie wie Vampir aussieht. Vampire sind gerade jetzt in. In Bestsellerliste ist die Hälfte Bücher über Vampire.

 

Über das Ruhrgebiet

?: Geografisch schreiben Sie vor allem über Berlin, aber über andere deutsche Städte auch. Wann taucht Ruhrgebiet in Ihren Büchern auf?

!: Es taucht in „Meinem deutschen Dschungelbuch“ auf, wo ich verschiedene Ecken in Deutschland beschreibe.

?: Womit assoziieren Sie das Ruhrgebiet?

!: Mit einer postkapitalistischen Gegend. Sehr interessant. Wenn die ganze Kohle ausgeschöpft ist, die Zechen zu den Kunstobjekten umgewandelt werden, Menschen viel Zeit in irgendwelchen Shopping-Malls verbringen, mehr angucken als einkaufen. Ich glaube, dass das Ruhrgebiet von allen Gegenden Deutschlands am nächsten zur Zukunft steht.

 

Und weil das Wort Blitz so schön ist – Blitzfragen

?: Welchen Film haben sie zuletzt gesehen?

!: „Bewohnbare Insel“ des russischen Regisseur Bondartschuk.

?: Wann waren Sie letztes Mal betrunken?

!: Vor 22 Jahren in der sowjetischen Armee. (Das Glas Weißwein auf dem Tisch ist halbleer.)

?: Moskau oder St. Petersburg?

!: Natürlich Moskau.

?: Döner oder Curry-Wurst?

!: Weder noch. Ich bin Vegetarier.

 

3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

In einem Interview erzählte mir im letzten Jahr der Tänzer und Choreograph Felix Bürkle, dass in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich nach wie vor eher Schubladen denn das freie Spiel der Künste gelehrt werden. Und dem wird ja auch durchaus in den Feuilletons und Programmheften Rechnung getragen: Ein Konzert ist ein Konzert, aber eine Ausstellung ist eine Ausstellung, und ein Theaterstück ist keine Performance. Und das stimmt so natürlich nicht. Beispielhaft in dieser Woche also drei Veranstaltungshinweise, bei denen es schon auf die Augen der Betrachter ankommt.

Im Essener Katakomben Theater im Rüttenscheider Girardet Center findet am kommenden Wochenende das alljährliche Festival der Jazz Offensive Essen statt. Kurz zuvor aber auch ein Stück namens "Johnnys Jihad – American Taliban", aufgeführt vom Düsseldorfer Theater der Klänge. Ein erstaunlich aktuelles und "hartes" politisches Thema also, so dass man sich schon beinahe wünscht, die Düsseldorfer seien doch gleich den ganzen Weg gegangen und hätten "Jan Jihad – Ein Taliban aus Hagen" oder ähnliches gemacht. So bleibt natürlich ein wenig Distanz gewahrt, und Amerika muss wieder mal herhalten wenn es um den Abfall eines jungen Menschen vom Pfad der Aufklärung und Emanzipation geht. Dennoch, ein guter Akzent im gegenwärtigen oft arg mutlosen, befindlichkeitsfixierten und/oder bemüht klassenkämpferischen Theaterwesen.

Ebenfalls eher unüblich ist es wenn eine Ausstellung sich mit "Flyern aus der Club- und Barkultur Essens" beschäftigt. Denn Designwahn hin oder her, im Grunde meinen Flyer ja "Lies mich – geh hin – wirf mich weg". Aber den Veranstaltern von den Netzwerken modem und ruhrpop geht es im Banditen Wie Wir ja auch teilweise um anderes. Natürlich werden Serien einzelner Designer gezeigt und Prunkstücke neben Billigexemplare gepackt, aber das "Flyerflimmern" sortiert sich schon nach den einzelnen Lokationen und lässt so einen Blick auf 15 Jahre eigenständige Sub- und Popkulturproduktion zu, also auf Programme die eben nicht nur vom Einkauf großer Namen oder dem Lancieren sicherer Partyreihen lebten. Und das auch nur für eine Woche, denn es muss halt immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen… Et cetera.

Und noch ein Blick in Vergangenheit und Zukunft zugleich. Die sehr empfehlenswerte DASA widmet sich ja permanent der Geschichte von Arbeit und ihren Perspektiven. Einen Anreiz sich das nun endlich einmal anzusehen bietet vielleicht die wieder angesetzte Theater-Führung durch die Ausstellung. Bei dieser verdeutlichen ein im 20. Jahrhundert angesiedelter Ingenieur und eine aus dem Jahre 2026 stammende Virtual Reality Journalistin durch einfaches Rollenspiel (s. Foto), wie sich Arbeit wandeln kann und womit man so in Zukunft zu rechnen hat. Von März bis Juni immer einmal am Freitagabend und einmal am Sonntagmorgen. Aktuelle Termine? Im Anschluss.

Im Überblick:
"Johnnys Jihad" am 22. Januar um 20 Uhr in den Katakomben.
"Flyerflimmern" vom 23. bis 30. Januar ab 20 Uhr im Banditen Wie Wir.
"2026 – Wie arbeiten wir morgen?" am 25. Januar um 11 Uhr in der DASA. Februar-Termin: 22. Februar, 11 Uhr.

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Dicker Mo über Bo

handypics: ruhrbarone.de

Zum Freitag der ganz  besondere Rausgehtip: Jetzt, Mantel an, Tür auf, rausgehen. Lohnt sich. Gevatter Mond ist so fett. Wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und in Jahren nicht. Und das allerbeste: Über dem mittleren Ruhrgebiet keine Wolke. Echt. Schön.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anne Will zurück zur Sportschau?

Foto: daserste.ndr.de

Fußballgucken statt Autowaschen, glotzen statt ausgehen, Flimmerkiste statt Sportplatz. Der Fußballfanatiker muss sich ab Sommer 2009 entscheiden. Heute hat die Deutsche Fußballliga (DFL) die Fernsehrechte für die kommende Spielzeit 2009/10 vergeben. allesaussersport.de berichtet mal wieder perfekt über die sportökonomische Großentscheidung. Fazit: Der Fußball bekommt noch mehr Platz im Fernsehen. Und Anne Will kann ja zurück zur Sportschau, die auf ihren Sendeplatz rutschen könnte.

Aber der Reihe nach: Den Zuschlag für Bundesligasenderechte für Fernsehen teilen sich wie bisher ARD/ZDF/DSF/Premiere. Die Telekom überträgt weiterhin im Mobil-TV, Web-TV und IPTV. Nur die Auslandsrechte vermakelt die Liga nun selbst; vorher besorgte das übrigens der in Deutschland so inkriminierte Wettanbieter bwin.

Die DFL – die ingesamt 412 Millionen Euro pro Jahr einstreichen wird, sieben Millionen mehr als zuvor – behauptet, dass es mit Beginn der kommenden Saison nur "wenige spürbare Veränderungen" am Fernseh-Wochenende geben werde. Doch das stimmt nicht wirklich: Wer ab kommenden Sommer den Premiere-Übertragungen folgen will, kann an einem normalen Bundesligaspieltag 22 Stunden (!!!) vor dem Fernseher sitzen. Freitags von 17.30 bis 22.30 Uhr. Samstags von 12.30 bis 20-30. Sonntags von 13 bis 19.30 Uhr. Montags von 19.45 bis 22.30 Uhr. klick (pdf)

Im kommenden Herbst werden dem Fußballzuschauer inklusive Champions League und UEFA-Cup beziehungsweise DFB-Pokal rund 35 Stunden Live-Fußball-Shows pro Woche angeboten. Und selbst vom Zusammenfassungs-Zuschauer ist mehr Sitzfleisch gefordert: Zur Sportschau kommt das Aktuelle Sportstudio mit exklusiven Ausschnitten des Samstagabendspieles. Am Sonntag Abend zeigt "Das Erste" nach dem Tatort nicht mehr Talk, sondern Torejagd – oft mit drei Partien aus der ersten Liga. Sonntag, viertel vor Zehn, war da nicht was?

Man kann über Anne Wills Talkshow jeder Meinung sein. Man kann es mit Fug und Recht sterbensöde finden, wenn wieder Peter Scholl-Latour auf Gerhart Baum trifft, wenn wieder das bisschen deutsche Terrorgeschichte aufgepustet wird – erst Recht nach Mumbai. Aber dass die Sportschau dem öffentlich-rechtlichen Sender wichtiger sein soll als der traditionellste Abendtalk im deutschen Fernsehen, liegt so daneben wie die berufenen Abwiegler aus der ARD. Die Entscheidung ab 21:45 Bundesliga zu zeigen bedeute für Anne Will ja erstmal gar nichts, heißt es bei den Senderchefs.

Stimmt schon, Anne Will könnte ja einfach weitermachen. Wie heißt es auf der Anne Will-Seite: "Als erste Frau moderierte sie 1999 die ARD-Sportschau." Doch das Politische hätte ein weiteres Zeitfenster verloren.