125 Künstler ermordet, 100.000 Kulturorte zerstört, 1,7 Millionen Kulturgüter geraubt. Putin will die Ukraine auslöschen, selbst noch die Erinnerung an sie. Und die Förderkultur in Deutschland? Schnüffelt sich an die AfD heran.
„Was Demokratie für einen Glanz haben kann.“ Claudia Roth, Kulturstaatsministerin, lag oft daneben, hier trifft sie den Punkt: „Haben wir wirklich eine Vorstellung davon, wie wir uns verhalten würden, wären wir in so einer Situation wie die Ukraine?“ Wo sich Kultur „hinter Holzverschläge, Sandsäcke und Panzersperren“ retten muss, um spielen zu können? Im Sommer 2022, der Krieg war ein halbes Jahr alt, war Roth die erste in der noch amtierenden Regierung, die in die Ukraine gefahren ist, sie hat Odessa aufgesucht, die europäische Kulturmetropole. Jetzt war sie erneut in der Stadt, Tobias Rapp hat sie für den SPIEGEL begleitet, er beschreibt einen Anfahrtsweg „im schwer gepanzerten Jeep“, mit dem man es bis dicht an den Ticketschalter eines Konzertsaals schafft oder eines Museums oder Theaters, wo sich die Anzahl der Tickets daran bemisst, wie viele Plätze der Luftschutzkeller bietet.
Wie anders in Deutschland nebenan, hier steht ein Kulturbetrieb Kopf, wenn ihm – wie jetzt in Berlin – 12 % seiner Fördermittel gestrichen werden. Statt 215 €, die etwa das Deutsche Theater pro verkaufter Eintrittskarte erhält, demnächst rund 189 € je Ticket. Gesamt fließen – nur Berlin, nur Kultur – immer noch deutlich über eine Milliarde Euro in den Kultursektor, jetzt aber, so das „Aktionsbündnis“ der Eine-Milliarde-Euro-Empfänger, stünden „Vielfalt, Exzellenz, Resilienz und Gesellschaftlicher Zusammenhalt auf dem Spiel“.
Warnung oder Drohung? Das Wort „Alarm schlagen“ hat seine Bedeutung verändert, in Odessa beschreibt Rapp „eigenartige Momente: im Restaurant zu sitzen, und auf einmal fängt in allen Taschen gleichzeitig die Luft-Alarm-App der Handys an zu piepen.“ Keine Deutschen unter den Opfern. Die Idee allerdings, dass man sich für Kultur tatsächlich opfern könnte anstatt Fördermittelanträge auszufüllen und dass sich auf diese Weise 10 oder mehr Prozente einlösen ließen, weil sich 10 oder mehr Prozente an Publikum gewinnen ließen, diese sehr westliche Idee ist sehr ukrainisch geworden. Zitat Roth, ein für eine Kulturstaatsministerin bemerkenswerter Satz:
„Vielleicht glaubt man in der Ukraine stärker an die politischen Versprechen des Westens, als man es mittlerweile im Westen selbst tut.“
Memento Odesa, das Live-Projekt des Odesa Philharmonic Orchestra, spielt in Bochum am Platz des europäischen Versprechens. Ein öffentlicher Platz, aus 14 726 Versprechen gebaut, die 14 726 Europäer in Europa sich selber gegeben haben, wir uns. Keine Instanz, die gefördert würde dafür, zwischen mir und meinem Versprechen zu vermitteln. Niemand, der mir mein eigenes Versprechen deuten müsste, niemand, der es – so hat es Jochen Gerz formuliert – „vor seinen politischen Karren spannen“ könnte.
Was Demokratie für einen Glanz haben kann.
Anders das Berliner Aktionsbündnis, es versteht Kunst und Kultur als „Klebstoff“. Als „Klebstoff unserer Gesellschaft!“ Mit Ausrufezeichen. Schluss mit „Grenzen überwinden“, wie Carsten Brosda es lehrt und Wladimir Putin es tat, der Laden wird zusammengepappt. Kultur als Klebstoff, als Schnüffelstoff, ist recht genau das, was die AfD fordert, sie nennt es „kulturelle Identität“. Klassischer Linkssprech. Es wächst zusammen, was zusammen klebt.