Drei Meldungen, drei Reaktionen: Claudia Roth, Kulturstaatsministerin, ruft dazu auf, Roger Waters zu boykottieren, der sei „aktiver BDS-Unterstützer“. Die Intendanten-Initiative „GG 5.3 Weltoffenheit“, die aktive BDS-Unterstützer präsentieren will, tut so, als sei nichts. Der SPIEGEL outet eine kruppstahlharte Nazi-Band, deren Label, die Universal Music Group, setzt die Nazis vor die Tür. Roger Waters, kruppstahlharter BDS-Aktivist, outet sich als Putins Poppudel, sein Veranstalter, CTS Eventim, verkauft die Tickets für Waters Konzerte weiter. Und kann sich dabei auf die weltoffenen Intendanten berufen, sie stellen den Jargon bereit, der Israelhass verklärt. Es liegt an Roth, ob der BDS-Kultur in Deutschland die Türen vernagelt werden oder offen bleiben.
„Roger Waters ist mittlerweile offenkundig zu einem aktiven BDS-Unterstützer und darüber hinaus Verschwörungstheoretiker geworden“, erklärte Claudia Roth (Grüne) jüngst in einem Interview mit der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN: „Als Kulturstaatsministerin kann und will ich kein Konzert verbieten. Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb würde ich mir wünschen, dass Veranstalter darauf verzichten, Konzerte mit Roger Waters durchzuführen, und wenn sie dennoch stattfinden sollten, dass er vor leeren Hallen spielt.“
Das ist deutlich: Die Staatsministerin für Kultur ruft dazu auf, einem BDS-Supporter keine Bühne zu bereiten und keine Tickets abzukaufen. Bisher stand Roth der antisemitischen BDS-Kampagne passiv gegenüber, sie hielt sie – BDS wird von fünf Terror-Organisationen angeführt – für „gewaltfrei“ und „zivil“. Jetzt folgt sie der Linie, die das Gutachten vorzeichnet, das sie nach der Documenta, der skandalös antisemitischen Kunstausstellung im vergangenen Jahr, beim Staatsrechtler Christoph Möllers in Auftrag gegeben und kürzlich veröffentlicht hat. Dessen Generallinie: keine staatlichen Verbote, keine staatliche Aufsicht, politische Verantwortung fällt im Vorfeld an.
Vorfeld ist da, wo ein gesellschaftliches Klima entstehen kann, in dem Antisemitismus als so uncool geächtet würde wie Rassismus, Sexismus, Misogynie. Es gab dieses Klima nicht, als Roger Waters seine Tour-Offerten machte, es gab eine Menge Leute, die Waters Israelhass abgenickt haben, um ihn – nach seiner mit antisemitischen Ansprachen gewürzten Tour 2017/18 – erneut auf Großbühnen zu stellen, die sich in teils städtischer, teils städtisch-landeseigener, teils privater Hand befinden. München, Frankfurt, Köln, Hamburg, Berlin, die Türen standen offen für BDS.
Ganz wie in Kassel, wo es die Documenta im letzten Jahr darauf angelegt hat, ihr Renommee mit Judenhass aufzufrischen. Aktive BDS-Unterstützer, auch solche, die brutalsten Terror gegen Juden rechtfertigen wie Charles Esche es tut, saßen in Findungskommission, Beirat, Kuratorium, ihren Antisemitismus konnten sie ungehindert auf Kunststatus hieven: Ausgestellt wurden – nicht nur, aber eben auch – verschwörungstheoretische Großgemälde, Übermachtsdämonien und übelste Terror-Propaganda, die vom ersten bis zum letzten Tag der Großausstellung durchlief – „im größten Raum, der der Filmkunst auf der documenta fifteen zugedacht war“, wie der Abschlussbericht zur Documenta feststellt. Die von den Gesellschaftern der Documenta beauftragten Fachwissenschaftler machen in ihrem Bericht einen „Vertrauensverlust“ fest, der „nur langfristig rückgängig gemacht werden“ könne.
Man stelle sich vor, Claudia Roth hätte sich schon vor einem Jahr, als sich abgezeichnet hat, was BDS in Kassel als Kunst präsentieren wird, öffentlich gewünscht, die Documenta möge keine BDS-Aktivisten beschäftigen und, falls doch, nur in leeren Hallen ausstellen. Genau diese Botschaft aber hat Roth jetzt gesendet – an die Leser der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN? Auch, vor allem aber an ihren eigenen Beritt, die „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“. In ihr haben sich seit Ende 2020 die Intendanten, Direktoren und Rektoren von zwanzig öffentlichen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland – ua Kulturstiftung des Bundes, Goethe-Institut, Deutscher Bühnenverein, Humboldt-Stiftung bis hinüber zum Forum Freies Theater in Düsseldorf – zusammengefunden, ihr einziges Ziel: aktive BDS-Unterstützer in ihren Häusern zu präsentieren, die Bund und Länder finanzieren. Sie werde deren BDS-Präsentationen keineswegs verbieten, hat Roth ihrem leitenden Kulturpersonal de facto mitgeteilt, sie wünsche lediglich, dass dann kein Mensch mehr ins Deutsche Theater gehe oder ins Tanzhaus NRW.
Wenn das mal keine Nachricht ist. Die „Initiative Weltoffenheit“ hat auf Roths Ansage bisher nicht öffentlich reagiert – oder nur insofern, als sie ihre Forderung, BDS ins staatliche Kultur-Förderprogramm aufzunehmen, weiterhin online hält. Nachlesbar wird so, was den staatlich finanzierten Kultursektor, geht es um BDS, mit dem privat finanzierten verbindet – und warum Claudia Roth gerade hier, an dieser Schnittstelle, in der Verantwortung steht: Mit der Intendanten-Initiative – in ihr bündeln sich rund eine Milliarde Euro an staatlichen Fördermitteln pro Jahr – und dem CTS-Konzern, der zuletzt knapp zwei Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet hat, wird die antisemitische Kultur des BDS von zwei kulturpolitischen Giganten promotet. Eine immense Gestaltungsmacht, die sich hier zusammenballt.
„Was heißt persönliche Verantwortung“ im Kulturbetrieb?
Umso absurder, dass beide, weder die staatlich besoldete Initiative noch der börsennotierte CTS-Konzern, derzeit ein wirtschaftliches Risiko trägt, wenn sie BDS promoten. Ob sie die antisemitische BDS-Ideologie nun auf die Bühne bringen oder nicht, ob Roger Waters spielen oder abgesagt wird, die einen werden generös vom Staat besoldet, der andere, CTS-Chef Klaus-Peter Schulenberg, ein mehrfacher Milliardär, kann jederzeit Schadensersatz fordern. Die Hannah-Arendt-Frage heute: Was heißt persönliche Verantwortung im Kulturbetrieb?
Es ist doch sonnenklar, dass Antisemitismus, in den kulturellen Alltag eingespeist, das Leben der Juden in Deutschland unmittelbar unsicherer macht. Was beide betreiben, die Indendanten-Initiative und CTS Eventim, ist ein Geschäft auf Kosten der Juden in Deutschland, es ist ein Spiel mit ihrem Leben.
Und ist zugleich ein Spiel mit den eigenen Häusern, die ihnen anvertraut sind: Die Documenta wäre am BDS-Hass, den sie beflissen geschluckt hat, beinahe erstickt. Dabei hätte, spätestens seit Stefanie Carp die Ruhrtriennale vor die Wand gefahren hat und dies gleich zweimal tat, erst 2018, dann 2020, allen in der Branche klar sein müssen, dass BDS schrottet und sonst nichts. Auch damals liefen staatlich geförderte und marktorientierte Kultur Hand in Hand, kaum dass es um Judenhass geht: Carps subventionierte BDS-Promo für die britische Band Young Fathers fand unter dem Jubel von Roger Waters statt, nahezu zeitgleich wurden die Rapper Kollegah und Farid Bang für ihre antisemitische Vernichtungsphantasien mit dem ECHO 2018 geehrt. Die Preisverleihung in Berlin nutzten die deutschen Rapper für ihre Reichsparteitagsinszenierung. Der ECHO, Stolz einer Branche, zerbröselte wie morsches Holz.
Ähnlich wie die Karriere von Xavier Naidoo, dessen „eigene Art von Antisemitismus“ (Simone Rafael) sich mit der antisemitischen BDS-Kultur überlappt. Im letzten April hat sich der Antisemit, Verschwörungsphantast und Reichsbürger (hier eine sehenswerte ZDF-Reportage über ihn) per Video für alles Mögliche – Genaueres erfährt man nicht in 3.14 min – entschuldigt. Man mag es ihm abnehmen oder nicht, Geld verdienen lässt sich vorerst nicht mit ihm, auch bei Naidoo wie bei der Documenta ein Vertrauensverlust, der sich allenfalls langfristig wettmachen lässt.
Hinter Naidoo steht Live Nation, weltweit die Nr 1 unter den Konzertveranstaltern, CTS Eventim, die Nr 2 in der Konzert- und Ticketingbranche, steht hinter Roger Waters, und hinter Kollegah/Farid Bang stand – stand – die Bertelsmann Music Group (BMG), weltweite Nr 4 im Musikverlagsgeschäft. Die Nr 1 in dieser Sparte wiederum, die Universal Music Group (UMG), hat der SPIEGEL in seiner letzten Ausgabe direkt adressiert, als er die Band „Weimar“ geoutet hat: Mehrere Mitglieder dieser durchweg hinter Masken verborgenen Band, die es im vergangenen Jahr auf Platz 5 der deutschen Albumcharts gebracht hat, „stammen aus der einschlägigen Neonazi-Szene Thüringens“, so der SPIEGEL: „Warum machte Universal Music sie groß?“ Die Reaktion des Major-Labels zeigt, was im Pop-Geschäft geht, wenn ein Global Player sich um sein Image sorgt: Universal trennte sich sofort von der Nazi-Band und nahm das Album vom Markt, der Spiegel zitiert eine Sprecherin: „Mit dem heutigen Wissensstand hätten wir das Album selbstverständlich niemals veröffentlicht.“
Ganz ähnlich klang auch die Stellungnahme, die FKP Scorpio abgegeben hat, die Hamburger Agentur, Teil der CTS-Konzerns, veranstaltet die Waters-Konzerte in Deutschland. Im vergangenen Oktober erklärte sie, man habe die Verträge unterzeichnet, „bevor der Künstler Aussagen getätigt hat oder wir Kenntnis über einzelne Statements hatten, die wir selbst problematisch finden und keinesfalls unsere eigenen Ansichten widerspiegeln.“ In der Sache überzeugt das nicht, Waters ist seit Jahren für seinen Israelhass in der Branche bekannt, aber die Erklärung von FKP Scorpio lässt sich auch lesen, als sei sie ein rothsches Ich-würde-mir-wünschen, nämlich dass wir Waters Hass ernst genommen und dann die Verträge niemals unterzeichnet hätten. Gegenüber der FAZ erklärte ein Sprecher von FKP Scorpio jedenfalls, dass man den antisemitischen BDS „klar“ verurteile.
Zeit für Politik, Chance für Roth
Anders allerdings als Universal an „Weimar“ halten FKP und CTS an Waters fest – und die eigene Distanzierung unter der Decke. Kein Hinweis auf der Website der Agentur, keiner im Ticketshop von Eventim, dort stattdessen die Biographie einer „lebenden Legende“, in branchentypischen Hymen gesungen. Und gerade dieser hymnische Ton – von Waters Selbstverherrlichung zu schweigen – weist darauf hin, wie einvernehmlich beide, CTS Eventim und die Initiative „GG 5.3 Weltoffenheit“ der BDS-Kampagne zuarbeiten:
Beide distanzieren sich von BDS, die einen erklären, „dass wir die BDS sowie den schrecklichen Angriffskrieg Russlands klar verurteilen“, die anderen teilen mit, „wir lehnen den Boykott Israels durch den BDS ab“.
Beide, die Intendanten-Initiative wie die CTS-eigene Agentur, wollen aber präsentieren und profitieren, von was sie sich distanzieren. Beide sind dagegen und deshalb dafür, beide verkaufen sie ihren Turn als hymnische Promo auf BDS, die BDS nicht erwähnt: FKP Skorpio präsentiert Waters als „Mastermind“ mit einer Bühnentechnik von „gigantischer Größe“, die „tief in die Psyche von Roger Waters eintauchen“ lasse. Während die weltoffenen Intendanten assistieren, BDS auf die Bühne zu bringen, sei dasselbe wie „kritische Positionen“ zuzulassen, „kontroverse Debatten“ zu ermöglichen, „Ambivalenzen zu ertragen“ und selbst sogar, oh Schauder, auch mal „die eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition“ zu stellen. Vollkommen verquietschter Stuss, den sie auftischen, Schulenberg allerdings hat allen Grund, sich darauf zu berufen, dass auch er, gerade weil er den aktivsten aller BDS-Aktiven präsentiert, nur eine „politische Ästhetik der Differenz“ entwickele ganz wie Amelie Deuflhard dies tue, die Intendantin von Kampnagel Hamburg, und dass auch er, Schulenberg, sich um die „Anerkennung von Differenz“ besorge ganz wie Michael Grosse, der Generalintendant des Theaters Krefeld-Mönchengladbach oder wie irgendein anderer von denen, die sich selber „Weltoffenheit“ ausstellen, als sei dies ein Attest für die örtliche Schule. Solange aber zwischen Krefeld-Mönchengladbach und dem Haus der Kulturen der Welt möglich wird, was in der Festhalle Frankfurt unmöglich werden soll oder in der Lanxess-Arena in Köln oder in Hamburg, München, Berlin, solange gibt es für Schulenberg und FKP Scorpio keinen Grund, die Waters-Konzerte abzusagen.
Und gibt ihn umso weniger, als Claudia Roth jetzt dazu auffordert, lediglich Schulenbergs Konzerten fernzubleiben, nicht etwa auch dem Humboldt-Forum in Berlin oder PACT Zollverein in Essen, die auf ihren Homepages Tag für Tag den terrorgeführten BDS als „kritische Position“ verharmlosen und bewerben.
„Wir sind gegen Rassismus, Faschismus, Homophobie und Sexismus und gegen jegliche Form von Diskriminierung“, heißt es in der „Philosophie“, die sich FKP Skorpio gegeben hat, und das ist ernst- und den mehr als 250 Mitarbeitern abzunehmen. „Genau deswegen möchten wir uns als Firma dafür stark machen, dass Diskriminierung, in all ihren Facetten, in unserer Gesellschaft keine Chance mehr hat.“
Es ist die Chance für Politik, Roths Chance. Wenn sie, wie sie sich gutachterlich empfehlen ließ, im Vorfeld des Skandals handeln will, den Roger Waters gerade eintütet, ist jetzt der Moment, sich öffentlich loszusagen von der „Initiative Weltoffenheit“, die jede ernsthafte Kulturpolitik gegen Judenhass zum Eiertanz genötigt hat – zum „Dreischritt von Ignoranz (‚wir können keinen Antisemitismus erkennen‘), Verharmlosung (‚es handelt sich ja nur um Bilder‘) und Umdeutung (‚die Vorwürfe dienen nur der Delegitimation berechtigter Kritik an Israel‘)“, wie es im Abschlussbericht zur skandalösen Documenta heißt. Mit der Documenta und endgültig mit Roger Waters hat sich die „Initiative Weltoffenheit“ erledigt, wer teilt dies den Herrschaften mit, wenn nicht Claudia Roth, Kulturstaatsministerin?
Täte sie es, machte es alle Hände frei dafür, direkt auf CTS Eventim zuzugehen. „Anerkennung von Differenz“? Ist die Ur-Idee eben nicht der Subventionskultur, sondern des Pop, ein vergnügtes Come-Together gegen „Diskriminierung in all ihren Facetten“, wie es bei FKP Scorpio heißt. Um diese Idee durch die Corona-Krise hindurch zu tragen, hat CTS Eventim nach eigener Auskunft „erhebliche staatliche Unterstützungsleistungen“ empfangen. Ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Claudia Roth erklärte den Ruhrbaronen gegenüber, dass auch „die Agentur FKP Scorpio, die zur CTS Eventim Gesellschaft gehört, durch das Zukunfts- und Rettungspaket NEUSTART KULTUR“ gefördert worden sei, umgesetzt worden sei die Förderung von der Initiative Musik gGmbH, nach deren Angaben seien allerdings nur Festivals gefördert worden, keine Tourneen, keine Einzelauftritte: „Es wurden daher auch keine Fördermittel für Konzerte von Roger Waters zur Verfügung gestellt“, so Roths Sprecher.
Umso besser. Claudia Roth hat freie Hand. Sie war einige Jahre Managerin von Ton Steine Scherben, sie kennt die Pop-Philosophie und dass es, wie sie sagt, „selbst in dieser vermeintlich freiesten Szene Diskriminierung“ gibt, sie könnte dem antisemitischen BDS auf lange Zeit die Türen weisen: „You lock the door and throw away the key”, singt ihr Roger Waters in Dark Side of the Moon, dem später umbenannten Titelsong des Jahrhundertalbums von Pink Floyd, “you make the change”.