
Den Klimawandel zu stoppen ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben, denen die Menschheit je gegenüberstand. Umso unverständlicher ist es, wenn in Deutschland aus ideologischen Gründen nicht alle Möglichkeiten genutzt werden, vor allem wenn sie deutlich günstiger sind als die proklamierte „Große Transformation“.
CO2 ist neben Methan und einigen anderen Stoffen wie Stickstoffoxiden eines der wichtigsten Treibhausgase. Soll der Klimawandel gestoppt werden, kommt es darauf an, seinen Anteil in der Atmosphäre zu senken. CO2 ist kein Klimagift; Leben wäre auf der Erde ohne CO2 nicht möglich, aber in zu großen Mengen ändert es das Klima in sehr kurzer Zeit. Schon vor 20 Jahren stellte das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der sogenannte Weltklimarat, in einem Bericht fest: „Das Potenzial der CO2-Abscheidung und -Speicherung ist erheblich, und die Kosten für den Klimaschutz können im Vergleich zu Strategien, die ausschließlich auf andere Maßnahmen setzen, gesenkt werden. Die zukünftige Bedeutung der CO2-Abscheidung und -Speicherung zur Eindämmung des Klimawandels hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter finanzielle Anreize für die Umsetzung sowie die erfolgreiche Bewältigung von Speicherungsrisiken.“
Mittlerweile ist die Speicherung von CO2 zum Beispiel in Ländern wie Norwegen eine etablierte Technologie. CO2 wird in Gesteinsschichten unter dem Meer gepresst und mineralisiert innerhalb weniger Jahrzehnte. In Deutschland ist die Speicherung von CO2 im Boden nach einem Gesetz aus dem Jahr 2012 der damaligen schwarz-gelben Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel praktisch verboten. Der Kraftwerksbetreiber Vattenfall, der diese Technologie in Brandenburg entwickelte und in seinen Kraftwerken einsetzen wollte, ist schon 2011 ausgestiegen und hat CCS nur noch im Ausland weiterbetrieben. Ein Versuch der Ampel, CCS zumindest dort zu erlauben, wo, wie in Kalkwerken, CO2-Ausstoß nicht vermieden werden kann, da das Gestein ihn bei seiner Entstehung vor 600 Millionen Jahren aufgenommen hat und bei seiner Verarbeitung zu Zement für die Bauindustrie wieder freisetzt, ist gescheitert – auch weil die Umweltbewegung diese Technologie ablehnt. Denn sie könnte auch dazu dienen, beim Kraftwerksbetrieb anfallendes CO2 abzuscheiden und später sicher und dauerhaft zu lagern. Ihr Ziel ist es nicht, zu verhindern, dass CO2 in die Atmosphäre gelangt, sondern am Ende des Tages alle Industrieprozesse zu stoppen, bei denen CO2 anfallen kann. Pragmatisch ist das ebenso wenig wie ökologisch, denn um den Treibhauseffekt zu stoppen und Deutschland als Industriestandort zu bewahren, ist es nötig, alle Möglichkeiten zu nutzen, das Austreten des Klimagases nicht nur zu verhindern, sondern es sogar aus der Luft zu entnehmen, um seine Konzentration zu verringern. Es würde also Sinn machen, Kohle- und Gaskraftwerke mit entsprechenden Anlagen auszustatten. Nicht Gas oder Kohle ist das Problem, sondern die von diesen Brennstoffen ausgehenden CO2-Emissionen.
Im 2024 erschienenen und von Franz Josef Radermacher und Bert Beyes herausgegebenen Buch „All In“ plädieren die Autoren für den globalen Einsatz von CCS. Noch jahrzehntelang würden vor allem die Länder des globalen Südens Kohle für die Energieerzeugung einsetzen. Die Kosten für CCS sollten in diesen Fällen die Industriestaaten ganz oder teilweise übernehmen, um das Klima zu schützen. Eine Industrialisierung dieser Staaten, die für sie unumgänglich ist, um sich aus der Armut zu befreien, sei nur mit Sonne und Wind nicht realistisch. Auch für Deutschland mahnen sie den weiteren Betrieb von Kohle- und Gaskraftwerken an, denn ab einem Anteil von 50 Prozent des nur unregelmäßig zur Verfügung stehenden Stroms aus erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind an der Stromerzeugung sei die Netzstabilität und damit auch die Versorgungssicherheit gefährdet.
Google ist im vergangenen Jahr sogar weiter gegangen und hat einen Vertrag mit dem US-Unternehmen Holocene geschlossen, um Gutschriften für die Kohlendioxidabscheidung (Direct Air Capture, DAC) zu erwerben. Holocene soll für zehn Millionen US-Dollar CO2 aus der Luft filtern, wobei der Preis pro Tonne bei 100 US-Dollar liegt – dem bisher niedrigsten Preis für diese Technologie. Die Leistung soll bis Anfang der 2030er-Jahre erbracht werden. 100 Dollar ist ein guter Preis. Zertifikate bei Unternehmen wie Holocene zu kaufen, wird deutlich günstiger sein, als CO2-Zertifikate zu erwerben, die einen berechtigen, CO2 in die Atmosphäre zu leiten. Das Beratungshaus Ernst & Young geht von deutlich höheren Preisen aus: „Laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (März 2023), welche die Auswirkungen der aktuellen Reformen des EU-ETS wie etwa die schnellere Reduzierung der verfügbaren Emissionszertifikate berücksichtigt, könnten die Preise für Emissionszertifikate im Jahr 2030 auf bis zu 126 Euro/t CO2 ansteigen. Auf lange Sicht, bis 2050, werden Preisanstiege bis zu 400 Euro/t CO2 vorhergesagt.“
Das Essener Unternehmen Greenlyte Carbon Technologies arbeitet ebenfalls daran, CO2 aus der Luft zu holen. Der Kohlenstoff, den Greenlyte Carbon Technologies aus der Luft holt, kann für synthetische Kraftstoffe für die Luftfahrt verwendet werden. Das Unternehmen schafft bei synthetischem Kerosin einen Preis von zwei Euro pro Liter. Der Bedarf an grünem Kerosin wird in Zukunft steigen, weil die Luftfahrtgesellschaften rechtlich verpflichtet sind, nach und nach auf den CO2-neutralen Stoff umzusteigen. Aber auch in der chemischen Industrie wird Kohlenstoff in Zukunft weiter benötigt. Wird er aus der Luft gewonnen, gibt es keine weitere ökologische Belastung. In großem Maßstab wird die in Essen entwickelte Technologie in Deutschland nicht zum Einsatz kommen. Die Energiepreise seien in Deutschland viel zu hoch. Anders in Saudi-Arabien: Das Land baut gigantische Solaranlagen und bietet den Strom für 2 Cent pro Kilowattstunde an.
Auch grüner Wasserstoff, der bislang unbezahlbare „Champagner der Energiewende“, würde sich so kostengünstiger herstellen lassen. „Unsere DAC+H2-Technologie“, sagt Florian Hildebrand, Chef und Mitgründer von Greenlyte Carbon Technologies gegenüber Capital Beat, „senkt die Kosten für grünen Wasserstoff durch effiziente Co-Produktion mit CO2 und flexible Nutzung erneuerbarer Energie. So ermöglichen wir die Produktion nachhaltiger Kraftstoffe, die unseren grünen Wasserstoff und CO2 direkt nutzen.“
Wenn Deutschland klimaneutral werden und gleichzeitig ein wohlhabendes Industrieland bleiben will, führt kein Weg daran vorbei, auf alle verfügbaren Technologien zu setzen. Dazu gehören CCS und, falls die Energiepreise jemals wieder sinken sollten, DAC.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits auf Capital Beat