Comeback der Betonklötze

Hertie Herne
Hertie Herne

Als 2009 die Hertie endgültig aus den Fußgängerzonen verschwand, machten sich viele Städte Sorgen: Was sollte man mit den leeren, grauen Betonklötzen anfangen? Mittlerweile gibt es Antworten auf diese Frage.

Karstadt, das war das Zentrum der Gladbecker Innenstadt, mehr ein Wunsch- als ein Warenhaus. Die beste Lebensmittelabteilung der Stadt. Hier kaufte man vor Festtagen ein. Kinder drängelten sich in der Spielwarenabteilung und vom Restaurant im obersten Stock konnte man den Ausblick auf die Fußgängerzone genießen. Viele Gladbecker konnten sich ihrer Innenstadt ohne dieses Kaufhaus nicht vorstellen und als die Hertie GmbH 2005 das Haus übernahm und es seinen Namen wechselte, war das zwar ein Einschnitt, aber noch nicht das Ende.

Das kam dann 2009. Die letzten der einstmals 73 Karstadt-Kaufhäuser, die von dem britischen Investor Dawnay Day unter dem Namen Hertie weitergeführt worden waren, schlossen. Dawnay Day war im Jahr zuvor insolvent und die Hertie GmbH, die ihren Sitz im Gladbecker Kaufhaus hatte, war nicht in der Lage, die hohen Mieten an die Muttergesellschaft abzuführen, der die Kaufhäuser gehörten. Vor dem Essener Amtsgericht wurde die Insolvenz beantragt.

Für viele Städte war das Hertie-Aus ein Schock. Die Kaufhäuser waren gerade in mittleren Städten Magneten, die Kunden in die Fußgängerzonen lockten. Was jahrzehntelang die wichtigste Attraktion war, wurde über Nacht zu einem großen, grauen Betonklotz an den Füßen von Städten wie Herne, Bocholt und Gladbeck. Die Angst ging um, dass das Kaufhaus-Sterben auf die Innenstädte übergreifen würde.

„Das Aus für Hertie“, sagt NRW-Bauminister Mike Groschek (SPD) „hat vielen Innenstädten eine Problem-Immobilie in bester Lage beschert. Dauerhaft leerstehende und teilweise heruntergekommene Gebäude sind nicht bloß ein Ärgernis, sondern sie haben meist einen negativen Einfluss auf das Umfeld, oft auf die gesamte zentrale Innenstadt. Ein Leerstand zieht häufig den nächsten nach sich. Umso mehr freut es mich, dass viele betroffene Kommunen zeitnah gehandelt und Lösungen gefunden haben, die eine Neu- oder Weiternutzung der Immobilien bedeuten und das zentrale Handelsquartier beleben.“

Ganz besonders schlimm hatte es Gladbeck erwischt, wo kurz vor Hertie auch das Peek&Cloppenburg (P&C) sein Haus geschlossen hatte. „Natürlich war das Ende von Hertie schlimm, aber der größere Schlag für Galdbeck war das Ende von P&C. In diesem Teil der Fußgängerzone gingen die Umsätze zurück und es gab Leerstände. Das Umfeld des Hertie-Hauses hat sich zum Glück als stabiler erwiesen, auch weil wir mit C&A oder Pieper dort immer weitere attraktive Anziehungspunkte hatten“, sagt Peter Breßer-Barnebeck, der Chef der Gladbecker Wirtschaftsförderung. Trotzdem ist das leerstehende Kaufhaus ein Problem.

Hertie Gladbeck
Hertie Gladbeck

Am alten P&C Standort wird neu gebaut, das Hertie-Haus steht weiter leer. Das liegt nicht am mangelnden Interesse von Investoren, sondern am Preis. Die Deutsche Bank als Hauptschuldner und der niederländische Insolvenzverwalter haben Vorstellungen, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun habe. Breßer-Barnebeck: „Ein Kaufpreis 4,5 Millionen Euro ist nicht realistisch.“ Weil die Grundsteuer für das Kaufhaus immer wieder nicht gezahlt wurde, hat die Stadt Gladbeck bereits drei Mal einen Termin zur Zwangsversteigerung durchgesetzt. Einmal wurde die Grundsteuer im letzten Augenblick bezahlt, einmal war der Preis zu hoch und zu Beginn des Jahres war kein Bieter gekommen, weil alle davon ausgingen, die Versteigerung würde im letzten Augenblick scheitern. Noch ein Jahr und zwei weitere Zwangsversteigerungstermine wird es mindestens dauern, bis sie in Gladbeck an der Zukunft des Hertie-Standortes weiterarbeiten können: Dann ist der Preis frei.

Und vielleicht wird dann auch Gladbeck das Gebäude ersteigern, um bei den Plänen möglicher Investoren mitreden zu können, wie sie das jetzt in Herne tun.
Die Stadtentwicklungsgesellschaft Herne (SEG), eine Tochter der Stadt, konnte das alte  Kaufhaus kurz vor der Zwangsversteigerung für 850.000 Euro kaufen. Und weil auch hier die Grundsteuer nicht bezahlt wurde, gingen vom Kaufpreis 400.000 Euro direkt an die Stadt. „Alles in allem war das kein schlechtes Geschäft“ sagt Rainer Overath, der Geschäftsführer des SEG und lächelt zufrieden. Das Ende von Hertie war ein Schock, das fünfstöckige, unter Denkmalschutz stehende Kaufhaus, der Magnet für die Herne Innenstadt. „Die sechs Jahre seit der Schließung waren schlimm. Das leere Haus hat seine Umgebung heruntergezogen. Und zu den Preisen, die vor der Zwangsversteigerung aufgerufen wurden, fand sich niemand der investieren wollte. Das sei nun anders: „Wir sind Gesprächen mit 15 Interessenten.“ Overath will das Gebäude jedoch nicht möglichst schnell zu einem hohen Preis weiterverkaufen: „Uns ist es wichtig, dass sich wir wollen dort ein Konzept umgesetzt sehen, dass uns überzeugt und das sich langfristig trägt.“ Ein reines Kaufhaus wird es dort nicht mehr geben. Aber eine Mischung aus Handel Büros und Wohnen. Und vielleicht können auch Teile der Fassade erhalten bleiben, die das Gebäude prägt. Aber am Denkmalschutz wird nichts scheitern: „Die Stadt ist bereit, den Denkmalschutz aufheben zu lassen, aber das wäre ein längerer Prozess. Wenn wir ihn gehen müssen, werden wir ihn gehen.“ Overath hofft, dass 2020 wieder neues Leben in dem Gebäude ist.

Hertie Bocholt
Hertie Bocholt

So lange wird es auch in Bocholt dauern – mindestens. Hier hat die Sparkasse das Hertie-Haus gekauft, ein grauer Trumm am Ufer der Bocholter Aa, ein Schandfleck sei das Gebäude für die ansonsten pittoresken Mitte der westfälischen Kleinstadt, sagt Ratsfrau sagt Bärbel Sauer von der Sozialen Liste. Jahrelang hat sie dafür gekämpft, dass der Standort entwickelt wird. Nun hat die Sparkasse das Haus gekauft und will nach dem Abriss ihre Zentrale dort errichten. Ein paar Ladenlokale und Wohnungen sollen ebenfalls auf der Fläche entstehen. So wie in Lünen, wo sie mit dem Umbau des alten Kaufhaus schon begonnen haben. Ein Drittel des Altgebäudes wird stehen bleiben, es bildet den Kern für ein Ensemble aus Läden, Wohnungen und Büros. Die Zukunft vieler ehemaliger Hertie-Standorte wird aussehen wie in Lünen. Und nur ganz selten wie in Köln-Chorweiler. Dort war Hertie Teil eines Einkaufszentrums. Auf der Fläche sind heute ein Super- und ein Elektromarkt. Manchmal ist alles auch ganz einfach. Aber leider nur manchmal.

Hertie Köln-Chorweiler
Hertie Köln-Chorweiler

 Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

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