Das Innenministerium und der Verfassungsschutz NRW haben vor kurzem das dritte Heft der Reihe „Andi“ herausgebracht. In Teil eins ging es gegen Rechtsextremismus, im zweiten gegen Islamismus, nun gegen Linksextremismus. Gezeichnet hat Peter Schaaff. Ist das gutes Material für Unterricht und Diskussion? Eine kurze Rezension.
Zunächst: Kein Mensch muss Extremist sein, um einen direkt auf Seite zwei die Begrüßung vornehmenden Ingo Wolf, also den derzeitigen Innenminister von NRW, als mäßig begeisternden Einstieg zu empfinden. Und damit ist bereits ein Typikum der Reihe genannt: Es geht natürlich sehr „homo politicus“-mäßig zu, vernunftbetont, kantianisch, also auch sehr schematisch. Mit vier Archetypen wird zunächst gearbeitet: Andi ist die „Mitte“, der dem Sport, hübschen Mädchen und einem alternativ-bürgerlichen Kinnbart nicht abgeneigte Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Co-starring: Ayshe, die moderate Muslimin. Murat, ihr Bruder. Ben, Andis bester Freund. Und damit sind schon Anknüpfungsgefahren an alle Extremismen dieser Reihe geschaffen. Und zwar wie folgt:
Irgendjemand gerät immer in den Bann einer neuen Persönlichkeit im Umfeld der Jugendlichen. In Band eins gerät ein Norbert an Eisenheinrich und Magda. In Band zwei lernt Murat einen Harun kennen. In Band drei trifft Ben Nele und Randale wieder. Und: Hinter all jenen Jugendlichen stecken immer Erwachsene, die die (lokalen) Fäden ziehen: Kameradschaftsführer Müller, der Nazikram verkauft. Der fundamentalistische Prediger. Die linksradikale Studentin. Überhaupt, das Frauenbild: Ayshe ist die sorgsam, aber nicht über-emanzipierte Edle (mit Kopftuch). Bei Magda und Nele ist nicht festzustellen, warum sie radikal wurden, sie „sind halt voller Hass“ und „auf Ärger aus“. Und bei Eisenheinrich und Randale ist es im Grunde ebenso. Warum in radikale Kreise geraten wird, das zu erklären müssen die jeweiligen „Problemkinder“ der einzelnen Folgen verkörpern – aber das gelingt nur bedingt.
Es wird jeweils der extremistischen Propaganda und deren Gegenargumentation – inklusive Bergriffsklärungen – viel Platz eingeräumt.
Immer ist dazu übrigens die Schule da, Eltern tauchen nur einmal erklärend in Form von Ayshes Vater, eines demokratischen Muslims, auf. Faktisch verteilen die Rechtsextremen CDs und machen Straßen- und Gesinnungsterror – es siegt aber die Überzahl der Gesellschaft über die Aushilfsarier. Faktisch predigen die Islamisten „Gott über Gemeinwohl“ und machen Gesinnungsterror – es siegt aber der Familiensinn über die institutionelle Einmischung. Faktisch packen die Linksextremen die Jugendlichen bei ihrem Rebellionsgestus und machen Straßen- und Gesinnungsterror – es siegt aber die Einsicht, dass allzu stumpfer Anarchismus nur egozentrischer Sozialdarwinismus ist. Also immer happy end.
Die Einsicht, dass ExtremistInnen eigene Interessen vertreten oder von bestimmten Erlebnissen oder Prägungen überstark geleitet sind (Außenseitertum, fehlende Perspektive,…) das führt die Heldinnen und Helden meist auf die richtige Fährte. Allzu tief in den Gefühlshaushalt der Verfassungsfeinde blicken lässt uns diese Comicreihe jedoch nicht. Erziehung, egal ob durch Eltern, ältere Freund/innen und Verwandte, Meinungsführer, spielt nur eine sehr implizite Rolle – würde wohl auch zu Ärger führen.
Wer aber davon ausgeht, dass auch ein Ministerium nur zu einem Diskurs beitragen kann, aber ganz bestimmt nicht „Wahrheiten“ in Umlauf bringt, wird mit diesen Materialien gut arbeiten können. Und alle sich einem extremistischen Lager zugehörig fühlenden der Leserschaft können auch locker-leicht an die Comics ran: Sie sind natürlich alle viel komplexer als geschildert, subtiler in ihren Methoden und härter bei der Durchsetzung ihrer Ziele. Resultat der Analyse also: Gut ausgegebene Steuergelder, ganz klar Gesellschaft stabilisierend, null elitär, ganz großes „Mainstream der Minderheiten“-Kino, gut in Szene gesetzt von manchmal leider etwas distanziert wirkenden Demokratie-Profis. Aber für Einzelschicksale mit mehr Sex, Drugs, Crime & Rock’n’Roll drin (oder mit mehr Blut und Ehre – oder allem) sind ja auch eher die bewegten Bilder zuständig. Und da wird ja denn auch manchmal besser dargestellt, warum da nicht so einfach herauszukommen ist – oder gar nicht gewollt. Die übersichtliche kleine Welt des Comics – welch idyllisch Plätzchen!
Downloads und mehr hier: http://www.andi.nrw.de/
Find die Comics auch so ganz sehenswert.
Ist bekannt, ob noch ein 4.Teil geplant ist ?
Ich hab die tatschlich mal unverbindlich locker darauf „angequatscht“, die anonymen Mailempfänger und Rezensionsexemplar-Sender vom Ministerium – aber die Macht hüllt sich in Schweigen. Da die einzelnen Exemplare aber zeitlich recht weit auseinander liegen, ist eh vor Ende 2010 wohl mit nichts neuem zu rechnen. Aber womit? Marktradikale? Kinderpornographie? Drogendealer? Ich bin auch gespannt.
Ich glaube nicht, dass noch ein dritter Comic kommt. Nach der Logik des VS, von Frau Dr. Köhler und weiten Teilen des bürgerlichen Lagers haben sie doch alle Übel der Gesellschaft abgedeckt. Jetzt kann man sich in der selbsternannten demokratischen Mitte der Gesellschaft einkuscheln und sich freuen, dass es dort keinerlei rassistisches, antisemintisches, sozialdarwinistisches, antidemokratisches, totalitaristisches, sexistisches oder homophobes Gedankengut gibt, weil es einfacg keins geben kann! 😉
@Meineid:
Was soll ich sagen? Bin gerade in Dresden – nein, liebe Kollegen, ich werde keinen Artikel „darüber schreiben“, bitte von Mails Abstand nehmen. Danke! – und bekomme recht gut die Mischung aus Alltag und Historisches-Datum-Vorgeplänkel mit.
Ich sehe hier schon eine Menge Leute mit offenkundigen Ressentiments, gerade (!) gepaart mit dieser „Deutsche als Opfer“-Haltung. Ich finde allerdings im Gegensatz zu dem echt mal überzogen zusammengereimten Leitartikel von Ivo Bozic in der Jungle World, dass diese Haltung gerade im Osten (aber ist das Ruhrgebiet nicht irgendwie auch der Osten des Westens?) sich als links verstehenden Gruppen auch nicht fremd ist, mensch aber ungern genau die Berührungspunkte mit den sich als rechts verstehenden … Apokalyptikdeutschen sieht. Dass das dann immer auf ein Irgendwie-„Bürgertum“ projiziert wird, diese deutsche Kontinuität, das alleine bringt es m.E. nicht, hat etwas Gesinnungs-Stalinistisches, befördert in Teilen eher die hiesige (Regierung und Kommunen in Sachsen) Totalitarismustheorie-Praxis. Außerdem sind Trauer und Politik zweierlei, was politische Praxis in diesem Feld schwierig macht. Das nur als Einwände, auf Argumente von rechts einzugehen mach ich nich. Moi geht morgen jedenfalls wohl in die Staatsoper UND danach ins AZ, ich Schizo. (Mal gucken, wieviel da weinen im AZ.)
Zurück zum Thema: Wie stelle ich denn den typisch deutschen, piefigen Kleinunternehmergangster oder obrigkeitsstaatlichen Angestellten/Bürokraten (Frauen sind hier mitgedacht) mit all seinen/ihren postfaschistischen xenophoben Existenzängsten bitteschön in einem Comic dar? DAS wär ja mal ne Aufgabe für … ComiczeichnerInnen, die das hier lesen. 🙂
P.S.: Äh, es sind schon drei. Rechts, links, islamische Fundis.