Die Sterberate pro bestätigter Fälle (CFR) ist ein recht guter Indikator zur Beurteilung der Testsituation und auch des aktuellen Infektionsgeschehens. Dass der Wert im Ländervergleich so starke Unterschiede aufweist, liegt im Wesentlichen an der Dunkelziffer. Von unserem Gastautor Dirk Specht.
Leider gelingt es vielen Ländern offensichtlich bis heute nicht, eine gute Testbasis aufzubauen. Da die tatsächliche Sterberate (IFR) inzwischen recht gut erforscht ist und sich je nach Situation des Gesundheitssystems sowie der Soziodemografie der Gesellschaften in einer Bandbreite von 0,5% bis maximal 1,5% bewegt, sieht man, dass Südkorea wohl mit der Testung am nächsten an die Wirklichkeit herankommt. Hier dürfte die Dunkelziffer im Korridor von Faktor 2 bis 4 liegen, in Deutschland 5 bis 7, in Italien eher bis zu 20.
Man sieht am Verlauf der CFR aber auch, dass die Testungen im April weitgehend zusammen gebrochen waren und erst im Laufe der ersten Welle hinterher kamen, bis sich die Kurve einigermaßen stabilisierte. Ein weiteres Argument, dass die Testmenge zu langsam gesteigert wurde, der tatsächlichen Infektionswelle also hinterher lief.
Sobald die Testkapazitäten und die Teststrategie ein stabiles Niveau erreichen, sind die Schwankungen der CFR deutlich zurück gegangen. Das zeigt grundsätzlich, dass die Testungen mit einer entsprechenden Dunkelziffer ein stabiles Bild des wahren Geschehens liefern. Wenn die CFR nun trotzdem teilweise sinkt, so ist das ein Indikator für eine Veränderung der Kohorten, die sich aktuell infizieren: Es sind dann eher jüngere und mobilere Menschen. Das ist leider bisher im Verlauf der Pandemie kein gutes Zeichen gewesen, denn auch diese Menschen haben – bisher – letztlich in ihren Sozialstrukturen mit einer gewissen Verzögerung das Virus in die Gesamtbevölkerung getragen.
Diesen Verlauf sehen wir derzeit in den USA und in Spanien sowie besonders stark in Schweden. In Deutschland und Italien noch nicht, das ist zunächst mal ein gutes Zeichen. Zu beachten ist aber, dass dieser Indikator nur sehr langsam reagiert und dass wir aktuell in allen Ländern sehr geringe Sterbefallzahlen haben – die Kurven basieren seit Juni also auf einer statistisch kleinen Basis.
Dennoch lässt sich daraus ableiten, dass wir noch nicht vor einer Situation wie im April stehen. Wir sollten das nutzen, die jetzt steigenden Zahlen wieder einzufangen und nicht leichtfertig durch Experimente im Urlaubs- und Freizeitgeschehen weiter zu treiben. Ferner müssen wir mit den Schulen sehr aufmerksam umgehen.
Für die USA, Spanien und Schweden deuten diese Kurven leider auf eine Infektionsbasis hin, die sich in ein bis zwei Monaten in der Gesamtbevölkerung wieder durch steigende Sterberaten zeigen wird. Das ist jetzt bereits nicht mehr zu verhindern.
"Das ist leider bisher im Verlauf der Pandemie kein gutes Zeichen gewesen, denn auch diese Menschen haben – bisher – letztlich in ihren Sozialstrukturen mit einer gewissen Verzögerung das Virus in die Gesamtbevölkerung getragen."
Die Logik dieses Satzes ist mir nicht ganz einleuchtend. Wenn ihre Sozialstrukturen eine ähnliche, sprich eine höhere, Immunitätsstärke haben , dann müsste das insgesamt zu einer weiter sinkenden Sterberate führen.
Arnold Voss, wie kommen Sie darauf soziale Umfelder hätten etwas mit besserer oder schwächerer Immunität zu tun? Es geht hier um jüngere und mobilere Menschen, die sich primär infizieren. Sobald die das Virus in ihren engeren Sozialkontakten – Verwandte, Freunde, Kollegen – verteilen, landet es in der Gesamtbevölkerung. Daher ist eine stark sinkende CFR kein gutes Zeichen, denn es lässt erwarten, dass die Sterbezahlen wieder steigen werden – und zwar ohne, dass man es noch verhindern kann.