Corona: Gefangen in den ersten drei Kübler-Ross Phasen

Jan-Michael Richter (Jamiri) Foto: Karlheinz Spock Lizenz: CC BY-SA 2.0 de

Jan-Michael Richter ist nicht nur ein unter seinem Künstlernamen Jamiri bekannter Comiczeichner sondern auch ein kluger Kopf. Im Streit um die Lockerungen der Massnahmen gegen Corona viel ihm auf „dass es Leute gibt, die für immer in den ersten drei Kübler-Ross Phasen gefangen sind. In Dauerschleife, auf random repeat.“

Elisabeth Kübler-Ross war eine schweizerisch-amerikanische Psychologin und beschäftigte sich viel mit den Themen Tod und Trauer. Ihrer Theorie nach durchleben Sterbende auf die Nachricht ihres baldigen Ablebens  fünf verschiedene Phasen, die bei Wikipedia wie folgt beschrieben werden:

Nicht-wahrhaben-Wollen (Leugnen) und Isolierung (englisch Denial)

Die Krankheit wird zuerst geleugnet. Kranke behaupten beispielsweise, dass das Röntgenbild vertauscht worden oder eine ärztliche Fehldiagnose gestellt worden sei. Falls die Familie sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen will, kann sie in dieser Phase nicht helfen. Die Konsequenz bedeutet für die Angehörigen, dass sie den Tod der Sterbenden herbeisehnen („Stirb so schnell wie möglich“). Außenstehende können helfen, indem sie Vertrauen anbieten und die Kranken unterstützen.

Zorn (englisch Anger)

Kranke verspüren Neid auf die Weiterlebenden. Ihre Gedanken drehen sich um die Frage: „Warum ich?“. Das führt zu unkontrollierbarer Wut auf alle, die nicht an der Krankheit leiden, wie z. B. Pflegende, Ärzte und Angehörige. Diese können weiter ihr Geld verdienen, es in Urlauben ausgeben und ihre Pläne realisieren. Die Angst, vergessen zu werden, plagt Sterbende zudem, sie empfinden ihr Leiden vor dem Hintergrund der Katastrophen im Fernsehen als unwichtig. Hilfe kann Aufmerksamkeit sein, den Kranken nicht aus dem Weg zu gehen und ihren Zorn notfalls zu provozieren, so dass es zur Aussprache kommt. Wichtig dabei bleibt, dass die Betreuenden diesen Zorn nicht persönlich nehmen sollen, da er sonst Gegenzorn provoziert, was eine Spirale des Streits nach sich zieht.

Verhandeln (englisch Bargaining)

Diese Phase stellt eine kurze flüchtige Phase dar, in der kindliche Verhaltensweisen zu Tage kommen, wie die eines erst zornigen, dann verhandelnden Kindes, das sich mit häuslichen Tätigkeiten eine Belohnung erhandeln will. Kranke hoffen durch „Kooperation“ auf Belohnung, etwa eine längere Lebensspanne und Freiheit von Schmerzen. Meist wird der Handel streng geheim mit Gott geschlossen, indem sie ihr Leben der Kirche widmen oder ihre Körper der anatomischen Lehre und Wissenschaft zur Verfügung stellen. Um Kranken in dieser Phase beizustehen, hilft es, ihren Schuldgefühlen beispielsweise gegenüber Gott oder den Mitmenschen mitunter befreiende Anerkennung einzuräumen.

Depression und Leid (englisch Depression and Grief)

Die Erstarrung, der Zorn und die Wut werden in zwei Formen von Verzweiflung und Verlust abgelöst. Die erste Form ist reaktiv. Sie bezieht sich auf einen bereits geschehenen Verlust, beispielsweise die Brust nach einer OP, das Geld für das Krankenhaus, die Verantwortung gegenüber der Familie. Durch Bekämpfung dieser Sorgen mit beispielsweise einer Brustprothese oder der erforderlichen Umstellung der Familienversorgung kann den Leidenden geholfen werden. Die zweite Form ist vorbereitender Natur und kümmert sich um einen drohenden Verlust wie den Tod oder die Abwesenheit im Leben der Verwandten. Auch hier kann Intervention des Umfeldes der Kranken in ihrem Leiden Linderung verschaffen, z. B. durch Berichte von den Angehörigen, dass Kinder weiter gute Noten schreiben und viel spielen, d. h., dass sie trotz Abwesenheit der Kranken das gewohnte Leben fortführen. Zu viel Besuch stört jedoch das Trauern, das den Kranken immer erlaubt sein muss. Ohne subjektives Kennen der Angst und der Verzweiflung ist kein Erreichen der nächsten Phase in Sicht.

Annahme (englisch Acceptance)

Nach Neid und Zorn auf alle Gesunden und Lebenden erwarten die Kranken den Tod und dehnen ihren Schlaf aus. Die Phase ist frei von vorangegangenen Gefühlen, der Kampf ist vorbei, der Schmerz vergangen und die Sterbenskranken wollen von den Problemen der Außenwelt in Ruhe gelassen werden. Somit ist dies die schwierigste Phase für die Personen im Umfeld der Sterbenden, da sie auch Zurückweisungen erfahren müssen. Alte erreichen diese Phase der Annahme leichter. Sie blicken auf ihr Leben und einen für sich erkannten Sinn (z. B. eigene Kinder) zurück. Schwierigkeit in diesem Prozess macht die Unterscheidung dieser Phase gegenüber frühem Aufgeben. Angehörige helfen am besten durch stummes Zuhören, indem sie dadurch zeigen, dass sie bis zum Tod dabei bleiben.

Man kann die Phasen auch auf andere Situationen der Trauer beziehen wie die Trennung vom Partner und eine Kündigung – oder aber, wie es Jan Michael Richter tat, auf Corona. Folgen wir Jan, kommen viele, die mit den Einschränkungen hadern nie über die drei ersten Phasen hinaus: Sie wollen die Situation, die durch das Virus entstanden ist nicht wahr haben, sind wütend und versuchen zu verhandeln – was nach Richter eher als Meckern  daher kommt. Über das Virus, die Maßnahmen der Regierung und vieles andere mehr.

Und dann geht wieder alles von vorne los. OK, diese Menschen ersparen sich die Depression, aber erreichen auch nie den Punkt, in dem sie die Situation annehmen – was im Falle von Corona bedeutet, das eigene Verhalten anzupassen, sich zu informieren und alles zu unterstützen, um die Lage in der wir nun einmal sind, halbwegs erträglich hinter uns zu bringen. Sie schaffen es nicht vernünftig zu sein.

Da es bis zur endgültigen Lösung der Krise, der Impfung, noch einige Zeit dauern wird, haben wir ein Problem und man kann es nicht einfach mit Druck lösen. Corona ist eine Katastrophe, viele Menschen sind schon gestorben und viele weitere werden sterben, aber der Weltuntergang ist es nicht. Vielleicht sollten wir mehr Pläne für die Zeit danach machen: Freunde wieder treffen, die Lieblingsbar leer trinken, sich mit vielen anderen endlich wieder gemeinsam auf Plastikbahnen voller Mayonnaise wälzen und dann wieder die Wirtschaft in Schwung bringen.  Da warten eine Menge Gadgets darauf von uns gekauft zu werden. Wir sollten uns Gedanken machen wie wir, wenn alles überstanden ist, das Wachstum wieder hinbekommen, um sie uns leisten zu können.

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