Corona: Lesen und lernen gegen die Angst

Bücher – Gute Freunde auch in der Pandemie

Wie die allermeisten Laien hatte ich bis zu Beginn dieses Jahres noch nie von Covid oder Corona gehört. Sars, ja, da war mal was, aber das war schon länger her und weit weg. Im Laufe des Februars wurde dann klar, dass wir auf die erste große Krise seit Bestehen der Bundesrepublik zusteuern. Wer sich die Geschichte anschaut weiß, dass es unwahrscheinlich ist, in der eigenen Lebensspanne von Katastrophen verschont zu bleiben. Das ist kein angenehmes Wissen, aber es half mir, mich auf die Situation einzustellen. Mir war auch klar, dass es ein großes Glück ist, eine solche Katastrophe als Bürger eines der reichsten und bestorganisiertesten Länder der Welt durchzustehen.

Als Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Frühling 10.000 Beatmungsgeräte bestelle und sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor die Kameras stellte und sagte, dass das Land alle Mittel bereit stellen würde, die zur Bewältigung der Krise notwendig wären „whatever it takes“ klang das erst einmal gut. Als Wirtschaftsminister Peter Altmaier versprach, wegen Corona würde niemand seinen Job verlieren, war mir allerdings klar, dass das Unfug war, aber ok, es ging darum Panik zu vermeiden. Und natürlich fand und finde ich es gut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel promovierte Physikerin und keine Kulturwissenschaftlerin oder Gender-Expertin ist und sich mit Mathematik bestens auskennt. Sowas ist nicht ganz unwichtig, wenn es um die Interpretation steigender Infektionszahlen geht: Die Frau erkennt eine exponentielle Steigung, wenn sie ihr begegnet.
Als es mit der Pandemie los ging, begann ich erst einmal zu lesen. Das tue ich immer, wenn ich in eine Situation gerate, in der ich mich nicht auskenne und ich mich überfordert fühle:
Gero Vogls Buch „Wege des Zufalls“ zum Beispiel, in dem die Ausbreitung unter anderem von Seuchen erklärt wird. Das Stichwort ist Diffusion, das Prinzip der Ausbreitung von höherer zu niedrigeren Konzentrationen. Im Bio-Leistungskurs haben wir das ausführlich in Zellkunde besprochen, ich konnte also an altes Schulwissen anknüpfen.

Wichtig war für mich auch Laura Spinneys „1918 – Die Welt im Fieber“. Spinney zeichnet den Verlauf der Spanischen Grippe nach. Ja, einiges ist diesmal anders, aber viele kann man doch vergleichen. Zum Beispiel kamen die Städte, die auf Masken setzten und Veranstaltungen untersagten besser durch die Krise als andere, in denen die Party weiter ging.
Dazu noch Nathan Wolfes „Virus – Die Wiederkehr der Seuchen“, Ronald Gerstes „Wie Krankheiten Geschichte machen“ und, weil mich auch die wirtschaftlichen Auswirkungen interessieren Werner Plumpes „Wirtschaftskrisen“ und „Coronomics“ von Daniel Stelter.
Und natürlich verfolge ich die seriösen Medien.

Ich erstelle jeden Morgen die Presseschau dieses Blogs, den Ruhrpiloten, und seit Beginn der Pandemie gibt es dort die Rubrik „Corona“. Die dort verlinkten Artikel zu diesem Thema lese ich fast alle und sie stammen zu einem großen Teil aus Medien, die über eine Wissenschaftsredaktion verfügen: Welt, FAZ, Zeit, Spiegel, Ärzteblatt und Spektrum zum Beispiel. Und ja, ich hörte die meisten Podcasts von Drosten und sah fast alle Pressekonferenzen des RKI.

Nachdem ich die Studie des RKI zum Ablauf einer Sars-Epidemie gelesen hatte, war mir auch klar, dass sich dies Pandemie, wie übrigens fast alle in der Geschichte, hinziehen kann. Ich bin begeistert von den Fortschritten, die auf den Wegen zu Impfstoffen und besseren Therapien gemacht werden. Gentechnik, Künstliche Intelligenz und die Vernetzung von so vielen Wissenschaftlern wie es sie noch nie in der Geschichte der Menschheit gab, machen Hoffnung, dass wir besser durch diese Pandemie kommen als unsere Vorfahren, die oft hilflos vor den Bedrohung standen. 1918 zum Beispiel war nicht einmal erwiesen, dass es Viren gab und die Pharmazie stand erst am Anfang. Und klar, nach dem ersten Weltkrieg waren auch die Kassen der meisten entwickelten Staaten leer.

Freunde erklärten mir, was eine exponentielle Steigung ist, halfen mir, Statistiken zu lesen. In der Pandemie habe ich mehr über Mathematik gelernt, als in der Oberstufe – und ich habe mich sehr darüber geärgert, dass ich damals dieses Fach nicht zu schätzen wusste.

Natürlich macht mich all das nicht im Entferntesten zu einem Experten, das ist mir klar. Aber je mehr ich lernte und erfuhr, umso weniger Angst hatte ich. Sorgen ja, aber keine Angst. Und das ist ein Fortschritt und gut. Ich war auch nicht verunsichert, als Christian Drosten oder RKI-Chef Lothar Wieler im Mai etwas anderes sagten als im März. Für mich war das ein Beleg dafür, dass die Wissenschaft vorankommt, dass das Wissen gewachsen ist. Wissenschaft ist ja nichts anderes als eine Methode, zu Erkenntnissen zu gelangen. Ihre Stärke ist, dass sie nicht zu Beginn einer Entwicklung alle Antworten auf ein Problem kennt, aber oft die richtigen Fragen stellt. Und so Lösungswege findet.

Wer schon ein paar Texte von mir in diesem Blog gelesen hat weiß, dass ich, wenn es um die Einschränkung persönlicher Freiheiten geht, schnell sehr unwirsch werden kann. Und ja, meine persönlichen Freiheiten sind zurzeit so stark eingeschränkt wie ich es mir im Januar dieses Jahres nicht hätte vorstellen können. Eingeschränkt werden sie jedoch nicht vom Staat, sondern vom Virus. Es gab bislang keine verordnete Maßnahme, die ich nicht aus eigener Erkenntnis für mich umgesetzt hatte, bevor sie zur Vorschrift wurde. Und ja, mein Vorratsschrank war schon gut gefüllt, bevor die große Hamsterei begann – und daran hat sich seitdem auch nichts mehr geändert.

Wie erleben die größte Krise der vergangenen Jahrzehnte. Bei allen Problemen, es geht uns besser als anderen Generationen in vergleichbaren Situationen: Die Lebensmittelversorgung ist gesichert, die Energiewende noch nicht soweit fortgeschritten, dass Strom und Gas knapp werden, wir haben das Internet, Netflix, Lieferdienste – es ist nicht verkehrt einmal zurück zu schauen und sich den Alltag der Menschen während vergangener Katastrophen anzuschauen. Demokratie, technologischem Fortschritt, und Wirtschaftswachstum haben wir zu verdanken, dass wir zwar eine Katastrophe erleben, aber nicht in katastrophalen Zuständen leben.

Irgendwann werden wir wieder normal leben. Entweder bald, wenn ein Impfstoff oder neue Medikamente entwickelt wurden oder später, wenn das Virus die Bevölkerung durchseucht hat oder mutierte. In der ersten Variante kommen wir, wenn wir uns vernünftig verhalten, um den Tod extrem vieler Menschen herum, schützen die Alten und Schwachen, versorgen die Kranken und drängeln uns im übernächsten Winter wieder alle an den Theken und in den Clubs. In der zweiten Variante werden sehr, sehr viele Menschen sterben und es wird lange dauern, bis wir die Vorsichtsmaßnahmen aufgeben können. Auch das wird nicht unser Untergang sein. Die Gesellschaften des Mittelalters haben die Pest überstanden und die war um ein Vielfaches gefährlicher und tödlicher als Corona. Auf lange Sicht wird also alles wieder gut, die Frage ist nur, für wie viele von uns und in welcher Gesellschaft wir dann leben werden.

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Laubeiter
Laubeiter
4 Jahre zuvor

Sehr geehrter Autor,
ich lese gerade das Wuhan Tagebuch von Fang Fang. In ihm ist mehr Angst zu finden als in diesem Blog, weil im Umkreis der Autorin Menschen starben. Nicht wie die Fliegen, vielleicht wie Soldaten an der Front. Ich finde es gut, wenn jeder wie Sie in diesem Blog versucht, seine gedanklichen Verbindungen zum Geschehen zu reflektieren und offenzulegen. Geht es bei der Pandemie um die Gefahr zu sterben oder darum auszuhalten, dass andere sterben? Wolfgang Schmidbauer hat im Kursbuch 203 'ÜberLeben' sich erinnert, dass vor fünfzig Jahren Sterben durch eine ähnliche Epidemie wie jetzt Sars2-Cov19 nicht als etwas wahrgenommen wurde, auf das die Gesellschaft reagieren musste, sondern dass es den Einzelnen überlassen blieb, sich zu wappnen oder der Gefahr zu erliegen. Daher gab es damals keine Einschränkungen der Freiheit.

Bebbi
Bebbi
4 Jahre zuvor

@Stefan Du liest nicht immer, was im Ruhrpiloten empfohlen wird?

Peter Mohr
Peter Mohr
4 Jahre zuvor

Ein Artikel, der mir in seiner sachlichen und klaren Sprache gefallen hat.
Von mir nur ein paar Bemerkungen:
Es wird von vielen Politikern hervor gehoben, dass unser Gesundheitswesen hervorragend ausgestattet ist, 30000 Intensivbetten in Deutschland, aber es gibt für diese Betten nicht ausreichend Pflegefachkräfte laut dem ärztlichen Direktor der Berliner Charité.
Das gestrige Berliner Spitzentreffen hat leider nicht zu den erforderlichen Maßnahmen geführt. Frau Merkel konnte sich nicht durchsetzen.
Man braucht sich nur die Entwicklung in unseren Nachbarländern anschauen.
Experten des IWF empfehlen einen Lockdown, weil der weniger wirtschaftlichen Schaden anrichtet als dieses jetzige inkonsequente Handeln.

Susanne Scheidle
Susanne Scheidle
4 Jahre zuvor

Ist auch genau meine Strategie in schwierigen Situationen: soviel Information wie möglich, gerne auch aus dem Internet, aber bitte nicht von YOUTUBE…
Viele behaupten, damit "macht man sich selbst verrückt".
Finde ich nicht.
Je besser ich informiert bin, desto souveräner kann ich entscheiden, was ich in dieser Zeit mache und was nicht.
Auf Kunstmärkten ausstellen? Warum denn nicht! Die derzeit genehmigt werden sind draußen oder in luftigen Fabrikhallen, alle Türen auf, alle haben Maske auf und halten genug Abstand, alles paletti. Ich freue mich schon auf die Ccontemporary Art Ruhr in zwei Wochen.
An Familienfeiern teilnehmen? In die Kneipe / Restaurant gehen (innen)? Nein Danke, zur Zeit nicht.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein? Jein, nur zu Zeiten, an denen nicht viel Verkehr ist und wenn die Fahrt nicht länger als 10 Minuten dauert. Ansonsten ist es dann leider wieder das Auto.

Sich zu informieren bedeutet so, ein Stück weit das Heft in der Hand zu behalten und sich nicht total ausgeliefert zu fühlen.

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