Das öffentliche Leben in Deutschland ist aktuell heruntergefahren? Wenn man in diesen Tagen einmal eine Innenstadt besucht, hat man häufig einen gegenteiligen Eindruck. Lange Schlangen vor den Geschäften, Gedrängel in den Fußgängerzonen und leider auch nur wenig Abstände zwischen den Leuten in den Ladenlokalen. Logisch, es ist Vorweihnachtszeit, da ist es traditionell ‚rummelig‘.
Aber, dass die zweite Welle der Corona-Pandemie offensichtlich nicht annähernd mit der gleichen Demut und Vorsicht empfangen wird wie die erste, zumindest von vielen nicht, das kann man derzeit schon mit bloßem Auge erkennen.
Erinnern wir uns kurz gemeinsam einmal an die Monate März und April. Da war das öffentliche Leben auf nahezu allen Ebenen wirklich auf ein Minimum reduziert. Kaum Bewegung auf den Straßen, die Läden fast alle zu usw.. Aber auch Schulen und Kindergärten, viele Fabrikhallen waren im Frühjahr geschlossen. Das Ergebnis war ein starker Rückgang der infektionszahlen, so wie wir uns das damals erhofft hatten. Die Opfer dafür waren groß. Finanziell und Psychologisch. Vieles sollte diesmal, mit dem Beginn der zweiten Welle, klüger angefasst werden, mit mehr Augenmaß und neuem Wissen. Die traurige Realität nach wochenlangem Lockdown-Light ist: Es klappt so nicht!
Auch heute meldet das RKI wieder über 23.000 Neuinfizierte innerhalb von 24 Stunden. Das sind sogar ein paar mehr als vergangenen Freitag.
Wir haben inzwischen zwar den steilen Anstieg der Zahlen gestoppt, einen Rückgang haben wir mit diesem ‚Wellenbrecher-Shutdown‘ aber nicht erreicht. Vieles deutet darauf hin, dass wir das auch in den kommenden Tagen nicht schaffen werden.
Traditionell werden die Einkäufe vor den Feiertagen mehr. Von den zahlreichen zusätzlichen Kontakten an Weihnachten und Silvester, wenn die derzeit geltenden Beschränkungen ja nach jetzigem Stand der Dinge sogar noch gelockert werden sollen, einmal ganz zu schweigen.
Wie mag man sich da wohl als jemand fühlen, der unter den Unglücklichen ist, der sein Geschäft jetzt schon seit Wochen herunterfahren musste? Die Wut, die sich da bei einigen aufzustauen scheint, wird auch für einen wenig betroffenen Beobachter immer verständlicher.
Die von der Politik für den Herbst gewählte Taktik, sie droht so zum Flopp zu werden. Das wird von Tag zu Tag deutlicher. Ein echtes Konzept, es ist bei bestem Willen aktuell nicht erkennbar. Wir werden uns wohl bis zu dem Tag an dem wir in Mehrheit geimpft werden können irgendwie mehr schlecht als recht durchmogeln müssen, wenn wir als Gesellschaft nicht noch einmal bereit sind das Leben auf die von der ersten Welle her bekannten Shutdown-Standards herunterzuschrauben.
Und durchmogeln heißt in diesem Fall leider jeden Tag hunderte von Toten, alleine in Deutschland. Im hinter uns liegenden Sommer haben viele Corona belächelt, hielten das Virus teilweise sogar schon für besiegt. Dass die zweite Corona-Welle kommen würde, war eigentlich allen lange schon klar. Dass wir so halbherzig darauf reagieren würden, dass viele Zeitgenossen trotz der Bedrohung so tun als sei fast gar nichts, das überrascht dann schon.
Besser kann man die momentane Situation wohl nicht beschreiben: "Ein echtes Konzept, es ist bei bestem Willen aktuell nicht erkennbar. Wir werden uns wohl bis zu dem Tag an dem wir in Mehrheit geimpft werden können irgendwie mehr schlecht als recht durchmogeln müssen, wenn wir als Gesellschaft nicht noch einmal bereit sind das Leben auf die von der ersten Welle her bekannten Shutdown-Standards herunterzuschrauben." Die aktuellen – meines Erachtens völlig unzureichenden – Einschränkungen werden die Pandemie unnötigerweise bis Ende 2021 und möglicherweise darüber hinaus verlängern. Eine Rückkehr zu den "von der ersten Welle her bekannten Shutdown-Standards" wäre der bessere Weg gewesen. Außerdem habe ich folgende Frage: Nur mal angenommen, es würde "der Politik" gelingen, die so sehnsüchtig erwartete Massenimpfung in Gang zu bringen. Irgendwann werden dann vielleicht 30, 40 oder soger mehr als 50 Prozent der Bevölkerung gegen Corona geimpft sein. Und dann? Wie will man die "Geimpften" dann noch in Zaum halten?
Mir macht das "Konzept" der Politik langsam Angst, da keine wirklich stringente Linie zu erkennen ist. Auch scheinen die Gegner, diese gefährliche Mischung aus Demokratiegegnern aller möglichen Gruppierungen und ernsthaft von den Maßnahmen gebeutelten Menschen radikaler zu werden. Und mit jedem weiteren Tag werden die Sorgen und Ängste größer. Die nächsten Wochen werden hart und wenn die Pandemie dann im Sommer nicht halbwegs im Griff ist, werden die BTW im September zu einem Lackmustest. Ob den die Republik bestehen wird?
Thomas Weigle,
Deine Angst und Deine Besorgnis nebst ihrer Begründung teile ich.
@ 2: Komme gerade aus einer Stadt im Münsterland, und kann bestätigen, daß die "stringente Linie" nicht nur theoretisch, sondern auch in der Umsetzung nicht vorhanden ist: Auf dem zentralen Platz wurde gestern ein Imbißwagen aufgestellt und heute geöffnet, die Gastronomen verkaufen aus den Fenstern Glühwein u.Ä. Ab 16.30 Uhr strömten aus allen Richtungen Menschen, die vorgeblich die Lightshow betrachten wollen. In Wirklichkeit standen viele überall in kleineren und größeren Gruppen, natürlich mit Masken im Laschet-style -der Glühwein muß ja schließlich rein…
Der für mich notwendige Gang über den Platz wurde zum Slalom, ich fühlte mich trotz neuer FP2 äußerst unwohl.
Mitarbeiter des Ordnungsamtes, des Stadtmarketings oder gar Polizisten habe ich nicht gesehen.
Wer Regeln aufstellt, muß diese auch durchsetzen, sonst geht bei den Einsichtigen die Aktzeptanz verloren, und dann brechen alle Dämme.
Diesen offenkundigen Widerspruch beobachte ich auch medial. Einerseits wird zur Disziplin und zur Vorsicht aufgerufen, andererseits wird häufig darüner berichtet, wann und wo ich die Grenzen möglichst ausreizen kann, wie ich zum Beispiel meinen Skiurlaub in diesem Jahr noch retten kann usw.. Das funktioniert so nicht.