Unser Gastautor Oliver Vrankovic arbeitet in einem israelischen Altenheim, in dem viele Überlebende des Holocaust wohnen. Für die Ruhrbarone berichtet er in seinem Corona-Tagebuch über Arbeit und Leben in einem israelischen Altenheim während der Zeit der Corona-Pandemie.
Ich bin seit elf Jahren Pflegehelfer in einem Elternheim der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft in Ramat Gan. Im Heim verbringen die letzten Zeugen der Judenverfolgung und -vernichtung ihren Lebensabend. Das Elternheim ist eine Seniorenresidenz, deren Bewohner weitestgehend selbstständig leben. Angeschlossen ist eine Abteilung für betreutes Wohnen und eine Pflegestation als Angebot an die Bewohner, das Heim auch im Fall der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit nicht verlassen zu müssen.
Nachdem die Arbeit auf der Pflegestation des Heims jahrelang meine Haupttätigkeit war, wurde sie in den letzten Jahren zur Nebentätigkeit. Das Organisieren von Bildungsreisen und eine publizistische Tätigkeit erlaubten mir, statt 60-70 Stunden/Woche nur noch 30-35 Stunden/Woche als Pflegehelfer arbeiten zu müssen, um ein halbwegs existenzsicherndes Einkommen zu haben.
„Der Spätherbst ihres Lebens wird von Corona getrübt“
Die Bewohner des Heims sind Mitbegründer des Staates Israel und haben maßgeblich am seinem Aufbau mitgewirkt. Der Spätherbst ihres Lebens wird von Corona getrübt. Die zur Eindämmung des Virus ergriffenen Maßnahmen setzen sie fest und isolieren sie von ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln. Den Bewohnern ist klar ist, dass Covid-19 für sie lebensgefaehrlich ist. Zu ihrem Schutz eine lange Zeit – inzwischen bald drei Monate – von ihren Liebsten getrennt zu sein, ist für sie gleichwohl sehr bedrückend.
Am 21/02 wurde bei einer Rückkehrerin von der Diamond Princess Covid-19 diagnostiziert – der erste Fall in Israel. Die Heimleitung war zu der Zeit bereits in höchster Alarmbereitschaft. Ich habe am 14/02 eine Reisegruppe durch die Altstadt von Jerusalem geführt. Nachdem eine Woche später bekannt wurde, dass an diesem Tag auch infizierte südkoreanische Pilger in der Altstadt waren, wurde ich dazu angehalten, bis zum Ende des Monats nicht mehr ins Heim zu kommen. Obwohl das Gesundheitsamt dies für nicht nötig hielt, da ich versichern konnte, keinen Südkoreanern eine Viertel Stunde lang auf zwei Meter nahe gekommen zu sein hielt ich die Anordnung des Heims für richtig und angemessen. Ich hatte Angst den todbringenden Virus unwissend zu den Alten Leuten zu tragen. So begann ich auch meine Kontakte mit Nachbarn und Freunden zu reduzieren und schließlich einzustellen.
Die Regierung verhängte am 21/02 eine 14-tägige Quarantäne für alle Rückkehrer aus Japan und Südkorea. Ab dem 06/03 mussten Reisende aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Österreich und der Schweiz eine Quarantäne-Möglichkeit nachweisen, um einreisen zu dürfen. Am 12/03 wurden die Einreisebeschränkungen auf alle Reisenden aus dem Ausland erweitert.
Sämtliche Besuche im Heim werden untersagt
Nach wenigen Tagen Anfang März, an denen der Besuch auf Angehörige ersten Grades beschränkt war, wurde jeder Besuch im Heim untersagt. Als Mitte März bekannt wurde, dass Corona in zwei Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe in Israel eingedrungen war, wurde die komplette Abriegelung des Elternheims von der Außenwelt in Betracht gezogen und abgefragt, wer sich mit einschließen lassen würde. Verfügt wurde die völlige Abriegelung nie. Die Angestellten durften weiter ein- und ausgehen. Allen privaten Betreuerinnen, die im Heim mit einem alten Menschen leben, wurden dagegen darauf verpflichtet das Heim nicht mehr zu verlassen.
Private Betreuer durften bis auf Zwei, die Selbstisolation nachweisen konnten, nicht mehr ins Haus. Die Lobby des Heims war weitgehend verwaist, da auch Kaffee und Kuchen um Vier Uhr auf die Zimmer gebracht und das Kulturprogramm gestrichen wurde. Neben den täglichen Vorträgen und Konzerten, fielen auch die Mitmachangebote, wie Tier- und Bewegungstherapie, Zumba, Feldenkreis, Kunsthandwerkskurse, Bibelstunden u.a., weg. Das vermietete Schwimmbad wurde geschlossen und der Friseurin und den Maniküristinnen der Zutritt verboten. Statt dessen wurden Mandalas, Sudoku und Origami ausgelegt.
Die Anstrengungen wurden auf das Heraushalten des Virus aus dem Heim gelegt und mehr noch auf die Antizipation einer Ansteckung und die Verhinderung einer Ausbreitung innerhalb des Heimes. Dafür wurden Regelungen in Kraft gesetzt, die jeden einzelnen Bewohner und Angestellten quasi dazu verpflichteten, sich so zu verhalten, als sei er ansteckend. Die wichtigste Maßnahme hierzu war das Zwei Meter Abstandsgebot zwischen den Bewohnern, den Bewohnern und den Angestellten und zwischen den Angestellten. Wobei der Abstand zwischen den Bewohnern der Pflegestation, wo ich arbeite und dem medizinischen und dem pflegenden Personal selbstredend nicht immer eingehalten werden kann.
Schichtdienst für das Personal
Da die Angestellten sich hätten außerhalb des Heims anstecken können, wurden täglich neue Regeln aufgestellt um ein Übergreifen innerhalb des Heims zu verhindern. Das betreuende und pflegende Personal, das im Schichtdienst arbeitet, wurde in Gruppen aufgeteilt, die sich gegenseitig nicht begegnen dürfen. Für das Personal der Pflegestation wurde der Speisesaal tabu. Für die übrigen Angestellten galt, dass sich dort nicht mehr als zehn gleichzeitig im aufhalten und keine zwei gemeinsam an einen Tisch setzen dürfen.
Die selbstständig lebenden Bewohner wurden durch die Abstandsregeln bei gleichzeitiger Einstellung fast aller Angebote quasi in ihre Zimmer zurückgedrängt. Die Bewohner, die drei Mahlzeiten am Tag aus der Küche beziehen, konnten am Morgen noch unter Wahrung der Hygiene- und Abstands-Auflagen in den Speisesaal, wo sie ein Essenspaket für den Abend ausgehändigt bekamen. Das Mittagessen, dass alle Heimbewohner aus der Küche beziehen, wurde einzeln in Einweg abgepackt auf die Zimmer gebracht.
Seit Mitte März hatte die Angst vor norditalienischen Zuständen Israel im Griff. Am 11/03 wurden Versammlungen zunächst auf 100 Personen beschränkt, am 15/03 dann auf 10 Personen und es wurde empfohlen, einen Abstand von 2 Meter voneinander einzuhalten. Am 18/03 wurde beschlossen, dass nur noch Lebensmittelgeschäfte, Banken, Apotheken und Tankstellen geöffnet sein dürfen. Am gleichen Tag wurde Nicht-Israelis die Einreise ins Land untersagt. Einen Tag später erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den nationalen Ausnahmezustand.
Passierschein für die Arbeit
Am 19/03 habe ich eine Art Passierschein erhalten, um zur Arbeit gehen zu können. Ich bin bereits seit Anfang März zur Arbeit gelaufen. 40 Minuten zu Fuß hin und 40 Minuten zu Fuß zurück. Weil ich zum ersten Mal in 13 Jahren im Land, Angst hatte, den Linienbus zu benutzen, der mit den zunehmenden Einschränkungen die auch den ÖNVP betrafen, ohnehin kaum noch und nach Acht am Abend gar nicht mehr fuhr.
Der erste Covid 19 Tote in Israel war am 21/03 der in Bulgarien geborene Auschwitz Überlebende Arie Even, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Erez Israel ausgewandert ist und sich in einem Altenheim in Jerusalem mit Corona angesteckt hat.
Als die Meldungen von Be’er Sheva, wo in einem Altenheim mehr als ein Dutzend Bewohner gestorben sind, in den Schlagzeilen war und man in jeder Nachrichtensendung in Gesichter der trauernden und wütenden Angehörigen blicken konnte, wurde klar, was uns im schlimmsten Fall erwartet. In Yavniel sind in einem privaten Altenheim mehr als 20 Menschen an Covid 19 gestorben. 2/5 der Covid-19 Todesopfer in Israel waren Bewohner von Altenheimen.
Danke, Oliver Vrankovic für diesen anschaulichen Bericht aus der Altenpflege in Israel angesichts der Corona-Pandemie.
[…] Oliver Vrankovic (Corona-Tagebuch aus Israel Teil 1, Teil 2, Teil 3) arbeitet in Israel als Altenpfleger und wurde bereits geimpft. Hier berichtet er […]