
Fünf Jahre nach dem ersten Lockdown rücken neue Daten eine Gruppe in den Blick, die bislang in Debatten kaum vorkam: Jugendliche in stationären Jugendhilfeeinrichtungen. Laut einer qualitativen Studie der Universität Münster waren sie während der Coronapandemie deutlich stärkeren Einschränkungen ausgesetzt als Gleichaltrige in Familien. Befragt wurden 40 junge Menschen aus Wohngruppen, betreutem Einzelwohnen und Pflegefamilien.
Die Studie zeigt, dass besonders im betreuten Einzelwohnen Isolation zur Regel wurde. Kontakte zur Herkunftsfamilie waren zeitweise untersagt, persönliche Treffen mit Gleichaltrigen oft unmöglich. Auch die digitale Ausstattung war vielerorts unzureichend: fehlende Endgeräte, schwaches Internet, kaum Unterstützung beim Lernen auf Distanz. Die Folgen: Rückzug, Verunsicherung, bei einigen auch Schulvermeidung oder Drogenkonsum.
Und dennoch berichten viele der Jugendlichen von einem hohen Maß an Anpassung und Eigeninitiative. Eine junge Frau beschreibt, wie sie mit ihrer Mitbewohnerin den Alltag per Video gemeinsam gestaltete – von Schulaufgaben bis zu stundenlangen Gesprächen. Gerade diese informellen Beziehungen unter Gleichaltrigen waren oft stabilisierender als die professionelle Betreuung.
Die Studie ist Teil des vom BMBF geförderten Projekts „JuPa“ zur sozialen Teilhabe in Pandemiezeiten. Aufbauend auf den Ergebnissen werden Workshops mit Jugendlichen durchgeführt, um Handlungsoptionen für künftige Krisen zu entwickeln. Ergänzend dazu analysiert ein Team der TU Dortmund die Perspektive der Fachkräfte. Ziel ist ein gemeinsames Lagebild, das auch strukturelle Schwächen benennt.
Es mag nicht verwundern, dass Jugendliche in stationären Einrichtungen gesellschaftlich kaum wahrgenommen werden. Schon Kinder und Jugendliche in Familien finden politisch kaum Gehör – bestenfalls kurz vor Wahlen. Unser politisches System ist de facto gerontokratisch. Es richtet sich an die Wahlberechtigten, nicht an Minderjährige. Was unter 18 ist, gilt oft nicht als Stimme, sondern als Aufwand. Und wenn junge Menschen doch einmal sichtbar werden, dann meist als Problem – nicht als Teil der Öffentlichkeit.