Corona und Katastrophenschutz: Anspruch und Wirklichkeit im Bundesamt

Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler, der wieder aus dem Urlaub zurück ist.  Bis heute sind 23 Interviews entstanden, die den Katastrophenschutz ins Visier nehmen und auch die Corona-Krise nachzeichnen. Im 24. Interview geht es um den Präsidenten des BBK und eine App, um einsichtige Pappnasen , um Virologen und die gesetzgeberische Stärkung der Kliniken.

Ruhrbarone: Willkommen zurück. Sie sind noch rechtzeitig aus dem Urlaub zurückgekehrt. Die Niederlande wurden nun als Risikoregion eingestuft. Wie bewerten Sie heute die Situation?

Memmeler: Tja, man könnte sagen Glück gehabt, dass wir vier Tage vor dieser Bewertung durch das RKI aus dem Urlaub zurückgekehrt sind. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Risikobewertung der Bundesrepublik für ganze Provinzen in den Niederlanden vorgenommen wurde, da sich die Lage in Ballungsgebieten der Niederlande ebenso entwickelt wie aktuell beispielsweise in München. Texel und große Teile der Küstenregionen sind in den niederländischen Lagekarten noch grün eingefärbt. Tatsächlich erleben wir aktuell in Europa eine nicht wegzuleugnende Dynamik bei der Entwicklung der Infektionszahlen, die zumindest in Teilen auch in der BRD wahrzunehmen ist. Für die Herbstferien dürfte es schwierig werden, ein sicheres Plätzchen außerhalb der Bundesrepublik zu finden.

Ob die BRD weiterhin relativ sicher bleibt, ist abzuwarten. Da die Zunahme an Neuinfektionen aktuell nicht mehr durch Einschleppungen durch Urlaubsrückkehrer begründet werden kann, sondern der Großteil aller Neuinfektionen den Ursprung in den jeweiligen Regionen unserer Republik hat. Einen erheblichen Beitrag dazu leistet die sogenannte „Corona-Müdigkeit“ der Bevölkerung. Besonders auffällig wird dies in jüngeren Bevölkerungsgruppen, die derzeit auch den Großteil der Neuinfektionen repräsentieren. Dies hat den Virologen Hendrik Streeck ja auch zu einer erneut recht polarisierenden Bewertung hinreißen lassen.In der ganzen Woche durften wir das Streeck Zitat „Nicht nur auf reine Ansteckungszahlen schauen“ lesen.


Magnus Memmeler (52 Jahre) lebt in Kamen. Seit 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutzkonzepten.


Herr Streeck führt in einer aktuellen Bewertung an, dass die aus den Infektionen resultierenden erforderlichen Klinkbehandlungszahlen und resultierenden Sterbefälle in die Lagebewertung und somit auch die Maßnahmenumsetzung einbezogen werden sollten, da derzeit sehr viele Neuinfektionen symptomfrei oder mit nur geringen Beschwerden einhergehen, da vorwiegend junge und gesunde Bürger betroffen sind. Mit dieser Feststellung liegt Herr Streeck auch vollkommen richtig.

Kritiker bemängeln jedoch, dass dies nicht zu Leichtsinn führen sollte, auch wenn diese Personen, zumindest für eine gewisse Zeit, immun sein dürften und somit kurzzeitig nicht mehr aktiv zum Infektionsgeschehen beitragen werden. Herr Alexander Kekulé zeigt sich angesichts der neuen Dynamik in Europa und der BRD alarmiert und warnt davor, dass sich die hiesigen Zahlen so entwickeln könnten, dass Gesundheitsämter die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehen könnten. Christian Drosten beschreibt den aktuellen Anstieg der Neuinfektionen auf fast 2.200 Fälle innerhalb von 24 Stunden in dieser Woche als nicht mehr als beliebige Schwankung einzustufende Entwicklung, wie Schwankungen wie sie im August durch Urlaubsrückkehrer aufgetreten sind, da die Infektionen ihren Ursprung innerhalb der Bundesrepublik hatten und deshalb als Anstieg des Risikos zu bewerten sind.

Grippesaison beginnt bald

Karl Lauterbach und Christian Drosten warnen deshalb vor den noch nicht erkannten Infektionsclustern und der daraus resultierenden Gefahr, dass eine Zunahme an Infektionen bei jüngeren Menschen zwangsläufig auch bald Risikogruppen erreichen wird, da diese über familiäre Kontakte oder infiziertes Pflegepersonal gefährdet werden könnten. Die Intensivstationen in der Bundesrepublik sind unter anderem deshalb noch nicht stärker belastet, da Familien in der Bundesrepublik längst nicht mehr so eng miteinander verbunden sind, wie dies zum Beispiel in Spanien noch der Fall ist.

Sozialwissenschaftler ziehen hier die traurige Bilanz, dass Altersvereinsamung uns derzeit vor einer übermäßigen Belastung des Gesundheitssystems schützt, wie sie beispielsweise in Madrid oder Marseille schon wieder zu erkennen ist. Wegen der erkennbaren Parallelen zur Pandemieentwicklung innerhalb Europas zu Beginn des Jahres, bereiten sich deshalb bereits zahlreiche Gesundheitsbehörden, so auch mein Heimatkreis, auf einen die Strukturen belastenden Herbst und Winter vor. Die Grippe- und Erkältungssaison beginnt zeitnah und zahlreiche Arztpraxen weisen schon jetzt darauf hin, dass die massenhafte Testung von Urlaubsrückkehrern, Lehrern und Erzieherinnen die Praxen an die Kapazitätsgrenzen geführt hätten und diese Massentests durch die Praxen nicht mehr dauerhaft dargestellt werden können.

Vorbereitend werden durch diverse Gesundheitsbehörden bereits wieder Testzentren ertüchtigt, in denen zunächst nur Tests stattfinden sollen, die behördlich angeordnet wurden. Angesichts von Meldungen von offensichtlich infizierten Personen, die nicht auf ein Partywochenende verzichten wollten, einem Arzt, der trotz positivem Testergebnis sogar in Pflegeheimen weiterbehandelte und Gästen in Bars, die bewusst falsche Angaben bei der Registrierung vorgenommen haben und somit nicht ermittelbar waren, nachdem Personal der Bar positiv getestet wurde, ist davon auszugehen, dass die Gesundheitsbehörden reichlich gefordert sein werden, da sich alle von uns zitierten Prognosen zum Faktor menschliche Psyche unter Pandemiebedingungen zu bewahrheiten scheinen.

Hierzu gibt es ja auch prominente Beispiele wie Xavier Naidoo den Migranten, der Migranten hasst und der das Ergebnis des ersten bundesweiten Warntages als persönlichen Erfolg feiern dürfte, da er doch befürchtet hat, die Sirenen könnten ihm die selbstempfundene positive Energie austreiben. Wir befinden uns leider in der Gesellschaft umgeben von einigen extrem verwirrten, wie Herrn Naidoo, aber auch von Menschen, die bewusst falsche Angaben bei der Registrierung in Gastronomiebetrieben machen, um so eine eventuell drohende Quarantäne zu umgehen.

Was fahrlässiger oder gefährlicher ist, kann nun der geneigte Leser entscheiden. Der eine erreicht Menschen mit labiler Psyche und die anderen gefährden fahrlässig ihr direktes privates und berufliches Umfeld. Zumindest die Jecken in NRW beweisen aktuell, dass der Feierwahnsinn die Vernunft noch nicht besiegt hat. Urkomisch ist dennoch, dass Pappnasen der Landesregierung in NRW eine Entscheidung zum Karneval abnehmen, indem sie selbige Entscheidung, auch aus Gründen der Vermeidung des wirtschaftlichen Risikos für Karnevalsgesellschaften, schon mal vorformulieren. Westfalen feiert diese Entscheidung.

Ruhrbarone: Offensichtlich liegen ja nicht nur bei Herrn Naidoo die Nerven blank. Der von vielen kritisierte Ausgang des ersten bundesweiten Warntages hat mit Herrn Unger, dem Präsidenten des zuständigen Bundesamtes, ja bereits ein prominentes „Opfer“ gefunden. Was ist da falsch gelaufen und wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Memmeler: Ja, die Überschrift „Warntag Panne: Unger vor Ablösung“ ist in dieser Woche schnell in den Medien erschienen. Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist vermeintlich über den Warntag gestolpert und wurde im ersten Reflex von vielen als Bauernopfer bezeichnet, was so aber einfach nicht richtig ist. Der von Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) als Reinfall beschriebene Warntag war sicherlich willkommener Anlass oder eben der berühmte Tropfen, der das Fass für Horst Seehofer zum Überlaufen gebracht hat. Horst Seehofer hat stets betont, dass er fordert, dass BBK solle bei der Lagebewältigung dieser Pandemie eine wesentlich zentralere und koordinierende Rolle einnehmen, als dies bisher der Fall war.

In der vergangenen Woche haben wir kurz die Ergebnisse der LÜKEX 2007 beleuchtet, die die Pandemiebewältigung zum Übungsinhalt hatte. Seehofers Anspruch, dass wegen dieser Erkenntnisse aus 2007 Handlungskonzepte beim BBK vorliegen müssten, die nun 1:1 Anwendung finden können, konnte durch das BBK und Herrn Unger nicht erfüllt werden.

Am 13. Januar war Tenor einer Expertenanhörung im Innenausschuss unter Vorsitz von Andrea Lindholz (CDU/CSU), der Bevölkerungsschutz sei hierzulande, ebenso wie die Infrastruktur zur Abwehr von Gefahren für die Bevölkerung, „gut aufgestellt“ und gelte als weltweit vorbildlich. Dennoch gebe es Handlungs- und Nachholbedarf in wesentlichen Bereichen. Der ehemalige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) und heutige Vorsitzende des vereinsrechtlich organisierten Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, Albrecht Broemme, nannte in dieser Anhörung die Abwehr einer möglichen Pandemie, einer „eskalierenden“ Erkrankungswelle, als Schwachstelle des Zivilschutzes.

Es gab also eine nicht geringe Erwartungshaltung beim Bundesinnenminister, eine Expertenanhörung, die unmittelbar vor Beginn der dynamischen Pandemieentwicklung innerhalb der Bundesrepublik stattfand und dem Bevölkerungsschutz ein gutes Zeugnis ausgestellt hat. Bewahrheitet hat sich aus Sicht Seehofers aber der Risikohinweis des ehemaligen Präsidenten des THW (auch Bundesbehörde) und der fehlgeschlagene Warntag, mit der bekannten Systemüberlastung, lieferte nun den willkommenen Anlass zur Trennung. Hochrangige Vertreter des BMI (Bundesministerium des Inneren) führen zur Begründung der Trennung jedoch das angeblich nicht ausreichende Engagement des BBK bei der Pandemiebewältigung und zahlreiche kritische Presseberichte über die Bundesbehörde als Grund an.

BBK als Bettvorleger gelandet

Außerdem konnte das Konzept zur Reform des BBK hin zu einer Zentralstelle des Amtes innerhalb des BMI nicht überzeugen. Darüber dürften zahlreiche Länderministerien wahrscheinlich nicht wirklich traurig sein, da sich Unger und das BBK immer wieder kleinere und größere Konflikte mit den Katastrophenschutzbehörden der Länder „gegönnt“ haben.

Anspruch und Wirklichkeit des Bundesinnenministeriums an das Bundesamt und der Anspruch der Deutungs- und Regelungshoheit des BBK passten in der Vergangenheit zu häufig nicht in die Realität, die nun einmal vorsieht, dass der Katastrophenschutz in der Länderhoheit liegt, dort auch größtenteils sehr gut sichergestellt wird, und der Aufgabe des Bundes, sich dem Zivilschutz zu widmen. Dieses Wollen und nicht wirklich Können oder Dürfen hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass Unger und das BBK als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet sind.

Einige Male wurde dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch schon vom DRK zum Anlass genommen, um dem Innenministerium anzutragen, die konzeptionelle Arbeit des BBK könne auch durch eine große und anerkannte Hilfsorganisation geleistet werden. Dieser selbstbewusst vorgetragene Anspruch führte natürlich auch öfter zu einem nicht immer unangespannten Verhältnis des BBK zu den Hilfsorganisationen, als deren Sprecher das DRK häufig auftritt.

Nicht erst jetzt wird die Ausarbeitung WD 3 – 423/07 des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages „Zur Kompetenz des Bundes für den Bevölkerungsschutz“ wieder aus den Schubladen gekramt, da Herr Seehofer die Wahrnehmung seines Ministeriums und seiner Bundesbehörden in der Krisenbewältigung verbessern will. Unter Punkt 3.3 der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages findet sich folgendes Zitat:

„Es wird diskutiert, ob der Bund eine generelle selbstständige und eigenverantwortliche Kompetenz gegenüber den Ländern bei Großkatastrophen, die die Ressourcen und Fähigkeiten einzelner oder mehrer Länder überfordern, zum Zwecke der Koordinierung und Unterstützung der Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder erhalten soll. Als einschlägige Szenarien werden
– biologische Gefahrenlagen, wie Influenza-Pandemien, SARS, Vogelgrippe, Freisetzung biologischer Kampfstoffe durch Terroristen,……“

Dieses Zitat und ähnliche Herleitungen in diesem Papier haben immer wieder zu Diskussionen zwischen BBK, Bundesinnenministerium und den Ländern geführt, welche Rolle der Bund im Katastrophenschutz einnehmen solle. Horst Seehofer hätte es sicherlich gerne gesehen, wenn diese oder ähnliche Herleitungen ihm und seinem Ministerium mehr Handlungs- und Regelungskompetenz verschafft hätten. Statt dessen erschien es allen als wesentlich leichter umsetzbar, dass Infektionsschutzgesetz zu novellieren und eine bundesweite pandemische Bedrohung festzustellen, weshalb nun Herr Spahn vor den Kameras Präsenz zeigt.

Das nun wieder heftig diskutierte Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hätte eigentlich mit diesem Abschnitt enden können:

„Nur soweit es um den Bereich der Vorsorge, Planung und Koordinierung der Hilfsverpflichtungen und Initiativbefugnisse des Bundes bei der Bekämpfung (länderübergreifender) Katastrophen und schwerer Unglücksfälle geht, kommt eine aus Art. 35 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 1 GG hergeleitete, ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnis des Bundes kraft Natur der Sache in Betracht. Für eine Regelung, die dem Bund eine generelle Koordinierungs- und Steuerungskompetenz bei der Bekämpfung für diesen Bereich einräumen würde, dürfte es aber an einer entsprechenden Gesetzgebungsbefugnis fehlen.“

Das heißt, der Bund darf moderierend tätig sein, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Konzepte der Länder kompatibel sind und bleiben, um auch länderübergreifende Lagen bewältigen zu können. Zumindest wenn es um die Finanzierung des Katastrophenschutzes ging, hat sich der Bund auch stets hinter dieser Aufgabenteilung verschanzt. Um es Lesern außerhalb des Bevölkerungsschutzes verständlicher zu machen, könnte man sagen, dass es dem Bund im Katastrophenschutz nicht möglich war, eine Umsetzungsverpflichtung durch die Länder und Kommunen zu formulieren, ohne hierfür auch finanzielle Verantwortung übernehmen zu müssen. Ein bekanntes Beispiel für ein solches Vorgehen des Bundes ist sicherlich die vom Bund zugesagte Garantie von Kita-Plätzen, die dann durch Länder und Kommunen realisiert werden musste.

Milliarden für Kliniken

Die kommenden Wochen und Monate dürften für Politik, Länderministerien, das Bundesamt und zahlreiche Bevölkerungsschützer also noch recht spannend werden, da davon auszugehen ist, dass Horst Seehofer, der in meiner Erinnerung das BBK noch nie besucht hat, sicherlich erneut die Diskussion mit den Ländern suchen wird, welche Rolle sein Ministerium und das BBK zukünftig im Katastrophenschutz einnehmen soll. Die Tatsache, dass Herr Seehofer derzeit bei einigen Themen gefordert ist und Herr Spahn schon wieder ein neues Gesetz durch den Bundestag gebracht hat, welches nun Milliarden für Investitionen in Kliniken zur Verfügung stellt, wird den Wunsch nach einem Erfolgserlebnis beim Innenminister sicherlich nicht kleiner werden lassen.

Solange die Regelungen der Kompetenzen im Katastrophenschutz sind, wie sie sind, wird das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auf mehr Unterstützung durch die Bundesländer hoffen müssen, auf die es keinen unmittelbaren Einfluss hat. Um diese Unterstützung zu erreichen, sollte Herr Seehofer nicht noch mehr Beteiligte gegen sich aufbringen, die ihn dann so lange mit Leberkäse bewerfen wollen, bis er endlich geht. Die Auswahl des Unger–Nachfolgers ist also nicht ganz ohne Brisanz.

Ruhrbarone: Herr Spahn liefert wieder ab, wie Sie ja gerade selbst gesagt haben. Werden erste Lehren aus der Pandemie gezogen? Welche Empfehlungen kommen denn aus dem Gesundheitsressort?

Memmeler: Durch das Krankenhauszukunftsgesetz werden Investitionen in moderne Notfallkapazitäten und eine bessere digitale Infrastruktur, z.B. Patientenportale, elektronische Dokumentation von Pflege- und Behandlungsleistungen, digitales Medikationsmanagement, Maßnahmen zur IT-Sicherheit sowie sektorenübergreifende telemedizinische Netzwerkstrukturen gefördert. Wenn man so will, soll so die Aufarbeitung von Versäumnissen der Vergangenheit unterstützt werden, indem der Bund eine maßgebliche finanzielle Unterstützung leistet, die durch Länder und Kliniken ergänzt werden muss.

Ab Inkrafttreten des Gesetzes bis zum 31. Dezember 2021 können die Länder Förderanträge an das Bundesamt für Soziale Sicherung stellen. Bis dahin nicht beantragte Bundesmittel werden bis Ende 2023 an den Bund zurückgeführt. Durch diese Regelung zum Abruf der Mittel, soll ein ausreichender Umsetzungsdruck erzeugt werden, der dazu beiträgt, dass die Wirksamkeit dieser Unterstützungsmaßnahme schnell einsetzt

Keine Auszahlung von Prämien

Wenn man so will, werden durch das Krankenhauszukunftsgesetz auch einige Teile der von allen Beteiligten kritisierten Novellierung der Notfallversorgung umgesetzt oder zumindest vorbereitet. Aus berechtigten Gründen wurde die Novellierung der Notfallversorgung ja kürzlich auf Eis gelegt, da zu viel Flickwerk im Referentenentwurf erkannt wurde. Die erforderlichen telemedizinischen Netzwerkstrukturen zur Verbesserung der Notfallversorgung, die Schaffung von Patientenportalen und die Ertüchtigung der Notfallkapazitäten werden im Krankenhauszukunftsgesetz zumindest recht prominent abgebildet. Bis hierher gibt es von allen Seiten breite Zustimmung zum vorliegenden Gesetz und alle stimmen zu, dass dieses Gesetz tatsächlich ein Anreiz sein kann, denn bestehenden Investitionsstau in vielen Kliniken schrittweise abzubauen. Problematisch ist jedoch die Regelung zu „Coronaprämien“ für Klinikpersonal.

„Der Einsatz von Pflegekräften und anderen Beschäftigten in Krankenhäusern, die durch die Versorgung von mit dem Coronavirus infizierten Patientinnen und Patienten besonders belastet waren, wird finanziell anerkannt. Krankenhäusern, die während der ersten Monate der Corona-Pandemie verhältnismäßig viele mit dem Coronavirus infizierte Patientinnen und Patienten zu versorgen hatten, werden insgesamt 100 Millionen Euro für Prämienzahlungen zur Verfügung gestellt. Dabei treffen die Krankenhäuser selbst die Entscheidung über die begünstigten Beschäftigten und über die individuelle Prämienhöhe, die bis zu 1.000 Euro betragen kann.“

Wir erinnern uns daran, dass wir in der letzten Woche feststellen mussten, dass über 70% aller Corona-Patienten in lediglich 25% der Kliniken behandelt wurden. Schon jetzt ist also klar, dass es zu keiner Auszahlung von Prämien kommen wird, wie es bei der Altenpflege der Fall war. Ich möchte nun nicht in der Haut der Entscheider stecken, die über die Auszahlungen zu befinden haben.

Im Windschatten dieses Geldsegens für die Länder und Kliniken wurde aber auch die verbindliche Umsetzung der elektronischen Patientenakte verabschiedet, welche allen Versicherten ab 2021 durch die Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden muss. Nach heutigem Stand leider nicht nur den Patienten, sondern auch allen Ärzten, die mit der Behandlung beauftragt sind. Das heißt, der Zahnarzt erfährt von psychiatrischen Erkrankungen und so weiter. Laut dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber verstößt dies gegen geltendes Datenschutzrecht.

Grund für den Vorstoß des Datenschutzbeauftragten sind insbesondere die mangelnden Mitbestimmungsrechte der Patienten. Auch viele Mediziner sind gegen die geplante Form der elektronischen Patientenakte. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der freien Ärzteschaft, Silke Lüder, hält weiterhin die dezentrale Speicherung für angezeigt, da Gesundheitsdaten wesentlich sensibler sind, als zum Beispiel Bankdaten. Insgesamt 18 Institutionsgruppen haben zukünftig Zugriff auf diese zentrale Datenbank. Kritiker sagen, dass dies nicht wissenschaftliche Forschung erleichtern soll, sondern die Versorgungsplanung von Krankenkassen, Pharmaunternehmen und anderen Interessensgruppen stärken soll. Offensichtlich haben sich erneut Interessensvertreter mit vorwiegend wirtschaftlichem Interesse erfolgreich in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht.

Nutzen für viele und nicht nur für wenige Profiteure

Wir sehen erneut, dass es lohnt Gesetzgebungsverfahren interessiert und kritisch zu begleiten, um einen Nutzen für viele und nicht nur für wenige Profiteure zu erreichen.

Da wir uns hier aber mit der Bewältigung der Pandemie beschäftigen, sollte ich zum Abschluss wohl besser auch noch auf die aktualisierte Impfempfehlung hinweisen. Danach soll man sich zeitnah eine Grippeschutzimpfung beim Hausarzt verabreichen zu lassen, um zum einen Doppelinfektionen zu vermeiden, die den Körper halt doppelt belasten würden und um zusätzlich seinen persönlichen Beitrag dazu zu leisten, dass nicht ganz so viel Niesen und Husten zur Verbreitung des Coronavirus führt.

Mein Fazit ist, dass wohl noch weitere Gesetzgebungsverfahren schnell voran gebracht werden, solange die öffentliche Aufmerksamkeit coronabedingt eher gering ist und dass es gilt noch reichlich viele Erkenntnisse aus der Krise in sinnhafte Veränderungen einfließen zu lassen.

Ruhrbarone: Lieben Dank, Herr Memmeler. Bleiben Sie gesund & keep distance.

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