Die Schlagzeilen titeln erneut von der neuen Normalität und im Eiltempo werden weitere Lockerungen beschlossen.
Ruhrbarone: Können wir bald, wie in Neuseeland bereits geschehen, die Coronakrise für unser Land als beendet erklären?
Magnus Memmeler: Schön wäre es. Die Lage in Deutschland ist wesentlich stabiler und sicherer, als dies vor einigen Wochen der Fall war. Für einige immer wieder auftretende Hotspots gilt das leider nicht, auch wenn die Gesamtsituation als momentan gut beherrschbar beschrieben werden kann. In Niedersachsen sind 156 neue und bestätigte Fälle bei UPS in Langenhagen bekannt, In einem Amazon Logistikzentrum im hessischen Bad Hersfeld sind mindestens 17 Neuinfektionen nachgewiesen worden, auf einem Spargelhof in Aichbach-Friedberg sind 21 Neuinfektionen, in Berlin werden Infektionen in Schulen, Kitas und Pflegeheimen bestätigt, in Göttingen wurde ein zweiter Hotspot identifiziert, in Magdeburg stellen zahlreiche Schulen und Jugendeinrichtungen wegen Neuinfektionen den Betrieb ein und in Dortmund sind Infektionen in den zwei größten Kliniken und einem Altenheim bestätigt worden. Diese Liste ließe sich leider noch sehr lange fortsetzen, weshalb wir noch weit davon entfernt sind, uns so sicher zu fühlen, wie es im Inselstaat Neuseeland derzeit bereits möglich erscheint. Vielmehr fühle ich mich bei den zahlreichen Meldungen aus Presse und Politik an viele unserer Interviews erinnert.
Ruhrbarone: Was meinen Sie damit? An welche Interviews und Inhalte erinnern Sie die derzeitigen Meldungen.
Memmeler: In meiner Antwort auf Ihre erste Frage habe ich auf Infektionsherde in Logistikunternehmen und in der Landwirtschaft hingewiesen. Am 17. Mai lautete die Überschrift zu unserem Interview „Arbeitsschutz ist Katastrophenschutz“. Leider gilt das noch immer, weshalb die Einhaltung der derzeitigen Arbeitsschutzvorgaben noch strenger überwacht werden sollte. Dort wo viele Menschen aufeinander treffen, insbesondere in geschlossenen Räumen, müssen die Schutzvorgaben dringend eingehalten werden. Für mein persönliches Arbeitsumfeld gilt es aktuell noch mehr Vorgaben zu beachten, als dies bisher der Fall war, da die Lockerungen der letzten Wochen dazu geführt haben, dass plötzlich wieder Publikumsverkehr in vielen Bereichen ermöglicht wird und mehr Mitarbeitende anwesend sind, die bisher im Homeoffice gearbeitet haben.
Bis vor 14 Tagen befanden sich extrem wenige Mitarbeitende in ihren Büros und Publikumsverkehr fand nicht statt. In dieser Phase konnte man sich, unter Beachtung des Abstandsgebotes, recht frei im Gebäude bewegen. Nun, da im öffentlichen Leben die Lockerungen greifen und sich ein Gefühl von Sicherheit breit macht, muss auf den Fluren eine Maske getragen werden, Laufwege werden markiert, der Zutritt von Besuchern wird in Listen erfasst, Markierungen erinnern an den gebotenen Abstand und Spuckschutz ermöglicht Beratungsangebote. Für manche Mitmenschen ist es irritierend, dass am Arbeitsplatz plötzlich mehr Reglementierungen greifen, als dies in der subjektiven Wahrnehmung im öffentlichen Bereich der Fall ist. Bei einem Lieferanten für Schutzmasken wurde ich aktuell mit den Worten begrüßt, dass man in seinen Büroräumen die alberne Maske nicht tragen muss.
Statt mich nach Preisen, erforderlichen Zertifizierungen und Liefermöglichkeiten zu erkundigen, sah ich mich hier zunächst gefordert, an die derzeit geltenden Arbeitsschutzvorschriften zu erinnern. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dies in sehr sehr vielen Bereichen erforderlich sein wird. Arbeitsschutz ist Katastrophenschutz. Dies wird derzeit auch durch die EU bestätigt, die für den EU-weiten Coronaschutz die Schutzstufe 3 beschlossen hat. Dennis Radtke, Koordinator seiner Fraktion im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten und Landesvorsitzender der CDA in NRW, bestätigte in dieser Woche die Relevanz des Arbeitsschutzes, um Neuinfektionen zu vermeiden und die Erfordernis, die Schutzstufe 3 festzustellen, um den erforderlichen Arbeitsschutz aufrecht zu erhalten, wenn nationale „Notstandsregelungen“ aufgehoben werden, wie dies unlängst von der FDP im Bundestag gefordert wurde. Diese EU – Festlegung wurde auch von Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister, begrüßt, der angesichts von zunehmenden Lockerungsforderungen der Wirtschaft, um den erforderlichen Arbeitsschutz zur Vermeidung von Neuinfektionen bangte.
Am 19. April lautete der Titel „Die Herausforderung der kommenden Woche wird sein, die Bevölkerung dazu zu bewegen, Masken zu tragen“. Aktuelle Forschungsergebnisse bestätigen, dass die Maskenpflicht in der EU wahrscheinlich mehrere Millionen Neuinfektionen vermieden hat. Die bereits am 6. April in Jena beschlossene Maskenpflicht wurde u.a. durch Timo Mitze von der süddänischen Universität Sonderburg auf deren Effektivität bewertet, indem Vergleichszahlen zu Neuinfektionen aus Städten mit vergleichbarer Größe herangezogen wurden. Die Ergebnisse sind sehr eindeutig, denn es wurde festgestellt, dass die tägliche Wachstumsrate bei Neuinfektionen in Jena um 60% geringer war, als dies in vergleichbaren Städten der Fall war. In NRW wurde aktuell die Verlängerung der Maskenpflicht bis zum 01. Juli beschlossen, weil der Nutzen bereits mehrfach wissenschaftlich bestätigt wurde und zeitgleich die Bereitschaft zum Tragen der Alltagsmasken, besonders in Ballungsräumen, abnimmt. Stimmen, die die Maskenpflicht als „Verarsche der Regierung“ bezeichnen, nehmen leider immer mehr zu, da eine zumutbare Unbequemlichkeit schlicht als Einschränkung der persönlichen Freiheit wahrgenommen wird. Die Herausforderung, die Menschen zum Tragen der Masken zu bewegen, ist also geblieben oder eher noch größer geworden.
Am 3.Mai lautete die fast trotzig wirkende Überschrift unseres Interviews „Eine Katastrophe ist eine Katastrophe ist eine Katastrophe“. Diese Einschätzung wird von vielen Katastrophenschützern geteilt und inzwischen gibt es Anzeichen, dass der Katastrophenschutz in zukünftigen Krisensituationen eine wesentlich führendere Position einnehmen soll, als dies bisher der Fall war. Auch um zukünftig Logistikfehler zu vermeiden.
Ruhrbarone: Wer unterstützt die von Ihnen am 03. Mai recht engagiert vorgetragene Einschätzung? Und welche Änderungen im Katastrophenschutz sprechen Sie an?
Memmeler: Bernd Schneider Stellv. Vorsitzender des VdF NRW und zahlreiche andere Experten des Katastrophenschutzes haben sich hierzu recht eindeutig positioniert. Um die Liste nicht allzu lang werden zu lassen, beziehe ich mich hier auf den Beitrag „Befinden wir uns in einer landesweiten Katastrophe?“ in der Maiausgabe des Magazins Feuerwehr Einsatz NRW des VdF NRW. Hier positioniert sich Bernd Schneider wie folgt: „Es erschließt sich mir nicht, wie unter Berücksichtigung dieser Feststellungen eine Katastrophe im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BHKG nicht gegeben sein kann. Ferner erscheint es mir generell und wortlautbezogen unverständlich, wie es sein kann, dass eine Naturkatastrophe gegeben ist, ohne dass eine Katastrophe vorliegt.“ Seine fundierte Einschätzung wird von Bernd Schneider noch konkretisiert, indem er die Rolle der Bezirksregierungen und der Kommunen beschreibt, in denen in den vergangenen Wochen Krisenstäbe nach Maßgabe des Katastrophenschutzrechtes in NRW vorgehalten wurden. Schneider: „Die gemäß § 5 Abs. 2 BHKG bei den Bezirksregierungen vorgehaltenen Krisenstäbe bzw. zeitweise die die Geschäftsführung dieser Krisenstäbe gewährleistenden Koordinierungsgruppen tagen derzeit regelmäßig, zeitweise tagten sie sogar täglich. Lediglich der Krisenstab der Landesregierung wurde bisher nicht aktiviert. Parallel dazu hat der Landtag in seiner Sitzung am 14.04.2020 eine „epidemische Lage von landesweiter Tragweite“ festgestellt. Insofern stellt sich zudem die Frage, wie es möglich ist, dass eine epidemische Lage von landesweiter Tragweite es erforderlich macht, die Krisenstabs-Strukturen in allen fünf Bezirksregierungen (und dazu in allen 54 Kreisen und kreisfreien Städten) zu nutzen, ohne dass es geboten ist, den Krisenstab der Landesregierung zu aktivieren. Daraus resultierend ergibt sich auch die Frage, in welchen Lagen eine Aktivierung des Krisenstabs der Landesregierung geboten sein könnte, wenn dies in der jetzigen Lage nicht der Fall ist; hier fehlt mir die dafür notwendige Phantasie.“ Noch eindeutiger wird Schneider in seiner finalen Feststellung, in der er die Einschätzung aus unseren gemeinsamen Interviews bestätigt, dass eine Krise, wie wir sie hatten und noch haben, eindeutig besser durch das Innen- als durch das Gesundheitsressort geführt werden sollte. Schneider: „Wenn durch die Auswirkungen dieser Lage sämtliche Bereiche der Gesellschaft und des öffentlichen wie privaten Lebens betroffen sind, wie das nunmehr der Fall ist, und dabei ebenso die Geschäftsbereiche sämtlicher Ministerien der Landesregierung betroffen sind, dann darf das Handeln dieser Regierung aus meiner Sicht nicht so stark von einem Ressort (hier dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) geprägt sein, dass das für Inneres zuständige Ministerium des Innern in der Lage fast unsichtbar werdend in den Hintergrund gedrängt wird. Diese Sichtweise entstammt vielen realen Eindrücken aus den letzten Wochen. Das Ministerium des Innern ist jedoch das Herzstück der Gefahrenabwehr im Land und muss dies auch in einer Pandemielage bleiben.“
Für diese sehr eindeutige Stellungnahme und seine Ankündigung, diese Feststellungen noch mit der Landesregierung thematisieren zu wollen, bin ich Bernd Schneider sehr dankbar, denn die auf den Ebenen der EU, der Bundesregierung und zahlreicher Bundesländer angekündigten Verbesserungen der Strukturen im Katastrophenschutz und der Feststellung, dass in pandemische Lagen zukünftig effektiver und einheitlicher geführt werden muss, braucht Mahner, damit Begonnenes nicht verebbt oder die Maßnahmen ausschließlich von Interessensverbänden geprägt werden.
Horst Seehofer kündigt an, die Rolle des BBK (Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ) zu stärken, um die zukünftige Rolle des Bundes im Katastrophenschutzes neu definieren zu können. Durch seine Forderung gibt Seehofer aber auch Katastrophenschützern wie Bernd Schneider Recht, indem er den Irrwitz beschreibt, dass das BBK über alle Möglichkeiten und die erforderliche Expertise verfügt, um in Krisen die erforderliche Koordination zu leisten, derzeit jedoch zum Zuschauen verdammt ist, da das Bundesamt ausschließlich für Fragen des Zivilschutzes zuständig ist. Diese Forderung ist nicht neu. Neu ist jedoch, dass den Katastrophenschutzexperten Gehör geschenkt wird, die bereits in der Vergangenheit auf gemeinsame LÜKEX – Übungen (LÜKEX ist ein Kurzwort für Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung und die Bezeichnung für regelmäßig stattfindende Übungen in der Bundesrepublik Deutschland) der Länder und des Bundes verwiesen haben, aus denen ersichtlich wurde, das bei Länderübergreifenden Lagen eine zentrale Lageführung erforderlich ist, um gemeinsame Maßnahmen des Bundes und der Länder effektiv koordinieren zu können. Angela Merkel kündigte an, diese Entwicklung zu unterstützen und zudem den Legislativvorschlag der Europäischen Kommission für ein neues, verbessertes EU-Gesundheitsprogramm („EU4Health“) zu unterstützen, der eine Verzahnung mit nationalen Katastrophenschutzplänen vorsieht, so diese den Regelungen für die gesamte Nation vorsehen. Der Veränderte Blick der Bundesregierung auf den Katastrophenschutz und hier insbesondere der eigenen Rolle in der Zukunft wird u.a. durch die Antwort auf die kleine Anfrage der Grünen im Bundestag ( Drucksache 19/19676 ) deutlich. In der Antwort der Bundesregierung findet sich neben den Bekenntnissen zur Beteiligung zur Steigerung der RescEU-Kapazitäten und der Ankündigung der Verbesserung der nationalen Vorhaltung für chemische, biologische und radioaktive Gefahrenlagen auch die Aussage, dass sich der Bund zukünftig intensiver finanziell am Katastrophenschutz der Länder beteiligen will. Das ein solches Engagement in den Ländern sicherlich auch den Wunsch beinhaltet, sich auch außerhalb des Zivilschutzes in Belange des Katastrophenschutzes einbringen zu wollen, ist allen Beteiligten sehr klar.
Frau Merkel und Herr Seehofer haben, wenn auch nur durch die Blume gesprochen, auf das Chaos bei der Versorgung mit Mundschutz und FFP2 Masken (effektiver Virenschutz) hingewiesen, der bei der Organisation durch das BMG entstanden ist, um die Erfordernis der Steuerung durch das Innenressort zu betonen, wenn es erneut zu pandemischen Lagen kommen sollte. Dem kompletten Coronakabinett der Bundesregierung behagt es wohl nicht, dass sich das BMG, der Beauftragte Logistiker Fiege und die beratende Agentur Ernest und Young hier bis auf die Knochen blamieren, da Händler in extrem großen Mengen zugeliefert haben, nun aber auf Geld warten und vorhandene Schutzausrüstung nicht ausgeliefert werden kann, weil das BMG lediglich 1,2 Milliarden für Schutzausrüstung geplant hatte, durch das gewählte Open- House- Vergabeverfahren allerdings Schutzausrüstung im Wert von 4,2 Milliarden € erhalten hat. Beim gewählten Verfahren hat das BMG keine Bezugsgrenzen benannt, sondern jedem Händler einen Festpreis von 0,60 € für Mund-Nasen-Schutz und 450 € für FFP2 Masken zugesagt, so dieser denn in relevanten Größenordnungen liefern könne. Inzwischen hat Ernest und Young sehr viel Arbeit mit eingehenden Klagen der Händler und weniger mit der Regelung der Verteilung der vorhandenen Schutzausrüstung. Jens Spahn sollte nun eventuell schnell mit seinen Kumpels von der KV, den Klinikverbänden und den Ärzteverbänden klären, ob diese Bedarfe in den Praxen und Kliniken sehen, die derzeit noch immer nicht gedeckt sind. Stattdessen muss das BMG nun darauf hoffen, dass Kanzlerin und Innenminister mit der Bereitstellung der nationalen Reserve nun schnell ernst machen und der Bund seine Rolle im Katastrophenschutz zeitnah neu definiert, um dem Gesundheitsressort aus dieser Peinlichkeit zu helfen.
Meldeverfahren bei Neuinfektionen, deren Dokumentation und das aktuelle Vorgehen der KV bei erforderlichen Tests zeigt ebenso wie die Neuregelung der Vergütung von Tests, dass die Republik noch einiges bei der Beherrschung von pandemischen Lagen lernen muss, so diese denn unter der Berücksichtigung von wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten abgebildet werden muss.
Ruhrbarone: Auf welche Probleme beim Meldeverfahren und der Dokumentation spielen Sie an? Und welche Probleme entstehen durch die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten?
Memmeler: Beobachtern ist aufgefallen, dass in der Stadt München von einer Meldung zur nächsten Meldung die Zahl der Infizierten um 400 Fälle abgenommen hat, was eigentlich ja als positiv wahrgenommen werden sollte. Die recht hohe Zahl hat jedoch zu Nachfragen geführt, da eine solche Abnahme von aktuellen Infektionen sehr unwahrscheinlich ist. 400 Infizierte sind aktuell ungefähr so viele Fälle, wie es bundesweit Neuinfizierte pro Tag gibt. Die Stadt München erklärt dies mit einem Softwareupdate. Allein diese Aussage lässt Fragen zur gewählten Dokumentation in allen Kreisen und Städten zu. In der neuen RKI – Software werden nur noch die Fälle aufgenommen, die auch positiv auf SARS-Cov-2 getestet wurden –wir alle dachten, dies sei schon immer so gewesen, nicht so die Stadt München und wer weiß, wie viele Kommunen noch. Nach eigener Aussage hat die Stadt München 400 sogenannter epidemiologischer Fälle aus dem Register gestrichen. Das sind erkrankte Personen, die zwar die Symptome aufweisen und Kontakt zu positiv getesteten hatten, jedoch nicht getestet wurden. Hallo? Sie, der Rest der Republik und auch ich dachten, dass genau diese Merkmale, nämlich Symptome und der Kontakt zu nachweislich infizierten Personen auch zwangsläufig einen Test nach sich ziehen müssen. Erneut muss ich auf eines unserer letzten Interviews verweisen, in dem wir die Gefahr betonten, dass die Neuregelung der Dokumentation und die Schaffung der Obergrenzen für Neuinfektionen zu unerwünschter lokaler Kreativität führen könnten. Solche Vorkommnisse und Aussagen von Gesundheitsbehörden tragen nicht dazu bei, dass die Akzeptanz gegenüber notwendigen Schutzmaßnahmen in der Bevölkerung wächst. Hier wird mühsam aufgebautes Vertrauen zerstört. Auch dies ist ein Vorfall der letzten Tage, der erklärt, warum ich in meiner Antwort zu Beginn des Interviews auf die immer wieder neuen Hotspots hinweisen musste, die es einzugrenzen gilt.
In dieser Woche titelte das Ärzteblatt: „Reduzierte Vergütungen gefährdet das deutsche Erfolgsmodell der Coronatestung“. Dass es nicht allein die Vergütung ist, die das Erfolgsmodell gefährdet, sondern auch das Gebaren der KV, haben wir bereits mehrfach betont. Aber worauf spielt das Ärzteblatt an? Die Krankenkassenverbände haben auf die inzwischen großzügig ausgebauten Testkapazitäten hingewiesen und daraus abgeleitet, dass die erforderlichen Tests inzwischen ein Massenprodukt sind, welches nur noch 39,00 € statt bisher 59,00 € kosten dürfe. Aus Sicht der Krankenkassen ist das so weit ok, wenn wir den Rest ausblenden. Nun weist jedoch die Ärzteschaft darauf hin, dass in dieser Vergütung auch Ärztehonorare geregelt sind. Aus Ärztesicht erfolgt auch hier zu Recht ein Aufschrei, da hier mögliche Einnahmen reduziert werden, auf die die Ärzteschaft nach Monaten mit Mindereinahmen angewiesen ist. Parallel baut die KV Testzentren ab, in denen massenhaft getestet werden könnte, damit die Annahme der Krankenkassen auch Gültigkeit hätte und der Wunsch aller näher rücken könnte, dass die auf mindestens 400.000 Tests pro KW erweiterte Kapazität auch endlich abgerufen würde. Die drei großen Interessensvertreter des Gesundheitswesens, die sich a. in vielen Bereichen gegenseitig überwachen und die b. die Hauptdarsteller stellen, wenn es um Gesetzesnovellierungen im Gesundheitsressort geht, blockieren sich erneut und sorgen durch ihr Verhalten dafür, dass auch jetzt noch dringend benötigte Testressourcen, die neben dem Mund-Nasen-Schutz zur zeitnahen Eindämmung der Neuinfektionen beigetragen haben unnötig verknappt werden. Vor diesem Hintergrund feiere ich zum Beispiel den Landrat im Kreis Lippe ab, der beschlossen hat, dass in allen Kitas des Kreises systematisch getestet wird, auch wenn das nun Kosten des Kreises sind. So trägt der Kreis Lippe, neben den großen Tests in Düsseldorf (Abstrich) und Bochum (Blutentnahme), dazu bei, dass wir hoffentlich bald wissen, wie infektiös Kinder tatsächlich sind und welche Risiken bei den Schulöffnungen nach den Sommerferien vermieden werden müssen. Auf die Art und Weise wie Kassen, KV und Ärzteschaft derzeit agieren wird es unnötig lange dauern, bis ausreichend wissenschaftliche Erkenntnisse vorhanden sein werden, um die erforderliche Sicherheit zu erlangen, damit wir sehr bald sagen können, die Lage ist so beherrschbar, dass wir beruhigt sein können. Hier bleibt dann erneut die Erkenntnis, dass die erforderlichen Logistikketten im Katastrophenschutz deutlich besser geplant und realisiert werden könnten, als dies in der Pandemie für das Gesundheitsressort wahrscheinlich erscheint. Wir können hier nur auf mehr Beteiligung von Experten hoffen, die eine gewisse Unabhängigkeit von den benannten Interessensverbänden besitzen.
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