Seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler. Bis heute sind 33 Interviews entstanden, die auf den Katastrophenschutz blicken und auch die Corona-Krise nachzeichnen. Im 34. Interview geht es u.a. um 426 Tote innerhalb eines Tages, um einen Parteitag und um den Rettungsdienst.
Ruhrbarone: Am vergangenen Sonntag haben wir orakelt, was Bund und Länder am Mittwoch gemeinsam beschließen werden. Nun steht fest, der Lockdown wird verlängert und die Kontaktbeschränkungen werden ausgeweitet. Deshalb fragen wir erneut – wie bewerten Sie die Situation und werden uns diese Maßnahmen helfen?
Memmeler: Am Freitag wurden über 22.600 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Das sind einige hundert Neuinfektionen weniger, als noch eine Woche zuvor. Die bisherigen Maßnahmen sorgen zumindest für ein Abflachen der zuletzt dramatisch steigenden Kurve bei den Neuinfektionen. Da die Infektionen inzwischen jedoch wieder alle Altersgruppen betreffen, hatten wir am Freitag aber auch 426 Todesfälle innerhalb von nur 24 Stunden zu beklagen.
Als zu Beginn der Pandemie vergleichbare Zahlen aus Italien gemeldet wurden, titelten hiesige Medien, dass den Italienern die Lage entgleitet. Zusätzlich sind inzwischen zahlreiche Kliniken und Senioreneinrichtungen von Neuinfektionen betroffen, was die Versorgung in diesen Einrichtungen deutlich erschwert. Die Lage ist also alles andere als entspannt und die Fortsetzung des Lockdown somit zwingend erforderlich.
Wenn wir ehrlich sind, wurden am Mittwoch lediglich moderate Ausweitungen der bisherigen Kontaktbeschränkungen beschlossen, weshalb die Äußerung von NRW Ministerpräsident Laschet, wir hätten wohl das schwierigste Nachkriegsweihnachten vor uns, als maßlos und unsensibel gegenüber denen bezeichnet werden muss, die die Jahre 1945 bis 1955 miterleben mussten.
Bereits im September haben wir hier die abnehmende Disziplin unserer Mitmenschen in Kaufhäusern beklagt. Deshalb ist es richtig, hier Regelungen zu schaffen, die das Weihnachtsgeschäft und den Einkauf im Discounter weniger risikobehaftet gestalten, als dies zuletzt der Fall war. Die Appelle an die Vernunft unserer Mitmenschen waren und sind leider nicht ausreichend wirksam.
Was Weihnachten 2020 jedoch zum wohl übelsten Weihnachtsfest der Nachkriegszeit werden lassen könnte, sind die am Mittwoch beschlossenen Lockerungen der Kontaktbeschränkungen zum Jahresabschluss. Der Vorsitzende des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery hat eine ausreichend drastische Bewertung vorgenommen, als er sagte:
„Weihnachten wird zu Fest mit Todesrisiko“ und „Medizinisch – epidemologisch ist es Wahnsinn, zu Weihnachten wieder aufzumachen und zu lockern“
Vom 23. Dezember und bis zum 1. Januar wird gelockert: In dieser Zeit können zehn Personen im Familien- und Freundeskreis zusammenkommen, Kinder bis 14 Jahre nicht mitgezählt. Neun Tage sitzt das Virus dann mit am Tisch, wenn Weihnachtsfest und Silvesterpunsch die Hemmungen verschwinden lassen, doch engeren Kontakt zu pflegen, als dies bei einer Pandemie angezeigt ist.
Magnus Memmeler (53 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutzkonzepten.
Neun Tage an denen jeder von uns neun andere Erwachsende und x- Jugendliche und Kinder unter vierzehn Lebensjahren aus den unterschiedlichsten Haushalten treffen darf. Zur Krönung gibt es noch reichlich Alkohol, was uns dann wohl die dritte und wahrscheinlich noch dramatischere Welle im Januar und Februar als nachträgliche Bescherung bringen dürfte.
Wie oft muss man am Blitz lutschen, um auf eine solche Idee zu kommen? Bereits jetzt melden unter anderem in Berlin 4 Kliniken ein Aufnahmestopp.
Damit ist aber leider noch nicht genug. Mindestens fünf Bundesländer lassen in dieser Zeit auch wieder Übernachtungen in Hotels zu, da viele Haushalte als ungeeignet eingeschätzt werden, um 9 Personen zusätzlich beherbergen zu können.
Die Reisewut der Amerikaner zu Thanksgiving ließ uns aktuell die Köpfe schütteln und nun ermöglichen unsere Bundes- und Landespolitiker Reiseaktivitäten, vor denen wir bis jetzt gewarnt haben, um Verschleppungsereignisse bei den Infektionsketten zu vermeiden.
Professor Uwe Janssens, Präsident DIV – Vereinigung Intensiv und Notfallmedizin, warnt, auch angesichts der bereits erreichten Belastung von Intensivstationen, vor den Folgen der Lockerungen, die über die Feiertage ermöglicht werden sollen. Wir müssen alle keine Verhaltensforscher sein, um die Befürchtung zu äußern, dass die möglichen Hotelübernachtungen nicht nur für den Weihnachtsbesuch bei den Großeltern genutzt werden.
Gegenüber dem WDR äußerte Janssen seine Befürchtungen für seine Verhältnisse recht deutlich, als er folgendes zu Protokoll gab:
„Die Infektionszahlen sind weiter auf einem hohen Niveau. Das einzige, was wir erreicht haben, ist, das Wachstum abzuschwächen. Ansonsten schweben die Zahlen auf einem hohen Niveau, was wir im März/April diesen Jahres niemals gehabt haben. Wir haben fast viermal so viele Neuinfektionen pro Tag als im März und April. Das belastet natürlich irgendwann das Gesundheitssystem insgesamt und hier natürlich die Intensivstationen. Und, glauben Sie mir, in den letzten Tagen und Wochen nimmt der Druck auf den Intensivstationen auch bei den Maximalversorgern im Uniklinikum Köln, im Uniklinikum Düsseldorf, im Uniklinikum Aachen, aber auch in kleineren Kliniken deutlich zu. Wie lang das noch gehen wird und toleriert werden kann, das sei mal dahin gestellt.“
Und weiter auf die Frage zu einer möglichen Überforderung des Gesundheitssystems:
„Man wundert sich schon sehr, wie die Politik das einfach wegstreicht und überhaupt nicht daran denkt, was sich tatsächlich auf den Stationen im Moment abspielt. Wir haben zwar in Deutschland scheinbar ausreichend Intensivbetten, aber bezogen auf 1.280 meldende Krankenhäuser sind das vielleicht zwei bis drei freie Intensivbetten pro Krankenhaus. Das ist einfach nicht genug, vor allen Dingen, wenn man so weitermachen würde, wie man das bisher gemacht hat. Täglich rund 20.000 Neuinfektionen, das sind pro Woche 140.000 Infektionen, dann haben wir zwei bis drei Wochen später, wenn wir Pech haben, 1.000 bis 2.000 neue Intensivpatienten. Darauf zu spielen, das ist natürlich gewagt. Wir werden das schaffen, das Personal wird das schaffen, aber unter Ächzen und Krächzen. Und da fühlen wir uns ein bisschen alleingelassen von der Politik. Die Gesellschaft verstehen wir sehr wohl, die Sorgen und Nöte der Menschen. Wir verstehen auch, dass wir Weihnachten die Menschen zusammenführen müssen. Aber wenn dann zwei, drei Wochen später als Folge der aufgehobenen Beschränkungen die Infektionszahlen wieder steigen, dann werden wir uns wieder sprechen.“
Zusammenfassend kann man sagen, dass die aktuellen Beschlüsse von Bund und Ländern zu den Festtagen genauso verstrahlt sind wie die Truppe von AFD Delegierten, die sich an diesem Wochenende sinnigerweise im ehemaligen „Schnellen Brüter“ in Kalkar treffen. Das was über Weihnachten und Neujahr Alkohol und Glückseligkeit bei der Bevölkerung zu Unvernunft und in der Folge massiv steigenden Infektionszahlen als Beitrag leisten, klappt bei dieser Schwurblertruppe bereits nüchtern.
Für den Präsenzparteitag mit 600 Delegierten hat die AFD doch tatsächlich die Befreiung von der Maskenpflicht beim Oberverwaltungsgericht NRW beantragt, was belegt, wie fernab der Realität sich dieser Haufen von Verfassungsfeinden sich bewegt. Dieser völlig wahnsinnige Antrag wurde von den Richtern selbstverständlich abgewiesen.
Ein Team von Wissenschaftlern der Universität des Saarlandes hat ein Simulations- und Prognosemodell für die Corona-Epidemie erarbeitet, welches sehr präzise Prognosen zum Infektionsgeschehen ermöglicht. Vertreter von Bund und Ländern sollten 48 Stunden vor ihren Beratungen mögliche Folgen ihrer Beschlüsse an diesem Programm durchspielen und sich Lungenaufnahmen von Betroffenen so wie Berichte von Postcovidpatienten anschauen müssen, bevor sie sich zu erneuten Beratungen in einer Videoschalte zusammenfinden.
Eventuell könnte es aber auch helfen, wenn alle TV-Sender, Zeitungen und Onlinemedien diese Aufnahmen und Berichte von Betroffenen vor Weihnachten als Titelstory bringen, um die Feiertage nicht zum Auslöser der dritten Welle werden zu lassen.
Ruhrbarone: Nachdem wir in den letzten Wochen häufig die Belastungen für Pflegekräfte mit Ihnen besprochen haben, will ich den Blick auf den Rettungsdienst lenken, in dem Sie sich lange Zeit intensivst engagiert haben. Sind wir noch zu retten?
Memmeler: Die Frage könnte auch lauten, sind die Retter noch zu retten? Tatsächlich arbeiten die Mitarbeitenden des Rettungsdienstes an vorderster Front und die Kolleginnen und Kollegen wissen nie, was sie tatsächlich erwartet. Dies gilt in der Pandemie umso mehr, da jeder Patient infektiös sein könnte.
Weil der Rettungsdienst noch nie über die notwendige Lobby verfügte, wurde und wird der Schutz der Kolleginnen und Kollegen auch in dieser Pandemie fahrlässig vernachlässigt und die Mehrbelastung im Dienst verantwortungslos gesteigert.
In dieser Woche meldete beispielsweise der Rettungsdienst in Weißwasser, dass 40 Prozent des Personals des Rettungsdienstes wegen Corona-Infektionen und Quarantäne-Anordnungen ausgefallen sind. In einer Pressekonferenz sagte der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes im Landratsamt Jens Schiffner:
„In der vergangenen Woche sind zwei Fahrzeuge ausgefallen. Nur aufgrund des hohen Engagements der Mitarbeiter können derzeit die Ausfälle kompensiert werden. Ich hoffe, dass das Personal den hohen Belastungen standhält.“
Das Klinikum Weißwasser behandelt aktuell laut Landratsamt ausschließlich Covid-19-Patienten. Rettungsdienste würden das Krankenhaus deshalb momentan nicht mehr anfahren. Patienten aus der Region müssen aus diesem Grund auf andere Kliniken Richtung Cottbus und Dresden verteilt werden, was zu erheblich längeren Fahrzeiten und somit auch Einsatzzeiten führt.
Nach 9 positiven Corona-Fällen beim Rettungsdienst in Heinsberg müssen nun alle 270 Mitarbeitenden für 14 Tage in Quarantäne – allerdings nur nach dem Dienst. Wer einen negativen Test vorlegen kann und symptomfrei ist, dürfe weiterhin arbeiten, sagte eine Kreissprecherin am Freitag.
Außerdem müssten die Mitarbeiter während der gesamten Arbeitszeit eine FFP2-Maske tragen, was den Dienst nicht angenehmer werden lässt. Retten dürfen die Kolleginnen und Kollegen, am derzeit eingeschränkten Leben teilnehmen dürfen sie jedoch nicht, um dadurch Notfallpatienten vor Infektionen zu schützen und um die Einsatzfähigkeit des Rettungsdienstes nicht zu gefährden.
Und aus Thüringen erreicht uns die Meldung, dass Mitarbeitende der Thüringer Rettungsdienste weiterhin nicht vorbeugend auf das Corona-Virus getestet werden können. Dies gilt übrigens bundesweit, da die Kostenübernahme für die erforderlichen Tests für den Rettungsdienst nicht geklärt wurde, was an Ignoranz kaum noch zu überbieten ist, da die Kolleginnen und Kollegen natürlich auch ihre Familien durch „Mitbringsel“ aus dem Dienst gefährdet sehen.
Das Risiko besteht seit März, dass Notfall- und Rettungssanitäter-innen trotz Infektion weiter arbeiteten und andere anstecken. Das hat dann eventuell zur Folge, dass der Rettungsdienst nicht mehr voll funktionsfähig ist.
Fachkräftemangel im Rettungsdienst ebenso groß
Die Krankenkassen lehnen derzeit eine Kostenübernahme ab und verweisen hierbei auf die fehlende gesetzliche Grundlage, weshalb nun Länder und die Träger der Rettungsdienste gefordert sind, um die zwingend gebotenen Tests für Rettungsdienstmitarbeitende realisieren zu können.
Trotz bestehendem Ressourcenmangel werden Antigen-Schnelltests diskutiert, um die ersten Veranstaltungen wieder ermöglichen zu können und der Rettungsdienst bleibt weiterhin unberücksichtigt. In der Krise gilt es, die Basisversorgung zu sichern, bevor man sich dem Luxus widmet, die Welt wieder etwas bunter zu gestalten.
Und Mitarbeitende des Rettungsdienstes in Rheinland-Pfalz und auch andernorts fordern, dass auch sie vorranging gegen Corona geimpft werden. Hierfür setzt sich aktuell auch der Berufsverband des Rettungsdienstes ein. Der Rettungsdienst hat täglich mit Risikopatienten und unklaren Situationen zu tun, weshalb der Berufsverband zu Recht fordert, dass Rettungsdienstmitarbeitende, wie auch andere Gesundheitsberufe, priorisiert behandelt werden sollen.
Die Ständige Impfkommission empfiehlt, ältere Menschen und andere Risikogruppen bei Impfungen gegen Covid-19 zu bevorzugen – ebenso wie Beschäftigte im Gesundheitswesen, die Kontakt mit Infizierten haben. Der Berufsverband Rettungsdienst fürchtet, letztlich nicht zu dieser priorisierten Gruppe zu zählen.
Diese Liste von Versäumnissen zum Schutz der Mitarbeitenden im Rettungsdienst, der aktuell bestehenden Mehrbelastungen im Rettungsdienst und der zu beklagenden Ausfälle von Rettungsmitteln ließe sich noch sehr lange fortsetzen.
Schon seit einiger Zeit kann die Leistungsfähigkeit des Rettungsdienstes nur noch durch Mehrarbeit der hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen und den Einsatz von noch vorhandenem qualifiziertem Ehrenamt aufrechterhalten werden.
Wenn Ihnen und Euch daran gelegen ist, dass Eure Verwandten eine sehr gute rettungsdienstliche Versorgung erhalten, dann reißt Euch zusammen, haltet die Kontaktbeschränkungen ein und verhaltet Euch über Weihnachten und Neujahr vernünftiger, als die aktuellen Beschlüsse von Bund und Ländern dies befürchten lassen.
Nachdem für das Pflegepersonal applaudiert wurde, was natürlich viel zu wenig ist, wäre es an der Zeit das anzuerkennen, was der Rettungsdienst, von vielen leider unbeachtet, seit Jahren leistet. Der Fachkräftemangel im Rettungsdienst ist ebenso groß, wie es in der Pflege der Fall ist. Sendet Weihnachtskarten, verbunden mit einem herzlichen Dank, an die Rettungswachen in Eurer Region und eine geharnischte Rüge an die Bundes- und Landespolitiker in Euren Wahlkreisen, in der Ihr die Politik auffordert, dem Rettungsdienst endlich die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verdient. Ansonsten ist der Rettungsdienst bald ebenso wenig zu retten, wie Eure Angehörigen.
Ruhrbarone: Das ist aber eine sehr düstere Bestandsaufnahme zum Schutz derer, die unser Leben retten sollen. Dann heißt es wohl auf den Impfstoff zu hoffen, der laut Herrn Spahn schon im Dezember zum Einsatz kommen könnte. Wie weit sind die in der letzten Woche beschriebenen Vorbereitungen inzwischen gediehen?
Memmeler: Angesichts der erschreckend geringen Impfbereitschaft von nur 57%, sollten wir wahrscheinlich kurz auf die aktuellen Erkenntnisse zur Sicherheit des Impfstoffes eingehen, bevor wir uns der Umsetzung dieser Impfherausforderung widmen. Eventuell können wir so ja noch einige Skeptiker überzeugen, sich impfen zu lassen.
Florian Krammer ist im Laufe der Corona-Krise zu einem der weltweit führenden Experten zur Bekämpfung von Sars-CoV-2 avanciert. Der aus Österreich stammende Forscher ist Professor für Impfstoffforschung an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai und hat unlängst auf viele Fragen zu den in extrem kurzer Zeit entwickelten Impfstoffen Antworten gegeben.
Auf die Frage, ob der Impfstoff das Erbgut verändern kann, antwortete Krammer aktuell:
„Nein – oder wie der Forscher in mir ganz korrekt sagen würde: Das Risiko ist verschwindend gering. Zum einen ist RNA relativ instabil und wird auch recht schnell wieder abgebaut, zum anderen sind alle unsere Zellen zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens vollgepackt mit mRNA.“
Und zur Frage, ob der Impfstoff auch an Risikogruppen getestet wurde:
„Zumindest beim Impfstoff von Pfizer und Moderna, der wahrscheinlich als erster zugelassen wird, war das der Fall. Dieses Vakkzin hat auch in der Gruppe der 65 bis 85 Jahre alten Menschen eine Wirksamkeit von 94 Prozent erreicht, ist also auch bei jenen Personen wirksam, die eine Immunisierung am dringendsten brauchen.
Wie gut welcher Impfstoff ist und in welcher Altersgruppe oder Risikogruppe, wird sich zeigen, wenn es mehr Phase-3-Daten zu verschiedenen Impfstoffen gibt. Personen in Hochrisikogruppen sollten sich impfen lassen, sobald ein Impfstoff verfügbar ist, egal, um welchen zugelassenen Impfstoff es sich handelt. Es dauert dann noch einmal fünf bis sechs Wochen nach der ersten Impfung, bis diese auch tatsächlich wirkt.“
Und auf die Frage, ob nach der Impfung direkt ein Leben ohne die bisherigen Schutzmaßnahmen möglich sein wird:
„Leider nein – zumindest aufgrund der bisherigen Erkenntnisse. Die vorliegenden Studienergebnisse von Biontech/Pfizer und Moderna beurteilen die Wirksamkeit ihrer beiden Impfstoffe nämlich nur hinsichtlich der symptomatischen Infektionen und nicht der asymptomatischen. Aufgrund der Verabreichungsweise der Impfung (durch eine Injektion in den Oberarm) dürfte nur wenig lokaler Schutz der oberen Atemwege aufgebaut werden, weshalb es trotz Impfung zu asymptomatischen Infektionen kommen könnte.
Zu dieser konkreten Frage gibt es aber noch keine Daten. Die Frage des MNS wird sich meines Erachtens ganz grundsätzlich weniger darüber lösen lassen, ob jemand geimpft ist oder nicht, sondern wird eher davon abhängen, wie viel Virus in der Bevölkerung zirkuliert.“
Diese kurze Aufklärung durch einen Fachmann sollten wir uns leisten, bevor wir, wie in der Vorwoche geschehen zu Risiken und Chancen befragt werden, die nur Experten beantworten sollten.
Die Impfzentren in NRW und bundesweit sollen bereits im Dezember an den Start gehen. Eine Massenimpfung für alle gibt es aber erst im dritten Quartal 2021. Laut übereinstimmender Papiere aus mehreren Landesgesundheitsministerien, könnten in einer Frühphase ab Mitte Dezember zunächst vulnerable Personengruppen und medizinisches Personal in Krankenhäusern sowie Pflegekräfte in Heimen geimpft werden.
Ab März dann auch Beschäftigte der kritischen Infrastruktur sowie ambulantes medizinisches Personal und ambulante Pflegekräfte.
Das NRW Gesundheitsministerium geht davon aus, dass alleine in der ersten Welle mindestens 900.000 Menschen geimpft werden können. Diese Zahl entstammt einer Berechnung unter Anwendung von Idealbedingungen. Vulnerable Gruppen sollen vor allem vor Ort in den Heimen oder ihren Wohnungen geimpft werden. Die gesamte Größenordnung der Gruppe der besonders gefährdeten Menschen ist laut Landesgesundheitsministerium noch unbekannt.
10.000 Impfungen je 100.000 Einwohner
Bei aktuell 17.931.816 Einwohnern in NRW, würde zunächst also nur jeder 20. Einwohner geimpft werden, wenn denn die Idealberechnungen des Ministeriums realisiert werden können.
Am Beispiel von NRW kann man sehr gut veranschaulichen, dass wir noch etwas Geduld benötigen. Die Größe der 53 Impfzentren, die in NRW derzeit geplant werden, soll von der Einwohnerzahl der Kommune oder des Kreises abhängen.
In der Startphase sollen dort monatlich 10.000 Impfungen je 100.000 Einwohner möglich sein. Für die Millionenstadt Köln wären das ungefähr 100 000 Impfungen im Monat. Hinzukommen sollen etwa 4000 monatliche Impfungen pro 100 000 Einwohner, die mit mobilen Teams und in Krankenhäusern durchgeführt werden sollen. Bei den bekannten logistischen Schwierigkeiten, kann davon ausgegangen werden, dass die mindestens zu veranschlagenden 10 Monate zur Durchimpfung der Bevölkerung nicht ausreichen werden.
Zu Beginn müssen auch die „Impfberechtigten“ identifiziert werden, was wahrscheinlich zu Auseinandersetzungen an den Impfzentren führen könnte, da bei vielen Mitbürgern die Geduld bereits aufgebraucht zu sein scheint. Bei der Registrierung soll etwa geprüft werden, wer in der frühen Phase bereits berechtigt ist, eine Impfung zu bekommen.
Reicht beim medizinisch-pflegerisch tätigen Personal der Berufsnachweis, um in einem Impfzentrum geimpft werden zu können, müssen sich Menschen mit einer chronischen Erkrankung vom Hausarzt an das Impfzentrum überweisen lassen. Hier dürfte es spannend werden, da sich hier beweisen wird, wer seinen Hausarzt wie gut kennt und wie gewissenhaft dieser mit Überweisungen umgehen wird. Ein hohes Alter lässt sich hingegen sehr leicht mit dem Personalausweis belegen.
Und als sei das nicht schon Herausforderung genug, geraten die Hersteller der Corona-Impfstoffe, die Logistikunternehmen und die geplanten Impfzentren zunehmend in den Fokus von Impfgegnern und Verschwörungsideologen, aber auch von Kriminellen und ausländischen Geheimdiensten, wie das Bundeskriminalamt (BKA) in einem internen Lagepapier beschreibt, welches unlängst von den Medien zitiert wurde.
Schon seit Wochen werden deshalb innerhalb der Bundesregierung Pläne erarbeitet, wie und wo Impfstoffe gegen das Coronavirus gelagert und verteilt werden können. Die Bundeswehr hatte bereits angeboten, bei der Logistik zu unterstützen und den Impfstoff an geeigneten Orten zu lagern und eventuell auch zu bewachen. Auch die Polizei bereitet sich darauf vor, etwa den Transport von Impfstoffen zu sichern.
In diesem Zusammenhang bereiten den Behörden insbesondere die Demonstrationen von Corona-Leugnern, Gegnern von Corona-Maßnahmen und Verschwörungsideologen Sorge, bei denen zuletzt immer öfter auch gewaltbereite Rechtsextremisten und Reichsbürger vertreten waren. Die Beschädigungen von Testzentren, über die wir bereits berichtet haben, zeigen, dass diese Sorgen leider nicht unberechtigt sind.
Vor diesem Hintergrund sind die Landesgesundheitsminister aktuell bemüht, die Normalität zu betonen und die Realisierung der Impfzentren nicht als Herausforderung erscheinen zu lassen.
In einer Telefonkonferenz mit Landräten in NRW hat Gesundheitsminister Laumann deshalb eindringlich betont, dass die Realisierung der Impfzentren auf keinen Fall eine BHKG – Lage (Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz) darstellen dürfe, auch wenn Personal und Material des Katastrophenschutzes beim Aufbau und Betrieb der Impfzentren lokal erforderlich sei.
Dieser Wunsch wurde laut Teilnehmenden sehr vehement vorgetragen, was unterstreicht, wie angespannt alle Beteiligten momentan tatsächlich sind.
Die Hilfsorganisationen in NRW signalisieren zumindest Ihre Unterstützungsbereitschaft bei der Realisierung der Massenimpfung. Nach dem DRK haben auch die übrigen Hilfsorganisationen ihre Bereitschaft öffentlich gemacht, sich aktiv einbringen zu wollen. Gleiches vermelden die Landesverbände aller Hilfsorganisationen bundesweit, was als gutes Zeichen zu werten ist, da bei dieser Mammutaufgabe jede helfende Hand erforderlich sein wird.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine kontaktarme Adventszeit und drücke uns allen die Daumen, dass der Jahreswechsel uns keine dritte Welle bringen wird, damit Rettungsdienste, Kliniken, Pflegeheime, ambulante Dienste und Arztpraxen sich nicht noch weiteren Herausforderungen gegenübergestellt sehen.
Ruhrbarone: Einen besinnlichen Adventssonntag, vielen Dank und bleiben Sie gesund.
An dieser Stelle wieder vielen Dank für diese eindringlichen Worte in der aktuellen Situation.
Ich teile die Ansicht, dass die Dynamik des Geschehens immer noch von der Politik ignoriert wird.
Beim Thema Weihnachten und den kommenden Lockerungen kann ich mir noch an den Kopf fassen.
Wenn ich mir nun die aktuelle Entwicklung im DIVI-Register anschaue, die ja die Entwicklung von vor ein paar Tagen in der Vergangenheit abbildet, so kann sich vor den nächsten Wochen nach Weihnachten nur fürchten. Die Befürchtungen von Prof. Janssen könnten daher Realität werden.
Danke für die deutlichen Worte. Tatsächlich habe ich mich auch schon gefragt, wie man derartig hirnverbrannte Beschlüsse fassen kann.
Hotelübernachtungen sollen also – zu unser aller Schutz, versteht sich! – über Weihnachten erlaubt sein wenn keine Möglichkeit besteht, Gäste über Nacht im Haus/in der Wohnung unterzubringen. Vielleicht kommt mal jemand auf die naheliegende Idee, dass es bei beengten Wohnverhältnissen von vornherein besser wäre, erst gar nicht anzureisen.
Von ähnlichem Charme waren die kurz angedachten Pläne, die Restaurants über Weihnachten zu öffnen, weil dort Hygienekonzepte besser umgesetzt werden können als zu Hause. Mag sein. Ganz sicher ist aber, dass sich gerade Mitmenschen, die besonders beengt wohnen, also die Ärmeren, wohl kaum ein Weihnachtsmenue für 10 Personen im Restaurant leisten können…
Übrigens habe ich es von Anfang an für einen Fehler gehalten, sich bei den Maßnahmen nicht auf das Infektionsgeschehen zu berufen, sondern alles auf Weihnachten zu fokussieren, also zu behaupten, wir müssten uns einschränken, damit wir hinterher ausgiebig Weihnachten feiern könnten.
Wobei dann noch so getan wird, als handle es sich um ein Fest wie gerade aus Grimms Märchen entsprungen, mit Lichterglanz und Wohlergehen und alle sind happy ever after… Die Statistiken sprechen da eine ganz andere Sprache, genau wie die Berichte von Bekannten, die zufällig bei der Polizei arbeiten – und das dürfte in diesem Jahr noch deutlich verschärft sein, schließlich liegen bei allen die Nerven blank.
Ich bin übrigens auch mal gespannt, ob die zwei zusätzlichen Ferientage tatsächlich dazu genutzt werden, sich in freiwillige Kurz-Quarantäne zu begeben oder ob nicht zumindest einige die beiden Tage vielmehr nutzten werden, um sich nochmal so richtig ins Einkaufsgetümmel zu stürzen.
@ Robert Müser: Danke.
Leider findet dieses Interview nicht überall Zustimmung.
@ Susanne Scheidle: Meine Erinnerungen an Weihnachten im Rettungsdienst decken sich mit Ihren Befürchtungen. Da gibt es auch gerne gesegnete Schlägerei daheim und Gewalt gegen Frauen.