Corona und Katastrophenschutz: Keinen Plan trotz Plan aus 2009

CoVid in einer Bearbeitung von K. Gercek

Seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler.  Bis heute sind 34 Interviews entstanden, die auf den Katastrophenschutz blicken und auch die Corona-Krise nachzeichnen. Im 35. Interview geht es u.a. um steigende Todeszahlen,  mehr als 4000 Intensivpatienten und den Plan über eine  Impfstrategie aus dem Jahr 2009.

Ruhrbarone: Woche um Woche beschließen Bund und Länder neue Schutzmaßnahmen. Der Lockdown light, von dem wir jetzt wissen, das er nicht den Effekt brachte, den man sich erhoffte, wurde zunächst bis zum 10.01.2021 verlängert. Weitere Verlängerungen aber auch Verschärfungen sind wohl zu erwarten. Wie ist das alles zu bewerten?

Memmeler: Die Situation ist kritisch und das wohl vorwiegend wegen einer nicht eindeutigen Kommunikation. Aus diesem Grund möchte ich hier und heute auch nicht in gewohnter Form die aktuellen Zahlen benennen, sondern die Situation als das darstellen, was sie ist. Die Situation ist kritisch, da zu viele Menschen noch nicht begreifen oder nicht mehr begreifen wollen, was das Virus gerade anrichtet, weil 20% bis 30% unserer Gesellschaft sich fahrlässig verhalten.

Zwei Abstürze mit mehr als 300 Todesopfern haben dafür gesorgt, dass das neu entwickelte Passagierflugzeug Boeing 737 Max seit März 2019 am Boden bleiben musste, um Menschenleben zu schützen. Aktuell stürzen jeden Tag mindestens drei dieser Flugzeuge in Deutschland ab und dennoch verweigert sich eine immer größer werdende Gruppe, die Schutzmaßnahmen zu unterstützen, die diese Abstürze vermeiden könnten.

Oder noch drastischer ausgedrückt – derzeit finden täglich einhundert Amokfahrten statt, wie wir sie in dieser Woche in Trier erlebt haben. Das Verhalten einzelner Mitbürger ist nicht weniger tödlich, als die unbegreifliche Tat in Trier, die uns alle erschüttert hat.

Mit Stand 03.12.2020 gab es bereits 17.602 registrierte Corona bedingte Todesfälle in der Bundesrepublik Deutschland. Das Entspricht bis zum 03.12.2020 gerundet 59 Flugzeugabstürzen allein in Deutschland. Heute und an den vergangenen zwei Tagen sind bereits 9 Abstürze einer Boeing 737 Max hinzugekommen. In der kommenden Woche könnten die Angehörigen, Freunde und Nachbarn unserer Leser in einem dieser Flugzeuge sitzen.

 


Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Magnus Memmeler (53 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutzkonzepten.

 

 


Mit Stand 04.12.2020 ist die Zahl der Covid-19-Patienten, die sich in Intensivbehandlung befinden, erstmals über die Marke von 4.000 Patienten gestiegen. Auch diese Zahl verursacht bei zu wenig Menschen einen Erkenntnisgewinn, der dazu führt, die Schutzmaßnahmen als Schutzmaßnahmen und nicht als persönliche Einschränkung zu begreifen.

Das Intensivregister der deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin (DIVI) erfasste bis zum 4. Dezember 2020 bundesweit 22.401 belegte Intensivbetten, 5.033 Intensivbetten waren verfügbar. Diese restlichen Betten müssen nun genügen, um Herzinfarkte, Verkehrsunfallopfer und Menschen zu versorgen, die eine schwere OP hinter sich bringen mussten.

Das Klinikum Cottbus stellt seinen Betrieb aktuell auf Notversorgung um, da 50 eigene Mitarbeitende mit Covid-10 infiziert sind. In Cottbus wurden deshalb alle planbaren Operationen abgesagt.

Laut einer aktuellen Befragung sind die Personalprobleme in Hessens Krankenhäusern so akut, dass manche Krankenhäuser sich gezwungen sehen, beim zuständigen Gesundheitsamt eine Ausnahmegenehmigung zu erwirken:

In einer Blitzumfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund Hessen gab jeder Fünfte an, in der ersten oder zweiten Welle an der Arbeitsstelle als Kontaktperson ersten Grades während der Quarantänezeit zur Arbeit in der Klinik herangezogen worden zu sein. Fast 100 der 1000 Befragten gaben an, dass an ihrer Arbeitsstelle positiv getestetes Personal weiter eingesetzt wurde.

Die Liste von Kliniken, die bereits jetzt am Limit arbeiten, obwohl der Winter gerade erst beginnt, ließe sich noch sehr lange fortsetzen. Besonders große Sorgen bereiten Intensivmedizinern die Lockerungen der Schutzmaßnahmen über die Feiertage zum Jahresende. Wie berechtigt diese Sorge ist, zeigt sich in der vollkommen unbegründeten Empfindung unserer Mitbürger, sich wieder frei und ungezwungen verhalten und bewegen zu können.

Trotz aller Warnungen planen zunehmend viele Mitmenschen Auslandsreisen über Weihnachten. Die Lufthansa meldete beispielsweise eine Verfünffachung der Buchungen über Weihnachten und den Jahreswechsel innerhalb von nur einer Kalenderwoche, nachdem die Lockerungen über die Weihnachtstage verkündet wurden. Besonders gefragt sind laut Lufthansa Reisen nach Südafrika, Namibia und den Kanaren.

Für Südafrika beispielsweise gilt eine Reisewarnung, was den Wunsch gerade dort den Jahreswechsel verbringen zu wollen, mindestens als großes Wagnis erscheinen lässt.

Angesichts der Reisepläne, die viele unserer Mitbürger aktuell schmieden, lautet die Frage – wie viele Boeing 737 Max stürzen ab Mitte Januar täglich über der Bundesrepublik ab?
Eine aktuelle Bewertung der Ist–Situation und der daraus mittelfristig wahrscheinlich resultierenden Herausforderungen hat in Dortmund dazu geführt, dass ein 500-Betten-Krankenhaus für genesene Covid-19-Patienten in den Westfalenhallen vorbereitet wird.

Unterdessen richtet sich die Stadt mit einem Appell an das Land NRW. Sie fordert die Landesregierung dazu auf, die Krankenhäuser anzuweisen, Kapazitäten freizuhalten für Corona-Patienten. Operationen, die verschoben werden können, sollten nach Ansicht der Stadt Dortmund verschoben werden.

Auch die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen ist dieser Ansicht. Sie fordert die Wiedereinführung der sogenannten Freihaltepauschale, um Covid-19-Patienten freie Plätze anbieten zu können. Diese Forderung ist bundesweit von den Krankenhausgesellschaften artikuliert worden.

Sie sehen, die Situation ist alles andere als entspannt und die aktuellen Schutzmaßnahmen sind weiterhin erforderlich, auch wegen der Rolle, die der Schulbetrieb beim aktuellen Infektionsgeschehen einnimmt.

Ruhrbarone: Die Kultusminister der Länder betonen regelmäßig, dass der Schulbetrieb nicht bzw. nur im geringen Umfang zur Entwicklung des Infektionsgeschehens beiträgt. Zudem sind seit Freitag auch noch Schnelltests an den Schulen möglich. Welche Risiken birgt denn der Schulbetrieb?

Memmeler: Schulen, das beteuern die Kultusminister in Deutschland seit Monaten, sind keine Treiber der Pandemie. Offenbar stimmt das aber gar nicht.

Aktuell sagt der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, Prof. Alexander S. Kekulé:

„An weiterführenden Schulen gibt es schwerste Ausbrüche.“

Die Virologen Prof. Christian Drosten und Prof. Sandra Ciesek bestätigen Kekulé in dieser Aussage.

Professor Kekulé sagt dazu:

„Bei den älteren Schülern, also bei uns Gymnasium, weiterführende Schule, da ist es ganz klar, da sehen wir das Gleiche auf der ganzen Welt, dass es schwerste Ausbrüche gibt. Die Jugendlichen, ich sag mal so 15, 16, 17 Jahre alt, sind ganz starke Treiber der Pandemie. Das ist ohne Wenn und Aber erwiesen. Deshalb müsste man darauf ein größeres Augenmerk legen.“

Kekulé plädiert dafür, in den weiterführenden Schulen umgehend auf Wechselunterricht umzustellen, um die Abstandsregel in den Klassenräumen einführen zu können. Auch das Robert-Koch-Institut empfiehlt, in Risikogebieten ab einem Inzidenzwert von 50 Neuinfizierten innerhalb von einer Woche auf 100.000 Einwohner die Schulen in den Wechselunterricht zu nehmen.

Derzeit hält sich kein Bundesland daran.

Die Kultusminister der Länder berufen sich bei ihren Entscheidungen auf eine Datenbasis, die aus Sicht vieler Lehrerverbände zumindest tendenziös erstellt wurde, um den Schulbetrieb in der jetzigen Form aufrechterhalten zu können.

Die zu Rate gezogenen Daten zeigen beispielsweise, dass die Inzidenz (Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen) seit Wochen bei den 20 bis 29-Jährigen am höchsten ist. Das heißt, dass offenbar vor allem junge Erwachsene die Pandemie-Treiber sind. Damit scheinen viele Bildungspolitiker in ihrer Auffassung bestätigt zu werden, dass Schulen keine sonderlichen Pandemie-Treiber sind.

Die Inzidenz bei Teenagern im Alter zwischen 10 und 19 Jahren ist zwar hoch, aber immerhin niedriger als in anderen Gruppen oder vergleichbar. Und so beschlossen Bund und Länder am vorigen Mittwoch, dass Schulen weiterhin offen bleiben sollen und dort – wo irgend möglich – auch weiter Präsenzunterricht stattfinden soll.

Recherchen von kritischen Reportern zeigen allerdings, dass die RKI-Zahlen in den offiziellen Lageberichten irreführend sind. Eine Ausdifferenzierung bei den Altersgruppen wäre sinnvoll und hilfreich, um die Risiken besser bewerten zu können. Schaut man sich die Zahlen differenzierter an, sieht die Lage bei Teenagern viel dramatischer aus.

Sehr klar und transparent aufbereitet werden die RKI-Zahlen beispielsweise von der privaten Website corona-data.eu. Bei deren Aufbereitung der Zahlen zeigt sich: Am höchsten ist die Inzidenz bundesweit in den letzten Wochen bei den 15- bis 19-Jährigen sowie den 20- bis 24-Jährigen gewesen. In den am meisten vom Coronavirus betroffenen Bundesländern ist die Inzidenz speziell bei den 15-19-Jährigen eindeutig am höchsten.

SPD-Politiker und Epidemiologe Karl Lauterbach bestätigt das:

„Wenn man sich die Altersgruppen in 5er-Schritten anschaut, ist das Problem in der Altersgruppe zwischen 15 bis 19 Jahren am größten.“

Diese Gruppe in der Statistik mit den 10- bis 15-Jährigen zusammenzulegen, sei nicht sinnvoll, da viele der jüngeren Kinder asymptomatisch seien, aber mutmaßlich infiziert.

Lauterbach weiter:

„Das Zusammenzulegen der 10 bis 15-Jährigen mit den 15 bis 19-Jährigen verdünnt die Inzidenz künstlich.“

Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität betätigt diese Aussage ebenso wie Prof. Dr. Jörg Timm, Direktor des virologischen Universitätsinstituts in Düsseldorf. Beide äußerten deutlich ihr Unverständnis darüber, dass die Politik auf diese Erkenntnisse nicht reagiert – und die Bundesländer weiterhin praktisch uneingeschränkt am Präsenzunterricht für alle Altersgruppen festhalten.

Diese bislang von den Kultusministern ignorierten Erkenntnisse der Wissenschaft, sollen nun durch die Ermöglichung von Schnelltests an Schulen weiter verklärt werden. Bislang dürfen Antigen-Schnelltests nur von medizinisch geschultem Personal durchgeführt werden. Möglich wurde das durch die kürzlich beschlossenen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes und durch eine Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung, die seit Freitag in Kraft ist.

Der Städtetag Nordrhein-Westfalen warnt vor einer zu schnellen Einführung von Corona-Selbstests an Schulen und in Kitas. Wenn Lehrer und Erzieher die Tests selbst durchführen sollten, brauchten sie eine fachkundige und praxistaugliche Anleitung, sagte der Geschäftsführer des Städtetags NRW, Dedy. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Wieler, schlug kurzerhand vor, Hygienebeauftragte an Schulen und Kitas zu benennen, um möglichst fehlerarme Testungen zu ermöglichen.

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sprach von einer „verkehrten Welt“ in der Corona-Krise:

„In der Altenpflege fehlen Schnelltests.“

Massive Warnungen vor Selbsttests kamen auch vom Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte und von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Die Sensitivität sämtlicher Corona-Tests hänge ganz entscheidend von der Qualität der Abstrichentnahme ab, erklärten die Präsidenten der beiden Verbände. Unsachgemäß durchgeführte Testungen durch Laien könnten falsche Ergebnisse zu Folge haben, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Falsche negative Testergebnisse würden somit eine Sicherheit suggerieren, die es nicht gibt, wenn diese Testungen etabliert würden.

Eugen Brysch konkretisierte den aktuell bestehenden Ressourcenmangel bei Schnelltests noch um einen weiteren Aspekt:

„In der Altenpflege fehlen Schnelltests. Gleichzeitig werden Corona-Schnelltest-Zentren aus dem Boden gestampft, um den schnellen Euro zu machen.“

Ähnlich äußerte sich auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein. Antigen-Schnelltests seien derzeit nicht in ausreichender Anzahl flächendeckend vorhanden, um mit Blick auf die bevorstehenden Weihnachtstage jeden Patienten ohne Symptome zu testen.

Das aktuelle Dilemma kann also wie folgt zusammengefasst werden. Wegen verfälschend zusammengefasster Daten, haben die Kultusminister, zumindest für weiterführende Schulen, zweifelhafte Entscheidungen getroffen. Schnelltests an Schulen könnten eine Sicherheit suggerieren, die es nicht gibt. Lehrerinnen und Erzieher müssten ad hoc damit klarkommen, getesteten zu vermitteln, dass ein positiver Testbefund vorliegt.

Eine Mangelressource (Schnelltests) wird für die Pflegedienste und Seniorenheime zusätzlich verknappt, um potentiell falsche Entscheidungen zum Schulbetrieb zu stützen. Kommerziell angebotene Schnelltests verknappen die Ressource weiter und liefern eine Momentaufnahme, die unsere Mitmenschen eventuell dazu veranlasst, sich sorgenfrei zu bewegen.

Da wirkt es doch schon fast beruhigend, wenn die Pharmazeutische Zeitung berichtet:

„Wer sich im vergangenen Winter gegen Grippe impfen ließ, hatte während der ersten Welle der Corona-Pandemie ein geringeres Infektionsrisiko für SARS-CoV-2 als Ungeimpfte, zeigt eine aktuelle Studie aus den Niederlanden. Der Grund könnte ein Training des Immunsystems sein.“

Wissenschaftler um Priya A. Debisarun von der Radboud Universität in Nijmwegen/NL und Kollegen von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf fanden heraus, dass eine Risikoreduktion um 39 Prozent für die erreichbar ist, die sich gegen Grippe impfen lassen.

Ruft also Euren Hausarzt an und erkundigt Euch nach eventuell noch vorhandenen Impfmöglichkeiten, statt die knappen Ressourcen an Schnelltests weiter zu reduzieren, indem Ihr die kommerziellen Angebote nutzt, die derzeit überall aus dem Boden sprießen.

Ruhrbarone: Na dann, Frohe Weihnachten. Scheinbar fehlt vielerorts noch ein eindeutiger Fahrplan, um risikoärmer ins neue Jahr  zu starten. Dafür scheinen auch die Aussagen vieler Ministerpräsidenten zu sprechen, die aktuell immer wieder längerfristige Strategien fordern. Hilft jetzt nur noch das Hoffen auf den bald bereitstehenden Impfstoff?

Memmeler: Ich habe mich in den vergangenen Wochen über diverse Messengerdienste mit wirklich kompetenten Bevölkerungsschutzexperten ausgetauscht und gemeinsam mit ihnen den Kopf geschüttelt, als wir lesen mussten, dass beispielsweise Herr Laschet, aber auch andere Ministerpräsidenten, einen Plan einforderten. Seit inzwischen über acht Monaten „daddelt“ die Politik nur herum, obwohl alle erforderlichen Empfehlungen vorhanden sind.

In dieser Woche durften wir lesen, dass der Bund als Konsequenz aus der Corona-Krise an 19 Standorten in Deutschland eine Nationale Gesundheitsreserve mit wichtigem Material wie Schutzmasken aufbauen will. Demnach soll die Reserve bis Ende 2021 vor allem mit schon beschafften Masken gefüllt werden, dann mit Material aus inländischer Produktion.

Ständig vorgehalten werden soll der Bedarf des Gesundheitswesens und des Bundes für einen Monat. Die Notwendigkeit dieser Reserve wurde bereits in der Drucksache 17/12051 des Bundestages vom 03.01.2013 beschrieben, die wir bereits mehrfach als Drehbuch für das Jahr 2020 beschrieben haben.

Die „Impfstrategie in der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung der Ausbreitung der Neuen Influenza A(H1N1) im Pandemiefall“ Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes WD 9 – 100/09 aus dem Jahr 2009 hätte frühzeitig zur Planung der jetzt zu errichtenden Impfzentren herangezogen werden können, statt jetzt in Aktionismus zu verfallen.

In dem Papier zur Impfstrategie wird auch der bundesdeutsche Pandemieplan zitiert, der seinen Ursprung im Jahr 2005 hatte. Ich wiederhole 2005!

„Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit Jahren auf eine Influenzapandemie vorbereitet. Grundlage der Strategie zur Eindämmung der Ausbreitung der Neuen Influenza A(H1N1) ist der Nationale Pandemieplan, der in den letzten Jahren in allen Details gemeinsam von Bund und Ländern ausgearbeitet wurde. Das Robert-Koch-Institut hat den gemeinsam von Bund und Ländern getragenen Nationalen Influenzapandemieplan erstmals Anfang 2005 und eine aktualisierte Fassung im Mai 2007 veröffentlicht. Der Nationale Pandemieplan enthält einen Überblick über die Maßnahmen (Teil I1), phasenorientierte Aufgaben und Handlungsempfehlungen (Teil II2) und erläutert die wissenschaftlichen Zusammenhänge der Pandemieplanung (Teil III3). Im Anhang zum Influenzapandemieplan sind grundlegende fachliche Empfehlungen und Checklisten enthalten. Der Nationale Pandemieplan wird gemeinsam und kontinuierlich von Bund und Ländern aktualisiert, regelmäßig von Experten überprüft und fortgeschrieben. Außerdem trugen Übungen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, dazu bei, die Abläufe für den Notfall einzuüben und Schwachstellen zu identifizieren. Der Nationale Pandemieplan gibt einen Rahmen vor, der die Grundlage für die Pandemiepläne der Länder und die Ausführungspläne der Kommunen bildet.“

Arbeiten in den Bundes- und Landesministerien nur noch Messies? Oder anders gefragt: Warum ist es offensichtlich nur für Bevölkerungsschützer wie Albrecht Broemme, Hartmut Ziebs; Bernd Schneider oder selbst für mich so einfach diese vorhandenen Ausarbeitungen zu finden? Eine Pandemie ist der ungeeignetste Zeitpunkt, um sich durch populär wirkende Entscheidungen beliebt machen zu wollen.

Noch einmal – der Fehler war und ist, Staatskanzleien dazu zu ermächtigen, durch diese Pandemie zu führen, statt stabsmäßig organisierte Strukturen aufzubauen, die den Innenministerien unterstehen, die all diese Papiere kennen und liebend gerne zur Anwendung gebracht hätten.

Stattdessen hat man seit acht Monaten versucht, sich Fachlichkeit bei von Eigeninteressen geprägten Verbänden einzuholen, indem man das Bundesgesundheitsministerium durch das Infektionsschutzgesetz in die Führungsposition versetzte.

Seit Mai 2007 existiert die Druckschrift des BBK „Betriebliche Pandemieplanung – Kurzinformation der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Influenzapandemieplanung in Unternehmen“ und in 2020 wurden immer wieder eiligst neu formulierte Hinweise zum Schutz von Mitarbeitenden formuliert.

Die Liste von in 2020 bereits ignorierten Ausarbeitungen aus den letzten 20 Jahren ließe sich noch sehr lange fortsetzen, weshalb es für die Experten des Bevölkerungsschutzes langsam unerträglich wird, immer wieder hören zu müssen, dass sich unsere Ministerpräsidenten einen Plan herbei sehnen. Hätte man die sicherlich nicht unbedingt populären Hinweise aus vorhandener Expertise ernst genommen, befänden wir uns jetzt nicht in einer so prekären Situation, denn zur Expertise zählte auch der Hinweis auf eine notwendig klare Ansprache, die Schutzmaßnahmen erklärt, statt von schwierigen Einschränkungen zu sprechen.

Vorausdenken gehört ebenfalls zu den in den Papieren immer wieder zu lesenden Empfehlungen. Ein Ferienende und den damit verbundenen Schulstart hätte man ebenso vorbereitet gestalten können, wie den Herbst, der uns diese zweite Welle brachte und den Winter, den wir nun gemeinsam so gestalten müssen, dass er nicht im Desaster endet.

Wie sehr viele der aktuellen Entscheidungen von Aktionismus geprägt sind, zeigt auch eine aktuelle Beschaffungsmaßnahme, die aus Mitteln des coronabedingten Konjunktur- und Krisenbewältigungspaketes der Bundesregierung getätigt wird. Die Bundeswehr meldet die Beschaffung von 1.000 neuen ungeschützten Lkws, deren Finanzierung aus diesen Mitteln getätigt wurde.

aktuelle Entscheidungen von Aktionismus geprägt

Der Auftrag hat einen Wert von rund 398 Millionen Euro und wurde an Rheinmetall vergeben. Lieferant der Lkws ist Rheinmetall, da es sich bei den Fahrzeugen um den Abruf eines am 5. Juli 2017 durch das Bundesamt für Ausrüstung Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw) erteilten und auf sieben Jahre angelegten Rahmenvertrages handelt.

Diese Beschaffung hätte also aus dem regulären Verteidigungsetat getätigt werden müssen. Offensichtlich mussten aber noch rasch 398 Millionen Euro raus und der Beschaffer hat aus dem Bundesgesundheitsministerium erfahren, dass man derzeit nicht weiß, wo man die im ersten Halbjahr eiligst beschafften Beatmungsgeräte verklappen soll, die nicht von den Bundesländern und den Kliniken abgerufen wurden, weshalb Konjunkturmaßnahmen im Gesundheitswesen gerade besser unterbleiben sollten.

Diese kurze Aufzählung von Versäumnissen der letzten acht Monate und der aktuelle Blick auf den betriebenen Aktionismus zeigt, warum wir nun gerade alle gebannt auf den Impfstoff warten, der uns unlängst in Aussicht gestellt wurde.

Die Skizze zur Impforganisation in Nordrhein-Westfalen mit Stand vom 24.11.2020 beschreibt die aktuelle Situation wie folgt:

„Aufgrund der limitierten Menge an Impfstoff ist eine zentrale Koordination der Abflüsse aus dem Zentrallager erforderlich, um die Menge des zur Verfügung stehenden Impfstoffs auf die Impfzentren zu verteilen (unter Berücksichtigung des jeweiligen lokalen Bedarfs – etwa aufgrund der zu versorgenden Bevölkerungsgröße). Diese Aufgabe muss beim Land liegen. Zurzeit bestehen weiterhin erhebliche Unsicherheiten bzgl. der Auslieferungszeitpunkte und -mengen eines Impfstoffes. Insofern kann nicht garantiert werden, dass die Bereitstellung eines Impfstoffs durch das Land an die Impfzentren in kontinuierlich gleichen Größenordnungen folgen wird.“

Im Bereich der Zuständigkeit von Kreisen, kreisfreien Städten und der Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgt in allen Abschnitten der Hinweis:

„Sofern erforderlich, können sie durch lokale Hilfsorganisationen oder weitere Akteure unterstützt werden.“

Weiter unten dann wird die Beauftragung der Hilfsorganisationen konkret benannt:

„3.4 Hilfsorganisationen
Der Einsatz von Hilfsorganisationen kommt insbesondere für die Errichtung/Einrichtung der Impfstellen, zur Registrierung der Impflinge sowie zur Unterstützung der mobil aufsuchenden Impfteams in Betracht.
Ihre Beauftragung erfolgt durch die Kreise und kreisfreien Städte bzw. die Kassenärztlichen Vereinigungen in eigener Zuständigkeit.“

Erneut wird der Bevölkerungsschutz in dieser Pandemie herangezogen, um eine möglichst rasche Umsetzung zu ermöglichen. Das ist in der jetzigen Situation auch gut und richtig. Der jetzige Aktionismus, der erneut große Mittelabflüsse an die Beteiligten mit sich bringen wird, hätte aber besser vorbereitet sein können, wenn die in den bereits einige Male erwähnten Papieren benannten Empfehlungen im Jahresverlauf Berücksichtigung gefunden hätten.

Die Skizze zur Impforganisation in Nordrhein-Westfalen mit Stand vom 24.11.2020, wie auch die Papiere der übrigen Bundesländer, ist dazu geeignet, einen geregelten Ablauf der anstehenden Massenimpfung zu ermöglichen.

Bis es so weit ist, dass die Impfungen zur Eindämmung der Pandemiefolgen beitragen, müssen wir uns nun alle noch etwas zusammenreißen und die Feiertage verantwortungsvoll verleben.

Ruhrbarone: Einen besinnlichen Advent und vielen lieben Dank!

 

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Robert Müser
Robert Müser
4 Jahre zuvor

Zu Beginn wieder den üblichen Dank an Magnus Memmeler für die klaren und deutlichen Aussagen.

Bei manchen Akteuren in der föderalen bundesdeutschen Politik frage ich mich langsam, ob das Corona-Virus mittels Fernwirkung gewisse Schäden im logischen Denken ohne tatsächliche Infektion ausgelöst hat.

Auf der einen Seite Maßnahmen verschärfen und Kontakte reduzieren, um dann über Weihnachten alles zuzulassen. Wie bescheuert ist dies eigentlich? Schaue ich nach Kanada oder die USA, wo nach den dortigen Thanksgiving-Feiern die Zahlen durch die Decke gegangen, so muss man kein Prophet für die kommende Entwicklung hierzulande sein.

Bei der Schulpolitik muss man fast zu der Überzeugung kommen, dass die hiesigen Verantwortlichen der Schulpolitik einer Sekte angehören, die fest an die Nichtübertragung durch Schüler glaubt. Die Fallzahlen der betroffenen Schüler in Quarantäne oder geschlossenen Schule spricht da Bände. Die derzeitige Inhaberin des Ministersessels in Düsseldorf irrlichtert in diesem Sinne zielsicher von Fettnapf zu Fettnapf und richtet immer mehr Chaos an.

Was für meine Begriffe fehlt ist die klare Ansage der Politik, dass es so nicht weiter gehen kann, aber scheinbar verheddert man sich hier im föderalen Klein-Klein …

Magnus Memmeler
Magnus Memmeler
4 Jahre zuvor

Herzlichen Dank Robert Müser.
Aus den von Ihnen genannten Gründen habe ich zu Beginn die trockenen Zahlen durch hoffentlich wach rüttelnde Beispiele ersetzt.
Ein weiteres Problem sind sehr viele ignorante Menschen.

Peter Mohr
Peter Mohr
4 Jahre zuvor

Vielen Dank für die kompetente Aussagen und die berechtigte Kritik am Umgang mit der Pandemie. Von mir noch zwei konkrete Beispiele bezogen auf die Schnelltests. In einer Mülheimer HNO-Praxis gibt es Schnelltests, laut Aussage des HNO-Arztes kosten die Tests zwischen 50 und 100 €. Der Preis richtet sich nach der ärztlichen Gebührenordnung und nach Angebot und Nachfrage. In der Konzerthalle am Centro OB werden Schnelltests für 40 € angeboten. Dort ist das Ziel mehrere 100 Schnelltests täglich durchzuführen.
Meine Beispiele beziehen sich auf Berichte der Lokalzeit Ruhr letzte Woche. Es ist ein Skandal, dass Altenheime immer noch nicht flächendeckend mit Schnelltests versorgt sind, während andere Anbieter ausreichend Tests anbieten.

Helmut Junge
Helmut Junge
4 Jahre zuvor

Müser, die Fehler in der Schulpolitik liegen schon länger zurück. Das kann man am Verhalten der heutigen Politiker doch überdeutlich erkennen.
Aber Wir werden am 2. Weihnachtstag auch für etwa eine Stunde zusammen sein, Opa,Oma, Eltern und zwei kleine Enkel. Das sind 6 Personen eng mit einander familiär verbunden für eine Stunde.
Wochenlang haben wir unsere Nachkommen nicht gesehen. Aber dann für eine Stunde mit Masken. Wer das stirnrunzelnd zur Kenntnis nimmt, versteht nicht was "Familie" bedeutet. Und die Mehrzahl unserer Politiker versteht das auch nicht. Man weiß, daß gerade "zwischen den Jahren" die Selbstmordrate ansteigt. Die wird wegen der Einschränkung in diesem Jahr zunehmen.
Ältere Leute sind so oder so oft genug einsam und depressiv.
Ich bin nicht mit allem einverstanden, was unsere Politiker beschließen, obwohl ich mich an die Anordnungen halte. Ich habe keine Alternative, denn wir bewegen uns auf unbekanntem Terrain und die Opposition weiß den Weg auch nicht, will aber vom Weg runter. Nur links und rechts ist ein tiefer Abgrund. Da lauf ich lieber hinter dem Bergführer her, der sich zwar dauernd irrt, aber wenigstens den Abgrund meidet.
Wenn ich Lebensmittel einkaufe, treffe ich einige Hundert fremde Menschen auch etwa eine Stunde.

Walter Stach
Walter Stach
4 Jahre zuvor

Helmut Junge,
ich empfinde ähnlich und ich verhalte mich ähnlich wie Du.

Weihnachten 2020 wird das ungewöhnlichste Weihnachtsfest meines Lebens -und das meiner Frau-werden -auch im Verlgeich zu den durchaus dramatisch zu nennender Weihnachtstagen 1944/1945. Das gilt für alte Menschen wie für mich nicht zuletzt angesichts der durchaus realistischen Erwägung, es könnte das letzte Weihnachtsfest meines Lebens werden.

Helmut Junge,
ich denke, "wir" werden wie mit so viel anderem in unserem Leben auch damit "so oder sog" fertig werden. Dabei hilft mir auch das Nach- und das Bedenken der persönlich/familiären Situation vieler, vieler Menschen in Nah und Fern, die gemessen an meiner/an unserer Lage unvergleichlich , ja katastrophal schlechter ist – eben auch und nicht zuletzt an den Weihnachtstagen-.

Gerald Mohn
Gerald Mohn
4 Jahre zuvor

Das hier ist mein liebste Realsatire Reihe. Ich freue mich schon auf die kommenden 100 Artikel. Im Prinzip ist es ja immer das Gleiche, so ähnlich wie die englische Komödie zu Sylvester. Der Autor sollte sich allerdings nicht weiter radikalisieren, es könnte sonst unschön enden. Und das wollen wir ja nicht.

Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
4 Jahre zuvor

@#6
Ich kann hier leider nicht folgen. Was hat der Autor falsch gemacht? Die Fehler sind leider viel früher von übergeordneten Stellen gemacht und immer gerne wiederholt worden (s. mögl. Stabsführung).
Warum der Übermittler der schlechten Nachrichten immer einen auf den Dets bekommt, erschließt sich mir nicht.
Ich drücke es gerne etwas ketzerisch aus: Politiker können solch eine Krise nicht lösen. Wenn sie etwas könnten, wären sie keine Politiker geworden.
Allgemein:
Ich bin erschüttert, daß sechzehn Ministerbräsis nicht in der Lage sind zu erkennen, daß ihre Bewohner der Kultusministerien fehl am Platze sind. Weder inhaltlich (PISA), noch organisatorisch (CORONA). In den Schulen sieht es -bis auf rühmliche Ausnahmen- nicht anders aus. Meine Lösungsvorschläge behalte ich für mich, aber sie beinhalten immer einen Uniformträger bis hin zu Gunnery Sergeant Hartman.
Jedenfalls vielen Dank für diese Wahrheiten an Herrn Memmeler!

Magnus Memmeler
Magnus Memmeler
4 Jahre zuvor

@Peter Mohr: Kuriose Preise, die da für Schnelltests verlangt werden. Allgemeinmediziner verlangen für diese IGEL Leistung in der Regel 20,00 €. Laut KV können Kassenärzte 15,00 € abrechnen, wenn sie Mitarbeitende von anderen Ärzten testen. Bei eigenen Angestellten werden den Ärzten lediglich 7,00 € erstattet, was dazu führt, dass kaum ein Arzt seine eigenen Mitarbeitenden testet.

Memmeler
Memmeler
4 Jahre zuvor

@ Gerald Mohn: Ich gebe gerne zu, dass ich bewusst sehr eindrucksvolle Vergleiche gewählt habe, um zu verdeutlichen, was täglich über 400 Todesfälle bedeuten. Ich denke, dass es leider einigen Mitmenschen noch nicht klar war, da der Nachbar und die Verwandten bisher glücklicherweise nicht betroffen waren.

Memmeler
Memmeler
4 Jahre zuvor

@Helmut Junge und Walter Stach: Ich denke nicht, dass jemand etwas dagegen hat, wenn sich zu Weihnachten Familien in einem verantwortungsvoll gestalteten Rahmen treffen und sich endlich wieder begegnen können.
Nur am 27.12 müssen Lockerungen dann auch unbedingt enden, denn was zwischen Weihnachten und Neujahr passieren wird, hat nichts mit besinnlichen Weihnachten im Kreis der Familie zu tun.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest und ein gesundes Jahr 2021

Helmut Junge
Helmut Junge
4 Jahre zuvor

Danke Herr Memmeler Ihnen auch ein schönes Weihnachtsfest und ein gesundes Jahr 2021
Vor allen Dingen gesund bleiben und hoffen, daß sich die Natur, oder wer auch immer nicht noch aggressivere Viren mit noch längerer Inkubationszeit ausdenkt. Denn wenn das geschehen sollte, ist die geplante Erhöhung des Wehretats komplett sinnlos. Könnte sein, daß wir alle noch einmal darüber jammern, das schöne Geld nicht in die Virenforschung gesteckt zu haben.

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