Eine fussballtypische Sentenz lautet: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Auf eine ausgewachsene Pandemie angewendet, kann das vieles bedeuten. Letzte Woche wurde gelockert, was das Zeug hielt. Das Wetter entwickelt sich sommerlich. Alles und alle drängen ins Freie. Restaurants und Kneipen haben mittlerweile geöffnet – unter bestimmten Auflagen.
Mit den Aspekten einer App, mit der sich persönliche Kontakte nachverfolgen lassen, wird mehr datenschutzrechtlich lamentiert, als dass irgendjemand erkennt, dass diese App nicht in Deutschland entwickelt werden wird, weil es hier keiner kann. Die Situation im realexistierenden Kapitalismus zeigt sich mit auftretenden Infektionsherden bei Westfleisch und anderen ausbeuterischen Betrieben. Man wußte schon lange, wie Werkvertragsarbeiter dort gehalten und wie sie behandelt werden. Bislang hat es aber keine Aufsichtsbehörde interessiert. Das scheint sich im Angesicht der Infektionsgefahr zu ändern. Interessant ist, wie Verschwörungsschwurbeler und rechtes Pack mit Lügen und Hetze frei drehen und einige Politiker Verständnis für diese „besorgten Bürger“ zeigen. Und so langsam wird vielen erst bewusst, was das alles kosten wird.
Ruhrbarone: Insgesamt ist die Entwicklung der Neuinfektionen und der damit einhergehenden Gefährlichkeit der Pandemie positiv zu sehen. Ist das ein Grund aufzuatmen? Waren wir in den letzten Wochen zu pessimistisch?
Magnus Memmeler: Wir befinden uns doch in guter Gesellschaft. Genau wie zahlreiche ernst zu nehmende Wissenschaftler, kommt es auch bei uns von Woche zu Woche zu größeren Erkenntnisgewinnen. Auch diesen Wissenschaftlern wird zunehmend lauter der Vorwurf gemacht, alles dramatisiert zu haben und zu viel zu weitreichenden Maßnahmen aufgefordert zu haben. Ich sehe das so, wie ich es damals schon meinen Auszubildenden im Rettungsdienst gesagt habe: „Wer heilt hat Recht!“ Deshalb lautet meine Gegenfrage: „Warum freuen wir uns nicht einfach über die eingetretenen Erfolge, mit denen noch vor wenigen Wochen niemand gerechnet hat?“
Noch ist es zu früh, ein Resümee zu ziehen. Jeden Tag kommt es zu neuen Erkenntnissen. Zu Beginn der Pandemie galt Covid19 als reine Lungenkrankheit. Inzwischen weiß die Medizin, dass der ganze Körper und alle Organe von dem Virus angegriffen werden können. Kinder galten zu Beginn als kaum gefährdet. Später hieß es, Kinder komme zumindest bei der Verbreitung der Viren eine größere Rolle zu als ursprünglich gedacht, weil ihre Mund und Rachenschleimhaut eine erhebliche Virenlast aufweise. Seit einigen Tagen verdichten sich die Hinweise, dass auch Kinder von schweren Krankheitsverläufen betroffen sein können und hierbei völlig andere Symptome aufweisen als Erwachsene. Die Weisheit dieser Tage lautet also: „Unterschätze keinen Feind, den Du nicht kennst.“ Solange uns noch so vieles unbekannt ist, warnen Forscher davor, die Sektkorken knallen zu lassen. Erinnern Sie sich noch daran, als Jens Spahn und auch der derzeit lauteste Mahner der Politik, Prof. Dr. Dr. Lauterbach, im Januar sagten, dass Covid19 der berühmte Sack Reis sei, der in China umgefallen sei? Bereits im Februar hat Herr Lauterbach seine Aussagen korrigiert. Solange wir noch so wenig wissen und kein Impfstoff vorhanden ist, bleibt die 2. Infektionswelle hochwahrscheinlich. Es liegt an uns allen, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass diese 2. Welle eher Ostseecharakter hat und keine atlantische Größe erreicht. Bleiben wir einfach noch vernünftig und angemessen unaufgeregt.
Ruhrbarone: Unaufgeregt ist ein gutes Stichwort. Selten haben sich in der Bundesrepublik kontroverse Meinungen so polarisierend gegenüber gestanden, wie es derzeit der Fall ist. Die Geisterspiele der Bundesliga, Proteste von „Widerstand 2020“ und Wirtschaftsinteressen prägen die Nachrichten. Was halten Sie als Fussballfan vom Restart der Bundesliga und was lösen die Bilder der Corona-Proteste bei Ihnen aus?
Memmeler: Mich erinnern die Bilder dieser „Proteste“ erschreckend stark an die Pegida-Aufmärsche in Dresden. Nicht nur weil diese Proteste von extremen Rechten geprägt und genutzt werden, sondern weil uns hässliche, menschenverachtende und unsäglich dumme Aussagen entgegengespuckt werden. Zuallererst sollten wir aufhören von Verschwörungstheorien zu sprechen, denn das Wort Theorie beinhaltet ein gewisses logischen, eventuell sogar wissenschaftliches Betrachten von Fakten, die dann bewertet werden. Der Begriff Verschwörungsmythos erscheint mir viel geeigneter, wenn man über diese Ansammlungen berichtet. Sie missachten regelmäßig die sinnvollen Allgemeinverfügungen, tragen keine Masken und halten den Abstand nicht ein. Epidemiologien und Virologen halten diese Ansammlungen zu Recht für extrem gefährlich, da hier nur wenige Virusträger ausreichen können, um ein neues Ischgl oder Heinsberg zu provozieren. Aus meiner Sicht gefährden die Teilnehmer an diesen Veranstaltungen schlicht Ihre und meine Gesundheit und tragen auf fatale Art und Weise dazu bei menschenverachtende Thesen erneut salonfähig zu machen.
Beim Bundesligastart hatte ich tatsächlich zwei Sorgen. Zunächst die Sorge, dass einige bekennende Ultras die Distanzvorschriften um das Derby nicht einhalten würden. Diese Sorge ist seit gestern gewichen, da die Fans zu Recht von der Polizei für vernünftiges Verhalten gelobt wurden. Die zweite Sorge war, dass die Aluhutträger dieser Tage die Aufmerksamkeit rund um den Liganeustart ausnutzen würden. Auch das fand nicht statt und wird hoffentlich auch so bleiben. Die Wohltätigkeitsveranstaltungen, die derzeit unter Zuschauerausschluss in den Stadien stattfinden, um Fernsehgelder zur Rettung von Fußballclubs zu generieren, waren für einen Fußballfan eine befremdliche Erfahrung. Die Bilder aus den Stadien kamen schon extrem blutleer rüber. Der erste Spieltag bei diesem Feldversuch hat aber auch wieder die Risiken dieses Experiments offenbart. Wie im wirklichen Leben, gab es auch beim Liganeustart unbelehrbare Idioten. Die Verantwortlichen von Herta BSC Berlin sollten über eine Umbenennung zu BSE nachdenken. Erneut sticht der Hauptstadtclub heraus, wenn es gilt zu beweisen, dass Fußballer nun mal nicht vom Genie geküsst wurden. Leider, wie im richtigen Leben, bleiben die Verstöße der Spieler ohne Sanktionen. Sinnbildlich scheint dieser Liganeustart die Risiken zu bebildern, die auch bei allen weiteren Lockerungen bestehen. Die Vernunft der Bürger ist weiterhin gefordert und muss gut moderiert aufrechterhalten werden.
Ruhrbarone: Heinsberg macht erneut Schlagzeilen, wenn es um Neuinfektionen geht. Nach Schlachthöfen, macht nun ein Logistikunternehmen Schlagzeilen. Sind die Menschenansammlungen in diesen Großbetrieben ein Risiko?
Memmeler: Jein. Natürlich sind Menschenansammlungen, besonders in geschlossenen Räumen, immer risikobehafteter, als dies im öffentlichen Raum unter freiem Himmel der Fall ist. Dies wurde in einem aktuellen Versuch sehr eindrucksvoll bewiesen, als es um die Risikobewertung zur Öffnung von Gastronomiebetrieben ging. In dem Versuch wurde eindrucksvoll belegt, dass trotz Abstandsregelung in nur 30 Minuten fast alle Kontaktoberflächen virusbelegt waren, auch wenn sich nur zwei infizierte Personen im Raum befunden hatten. Hier hilft nur Lüften. Aus diesem Grund wird derzeit auch die Empfehlung ausgesprochen, Gastronomie bevorzugt in Biergärten zu nutzen.
Bei Schlachthöfen, Erntehelfern und in der Logistikbranche dürften aber wohl eher Missachtungen von bestehenden Arbeitsschutzbestimmungen auslösendes Moment für massenhafte Infektionen sein. Im Rhein-Sieg-Kreis hat unlängst ein Streik von Erntehelfern in einem Spargelbetrieb für einen Polizeieinsatz geführt, der vom Spargelbauern ausgelöst wurde, da dieser Arbeitsverweigerung beklagte. Bei diesem Polizeieinsatz und der anschließenden Prüfung durch die Gewerbeaufsicht wurden eklatante Verstöße gegen bestehende Auflagen zur Unterbringung und zu bestehenden Hygienevorschriften festgestellt. Identische Feststellungen machte man bei zahlreichen Schlachtbetrieben im Bundesgebiet, in denen es zu zahlreichen Infektionen gekommen ist.
Auch die Paketdienste, in Heinsberg ist ein DPD Standort betroffen, hat in der Vergangenheit nicht damit geglänzt, die besten Voraussetzungen zu bieten, um Arbeitsschutz zu garantieren. Warum können, dürfen und müssen wir dies hier thematisieren, wo wir doch über die Sicht des Katastrophenschutzes reden wollen? Wir dürfen dies, weil Katastrophenschutz auch stets die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit von systemrelevanten Infrastrukturen betrachtet. Im Kontext von Pandemien, muss also auch die Umsetzung von Arbeitsschutz geprüft und kritisch betrachtet werden, da diese darauf ausgelegt ist Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Die vom Bundesarbeitsministerium aktuell vorgegebenen Gefährdungsbeurteilungen für Unternehmen und Unternehmensteile und die damit verbundenen Verhaltensregeln sind dazu ausgerichtet, Neuinfektionen in Betrieben zu vermeiden und somit eine möglichst sichere Reaktivierung von Betrieben zu ermöglichen. Begleitet wird all dies durch die Vorschriften des IFSG, welches auch die strikte Sanktionierung von Verstößen ermöglichen würde, um die Auswirkungen der Pandemie beherrschbarer zu machen. In Zeiten wie diesen ist Arbeitsschutz auch Katastrophenschutz. Leider offenbaren die derzeitigen Infektionsrisiken aber auch, in welchen Branchen wir seit Jahren Nachholbedarf im Arbeitsschutz haben. Geregelte Strukturen bedeuten verbesserte Resilienz.
Ruhrbarone: Aktuell wurde eiligst das sog. 2. Bevölkerungsschutzgesetz durch den Bundestag gebracht. In der vergangenen Woche hatten Sie bereits angedeutet, dass die derzeitigen Aktivitäten des Bundes zu bekannten Reflexen bei den Ländern führen. Wie bewerten Sie das derzeitige Kompetenzgerangel? Welche Änderungen wünschen Sie sich?
Memmeler: Sie sprechen auf den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drucksache 19/18967) an. Dieses 88-seitige Papier ist eher ein strammer Ritt durch die Bereiche Pflege und Gesundheitsversorgung, um die Kostenträger für die derzeitigen Maßnahmen festzulegen. Konfliktstoff für die derzeitigen Kompetenzregelungen zwischen Bund und Ländern im Katastrophenschutz entstehen hier lediglich durch Neuregelungen im IFSG, die Ermächtigungen des Gesundheitsministeriums beinhalten. Ebenso sind aber auch die Einbringungen von Interessensverbänden deutlich aus dem Gesetz herauszulesen.
Bisher war und ist der Katastrophenschutz Aufgabe der Länder. Der Bund engagierte sich stets ausschließlich im Bereich des Zivilschutzes und traf somit offiziell lediglich Vorsorge für den Verteidigungsfall. Das BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) war und ist hier stets in der unglücklichen Rolle, den Namen der Behörde leben zu wollen und vom Bund stetig auf den Auftrag des Zivilschutzes reduziert zu werden. Dennoch ist es der Behörde in Kooperation mit den Ländern immer wieder gelungen koordinierende Aufgaben im Katastrophenschutz zu übernehmen, wenn es zu länderübergreifenden Ereignissen gekommen ist oder Konzeptionen für die Planung von Maßnahmen bei zum Beispiel flächigem Stromausfall zu ermöglichen. An dieser Stelle ein großes Kompliment an Herrn Unger als Präsident des BBK. Unter Berufung auf die im IFSG nun als erforderlich beschriebenen Kompetenzen des Bundes, beginnt zeitgleich die Diskussion um die Neuregelung der Kompetenzen des Bundes im Katastrophenschutz. Nun befürchten die Länder, die bisher häufig mit den Vorbeugemaßnahmen im Katastrophenschutz allein gelassen wurden, eine größere Einmischung des Bundes, was auch zu den ersten Reflexen, zum Beispiel von Herrn Reul, Innenminister in NRW, geführt hat. Bereits unter Innenminister Schily gab es unter dem Arbeitstitel „Katastrophenschutz aus einem Guss“ einen ersten Vorstoß, um die Kompetenzen des Bundes im Katastrophenschutz zu stärken. Gescheitert ist dieses Konzept damals an der erforderlichen Verfassungsänderung, die am Widerstand der Länder gescheitert ist. Kurios ist tatsächlich, dass der neuerliche Vorstoß, der sich hinter dem Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sehr gut verbergen lässt, dieses Mal von fast allen Fraktionen im Bundestag mitgetragen wird. Die Grünen fordern gar eine vergleichbare Struktur, wie diese im Polizeibereich durch das Bundeskriminalamt bereits gegeben ist.
Die Länder befürchten, dass der Bund zukünftig ähnlich gesetzgeberisch tätig wird, wie dies beispielsweise bei der Kita-Platzgarantie der Fall war. Eine Befürchtung ist, der Bund könnte Vorhalteverpflichtungen definieren, die Kostenübernahme aber den Ländern überlassen. Diese Sorge um Finanzierung wird begleitet von der Befürchtung, dass gute Konzepte zur Bewältigung von Katastrophen der Länder abgelöst werden durch Konzepte, die ausschließlich auf Ereignisse mit länderübergreifendem Charakter ausgerichtet sind. Ehrlicherweise muss man sagen, dass aber auch viele Eitelkeiten, berechtigter Ärger über das bisherige Auftreten des Bundes und das Festhalten wollen am eigenen Schüppchen hier eine Rolle spielen. Aus Sicht aller namhaften Katastrophenschützer wäre der Mittelweg wohl das Mittel, um ausreichende Akzeptanz bei den Ressortchefs der Länder zu erreichen. Der Bund müsste zukünftig, das ist auch eine Forderung vieler Hilfsorganisationen, ein höheres Maß an finanzieller Verantwortung übernehmen, um Vorhaltung für einen Ereignisfall zu ermöglichen, als dies bisher der Fall war. Zusätzlich muss das BBK als moderierende Behörde genutzt werden, damit die Landeskonzepte im Katastrophenschutz bei länderübergreifenden Lagen koordinierte und effektive Hilfe leisten können. Man könnte sagen, dass bewährte Strukturen gewahrt bleiben müssen und um Antworten auf neue und seit langem bekannte Herausforderungen ergänzt werden müssen. Stattdessen befinden wir uns gerade in einer doch recht beschämenden Kommunikationslage auf allen Ebenen.
Ruhrbarone: Zum Ende unseres letzten Interviews haben Sie hierzu bereits eine Andeutung gemacht. Was geschieht da gerade?
Memmeler: Der Bund präsentiert plötzlich ein Rechtsgutachten der wissenschaftlichen Abteilung des Bundestages aus dem Jahr 2007, in dem quasi die rechtliche Verpflichtung des Bundes herausgearbeitet wird, den Katastrophenschutz verantwortlich zu regeln. Die Länder verweisen, wie auch wir in unseren letzten Interviews, auf bereits seit 2012 bestehende Pandemiepläne, die von aus den Ländern benannten Experten des Katastrophenschutzes und vom Bund ausgewählten Spezialisten erarbeitet wurden, um die eigene Kompetenz im Katastrophenschutz zu belegen. Dadurch dass diese Diskussion über zukünftige Kompetenzen sehr öffentlich ausgetragen wird, was ich aus Gründen der Transparenz sehr gut finde, ist jedoch unabsichtlich auch eine erste Manöverkritik zum bisherigen Krisenmanagement ausgelöst worden. In einem aktuellen Bericht arbeitet die Welt heraus, dass es zu Beginn der Pandemie zu 78 Tagen Verzug gekommen sei, bis der Bund die ersten Maßnahmen in Kraft setzte. In diesem Bericht beruft man sich u.a. auf die seit 2012 vorliegende Blaupause zur Bewältigung von Pandemien, die die Länder als Beleg Ihrer Kompetenzen sehr häufig benannt haben. Ich unterstelle, dass dieser ungewollte Beifang von den Ländern nicht beabsichtigt wurde. Die Redakteure der Welt werden sich aber sicherlich über den ungewohnt geringen Rechercheaufwand gefreut haben. Ob und in welchem Umfang diese ersten Schuldzuweisungen das erforderliche Vertrauen der Bürger schädigen, kann jetzt noch nicht beurteilt werden. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – ich finde es wichtig, dass Fehler benannt und angemessen aufgearbeitet werden. Nur so kann nachhaltiges Krisenmanagement für die Zukunft erreicht werden. Diese Aufarbeitung sollte jedoch unter geregelten Bedingungen stattfinden, um wirklich zielführend zu sein. Dazu können Medien den wertvollen Beitrag leisten, weiterhin aufzudecken, aufzuklären und hierbei die angemessene Headline zu wählen.
Neben der Föderalismusdebatte können wir aber bereits jetzt schon erkennen, wie einzelne Verbände und Interessenvertreter um den Zugriff auf die derzeit bereitwillig bereitgestellten Fleischtöpfe ringen. Im Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite werden die bisher stets im Gesundheitssystem bevorzugten Privatpatienten geschützt, was klar die Einflussnahme der privaten Krankenkassen belegt. Man könnte das Gesetz und die derzeitige Lage jedoch auch nutzen, um eine Bürgerversicherung zu etablieren, damit solche Schutzmaßnahmen zukünftig nicht mehr erforderlich sein müssten. Die richtige und wichtige Debatte über erhöhte Vorhaltung von Schutzmasken und Ausstattung des Katastrophenschutzes führt aktuell dazu, dass sich erste Verbände in Stellung bringen, um möglichst große Teilhabe an der Finanzierung der erforderlichen Infrastruktur zu erlangen. Die ersten Positionspapiere hierzu gehen bereits in den jeweiligen Landesministerien ein und werden durch passende Anschreiben an die jeweiligen Fraktionsspitzen flankiert. Gleiches geschieht auf Bundesebene. Zum zweiten Mal nach der Herausforderung geflüchtete Menschen vor Obdachlosigkeit zu bewahren, sollen Bund und Länder die erbrachte Hilfe nicht nur anerkennen, sondern vorhandene Strukturen ein weiteres Mal finanzieren. Die Vorhaltung, die durch Hilfsorganisationen betrieben wird ist extrem wichtig und stellt einen zentralen Bestandteil unseres Bevölkerungsschutzes dar. Wie im Kita-Bereich, ist auch hier die Betreibervielfalt der Beitrag, der Innovation, Fortschritt und Flexibilität ermöglicht. Meine Befürchtung ist, dass es unter den Hilfsorganisationen erneut zu einer Proporzdebatte kommen wird, statt vorhandene Konzepte gegeneinander abzuwägen, um gute und erforderliche Vorbeugemaßnahmen zu ermöglichen. Konkret – ich denke, dass mir bereits mehrfach begegnete Konzepte reaktiviert werden, mit denen große Logistikeinrichtungen der Organisationen erneut refinanziert werden sollen, die ehemals aus dem stets in der Monstranz vorangetragenen Selbstverständnis der Organisationen betrieben wurden. Erneut wird es zur Debatte um eine Betreuungseinrichtung 5.000 kommen, die dieses Mal mit einigen Hygieneaspekten aufgehübscht wird, um als Behelfsunterbringung in Pandemielagen gewertet werden zu können, die selbstredend auch bei flächigen Stromausfällen genutzt werden könnte. Die Schwerfälligkeit solcher Konstrukte, im Vergleich zu dezentraler Vorhaltung, die bei einer Lage zusammengezogen wird, wurde schon mehrfach belegt. Jetzt wird aber wohl erneut der Vorstoß unternommen werden, mit Masse zu begeistern, statt Klasse zu fördern. Hier wünsche ich mir, dass Politik in den kommenden Wochen auf unabhängige Expertise zurückgreift, statt die immer gleichen Interessensvertreter um Rat zu fragen. Wenn Du einen Teich trocken legen musst, ist der Frosch der falsche Berater.
Bei allen Bedenken habe ich jedoch auch große Hoffnung. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Verbände wie der VdF NRW beispielsweise die nicht vorhandenen Stabsstrukturen in NRW thematisieren wird oder hinterfragt, warum das gut strukturierte Katastrophenschutzrecht in NRW keine Anwendung gefunden hat. Eventuell kommt es ja auch zu einem „Best Practice“ Vergleich unter den Ländern, wo man sich zum Beispiel am unaufgeregten Vorgehen in Hessen orientiert, als das Land die Organisationen flächendeckend mit Stromerzeugern ausstattete, um für einen Blackout gerüstet zu sein. Andere Länder haben nicht einmal die Stromversorgung für den Digitalfunk geregelt, der als wichtigste Kommunikationsform im Katastrophenschutz zwingend auf Stromversorgung angewiesen ist, wenn er länger als 24 Stunden funktionieren soll. Ich freue mich jetzt auf die hoffentlich weiterhin positiven Nachrichten bei Neuinfektionen und die in den Ländern und im Bund hoffentlich aufkeimende Erkenntnis, dass Katastrophenschutz nachhaltige Lösungsansätze und eine gute Vorhaltestrategie benötigt.
Zur Person:
Magnus Memmeler aus Kamen, 52 Jahre, ist seit 31 Jahren Mitarbeiter im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. Davon 25 Jahre hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und Mitglied in Arbeitskreisen des Innenministerium bei der Konzeption von Katastrophenschutzkonzepten.
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