Die Bundesregierung scheint derzeit alles richtig zu machen. Zuerst die zupackende und bestimmte Reaktion auf den Ausbruch der Corona-Krise. Und nun ein mächtiges und ausgeglichenes Konjunkturpaket zur Überwindung der wirtschaftlichen Krise. Deutschland wird zu den Gewinnern der Corona-Pandemie gehören.
Die Corona-Pandemie hat zu einem Einbruch der Wirtschaft geführt, wie wir es in Friedenszeiten seit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht mehr erlebt haben. In einer unglaublich kurzen Zeit von wenigen Wochen kamen ganze Industriezweige zum Stillstand, Millionen Arbeitnehmer wurden de facto beschäftigungslos, die Produktion wurde nicht nur zurückgefahren, sondern komplett eingefroren. Von heute auf morgen mussten Einzelhandel, Tourismus, Gastronomie und kontaktintensive Dienstleistungen brutal eingestellt werden – ohne jede Vorwarnung, ohne Zeit zu Anpassung und Reaktion für die Unternehmen. Auch die Exporte und internationalen Lieferketten brachen ein.
So etwas nennen Ökonomen einen externen Schock, und zu meiner Zeit taten sich die Lehrbücher der Nationalökonomie schwer, überhaupt ein Beispiel für einen derartigen Schock zu benennen außer Krieg oder schwere Erdbeben. Künftig werden sie über ein sehr konkretes Beispiel berichten können.
Unsere Volkswirtschaft ist gleichzeitig von zwei Seiten in die Klemme genommen worden: von der Nachfrage- wie von der Angebotsseite. Nachdem wir die erste Welle der Corona-Pandemie mit – im internationalen Vergleich – überschaubaren Infizierten- und Todeszahlen überstanden haben, kommt es nun darauf an, die Wirtschaft aus ihrer Schockstarre zu befreien. Dafür muss zum einen die Produktion wieder anspringen und zum anderen die Konsumentennachfrage wiederbelebt werden.
Das Letztere ist das schwierigere, weil hier nicht nur rein materiell-ökonomische Aspekte reinspielen, sondern auch psychologische. Die Konsumenten neigen in unsicheren Zeiten nämlich dazu, weniger auszugeben, selbst wenn sie über Geld verfügen und Waren angeboten werden. Sie sind verunsichert und können künftige Entwicklungen noch schwerer abschätzen als sonst. Erst recht dann, wenn sie von Kurzarbeit und Betriebsstillegungen direkt betroffen sind. Aber nicht nur die direkt Betroffenen verhalten sich konsumscheu, sondern auch die relativ schadlos gebliebenen Verbraucher schränken ihre Nachfrage ein, weil sie in den Medien vor Augen geführt bekommen, wie es den direkt Betroffenen geht. Sie wissen nicht, ob und wann sie selbst möglicherweise direkt betroffen sein werden. Dies führt vor allem bei langlebigen Konsumgütern wie Kühlschränken, Waschmaschinen und Autos zu Kaufzurückhaltung und zu mehr Sparen. Letzteres bezeichnen Ökonomen als Vorsichtskasse, die sich die Menschen in unsicheren Zeiten halten.
Und selbst wenn der Ursprung der Krise – hier die Corona-Pandemie – verschwindet oder zumindest nachlässt, so ist es keineswegs gesagt, dass es ökonomisch wieder zur Tagesordnung zurückgeht. Es drohen sogenannte Sperrklinken-Effekte. Unternehmen, die pleitegehen, lassen sich nicht so leicht wiederbeleben und einmal verlorenes Zukunftsvertrauen ist schwer zurück zu gewinnen. Ludwig Erhard, der überragende Wirtschaftspolitiker der deutschen Nachkriegszeit, wusste schon: „Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie.“ Und einer seiner Nachfolger als Wirtschaftsminister, Professor Karl Schiller, sagte: „Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selber.“
Die wirtschaftspolitische Aufgabe des Tages hat also zwei Dimensionen: Zum einen muss angebotsseitig die Voraussetzungen für ein Wiederanspringen der Wirtschaft geschaffen werden. Und zum anderen muss nachfrageseitig die Konsumbereitschaft animiert werden. Die Produktion muss wieder laufen, Dienstleistungen müssen wieder angeboten werden und gleichzeitig müssen die Verbraucher dazu gebracht werden, wieder Geld auszugeben – eine beachtliche Doppelaufgabe ist das.
Dazu hat heute Nacht die Bundesregierung ein ausgewogenes und kluges Konjunkturpaket beschlossen. Es berücksichtigt beide Aspekte des Problems, sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf 130 Milliarden Euro für 2020 und 2021. Das ist eine sehr bemerkenswerte Summe, selbst in der heutigen Zeit, in der wir uns an Zahlenangaben in Milliardenhöhe gewöhnt haben (wer spricht denn heute noch von Millionen?).
Zum einen umfasst das Konjunkturpaket Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage. Dazu gehört die überraschende temporäre Senkung der Mehrwertsteuer auf 16% und 5% (Normalsatz bzw. ermäßigter Satz). Dies ist insofern beachtlich, als dass diese Steuer zu den ertragsreichsten des Fiskus‘ gehört. Ob diese Senkung um immerhin 15% bzw. 28% den Anbietern oder den Nachfragern zugutekommt, wird von den jeweiligen Wettbewerbssituationen in den Teilmärkten abhängen. In wettbewerbsintensiven Märkten wird die Mehrwertsteuersenkung tendenziell zu niedrigen Verbraucherpreisen führen, in weniger preisempfindlichen Märkten werden die Anbieter eher profitieren, weil sie es schaffen ihre Endpreise konstant zu halten und die eingesparte Mehrwertsteuer für sich zu behalten.
Auf jeden Fall ist dies eine sehr begrüßenswerte Maßnahme, weil sie die Aufteilung der Steuerersparnisse dem Spiel von Angebot und Nachfrage überlässt und weil sie am ehesten geeignet ist, die Binnennachfrage zu stimulieren. Zudem profitiert der gebeutelte heimische Einzelhandel davon und weniger die ausländischen Erzeuger. Auch kommen Preissenkungen bei Gütern des Alltagsbedarfs einkommensschwachen Konsumenten relativ mehr zugute als einkommensstarken.
Ähnlich verhält es sich mit dem erhöhten Bundeszuschuss zur EEG-Umlage, der diese für die Verbraucher senken soll. Die deutschen Strompreise sind nämlich drastisch gestiegen in den letzten Jahren. Profitieren werden sowohl stromintensive Produzenten als auch die privaten Haushalte. Inwieweit durch billigeren und damit tendenziell mehr nachgefragtem Strom die Klimaschutzziele in Frage gestellt werden, bleibt abzuwarten.
Auch die „Sozialgarantie 2021“ genannte Deckelung der Sozialbeiträge auf höchstens 40% wirkt in die gleiche Richtung. Bei den Arbeitnehmer wird wahrscheinlich der Mittelstand am meisten profitieren und bei den Unternehmen die arbeitsplatzintensiven. Die Lohnstückkosten dürften damit weniger steigen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft dürfte zunehmen.
Einen starken Nachfrageimpuls erhofft man sich von dem einmaligen Kinderbonus in Höhe von 300 Euro je Kind. Dies kommt den einkommensschwächeren Familien relativ stärker zugute als den einkommensstarken. Es kommt hier aber auf die Psychologie an: Werden zum Beispiel die zehn Millionen Kurzarbeiter diese 300 Euro sofort ausgeben oder eher sparen, weil sie nicht wissen, wie lange ihre Kurzarbeit noch anhält? Und wenn sie sich davon etwas schnell kaufen, werden das inländische Produkte oder eher elektronische Gadgets „Made in China“ sein?
Zu den angebotsseitigen Impulsen des Konjunkturpakets gehören eine Reihe von steuerlichen Verbesserungen (Steuerfälligkeiten, Verlustrückträge, degressive Abschreibungen etc.), bessere Zugänge zu den Kapitalmärkten und Änderungen des Insolvenzrechts. Dies soll vor allem den Corona-geschädigten Unternehmen helfen.
In die gleiche Richtung geht das „Programm für Überbrückungshilfen“ in Höhe von 25 Milliarden Euro. Das ist eine Art Sozialhilfe für Unternehmen, die unter Corona-bedingtem Umsatzausfall leiden. Ausdrücklich erwähnt die Bundesregierung hier Restaurants, Kneipen, Hotels, Tourismus, Kultur und ähnliche, die oftmals durch den Shutdown ins Bodenlose gefallen sind.
Weiterhin wird den Kommunen geholfen durch Bundeshilfen für Sozialausgaben und kommunale Investitionen. Nicht enthalten im Konjunkturpaket ist die vielfach geforderte Entschuldung der Kommunen. Dafür fand sich in der Koalition offenbar keine politische Mehrheit. Dies ist zu begrüßen, weil eine Entschuldung das Haftungsprinzip für kommunalpolitische Entscheidungen ausgehebelt hätte und künftigen, teuren Fehlentscheidungen Tür und Tor geöffnet hätte. Es ist sinnvoller, die kommunale Schuldenproblematik an anderer Stelle zu lösen, gut durchdacht und nicht mit der heißen Nadel gestrickt.
Eine andere, vielfach geforderte Maßnahme fehlt ebenfalls im Konjunkturpaket: die Abwrackprämie für Autos. Es ist gut, dass dieses aus 2009er Krise in Erinnerung gebliebene Instrument nicht aus der Mottenkiste hervorgeholt wurde. Es wäre nur einer, wenn auch sehr wichtigen, Industriebranche zugutegekommen. Es hätte die strukturellen Probleme dieser Branche, die weitgehend selbstverschuldet sind, nur kurzfristig übertüncht und den Druck zu weiteren Innovationen nur kurzfristig genommen. Und ähnlich wie in 2009 hätten ausländische Hersteller auch davon profitiert, deutsches Steuergeld wäre in Mengen ins Ausland geflossen, ohne dem heimischen Arbeitsmarkt zu helfen. Darüber hinaus stünde eine Abwrackprämie im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung.
Zum Konjunkturpaket gehört auch eine verstärkte Förderung von Investitionen in den Klimaschutz und in sogenannte Zukunftstechnologien. So sollen unter anderem Wasserstoff-Technologien und Ladesäulen für Elektroautos sowie moderne Flugzeuge gefördert werden. Dies klingt alles modern, ökologisch und zukunftsgewandt, birgt aber ein alt bekanntes Problem in sich, nämlich die unterschwellige Annahme, dass der Staat weiß, was in der Zukunft gebraucht wird und welche Technologien erfolgreich sein werden. Im Kern sagt der Staat damit, dass er weiß, was die Menschen künftig kaufen und konsumieren wollen.
Dies ist eine sehr heroische Annahme, die mit einer hohen Treffungenauigkeit verbunden ist. Die Gefahr von Fehlinvestitionen und Mitnahmeeffekten ist sehr hoch, weil der Zusammenhang zwischen Investitionsentscheidung und wirtschaftlicher Haftung tendenziell aufgehoben wird. Die Folge ist Steuerverschwendung.
Ein großer Wermutstropfen bleibt die Finanzierung des Konjunkturpakets über eine enorme Ausweitung der Staatsverschuldung. Über Alternativen wurde erst gar nicht nachgedacht. Warum nicht die Goldreserven der Bundesbank in Anspruch nehmen? Für welchen Notfall halten wir uns diese Reserven, wenn nicht für so etwas wie die jetzige Krise? Wir hinterlassen unseren Kindern einen dicken Schuldenbrocken, an dem sie lange zu knabbern haben werden.
Aber alles in allem ist das Konjunkturpaket der Bundesregierung eine gute und angemessene Reaktion auf die Corona-bedingten Probleme unserer Wirtschaft. Es bedient sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite. Psychologisch sehr wichtig ist das vertrauensbildende Signal, das die Politik damit setzt: Es geht weiter nach der Krise, mit einer großen finanziellen Anstrengung zwar, die aber nicht einseitig bestimmte Branchen oder Einkommensgruppen bevorzugt, sondern alle mit ins Boot nimmt. Auch wenn es bei den Einzelheiten immer etwas zu hadern und zu kritisieren geben wird, so macht das Paket einen durchdachten und soliden Eindruck. Es zeigt, dass die Bundesregierung in der Lage ist, entschlossen zu handeln. Das mögen die Deutschen und das wird ihnen wieder Zuversicht geben: es wird doch nicht so schlimm wie befürchtet, es geht wieder voran.
Ich wage die Prognose, dass Deutschland gestärkt aus der Corona-Krise herauskommen wird – zumindest relativ zu vergleichbaren Ländern in Europa. Unsere Politiker haben vieles besser gelöst als anderswo. Gut regiert zu werden ist immer noch eine wichtige Sache.
Das sieht nicht jeder so positiv.
"Das deutsche Konjunkturpaket entfacht ein teures Strohfeuer." (siehe NZZ)
https://www.nzz.ch/wirtschaft/das-deutsche-konjunkturpaket-entfacht-ein-teures-strohfeuer-nzz-ld.1559611?mktcid=smsh&mktcval=Twitter
Angelika,
"nicht jeder".
Es wäre doch anormal, wenn es das nicht der Fall wäre.
Ich habe bisher überwiegend zustimmende Kommentare gelesen – aus "der Wirtschaft", aus "den Gewerkschaften", aus den "diversen" Flügeln der Regierungsparteien, von……
Ich finde, es sind Maßnahmen beschlossen worden, die geeignet sind, kurzfristig die "Konjunktur" er anzukurbeln und die zudem geeignet sind, überfällige Prozesse einer "Umsteuerung" der sog. Industriepolitik in Deutschland in Gang zu setzen.
Also..
Kompliment meinerseits an CDU/CSU/SPD, an die Kanzlerin, an die übrigen Regierungsmitglieder, an die Parteivorsitzende, für ihre Entscheidungen -für das Gesamtwerk und seine Einzelteile, obwohl ich -selbstverständlich- nicht mit allen Details einverstanden bin.
Also
trotz meiner seit Jahren geübten grundsätzlichen Kritik an dem politische System "GROKO":
Die GROKO" hat in einer national und international extrem schwierigen Lage bewiesen, daß sie zu rationalem Denken und Handeln fähig ist -im Umgang mit der Corona-Pandemie und im Umgang mit ihren dramatischen Folgen für das Soziale, für das Wirtschaftliche, für das Kulturelle in Deutschland, und darüber hinaus für die gesamte EU.
#2 "…Es wäre doch anormal, wenn es das nicht der Fall wäre…"
Klar!
Es gibt keinen Zweifel daran, daß jetzt die Konjunktur einen Anstoß braucht.
Ob dieser Anstoß richtig ist, werden wir sehen.
"Warum nicht die Goldreseven der Bundesbank in Anspruch nehmen?"
Deutschland hat nach den USA die zweitgrößten Goldreserven der Welt. Diese zu verkaufen ist ein ebenso alter wie oft zerknautschter Hut! Wenn Deutschland seine Bestände veräußern sollte, würde der Goldpreis sofort ins Bodenlose fallen, und das Land hätte nur einen marginalen, allenfalls kurzfristigen Gewinn.
Durch den Erhalt der Bestände kann die Regierung aber jedem Kreditgeber zu jeder Zeit eine gut berechenbare Sicherheit bieten.
Wer sagt denn, dass Deutschland gleich seine ganzen Goldvorräte verkaufen sollte? Das ginge allein schon deswegen nicht, weil Deutschland an das Central Bank Gold Agreement (CBGA) gebunden ist, wonach es höchstens 400 Tonnen Gold pro Jahr verkaufen darf. Die Verkäufe müssen ja auch nicht alle zum selben Zeitpunkt erfolgen: Hierfür gibt es erfahrene Händler, die wissen, was sie tun müssen, damit der Goldpreis nicht ins Bodenlose fällt. Er wird zwar fallen, aber sicher nicht ins Bodenlose! Auch braucht die Bundesregierung ja nicht das ganze Geld sofort, sondern nur nach und nach, so wie die Fördermittel abgerufen und ausgezahlt werden.
300 € für jedes Kind.
Keine gute Idee.
Denn die Leute kaufen den größten Sch..
z.B. Kinder-Elektroautos, Kinder-Elektromotorräder.
Die fahren hier an meinem Arbeitszimmerfenster vorbei. Brummmmm…
Die Kinder mit den Laufrädern, Rollern, Fahrräder kucken neidisch. Vielleicht nach den 300 € pro Kind nicht mehr – dann dürfen sie auch…Brummmmmm….
Manche Blagen sind zu doof zu lenken, die Papas (meist gehen nur die Papas mit raus, wenn es um diese Elektrodinger geht … – und das sind diese jungen Eltern … grübel …) bekommen dann die Krise, denn hier gibt es Garagenzufahrten mit Gefälle. Nach den 300 € werden mehr Papas im Stress sein …
Bin gespannt wenn die ganzen Rechnungen kommen. Alle machen so als ob wir das ganze nicht wieder Einnehmen müssen. Die Prognosen der Wirtschaftsweisen sind eher nüchtern und nicht verheißungsvoll. Aber es stehen ja Wahlen vor der Tür da steckt das Geld bekanntlich lockerer.