DAF: Gabi Delgado-López ist gestorben

Sequenzer, Synthesizer, Schlagzeug & Sprechgesang – so schrieben DAF Geschichte | Foto: Grönland

Mit minimalistischen, rein rhythmusbasierten Tracks schrieben Deutsch Amerikanische Freundschaft Musikgeschichte. Ihre Mischung aus kühler Ästhetik und sloganbasierten Texten machte dieses Duo Anfang der 1980er-Jahre zu einem wichtigen Vordenker in Sachen Beat, Sound, Komposition und Vision. Ihr Ansatz: alles hinterfragen, alle provozieren und Musik komplett neu definieren. Nun ist gestern Sänger Gabi Delgado-López im Alter von 61 Jahren verstorben.

Irgendwann in der Hochphase des Punk trafen sich Drummer und Musikstudent Robert Görl und der gefährliche Frontmann Gabi Delgado López im Düsseldorfer Szene-Club Ratinger Hof. Gabi sagte einmal dazu: „Die Idee des Punk war natürlich faszinierend. Aber die Musik war viel zu herkömmlich, viel zu traditionell mit Gitarre, Bass und Schlagzeug – das war nicht Punk, sondern ein Aufguss der 1950er Jahre. Wir wollten nie eine Rock-’n’-Roll-Kapelle sein, aber auch nicht wie Kraftwerk klingen. Wir wollten die Musikgeschichte mit unseren Vorstellungen von reduzierter Synth-Musik revolutionieren, wir wollten die Hörgewohnheiten der Menschen ändern.“ Delgado und Görl orientierten sich am Disco-Sound vom Giorgio Moroder – und gaben ihren Sequencer-Sound-Songs begleitet von organischen Schlagzeug-Grooves einen teuflischen Drive. Hier mal exemplarisch ein Song, den Moroder später für die Band remixed hat:

Delgado-López verbrachte seine Kindheit in Córdoba. 1966 zog seine Familie nach Deutschland. Hier lebte er unter anderem in Remscheid, Wuppertal, Dortmund und Düsseldorf. 1980 zog er nach London, wo er eine zeitlang lebte. Ihre beiden wichtigsten Alben „Alles ist gut“ (1980) und „Gold und Liebe“ (1981) nahmen Delgado und Görl zusammen mit dem großen Sound-Genie Conny Plank in dessen legendärem Tonstudio in Wolperath auf, was Plank etwa 35 Kilometer südlich von Köln betrieb. „Wir nannten Conny immer den Tonkutscher“, sagte Delgado über den Musik-Produzenten, „denn er war weit mehr als ein Studiochef für uns. Er hat den DAF-Sound entscheidend mitgeprägt. Wir hatten unsere Korg-Synthesizer und anderes Equipment, aber den treibenden Sound hat erst Conny mit allerlei Tricks geschaffen, denn unsere Synths klangen viel zu cheesy, viel zu plastikhaft.“

Mit viel Experimenttierfreude galten DAF nicht umsonst als Pioniere und Inspirationsgeber für die Genres Electronic Body Music und Techno. Ihr Mischverhältnis von Sequenzer, Synthesizer, Schlagzeug und Sprechgesang war so einfach und universell wie ein Dr. Oetker Backrezept. Aber wie bringt man diese Formel zum Klingen? Die Band forschte lange, wie Gabi Delgado López formuliert: „Zum Beispiel hat Conny den Korg direkt aufgenommen, das Synth-Signal parallel aber auch durch einen Marshall-Gitarrenverstärker gejagt und diesen Sound auch aufgenommen. Das ist nur einer von vielen Studiotricks, mit denen Conny DAF mitgeprägt und unverwechselbar gemacht hat.“ Herausgekommen sind dabei Sounds, die weder in gängige Neue Deutsche Welle-Schemen passten oder den Krautrock hofierten. Delgado sagte einfach: „Robert machte die Kompositionen und ich die Texte. Zusammen mit Conny Plank, dem Studiobetreiber, habe ich die Produktion mit den ganzen technischen Details übernommen.“

Und was waren das für Texte! Gabi konnte das Unaussprechliche in Worte fassen: Angst, Beklemmung, die Jugend verschwenden oder via Cut-Up-Technik spielerisch in der Weltgeschichte wuchern und einfach den Mussolini tanzen lassen. Das lyrische Ich von Gabi Delgado López war gleichzeitig der Räuber und der Prinz. Noch heute klingen die abstrakten Gedanken zum Song „Ich und die Wirklichkeit“ so, als wären sie eigens für die Corona-Krise getextet worden:

Ich und ich im wirklichen Leben
Ich und ich in der Wirklichkeit
Ich fühle mich so seltsam
Ich fühle mich so seltsam
Ich fühle mich so seltsam
Ich fühle mich so seltsam
Ich und ich im wirklichen Leben
Die Wirklichkeit kommt
Die Wirklichkeit kommt

Als Gesprächspartner konnte Gabi Delgado López auch immer wieder mit intelligenten Gedanken glänzen, im Dezember 2015 sagte er gegenüber dem Magazin Spex: „Diese ganze Sparsamkeit ist doch nur kleinbürgerliche Angst vor der Zukunft. Das ist ein ganz falscher Weg, der aber leider von den herrschenden Institutionen zurzeit so brutal durchgesetzt wird. Die Sparpolitik ist nicht der Weg, um weiterzukommen. Geiz ist eben nicht geil! Großzügigkeit ist geil! Es geht nicht nur darum, dass man etwas bietet fürs Geld, es geht auch um ein Statement. Man muss in der Politik, im Leben und der Kunst gegen diesen Sparwahn vorgehen. Es ist ja auch das Prinzip der Natur, dass man sich verschwendet: Blumen blühen für einen Tag, und dann verwelken sie. Sterne verglühen. Das ist das Leben.“ Nun hat der große Sänger, Textdichter und Frontmann eine andere Dimension betreten.

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Jupp Schmitz
Jupp Schmitz
4 Jahre zuvor

"Ich und die Wirklichkeit" ist übrigens ein sehr früher Titel (Into The Future Festival in HH 79).
Geschrieben noch vor der Wahnsinns-"Ein Produkt der D.A.F." ohne Delgado aber mit dem Pyrolator und ohne Frank Fenstermacher.
DAF hat in ihrer Zeit eine unglaubliche Wandlung durchlebt vom Punk über Blues/Industrial und "klassischer" Wave-Band (A-Seite Die Kleinen und die Bösen) und fast-Nazi-Punk (B-Seite Die Kleinen und die Bösen) zum EBM. DAF kamen aus dem Ratinger Hof und strebten nach London. Sehr zielstrebig und ehrgeizig die Herren Görl und Delgado. "Leichen pflasterten ihren Weg" (naja zumindest die alten Bandmitglieder Spelmans und Haas. Anekdote am Rande: Bob Giddens, der Sponsor der Singles in London, lebt immer noch in Quakenbrück und baut Fahrräder.

Dabei hatte ich erst letztes Jahr "MISTRESS" aus dem Jahre 1984 entdeckt.
Schade Schade Schade

Jörg Refflinghaus
Jörg Refflinghaus
4 Jahre zuvor

War immer eine Wuppertaler!!!-Band, die als Band "You" im “Leichenkeller“ der "Börse" in Wuppertal begann und mit dessen späterem Bassisten Eduardo Delgado (Bruder von Gabi) ich selbst noch Musik machte, die aus Marketing-Gründen auf Düsseldorfer-Band (Wie auch Fehlfarben! – aus Wuppertal und Düsseldorf) machte und zuletzt sich als Wahlberliner gerierten, anstatt stolz drauf zu sein, aus dem ersten großen Industriezentrum Deutschlands zu kommen, dass dann die Städtchen der Ruhrgebiets mit nach Oben zog und als elektronische Punk-Band, eben genau auch hier hin gehörte, war schon ein wenig suspekt! Musikalisch extrem innovativ und stilprägend wie die gesamte Wuppertaler-Musikszene, aus der ja auch die Popkomm im Ursprung stammte und geniale Clubs wie die "Beatbox", "45RPM", "U-Club" und "Butan" die den angeblichen Metropolen Hamburg, Berlin, Köln und Ruhrsumpf so weit voraus war, das die überhaupt nicht folgen konnten und begriffen was im Tal abging. Als die dann folgten, taten sie mit Hilfe der Medien so, als ob sie die Impulse gesetzt hätten (Beatbox – Mojo-Club (Hamburg) der erst 1,5Jahre nach der Beatbox auf den Wuppertaler- Zug Acid-Jazz und Jungle bzw. Drum&Bass aufsprang!). Traurig, dass es Gabi nun so früh erwischte, vielleicht hat er ja zu viel Kontakt mit einer anderen Wuppertaler Bayer-Erfindung, dem Heroin und ähnlichen Substanzen, in den frühen Zeiten gehabt, so dass dies die traurige Nachricht jetzt begünstigte. RIP Gabi! Das Herr Hesse dies im Sinne des Ruhr-Propaganda, komplett falsch darstellt, obwohl Gabi Delgado nur wenige Monate dort lebte, wogegen er in Wuppertal seine komplette Jungend bis in frühe Erwachsenen-Alter verbrachte, ist bezeichnend und war wohl hier auch nicht anders zu erwarten.
Wirklich relevante Medien wie der Musik-Express und ein Großteil der großen Zeitungen haben übrigens wahrheitsgemäß Gabi und DAF gerade richtig, in Wuppertal verortet, so wie das die “Welt“ kurz und treffend bereits 2010 wie folgt zusammenfasste und die zentrale Bedeutung der Wuppertaler Musik-Szene für Deutschland aufzeigte :
Kultur
Wer ist DAF?
Veröffentlicht am 15.12.2010
Die Deutsch Amerikanische Freundschaft, auch unter dem Akronym DAF bekannt, ist eine Band aus Wuppertal und Düsseldorf. Sie gehört neben Kraftwerk und Can zu den weltweit einflussreichsten deutschsprachigen Gruppen im Bereich Elektronische Musik. Die Band wurde 1978 in Wuppertal durch Robert Görl (Schlagzeug, Elektronik), Gabriel "Gabi" Delgado-López (Gesang), Kurt "Pyrolator" Dahlke (Elektronik; später u. a. bei Der Plan, Fehlfarben und A Certain Frank), Michael Kemner (Bassgitarre; später Fehlfarben und Mau Mau) und Wolfgang Spelmans (später Mau Mau, Gitarre) gegründet. Heute besteht DAF aus dem Duo Robert Görl und Gabi Delgado-López.

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