Ausgefallene Konzerte, abgesagte Festivals: Die Kulturindustrie leidet stark unter der Corona-Krise. Wie gehen Musiker damit um, wenn sie auf einmal nicht mehr auf Bühnen stehen können und ihre Einnahmen wegbrechen? Die deutsche Hip-Hop-Band Antilopen Gang hat im Sommer ihr Album „Adrenochrom“ veröffentlicht. Geschrieben und aufgenommen haben sie es in der Corona-Zeit. Bandmitglied Danger Dan erzählt im Protokoll, wie er die Zeit wahrgenommen hat und warum er sich Sorgen um die Zukunft macht.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich meinen Bandkollegen Koljah jemals so stark vermissen würde. Aber als ich im Juni mit ihm und Panik Panzer, meinem Bruder und ebenfalls Bandkollegen, in einem Restaurant essen war, habe ich mich riesig gefreut, ihn wiederzusehen. Davor hatten wir uns monatelang nicht mehr gesehen. Wir haben die letzten Jahre unheimlich viel Zeit zusammen verbracht und auf engstem Raum im Tourbus zusammen gelebt. In normalen Zeiten war es schön, sich dann nach einer Tour auch mal aus dem Weg zu gehen. Aber die letzten Monate waren nicht normal.
Wir waren im März gerade mit unserem neuen Album auf Tour und spielten Konzerte in der Schweiz als es innerhalb der Band Diskussionen darüber gab, ob es richtig ist, die Tour weiterzuspielen. An einem Morgen waren sich dann plötzlich alle einig: Wir können das so nicht weitermachen. Wir brechen ab. Als wir dann im Bus saßen und zurück nach Hause fuhren, habe ich das erste Mal so richtig das Ausmaß der Corona-Pandemie realisiert.
Weil wir aus der Schweiz kamen, haben wir uns direkt nach unserer Ankunft in Deutschland in Quarantäne begeben. Das war ein krasser Kontrast: Einen Tag vor unserem Tour-Abbruch haben wir noch ein ausverkauftes Konzert in der Schweiz gespielt, wenige Tage zuvor bin ich noch ins Publikum gesprungen und habe mich von der Menschenmenge durch die Halle tragen lassen,– und zurück in Berlin saß ich auf einmal ganz allein in meinem WG-Zimmer und konnte für zwei Wochen nicht einmal meine Tochter sehen.
Die zwei Konzerte, die wir absagen mussten, haben wir dann vorerst in den Sommer verschoben. Damals hatten wir noch die Hoffnung, dass sie stattfinden würden.
Im Nachhinein betrachtet hatten wir Glück, dass wir unsere Tour noch fast bis zum Ende spielen konnten. Für den Frühling waren nach der Tour keine weiteren Konzerte geplant. Unser Finanzplan änderte sich also erst einmal nicht.
Während des Frühlings, als die Kontaktbeschränkungen verhängt wurden, ist uns dann aber die Decke auf den Kopf gefallen. Unabhängig voneinander haben wir deshalb angefangen, Beats zu bauen und Song-Skizzen zu schreiben. Daraus entstand nach und nach ein Album. Wegen Corona konnten wir uns aber nicht mehr einfach so treffen und haben uns deswegen gegenseitig alles online geschickt.
Normalerweise läuft unsere Arbeit an einem Album natürlich anders ab. Wir haben als Band noch nie gemeinsam in einer Stadt gewohnt. Deswegen haben wir uns früher immer für mehrere Tage bei jemandem Zuhause getroffen haben.
Als einige von uns Kinder und Familie bekommen haben, mussten wir uns woanders treffen. Seit ungefähr zwei Jahren haben wir deshalb ein kleines Studio in Berlin. Das teilen wir uns mit den Rappern Juse Ju und Fatoni. Dort gibt es auch einen kleinen Schlafplatz und eine Küchenzeile. Vor Corona haben wir uns dort ungefähr einmal im Monat getroffen. Für solche Tage bringt jeder von uns Ideen, Beats oder Textzeilen mit. Die meisten ernsten Lieder entstehen aus solchen „mitgebrachten“ Ideen, die Klamauk-Lieder dann während der Treffen.
Nachdem unsere Albumarbeit dieses Mal also komplett virtuell ablief, mussten wir, um das Album abzuschließen und alles aufzunehmen, wieder in unser Studio. Koljah habe ich während der ganzen Zeit, abgesehen von dem oben erwähnten Restaurantbesuch, gar nicht gesehen. Der einzige, der mit ihm und mir nicht nur virtuell Kontakt hatte, war Panik Panzer. Er ist darauf angewiesen, mit beiden von uns zusammenzuarbeiten: Er macht die Aufnahmen und mischt sie später ab.
„Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass wir pleite gehen könnten.“
Auch wenn die Albumproduktion erstaunlich gut funktioniert hat, war die Zeit für mich ziemlich aufwühlend. Es belastet mich, wie ausgeliefert man sich fühlt. Ich kann meine Maske tragen, meine Hände waschen, mich vorsichtig verhalten. Aber wie mein Leben als Musiker in einer Pandemie weitergeht, darauf habe ich nur sehr wenig Einfluss. Ich bin froh, dass wir in dieser Zeit ein neues Album produziert haben. Das hat mir das Gefühl gegeben, irgendwie weiterzumachen. Das hat geholfen, durch das Frühjahr zu kommen. Unser Album haben wir dann „Adrenochrom“ genannt und es im August veröffentlicht. Unser zweites Album 2020. Wir haben, bis auf eine einzige CD, das Lied ausschließlich auf Streaming-Plattformen veröffentlicht, was so gut wie kein Geld einspielt.
Während wir das neue Album produzierten, spitzte sich auch die finanzielle Situation langsam zu. Es stand fest: Der ganze Festivalsommer fällt aus. Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass wir pleite gehen könnten.
Das traf uns besonders hart. Wir hatten im Januar unser Album „Abbruch Abbruch“ veröffentlicht und wollten damit im Sommer auf vielen Festivals spielen. Denn die Festivalsaison nach einem Album-Release ist finanziell unglaublich wichtig, um sich Zeit und Geld für das nächste zu verschaffen. Wer ein neues Album veröffentlicht hat, wird eher für Festivals gebucht. Aber schon im Jahr danach wird es schwerer, auf Festivals aufzutreten. Und irgendwann ist unsere Kasse dann auch leer. Der Plan ist eigentlich, dass dieser Sommer mit vielen Auftritten das nächste Album finanziert. Aber dieser Plan ging wegen Corona natürlich nicht auf.
Unsere geplanten Konzerte sollen jetzt kommendes Jahr stattfinden. Das Worst-Case-Szenario wäre allerdings, dass auch nächstes Jahr kein Auftritt so stattfindet, wie wir es gewohnt sind: Hunderte oder tausende Menschen, die in einem engen Raum gemeinsam mit uns feiern und eine Wall of Death zu unseren Liedern machen können. Leider halte ich es für sehr realistisch, dass das auch 2021 nicht möglich sein wird.
„Wer würde uns im Notfall Geld leihen?“
Nicht nur uns drei Musiker treffen die fehlenden Einnahmen, sondern auch alle, die für uns arbeiten. Sie sind alle Freundinnen und Freunde von uns. Wir kennen ihr familiäres Umfeld, ihre Kinder, wissen, wie sie wohnen, laden uns gegenseitig zum Geburtstag ein. Es fühlte sich ziemlich beschissen an, ihre vorher geplanten Aufträge abzusagen. Einfacher macht es, dass allen klar war, dass es nicht unsere Entscheidung oder Schuld ist, dass Konzerte und Festivals nicht im gewohnten Rahmen stattfinden können. Aber ein tolles Gefühl ist das natürlich trotzdem nicht.
Aktuell wird mir immer klarer, dass ich und wir als Band wirklich vor einem existenziellen Problem stehen. Es wird vermutlich nicht möglich sein, die Situation einfach auszusitzen. Im nächsten Frühling Konzerte zu spielen ist zwar nicht unmöglich – aber die Wahrscheinlichkeit wird immer geringer. So langsam spiele ich Szenarien für die Zukunft durch. Wir haben zwar Ideen, über die wir innerhalb der Band reden. Aber das meiste, was man als Musiker derzeit machen kann, wie Autokino-Konzerte oder Abos für exklusive Inhalte, finden wir scheiße.
Deshalb ist jetzt der Moment, an dem wir uns ernsthaft überlegen müssen: Was ist, wenn unser Plan nicht funktioniert? Was bedeutet das für die Existenz der Antilopen Gang? Wer würde uns im Notfall Geld leihen?
Wir sind jetzt wieder öfter zu dritt im Studio und nehmen Lieder auf. Ich trage Maske, wir halten Abstand. Panik Panzer hat eine Winterjacke an, weil die Fenster die ganze Zeit offen sind, wenn wir gerade nichts aufnehmen. Wir sind wieder zusammen, aber es ist komplett anders als früher. Und der Existenz-Druck gleichzeitig so hoch wie nie.
Klar ist: Wir müssen irgendwann ein Album veröffentlichen, das wir auch verkaufen. Gerade planen wir noch mit unserer Tour fürs kommende Jahr – aber natürlich habe ich Zweifel, ob es dazu kommen wird. Was ist, wenn wir sie wieder verschieben müssen? Dann müssen wir uns überlegen, wie es bis dahin weitergehen kann.
Ich stehe seit 15 Jahren ständig auf der Bühne. Das Tour-Leben fehlt mir schon. Aus dem Alltag raus sein, mit Freundinnen und Freunden in neue Städte fahren, Konzerte spielen. Für dieses Gefühl und diese Erlebnisse bin ich Musiker geworden. Doch das ist jetzt weg, zusammen mit allen Einnahmequellen. Der Geldhahn ist zu.
Ich glaube, dass wir als Antilopen Gang Wege finden werden, um durch diese Zeit durchzukommen. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass jemand von uns jetzt auf einmal Lehrer werden muss. Aber wenn alles nicht klappt und Koljah würde Lehrer werden, dann wäre ich gerne bei ihm Schüler und würde mein Abitur nachholen. Das würde ich dann doch wieder lustig finden.“
Protokoll aufgezeichnet von Richard Diesing
Die zigtausendste selbe Geschichte lässt das Jammern auch nicht besser klingen. Neben dieser Branche sind 100000de mit miesen 450-Euro-Jobs ohne Gesicht ebenfalls weg vom Fenster und sich dann nicht zu fein, zum Jobcenter zu gehen. PLötzlich schmelzen Proletaritiat und Kunst ungewollt zusammen. Das gebe ich mal mit auf den Weg. Vielleicht lässt sich ja daraus was machen.
Wer aber unverschuldet in Not gerät, hat unsere Solidarität verdient!
Antilopen Gang wird die nächsten Tage gestreamt.
Das chinesische Zeichen für Krise bedeutet auch Chance. Die jungen Leute können die aktuelle Situation doch nutzen, um einer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Im Pflegebereich werden bspw. dringend Helfer gesucht. Und eine Ausbildung zur Fachkraft ist dort auch möglich. Ich wünsche für diesen Weg alles Gute!
@Robert Ich habe eine bessere Idee.
Sie klicken 1000 Mal das oben verlinkte Video Army Parka und senden es an ihre Freunde weiter!
Das hilft der Antilopen Gang ihrer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit – Musik – weiter nach zu gehen und in dieser wirklich langen tourfreien Zeit die Chance zu erhalten an einem neuen Album zu schrauben.
Glück Auf!
[…] GEMA-Einnahmen für Liveauftritte. Die bringen mich normalerweise durchs Jahr. Das ist immer ein sehr wichtiger finanziellen Posten eines jeden Musikers, weil immer weniger Geld durch Albumverkäufe reinkommt. Da ist halt dieses Jahr so gut wie nichts, […]