Ein besonders inbrünstiges Stoßgebet des Dankes dürfte es wohl Sonntag im Konrad-Adenauer-Haus gegeben haben. Und zwar im Büro von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, kurz nachdem der Rücktritt Andrea Nahles‘ alle anderen Nachrichten wegschwappte. Seitdem steht nämlich die dauerkriselnde SPD unangefochten im Fokus aller Polit-Astrologen. Keine Nachrichtensendung, keine Talk-Runde, keine Zeitung und kein Blog ohne Nahles‘ Abgang und den tiefen Abgrund vor dem Deutschlands älteste Partei (erneut) steht.
Kollateral-Profiteurin AKK
Wie weggeblasen ist hingegen die Diskussion um die CDU-Vorsitzende und Kanzleraspirantin Annegret Kramp-Karrenbauer. Diese befand sich nämlich seit gut einer Woche unter medialem und parteiinternem Dauerfeuer. „She takes a lot of flak“, sagen die Engländer dazu, wohl aus bitterer Erfahrung im zweiten Weltkrieg. Flak kriegte AKK nicht in erster Linie wegen des schlechten Wahlergebnisses ihrer Partei zum Europaparlament. Nein, vor allem ihre verstörende Reaktion auf Rezo, dem YouTuber, machte sie zur Zielscheibe massiver Kritik. Diese ging so weit, dass nicht nur der SPIEGEL fragte „Kann AKK Kanzlerin?“.
Führungsfrage gestellt
Alle Unzufriedenen in- und außerhalb der CDU stellten die Führungsfrage erneut, und zwar massiv und von allen Seiten zugleich. Für AKK war das alles offensichtlich derart überraschend, dass sie sich kaum noch zu wehren wußte. Sie stand kurz davor, den Stempel „Sie kann’s nicht!“ tief in die Stirn eingebrannt zu kriegen.
Kopf aus der Schlinge gezogen
Und dann kam Andrea Nahles mit ihrem Doppel-Rücktritt und zog AKKs Kopf aus der Schlinge. Denn seit Sonntagvormittag konzentriert sich alles nur noch auf die SPD und ihre existenzbedrohende Krise. Die CDU hingegen schließt ihre Reihen dicht, fordert Stabilität für Land und Leute und stellt die Führungsdebatte ein. Den parteiinternen AKK-Kritikern bleibt nichts anderes übrig, als dieses Spiel mitzuspielen. Zu groß die Gefahr, dem Horror-Beispiel der SPD zu folgen. Zu groß die Gefahr, selbst in den Abgrund zu stürzen, sollte die eigene Chefin jetzt auch noch abgesägt werden. Zu groß die Gefahr, dass man für den Untergang verantwortlich gemacht wird. Merz und Co. haben erstmal Sendepause und AKK ihre Ruhe.
Gute-Nacht-Gebet
Aber wie lange? Wahrscheinlich für länger. Solange das Chaos in der SPD herrscht, wird keiner in der CDU den Dolch zücken. Bricht jetzt die Koalition in Berlin, so muss man geschlossen mit AKK an der Spitze in die Neuwahlen gehen, eine erneute Führungsdiskussion ist schlicht unvorstellbar. Aber selbst wenn die Koalition halten sollte, wird das Beben in der SPD so lange nachwirken, dass keiner irgendeine Lust verspüren dürfte, es den Genossen gleich zu tun und sich selbst ins Bein zu schießen. Annegret wird Andrea wohl in ihr Gute-Nacht-Gebet eingeschlossen haben.
Das könnte sich als Irrtum erweisen. Wenn aus den Ereignissen eine Welle wird und die nach-Merkel-Ära schon jetzt losbräche, dann käme das für AKK zur Unzeit. Deswegen muss die CDU so gut und lange beschwichtigen wie es geht. Es hängt davon ab, ob die SPD es nun bis zum Koalitionsbruch treibt oder nicht.