Im zweiten Teil ihrer Gesprächsreihe über psychologische Probleme sprechen Sebastian Bartoschek und Stefan Laurin über Liebeskummer.
Stefan Laurin: Okay. Liebeskummer kennen alle. Wie schwer ist das, welche Bedeutung hat das für die Menschen, wie schwer sind solche Krisen?
Sebastian Bartoschek: Liebeskummer ist erstmal eine Krise, wie du sagtest, die eigentlich fast jeder mindestens einmal in seinem Leben durchläuft. Und spannenderweise weiß man, dass das Ausmaß des Liebeskummers total weit variieren kann. Also von: ja, das ist eine Krise, die man durchschreitet und dann ist alles wieder gut. Aber, und das hat mich auch nochmal in der Vorbereitung überrascht, es gibt tatsächlich auch einen Zusammenhang von Liebeskummer bis hin zu Suizid und Mord. Was eigentlich, wenn man dann darüber nachdenkt, auch wieder logisch erscheint.
Laurin: Na, der Suizid ist klar. Goethes Werther.
Bartoschek: Genau, ja gut, beim Werther kommen da noch mehr Sachen zusammen, aber trotzdem war mir …
Laurin: Beim Werther ist es schon der Liebeskummer gewesen.
Bartoschek: Ja und die Ablehnung der Gesellschaft.
Laurin: Aber vor allem der Liebeskummer.
Bartoschek: Das ist ja so ein Gesamtkonzept.
Laurin: Also Charlotte ist mit ihrem Albert zusammen und er sieht auch, dass es okay ist, weiß, dass er sie nie bekommen wird und dann versucht er sich zu erschießen und sie kommen noch auf die pfiffige Idee, ihn zur Ader zu lassen.
Bartoschek: Also auf jeden Fall kann Liebeskummer massive Auswirkungen haben. Bei den meisten von uns Gott sei Dank nicht.
Laurin: Wie sehen die aus, diese Auswirkungen?
Bartoschek: Na die Auswirkungen sehen so aus, dass man so mehrere Phasen durchläuft in der Trennung. Oder anders, es gibt ein Modell in der Psychologie, das nennt sich „Frustration“…
Laurin: Moment, es ist ja nicht immer nur Trennung. Man kann ja auch Liebeskummer haben wegen jemandem, an den man nie dran kam, wo es gar keine Trennung gab, wie bei Werther zum Beispiel, das ist ja so eine unerfüllte Liebe und trotzdem ist der Liebeskummer ernst gewesen. Man kann auch wahrscheinlich Liebeskummer haben, indem man in einen Popstar verliebt ist, den man wirklich nie real sieht und das ist trotzdem reales Leiden. Und es gibt dann die Trennung, natürlich, ganz klassisch. Man war zusammen oder man versucht es und bekommt Ablehnung. Gibt es da zwischen diesen Arten nochmal einen Unterschied?
Bartoschek: Da, glaube ich, vertust du dich aus der Binnensicht der Person. Also auch, nennen wir es mal so den klassischen Teen, der für irgendeinen Boygroupstar schwärmt und dem Briefe schreibt oder auf der eher krankhaften Seite der Stalker, der irgendeinem Fernsehstar hinterherhechelt. Im Kern glauben die genauso wie jemand, der eine reale Beziehung führt, dass die eine Beziehung führen.
Laurin: Das meine ich ja. Die haben auch einen realen Liebeskummer dann.
Bartoschek: Ja, weil die ja auch eine reale Trennung haben aus ihrer eigenen Sicht. Das heißt, diese Trennung findet irgendwann immer statt durch irgendwas. Und dann gibt es da so vier Phasen, das fängt an mit dem ‚Nicht-wahrhaben-wollen‘. „Wir sind doch eigentlich noch zusammen und wenn ich nur das und das mache, dann wird es besser.“ Dann kommen so aufbrechende Gefühle, eine Neuorientierung und ein neues Lebenskonzept. Idealerweise. Das ist immer so bei psychologischen Phasenmodellen, da ist alles nie so trennscharf, dass man sagen kann: „So, jetzt habe ich die Phase verlassen, jetzt bin ich in der nächsten.“ Aber das ist so der grobe Ablauf, den man sich vorstellt.
Laurin: Es gibt auch ‚einen Schritt vor und wieder einen Schritt zurück‘ dabei.
Bartoschek: Genau, aber die Bewegung sollte in diese Richtung gehen, wenn man es gesund wuppen will.
Laurin: Jetzt sind ja Trennung oder Liebeskummer Transformationskrisen. Also das ist vergleichbar mit so etwas wie den Job verlieren. Also auch eine Trennung, quasi gekündigt werden. Und das ist ja auch genauso ernst zu nehmen wie all diese Dinge. Ein Todesfall ist letztendlich auch so was.
Bartoschek: Also, eigentlich müsste der Liebeskummer psychologisch ernster zu nehmen sein als der Jobverlust. Weil wir es hier mit einer zwischenmenschlichen Beziehung, mit einer Bindung zu tun hatten. Gut, die hast du bei einem Job natürlich mitunter auch an die Kollegen und so, aber die zwischenmenschlichen Sachen sind eigentlich die, die uns psychisch am stärksten treffen. Deswegen ist der Begriff Transformation eigentlich ganz schön, auch wenn ich kurz zuckte, weil der eigentlich aus der Psychoanalyse kommt. Normalerweise sagt man, dass der Tod eines Lebenspartners mit so das Schlimmste ist, was einem Menschen passieren kann. So weit weg ist aber mitunter gefühlt die Trennung von einem Menschen auch nicht. Natürlich abhängig davon, wie die Beziehung war, wo ich in meinem Leben stehe, ob ich schon mal gelernt habe, mit Liebeskummer umzugehen. Aber wenn man jetzt zum Beispiel auf so einen Teenager guckt, der zum ersten Mal Liebeskummer hat, das ist für den schon vergleichbar mit einem Trauerfall.
Laurin: Er hat ja auch noch nicht die Erfahrung, mehrmals Liebeskummer gehabt zu haben und die Gewissheit, dass das vorbeigeht.
Bartoschek: Das zum einen und …
Laurin: Das ist ja neu und er weiß nicht, wie das ausgehen wird.
Bartoschek: Ja richtig. Genau das ist ein entscheidender Punkt. Er weiß nicht, wie es ausgehen wird. Und er hat sich nicht, um deinen Begriff zu benutzen, verändert, transformiert dahingehend, in Zukunft anders mit so was umzugehen. Das heißt, der typische Teenager geht ja davon aus, „ich habe jetzt meinen Seelenverwandten gefunden, ich bin toll, der ist toll / die ist toll, wir bleiben ein Leben lang zusammen, wir gründen eine Familie, bauen ein Haus, kaufen zwei Hunde.
Laurin: Sehe ich bis heute jedes mal so, wenn ich mich verliebe. Mal von den Hunden abgesehen.
Bartoschek: Ja, das ist aber ungewöhnlich. Dann kommt auch diese maximal selbstwertgefühlkränkende Erfahrung. Und was immer mitschwingt, und da kommen wir vielleicht später auch noch drauf, ist ein Kern von, „ich war nicht gut genug“. Und das erlebt der Jugendliche dann wahrscheinlich zum ersten Mal in diesem krassen Ausmaß.
Laurin: Auch noch in der Pubertät wahrscheinlich.
Bartoschek: Ich überlege gerade, wahrscheinlich schon. Dann wäre zu erwarten, dass es am übelsten ist. Also, je weniger gefestigt jemand da reingeht, umso übler dürfte es werden. Was übrigens dazu passen würde, dass so diese klassischen Suizidgeschichten, die man kennt, du hast den Werther erwähnt, aber auch Romeo und Julia, wenn man da mal drauf guckt, sind das immer sehr junge Menschen. Also Romeo und Julia mit Mitte 50, die Nummer wäre anders ausgegangen. Gefühlt sind Romeo und Julia auch so um die 15/16, ich weiß gar nicht, wie alt die wirklich sind. Aber früher gingen ja auch so Beziehungsgeschichten viel früher los, als sie das nach der industriellen Revolution gingen.
Laurin: Werther hat schon die Pubertät hinter sich, ist aber immer noch sehr jung.
Bartoschek: Ja genau, der ist noch nicht ausgereift, würden wir heute sagen. Das heißt, wie so ein Trauerfall in der Pubertät wird es natürlich nochmal mehr wehtun und er weiß nicht, was danach kommt. Er kann sich aber auch nicht vorstellen, dass etwas danach kommt, weil das gesamte Weltbild ja aufgebaut wurde auf das, wie es jetzt werden wird.
Laurin: Aber dann müssten ja die Selbstmordzahlen bei Jugendlichen sehr hoch bei Liebeskummer, und natürlich bei Älteren. Wenn so nach 60 Jahren Ehe ein Partner stirbt, dann ist das ja auch eine Trennung, wo du jetzt nicht unbedingt die Perspektive hast, naja mir geht es jetzt ein halbes Jahr schlecht und dann ist wieder jemand da.
Bartoschek: Hat eine gewisse Wahrheit, ich kenne jetzt ehrlich gesagt keine Zahlen, aber ich würde bei einem 60-Jährigen, also bei jemanden, der 30-40 Jahre verheiratet war, schon erwarten, dass es nicht so unvorbereitet kommt wie bei einem 15/16-Jährigen. Wobei tatsächlich, jeder kennt vielleicht Fälle von älteren Leuten, wo der Lebenspartner verstorben ist, wo dann die Person erst mal in so ein Loch fällt, bis sie ein neues Lebenskonzept gefunden hat oder auch nicht. Ich habe das auch im eigenen Familienumfeld erlebt. Dieses neue Lebenskonzept zu entwickeln, ist natürlich für einen älteren Menschen deutlich schwieriger, gerade wenn du eine gewisse Art von Beziehung gelebt hast, die eigentlich die wechselseitige Durchdringung der Partner im Alltag beinhaltete. Also, wenn alles, was du gemacht hast, irgendwie mit deinem Partner zusammengehangen hat. Ich sage gar nicht, dass man dann irgendwie sein Leben lang den Himmel voller Geigen hatte, das nicht. Aber das ist ja ein ganz selbstverständlicher Teil des Lebenskonzepts gewesen und wenn der dann wegfällt, ist das viel Arbeit, nochmal was Anderes zu gestalten. Deswegen finde ich übrigens diese ganzen Kirchenkreise für ältere, alleinstehende Herrschaften, auch wenn die oft verlacht werden, ich finde die total gut, weil die Menschen da die Möglichkeit bekommen, nochmal anzuknüpfen und nochmal in Kontakt zu kommen und nochmal was Neues zu erleben.
Laurin: Das heißt der beste Schutz davor, wirklich total tief zu fallen, ist, dass man immer noch Teile seines Lebens behält, die vom Partner unabhängig sind. Dass eben nicht alles wegfällt, sondern nur ein Teil des Lebens.
Bartoschek: Ja, theoretisch schon, aber das ist jetzt eine sehr utilitaristische Sicht, so geht man ja den Großteil seines Lebens nicht in Beziehungen. Also man geht ja nicht in Beziehungen mit dem Gedankengang, wie kann ich später Liebeskummer abwehren.
Laurin: Nein, aber man kann zum Beispiel sagen: „Ich habe aber auch noch meinen eigenen Freundeskreis, der ist mir wichtig. Ich habe einen Beruf, der ist mir wichtig.“ Wenn man solche Dinge noch hat, und jetzt gar nicht mit so einer Kalkulation, sondern wenn man die einfach als Person hat, kommt man besser durch, als wenn man in einer Beziehung komplett aufgeht.
Bartoschek: Das hängt von der Persönlichkeit ab. Oder anders, im statistischen Mittel würde man dir jetzt zustimmen und sagen, das ist eine sinnvolle Strategie. Die geht aber davon aus, dass der Mensch, der das in Angriff nimmt, eine gewisse Grundpersönlichkeit hat. Und das ist schlicht nicht bei allen Menschen der Fall. Also es gibt das sogenannte „Dreieck der Liebe“, oder auch „Dreiecktheorie der Liebe“. Stell dir so ein Dreieck vor, ein gleichseitiges, wo die Seiten alle gleich lang sind, und dann hast du drei Eckpunkte, und dann nimmst du zum Beispiel Intimität, Leidenschaft und Entscheidung/Verpflichtung und je nachdem, wo du dich in diesem Dreieck wiederfindest oder wie dieses Dreieck bei dir in deiner Beziehung aufgebaut ist, erfüllen dich eben andere Sachen als bei anderen Kontexten. Also wenn dir zum Beispiel eine Liebe wichtig ist, die vor allem abzielt auf gegenseitige Versorgung, auf starke Kameradschaftlichkeit, dann ist das natürlich was anderes als eine Beziehung, die unglaublich durchdrungen ist von Leidenschaft und völliger Hingabe an den Anderen und so weiter. Das alles kann für Menschen erfüllend sein und ist letztlich nicht wirklich bewusst steuerbar. Das heißt, es entwickelt sich unter anderem viel, das weiß man heute, aus der kindlichen Bindung, also wie du an deine sogenannte „Primärbindungsperson“, das ist meist klassisch die Mutter, das können aber auch andere Personen sein, wie du an die gebunden warst. Also wie gesagt, ich mag Psychoanalyse nicht, aber die Art, wie du Bindung zu deiner Mutter aufbaust, ist eigentlich schon ein ganz guter Hinweis darauf, wie später deine Beziehungen funktionieren werden.
Laurin: Das heißt, wenn du ein vertrauensvolles Verhältnis zu dieser Primärbindungsperson hast, dich geliebt fühlst und so, dann bist du eher in der Lage, stabile Beziehungen zu führen.
Bartoschek: Wenn dein Mutter dich passend verstärkt, auch tadelt. Also wenn so eine Warmherzigkeit herrscht, dann bist du eher in der Lage, das dann später dir selbst undauch anderen zuzubilligen, als wenn du beispielsweise eine Mutter hast, die sehr launisch, sehr wechselhaft ist.
Laurin: Desinteressiert.
Bartoschek: Ja, oder desinteressiert. Also, was ich in meiner Arbeit oft erlebe, sind übrigens kaum desinteressierte Mütter, sondern eher launische Mütter, die schwanken zwischen völliger Ablehnung und völliger Aufopferung für ihr Kind.
Laurin: Heißt das dann, dass Leute, die eigentlich keine engen Bindungen als Kind hatten, besser mit Liebeskummer zurechtkommen als Leute, die enge Bindungen von Anfang an gewohnt waren? Weil sie ohnehin eigentlich nicht so enge Bindungen eingehen?
Bartoschek: Naja, einen Schritt zurück, die Beziehungen, die sie führen, sind schon andere. Das ist so dieses „besitzergreifende“ vs. „abweisende“ vs. „gute Beziehungen führend“. Und dann könnte es so sein, wie du sagst, dass die einfacher mit Liebeskummer umgehen können, wenn sie ihren Partner beispielsweise eh abgewertet haben. Zum Beispiel in der Angst, dass der sie sowieso verlassen wird. Denkbar ist aber auch andersrum, dass sie sehr heftig reagieren, weil sie dachten, hier habe ich jetzt zum ersten Mal jemanden gefunden, an den ich echte Bindung aufbauen kann. Also wie so oft in der Psychologie, das hängt dann immer ganz stark vom – mein Gott, das hört sich an wie bei einem Juristen – das hängt vom Einzelfall ab.
Laurin: Wie äußert sich denn Liebeskummer?
Bartoschek: Liebeskummer äußert sich hirnorganisch, das fand ich ganz spannend, erst einmal wie körperlicher Schmerz. Also die Hirnareale, die bei Liebeskummer stimuliert werden, sind dieselben, die bei körperlichem Schmerz feuern. Das heißt, Liebeskummer ist echter Schmerz. Man fällt in einen Abgrund, also psychisch gesehen eher einen Abbruch, all dessen, was bisher als gesetzt galt. Normal ist auch eine depressive Phase, keine Depression, aber eine depressive Phase. Die mit viel Selbstbemitleiden einhergeht. Dann gibt es nochmal Unterschiede, wie Männer und wie Frauen das verarbeiten. Spannend finde ich, dass diese depressive Phase, in der man ja auch stark leidet, dass man heute glaubt, dass dieses Leiden einen evolutionären Sinn hat. Heute wissen wir, dass Depressive mitunter besser in der Lage sind, Realität wahrzunehmen und einzuschätzen als Nicht-Depressive. Und in dieser depressiven Phase guckt man wie mit so einem Vergrößerungsglas, wie bei so einer jesuitischen Gewissenserforschung, auf all das, was man selbst vielleicht verbockt hat, falsch gemacht hat, in Zukunft anders machen will. Und kriegt dadurch die Möglichkeit, sich selbst eben, wie du sagtest, zu transformieren – neu zu orientieren, so dass gewisse Fehler idealerweise nur einmal auftreten.
Laurin: Wie lange dauert so eine depressive Phase, gibt es da Regeln?
Bartoschek: Nein. Es gibt Regeln, wann das Ganze in einen depressiven Kontext, also in einen Störungskontext, wechselt. Das ist bei mehreren Monaten. Formal könnte man, wenn man unbedingt wollte, diese depressive Phase als Anpassungsstörung bezeichnen. Das ist so, ich sage mal, die mildeste Form der vorübergehenden psychischen Störung, die wir so haben, die wird eigentlich bei so ziemlich jedem Ereignis diagnostiziert, das irgendwie traumatisierend, also verletzend ist. Da sagt man normalerweise, einige Wochen bis einige wenige Monate. Auch da gibt es wie immer die ganz klare trennscharfe Grenze nicht, aber wer länger als sechs Monate in dieser depressiven Phase verweilt, sollte sich professionelle Hilfe holen.
Laurin: Also die Phase, in der man kaum arbeiten kann, in der man irgendwie komplett fertig ist?
Bartoschek: Das ist jetzt, was du gerade beschreibst, nicht unbedingt bei jedem Menschen so, aber in so einer Phase, ja, in der man sich von der „normalen“, wie wir Psychologen es nennen würden, Teilhabe an der Gesellschaft ausnimmt. Wenn die länger als sechs Monate dauert, dann sollte man vielleicht doch mal überlegen, „Ist das hier noch Liebeskummer oder habe ich mir hier vielleicht was anderes eingefangen?“ Oder hat sich was daraus entwickelt, das kann natürlich auch sein. Das ist auch ein Weg, der bekannt ist, dass man aus einer Anpassungsstörung reinwechselt in eine Depression.
Laurin: Aber wenn diese Phase vorbei ist, ist ja nicht alles vorbei. Das ist ja nur die eigentliche Akutphase.
Bartoschek: Genau. Und spannend ist …
Laurin: Was kommt danach?
Bartoschek: Hass und Liebe gleichzeitig. Man glaubte lange Zeit, dass man eine Person liebt, dann trennt die sich, man ist traurig, man liebt sie immer noch und dann schlägt das irgendwann in Hass um. Man weiß heute, dass es so einfach nicht ist, sondern dass es eine gewisse Zeit gibt, in der Hass und Liebe parallel existieren. Dass man einerseits die Person, die einen verlassen hat, sowohl hasst und mit zumindest aggressiven Gedanken belegt, andererseits diese Person aber liebt und zurückhaben will. Ich habe unlängst einen Fall hier gehabt, da sagte der geschiedene Ehemann, meine Ex-Frau ist der schlechteste Mensch auf der ganzen Erde, diese Frau kann nichts Gutes im Leben bewirken. Und drei Sätze später sagt er, und wenn die anruft und zu mir zurück will, ziehen wir sofort wieder zusammen und alles ist gut.
Laurin: Normaler Move.
Bartoschek: Ja, aber das ist es psychologisch gar nicht. Psychologisch ist das total irritierend, weil wir das eigentlich selten kennen, dass so völlig widersprüchliche Emotionen gleichzeitig Besitz von einer Person ergreifen. Wir Psychologen hätten es für unsere Modelle lieber gehabt, Liebe endet und dann fängt der Hass an. Aber so tickt der Mensch halt nicht.
Laurin: Ja, wobei negative Gedanken sind ja nicht gleich Hass. Dass man nicht gut über jemanden denkt, der einen verlassen hat, ist ja naheliegend, wenn man nicht gerade etwas Fürchterliches gemacht hat und das die Reaktion darauf war.
Bartoschek: Klar. Aber es geht wirklich um Hass, Wut, Aggressionen.
Laurin: Wann hat man es denn ganz hinter sich?
Bartoschek: Wenn es vorbei ist. Das ist eine tolle Aussage. Wenn man an den Punkt kommt, wo man nicht mehr fragt.
Laurin: Eine meiner Lieblingsbands, Superpunk, hat in einem Lied diesen schönen Satz, „Doch nichts ist vorbei, bevor es vorbei ist.“
Bartoschek: Ja, und eigentlich trifft es das. Eigentlich ist ein gutes Indiz dafür, dass man es bald hinter sich hat, wenn man ernsthaft anfängt, andere Personen zu daten, und zwar nicht mit dem Ziel, der anderen Person, die sich getrennt hat, einen reinzuwürgen. Also wenn ich auf einmal wieder Interesse an anderen Partnern entwickele und mich nicht nur frage: „Ha, wenn die das mitkriegt, dann wird die wieder zurückkommen, weil dann sieht sie, was sie verloren hat.“ Dann ist man auf einem ganz guten Weg. Das Problem bei uns Menschen ist, dass wir uns sehr gut selbst betrügen und uns dann vorgaukeln, wir wären schon in dieser Phase und eigentlich hoffen wir dann immer noch, dass diese andere Person dann merkt, was sie eigentlich verloren hat.
Laurin: Verhalten sich Männer und Frauen gleich?
Bartoschek: Nein, Männer und Frauen verhalten sich nicht gleich bei Liebeskummer. Da gibt es sehr deutliche Unterschiede. Und das ist tatsächlich empirisch belegt, auch wenn vielen Menschen das nicht gefällt, wenn Geschlechtsunterschiede empirisch belegt sind. Männer greifen häufiger zu Alkohol und Drogen, um Schmerz zu betäuben. Neigen dann zu waghalsigen Aktionen. Man nennt das dann in der Psychologie „Thrill-Seeking“. Also man macht dann Sachen, die man noch nie gemacht hat.
Laurin: Ja aber das ist doch auch immer noch mit der Hoffnung verbunden, jemanden zurückzukriegen. Also der romantischste Film, den ich kenne, ist der erste Teil von „Stirb langsam“, wo Bruce Willis von seiner Frau getrennt ist und sie ist ja Geisel von Gruber und seiner Bande im Nakatomi-Tower und Bruce Willis muss nichts anderes machen, als 12 Stunden lang in diesem Nakatomi-Tower Terrorist für Terrorist zu erschießen, ein paar Mal selbst fast zu sterben, durch Glasscherben zu kriechen und sonst was, um mit der letzten Kugel seine Frau zu retten.
Bartoschek: Das hätten wir Männer gerne.
Laurin: Der geht einmal kurz durch die Hölle, ganz fürchterlich konzentriert, leidet unendlich und am Ende nehmen sie sich wieder in den Arm, da ruft er laut „Holly“ und alles ist gut.
Bartoschek: Genau, das hätten wir ganz gerne so. Aber spätestens, wenn man darauf guckt, dass Männer anfangen, durch die 30-Zone mit 80 zu rasen in Liebeskummer-Phasen, merkt man, dass die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch die Frau zurückkehrt, gegen 0 geht. Aber das ist natürlich ein spannender Aspekt, weil du das gerade sagst mit den Terroristen. Ich finde, das ist kein Zufall, dass gerade jetzt in diesem islamistischen Terrorkontext dieses Konstrukt Liebe, Trennung, Liebestaten eine ganz große Rolle spielt. Weil du nämlich über dieses Gefühl Liebe in Kombi mit Hass und Aggression und dem, was man dafür tun kann oder soll, junge Menschen ganz gut bewegen kannst. Also, ich fand eine Zeit lang diese jungen Mädchen sehr spannend, die quasi in den Jihad ziehen, letztlich tatsächlich aus so einer romantischen Verklärung heraus, dass da starke Männer sind, die ihnen da helfen, und dann am Ende die Welt gut ist und sie dann irgendwie…- keine Ahnung.
Laurin: Wenn die da diese exzessive Phase haben, glauben sie dann, dass sie nur einmal ganz kurz durch die Hölle gehen müssen und dann kommen sie wieder oder ist das ein Teil von Verdrängung? Oder ist das beides changiert?
Bartoschek: Eigentlich ist es aus psychologischer Sicht schlicht Aggression und Umgang mit Aggression. Also entweder gegen sich selbst und dämpfend, Alkohol und Drogen, oder halt nach außen gerichtet, Kneipenschlägerei, schnell Auto fahren. Und ich glaube, dass dann dieses Nakatomi-Tower-Ding quasi so die, wie soll ich sagen, da gibt es einen schönen psychoanalytischen Begriff. Wie nennt man das denn, wenn du einen gesellschaftlich nicht anerkannten Zug in einen gesellschaftlich anerkannten Rahmen bringst? Also Freud hat zum Beispiel gesagt, dass es Menschen gibt, die Spaß daran haben, andere Menschen zu zerstückeln und wenn sie das gesellschaftlich anerkannt machen wollen, dann werden sie Chirurg. Und die Nummer klingt finde ich so ein bisschen, also ich bin sowieso aggressiv, aber es gibt halt eine Form, wie ich gut aggressiv sein kann. Das ist auch so ein Motiv, fällt mir gerade ein, ich gehe zur Fremdenlegion und dann vergesse ich sie, und dann wird sie schon sehen, dann komme ich wieder mit meinen Orden oder im Sarg und dann wird sie um mich weinen. Das ist schon sehr männlicher Pathos, ein Aggressionspathos, oh, ich habe glaube ich gerade ein neues Wort entdeckt.
Laurin: Wie Kiefer Sutherland in „Forsaken“.
Bartoschek: Was ich in dem Kontext übrigens noch sagen wollte, Männer denken häufiger an Selbstmord als Frauen. Wahrscheinlich, weil … also das ist jetzt alles „vermutlich“ und „wahrscheinlich“, aber die These, die momentan im Raum steht, ist, dass Männer häufiger an Suizid denken als Frauen, weil Männer in einer Beziehung emotional stärker auf die Frau angewiesen sind als Frauen auf den Mann. Das fand ich einen ganz spannenden Aspekt. Es gibt ja auch Evolutionsbiologen, die sagen, dass es gerade deswegen in vielen traditionellen Kulturen so ist, dass die Frau monetär an den Mann gebunden wird, so dass man eine Wechselwirkung von Abhängigkeiten hat. Das hat evolutionspsychologisch einen gewissen Charme, das so zu sehen. Aber in der Tat ist es so, dass Männer … wobei Männer auch grundsätzlich ein höheres Aggressionspotenzial als Frauen haben.
Laurin: Auch gegen sich selbst.
Bartoschek: Insgesamt, also gegen sich selbst, gegen andere. Die Mehrheit der Körperverletzungen wird von Männern begangen.
Laurin: Und wie leiden Frauen?
Bartoschek: Frauen neigen tatsächlich dazu, so Sachen zu machen wie zu weinen. Männer weinen weniger als Frauen. Frauen essen zu viel oder zu wenig, schlafen zu viel oder zu wenig, verlieren mitunter das Interesse an Sex, können sich schlechter auf den Alltag konzentrieren und diskutieren. Das ist tatsächlich eine Sache, die glaube ich auch die meisten von uns kennen. Frauen tendieren dann eher dazu als Männer, über Stunden anderen Frauen ihr Leid zu klagen. Übrigens, in meiner Jugend war ich dann immer so der Freund, bei dem sich dann die Mädels ausgeheult haben stundenlang, der sich aber dann gleichzeitig immer so ein bisschen Hoffnung machte, dass er bei der punkten kann. Ich kann nur sagen, das funktioniert in aller Regel nicht. In aller Regel deswegen, weil unterm Strich bin ich jetzt zwar mit einer meiner besten Freundinnen zusammen und verheiratet, da hat es geklappt, aber alle Anläufe davor waren nicht erfolgreich. Und waren aus heutiger Sicht für mich ganz klar völlig unrealistisch, weil die Frauen / Mädchen, die sich ausheulen, nicht im entferntesten die Bereitschaft haben, sich auf eine neue Beziehung einzulassen.
Laurin: Aber damit machen Frauen ja nach dem, was ich gelesen habe, eigentlich was sehr Vernünftiges, weil, wenn es was geben soll, was gegen Liebeskummer hilft, und da gibt es nicht viel, was hilft, dann ist es reden. Und auch, wenn es immer wieder dasselbe Thema ist und das die Freunde unendlich strapaziert, aber da müssen die dann durch.
Bartoschek: Die Frage ist, also ja, aber natürlich hilft auch der Alkohol, nur anders. Also wenn ich mir im Liebeskummer als Mann die Hucke zusaufe, ist ja auch erstmal gut.
Laurin: Ja, aber am nächsten Tag, also meiner Erfahrung nach, ist es dann noch viel schlimmer.
Bartoschek: Das ist das eine und natürlich hast du immer den schwelenden Suchtmittelmissbrauch, der sich da einschleichen kann. Ich will einfach nur sagen, ich tu mich immer schwer mit den Begriffen „besser“ und „schlechter“. Ich glaube, für die psychische Gesundheit und die physische ist der weibliche Weg aber schon der produktivere und der männliche eigentlich relativ selbstzerstörerisch.
Laurin: Das heißt, das Reden ist eigentlich ein guter Weg, und wenn Männer mit Liebeskummer klarkommen wollen, dann sollten sie halt auch reden, wenn sie es können.
Bartoschek: Genau, wenn sie es können. Da bist du nämlich bei einem ganz spannenden Punkt, denn Geschlechtsunterschiede sind nicht durch bewusste Entscheidungen abstellbar. Also wenn du dein Leben lang als Mann in solchen Phasen mit Aggressionen reagiert hast, dann wird es dir nicht helfen, wenn Laurin und Bartoschek sagen: „Beim nächsten Liebeskummer musst du aber reden.“
Laurin: Das kann man also nicht.
Bartoschek: Das ist keine Coping-Strategie, die du mal eben erlernen kannst. Natürlich kann man so was erlernen, aber man muss es wollen und wie immer, es braucht halt Zeit.
Laurin: Und es braucht die entsprechenden Freunde dafür.
Bartoschek: Auch das. Wenn du, sage ich jetzt mal, eher „Saufkumpane“ – das hört sich immer so negativ an – aber sagen wir so, wenn dein Freundeskreis nicht darauf eingestellt ist, dass man sich gegenseitig Sachen erzählt, dann kann es ja gut sein, dass deine Jungs dann sagen: „Weißt du was, komm einfach mal wieder klar und dann schau mal weiter.“ Spannenderweise suchen Männer dann ja auch oft Gespräche wiederum mit Frauen über Liebeskummer. Insgesamt fällt es Männern schwerer, ihre Emotionalität im Gespräch zu verarbeiten. Wir Männer sind gut darin, unsere Emotionen auf so eine pseudosachliche Ebene zu holen, wo wir dann irgendwelche Strukturen dahinter auf so einer Metaebene zu entdecken versuchen und so. Letztlich ist vieles davon aber nicht zutreffend.
Laurin: Ja, aber ich kenne das auch, dass man mit Frauen redet, weil man einfach denkt, dass Frauen nochmal eine andere Sicht auf die Dinge haben.
Bartoschek: Ja, das haben sie.
Laurin: Die man selber eben nicht hat, weil sie eben Frauen sind. Und man dann einfach sagt, die können mir dann eher erklären, was da passiert ist, als ich das kann, weil …
Bartoschek: Also nach dem Motto, „ich möchte eine Frau verstehen, also rede ich mit einer Frau?“
Laurin: Genau.
Bartoschek: Ja das ist sicherlich auch ein Aspekt.
Laurin: Das wird ja auch in einem der schönsten Bücher über Liebeskummer beschrieben, das es gibt: „High fidelity“ von Nick Hornby. Der ruft ja, das kenne ich von mehreren Freunden von mir, die das gemacht haben, der ruft ja seine ehemalige Freundin an und fragt die: „Warum ist das schiefgegangen?“
Bartoschek: Er verschiebt also eigentlich die vorhin beschriebene Selbstanalyse auf einen späteren Zeitpunkt.
Laurin: Geht zurück und fragt seine Schulliebe.
Bartoschek: Das ist ja ein Motiv, das findest du oft. Bei „How i met your mother“ kommt das öfter vor, dass dann gefragt wird: „Warum hat das eigentlich damals mit uns nicht geklappt?“ Das kann aber übrigens auch nur funktionieren, wenn das keine Person ist, zu der noch amouröse Gefühle bestehen, weil sonst das Ganze natürlich auch kippen kann.
Laurin: Es ist ein schwieriges Feld, auf dem man sich da bewegt.
Bartoschek: Ja, aber auch ein zutiefst menschliches, ein sehr normales für den Menschen, aber auch für andere Tiere. Also man hat nachgewiesen, dass auch andere Spezies so etwas wie Liebeskummer zu empfinden scheinen. Man geht da über Dopamin-Ausschüttung. Menschliche Beziehung und menschliche Bindung führt eigentlich immer zu Dopamin-Ausschüttung. Also ein Neurotransmitter, der dafür sorgt, dass wir uns gut fühlen. Die Abwesenheit von dieser Beziehung führt dazu, dass dieses Dopamin nicht ausgeschüttet wird. Dazu kommt dann noch die körperliche Schmerznummer.
Laurin: Also hat man bei Liebeskummer auch noch einen Dopamin-Entzug.
Bartoschek: Ja, definitiv. Es gibt eine provokante These, über die ich gestolpert bin. Ein Forscher hat sogar behauptet, letztlich ist soziale Bindung eine besondere Form der nichtstofflichen Sucht. Wobei ich weiß nicht, ob er das so ernst gemeint hat. Viele andere Forscher haben dann gesagt: „Pass auf, du zäumst das Pferd von hinten auf.“
Laurin: Aber wir haben ja einen Stoff, wir haben ja Dopamin. Der jetzt nicht ausgeschüttet wird, wenn wir beide als Freunde hier miteinander reden, dann wird er ja nicht ausgeschüttet.
Bartoschek: Doch auch, aber nicht …
Laurin: Auch, aber nicht in der Konzentration.
Bartoschek: Anders, genau. Dazu kommen natürlich jetzt auch noch andere Sachen wie Endorphine, wenn beide jetzt Geschlechtsverkehr hätten, würden Endorphine ausgeschüttet werden. Kurz danach würde zumindest bei Frauen, ich weiß gar nicht wie das genau bei Männern ist, Oxitozin ausgeschüttet, das in der Presse immer so schön Kuschelhormon genannt wird. Der Denkfehler an dieser Aussage der nichtstofflichen Sucht ist, dass man glaubt, dass es ist wie bei anderen Stoffen, dass man den Stoff nimmt, die lösen was aus und dann ist schlecht. Evolutionär ist es aber wahrscheinlich andersrum. Dass man gemerkt hat, diese Form des Zusammenlebens bringt meine Gene weiter, deswegen macht es Sinn … also natürlich Evolution ist kein bewusster Prozess, aber deswegen sind all die Sachen dienlich, die der Verstärkung des Zusammenseins dienen. Deswegen Pferd von hinten aufzäumen. Also es ist nicht vergleichbar mit Alkoholmissbrauch.
Laurin: Welche Tiere haben denn noch Liebeskummer?
Bartoschek: Also ich habe es mal gehört bei Schwänen, aber das ist jetzt Hörensagen. Weil Schwäne ja auch monogam sind. Also ich gehe mal ganz stark von verschiedenen Affenarten aus. Ich muss mal blättern.
Laurin: Nur Säuger oder auch andere?
Bartoschek: Na gut, der Schwan ist ja kein typischer Säuger.
Laurin: Deswegen du hast den Schwan genannt.
Bartoschek: Da kenne ich keine Studien zu, aber da würde ich es auch erwarten. Also zu erwarten wäre jetzt natürlich evolutionspsychologisch, je stärker Monogamie und Brutpflege im Vordergrund durch den Partner stehen, umso stärker müsste das sein. Also Tiere, die Liebeskummer empfinden, sind, man weiß es von einigen Säugetierarten, Elefanten, Otter, aber eben auch beispielsweise Schwäne, denen ja auch nachgesagt wird, dass, wenn ein Partner in so einem monogamen Schwanenpaar stirbt …
Laurin: Dabei sind sie ja relativ simple Schwimmsaurier…
Bartoschek: Ja schon, aber da spricht ja erstmal nichts dagegen.
Laurin: Aber auch die haben Liebeskummer?
Bartoschek: Auch die haben Liebeskummer, genau. Also da scheint tatsächlich das entscheidende dieses monogame Bindungsverhalten zu sein.
Laurin: Wenn es Tiere gibt, die keinen Liebeskummer haben, gibt es Menschen, die keinen Liebeskummer haben, die einfach sagen, wenn es zu Ende ist, ist es zu Ende?
Bartoschek: Ganz kurz, wir wissen nicht, ob es Tiere gibt, die keinen Liebeskummer haben, das ist eine unzulässige Aussage.
Laurin: Wir wissen nur, dass es Tiere gibt, die welchen haben.
Bartoschek: Genau, wir können ja nicht sagen, was jemand nicht hat.
Laurin: Wissen wir, dass es Menschen gibt, die keinen Liebeskummer haben? Die einfach, wenn so eine Beziehung zu Ende geht, Schultern zucken und …
Bartoschek: Also tatsächlich wäre zu erwarten, dass so etwas im Normalfall – wie das immer ist, normal sind 95% – nicht auftritt, aber beispielsweise, wenn du jemanden hättest, der zum Beispiel in Richtung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung geht, also was man so landläufig Psychopath nennt. Ein Psychopath wird niemals Liebeskummer empfinden können, nie. Weil ihm die emphatische Basis komplett fehlt. Und wenn ich gar nicht erst die emphatische Basis zum Aufbau einer Bindung habe, dann fehlt mir auch jede Möglichkeit, Liebeskummer zu empfinden.
Laurin: Was sind so Beispiele für Psychopathen?
Bartoschek: Naja, man kennt immer diese klassischen Fälle von den Mördern. Also Psychopathen, das sind halt schon klar dissozial gestörte Personen. Was ich nicht weiß, wie es bei anderen Personen ist, die eine Schwierigkeit überhaupt mit Bindung und Nähe haben. Also ich weiß nicht -und, ganz wichtig, nicht, dass das vermischt wird, ich sage nicht, dass das vergleichbar mit den Psychopathen ist, sondern dass es möglicherweise eine ähnliche Facette hat – wie das bei gewissen Formen des Autismus oder bei Bindungsstörungen ist. Ich würde aber erwarten, dass zumindest ein Teil der Autisten keinen Zugang zu Liebeskummer in der Form hat, wie wir ihn hier gerade beschrieben haben. Und dass bei einigen Bindungsstörungen, wobei der Begriff „Bindungsstörung“ meist nicht die Unfähigkeit, Bindungen einzugehen, beschreibt, sondern meistens meint, dass die Art, wie eine Bindung eingegangen wird, gestört ist. Trotzdem ist zu erwarten, dass es einige Bindungsgestörte gibt, die auch keinen Zugang zu Liebeskummer haben. Die gute Nachricht ist, dass tatsächlich die Wahrscheinlichkeit recht hoch ist, dass man, je öfter man Liebeskummer erlebt, desto weniger darunter leidet.
Laurin: Deswegen ist das bei Teenagern am grauenhaftesten?
Bartoschek: Ja, auf jeden Fall auch deswegen, aber bei Teenagern kommen noch ganz viele andere Faktoren dazu. Ablösung von der Primärsozialisationsfamilie, also diese ganze Pubertätsnummer, das Neuentdecken von Sexualität, die Neudefinition des Selbst auch über Sexualität und Liebe. Also das hängt alles ungut für den pubertierenden Jugendlichen damit zusammen.
Laurin: Ist Liebeskummer ein reines Gefühl oder kommen da viele Dinge zusammen, wie zum Beispiel auch verletzte Eitelkeit, Zukunftsangst, sich selbst abwerten und das Ganze vermischt sich dann zu etwas ganz Ekligem?
Bartoschek: Also, aus psychologischer Sicht sind das ja alles letztlich alles Gefühle. Also es vermischt sich in jedem Fall und ich würde sagen, diese verschiedenen Facetten bestimmen dann auch, wie stark beim Einzelnen der Liebeskummer ist. Also wenn du beispielsweise einen gekränkten Narzissten hast, der wird unterm Strich viel mehr abgehen als jemand, der weniger narzisstische Züge hat. Aber aus einem anderen Antrieb vielleicht als jemand, der auch sehr stark abgehen würde, beispielsweise jemand, der eher im abhängigen Bereich ist. Also jemand, der einen anderen Partner braucht, um sein Leben zu gestalten. Der wird natürlich auch sehr stark leiden.
Laurin: Das hatte ich ja vorhin mal, Leute die halt noch immer eine unabhängige Person geblieben sind, die kommen damit eher klar, als Leute, die ihre Unabhängigkeit aufgeben und in einer Beziehung komplett aufgehen.
Bartoschek: Wobei der Narzisst ja beispielsweise seine Unabhängigkeit gar nicht aufgibt. Der Narzisst sagt ja, du bist jetzt Teil meines Systems.
Laurin: Dann ist es einfach ein ungeheures Maß an verletzter Eitelkeit.
Bartoschek: Das ist die maximale Kränkung für einen Narzissten, verlassen zu werden. Vielleicht dann sogar noch verlacht zu werden von dieser Person. Das ist eine Kränkung, die für ihn nicht sinnvoll zu verarbeiten ist.
Laurin: Gibt es etwas Positives am Liebeskummer?
Bartoschek: Ja klar, wir verändern uns, wir entwickeln uns weiter. Wobei ich merke das immer wieder, es ist immer schwer für einen Psychologen, zu sagen, da ist was Gutes, da ist was Negatives, weil es halt einfach so ist. Also wir Psychologen fragen uns glaube ich ganz selten: „Ist das gut, dass Menschen das so haben?“ Wir sagen nur: „Menschen haben das halt.“
Laurin: Stehen es durch.
Bartoschek: Und wir können uns auf die Arme stellen und mit den Füßen wackeln und versuchen das wegzudiskutieren, das wird in 2000 Jahren aller Wahrscheinlichkeit immer noch da sein, weil es auch aus der evolutionspsychologischen Sicht einfach sinnvoll ist. Das macht Sinn aus Sicht der Natur, solange sich Menschen über direkte Reproduktion fortpflanzen. Dann macht es Sinn, diese Bindung irgendwie hormonell und neurotransmittermäßig zu verstärken.
Laurin: Was können Freunde und Freundinnen tun?
Bartoschek: Der Klassiker: Zuhören, ertragen, erdulden. Sich auch Sachen anhören, von denen sie wissen, dass sie eigentlich anders waren. Es macht wenig Sinn, wenn jemand sagt: „Ich fand die ja schon immer doof und das ging mir schon immer auf den Sack, wie die da morgens eine halbe Stunde ihre Haare geföhnt hat“, dann macht es wenig Sinn, dann zu sagen: „Ach, ich erinnere mich aber, wie du erzählst hast, dass dich das total fasziniert hat, wie die Haare im Wind fliegen.“ Das ist denkbar ungünstig.
Laurin: Einfach zuhören.
Bartoschek: Genau, einfach da sein. Anbieten, mit der Person loszuziehen. Ich persönlich, auch wenn das nicht alle Psychologen so sehen, bin auch ein Freund von so sanftem Druck. Also jetzt nicht zu sagen: „So, und heute Abend machst du eine klar!“, aber zu sagen: „Weißt du was, du kommst heute Abend einfach vorbei!“ Und dann sagt ja oft die Person im Liebeskummer: „Nein, dann mache ich euch die ganze Feier kaputt und so will mich doch keiner haben.“ Und dann zu sagen, „Doch, und wenn schon, dann heulst du halt da zwei Stunden durch, dann ist das durch.“ Vielleicht auch tatsächlich ein anderes Beziehungsangebot an der Stelle zu machen. Weil alleine sein ist halt in psychischen Krisen immer Mist.
Laurin: Aber Beziehungsangebot nicht im Sinne von neuer Partner oder Partnerin, sondern da ist der Freundeskreis da und der kümmert sich?
Bartoschek: Genau. Spannend ist vielleicht noch ein Aspekt, über den ich mal gestolpert bin bei der Arbeit für eine große Tageszeitung, dieses aktuelle Phänomen „Ghosting“. Ich weiß nicht, ob du das kennst. Also eine Person, mit der man über soziale Medien, Tinder und so weiter angebandelt hat, sich vielleicht auch einmal getroffen hat und dann auf einmal ist die Person weg, reagiert nicht, blockt dich, entfreundet dich überall und so weiter. Ich hatte hier eine junge Dame, ich sage mal so Anfang 20, die durch dieses Ghosting fast bis in die Suizidalität reingetrieben wurde, weil ihr der Schlusspunkt gefehlt hat. Also man muss sich vorstellen, sie hat so einen jungen Mann kennengelernt über Tinder. Die haben sich dann einmal getroffen, haben einander die Welt erklärt und Sterne geguckt, so richtig das ganze Programm und dann haben die sich nochmal getroffen, waren in der Kiste und ab dem Tag danach war er einfach weg. Und das ist natürlich ein großes Problem. Wir haben heutzutage die Möglichkeit, uns natürlich einfach so rauszustehlen aus einer Beziehung, aber – und das ist mir wichtig, nochmal zu sagen, weil ich glaube, das ist vielen nicht klar – wir verursachen dadurch viel mehr Leid, als wenn wir diese halbe Stunde Schlussmachen in Kauf nehmen.
Laurin: Von Auge zu Auge und nicht per Mail.
Bartoschek: Ja, erstmal überhaupt im Gegensatz zum Ghosting. Und ja, man macht nicht per Mail oder SMS Schluss, das geht einfach nicht. Es geht um eine Beziehung, es geht um Zwischenmenschlichkeit und mit einer Person, mit der ich beispielsweise in der Kiste war, da habe ich moralisch die psychologische Verantwortung, mich der zu stellen, ihr das zu sagen, mir dann kurz, was man sich dann so anhört, anzuhören. Entweder Weinen, Beschimpfungen oder beides. Aber der Person die Möglichkeit zu geben, einen klaren Schlusspunkt zu haben. Denn diese junge Dame, von der ich gerade berichtete, die hatte zuerst einen ganz anderen Gedanken gehabt. Die ging erst mal wochenlang davon aus, dem ist was passiert. Der hat einen Autounfall gehabt auf dem Weg nach Hause. Der ist vielleicht Opfer eines Gewaltverbrechens geworden und und und. Und erst über viele Umwege, weil die keine gemeinsamen Freunde hatten, hat sie dann erfahren, nein der ist noch da. Und dann nach Wochen wurde ihr erst klar, ja, der hat mich abgeschossen.
Laurin: Ist das wirklich neu?
Bartoschek: Ich weiß es nicht, gab es das früher? Also ich glaube die Realisierungsmöglichkeiten waren früher geringer.
Laurin: Man ging halt nicht mehr ans Telefon oder? Beantwortete Briefe nicht.
Bartoschek: Aber normalerweise haben sich ja früher Beziehungen über den erweiterten Freundeskreis angeknüpft. Das heißt, man hatte immer die Wahrscheinlichkeit, einander über den Weg laufen zu müssen. Das hast du halt bei den neuen Datingformen überhaupt nicht mehr. Ja klar, es gibt Leute, die … also ich erinnere mich jetzt so an meine Spätpubertät, da gab es Leute, die per Brief Schluss gemacht haben.
Laurin: Okay, aber da ist zumindest ein Punkt drunter.
Bartoschek: Ja, aber dann habe ich den Brief genommen und bin da hingefahren. Und habe gesagt, was soll das hier, ich habe mein Herz in deine Hände gelegt, und das ging auch theatralisch vorm Fenster.
Laurin: Das habe ich nie gemacht.
Bartoschek: Ich schon, tatsächlich. Sehe ich auch vom heutigen Standpunkt mit einem gewissen Amüsement.
Laurin: Ich habe dann immer sehr knapp geantwortet und den Kontakt abgebrochen.
Bartoschek: Nein ich nicht. Ich bin so jemand gewesen, der ein unglaubliches Drama-Tal durchschritten hat. Aber dann war auch gut.
Laurin: Ich auch, aber davon kriegt dann halt die andere Seite nichts mehr mit.
Bartoschek: Okay. Ich hatte immer diese Auffassung … ich glaube, ich habe im Kern so was narzisstisches gedacht wie: „Das muss ein großes Missverständnis sein. Also die kann doch jetzt nicht wirklich wollen, dass was wir das einfach beenden. Und was mache ich denn dann?“ Das waren glaube ich so die beiden Gedanken. Das klingt vom heutigen Standpunkt aus ziemlich naiv, aber das ist dann ja auch das, was ich vorhin beschrieben habe, im Laufe der Zeit sieht man so etwas anders, weil man so was anders durchlitten hat und auch bei anderen mitbekommt. Und ich hoffe natürlich, dass ich nie wieder Liebeskummer durchlaufen muss. Das ist wiederum der Vorteil bei Männern in der Ehe, wir haben ja die Wahrscheinlichkeit, dass wir früher sterben als unsere Frauen, insofern haben wir den Liebeskummer nicht.
Laurin: Schönes Schlusswort.
Bartoschek: Ja. Dankeschön.
Mitarbeit: Vanessa Stracke & Lu Rieland
Teil 1: