Das Burn-Out-Syndrom der Landesregierung NRW

Screenshot von Hannelore Krafts Videoblog.
Screenshot von Hannelore Krafts Videoblog.

Es gibt einen tollen Artikel in der Zeit. Er ist von Stefan Willeke. Und er handelt von der NRW-Landesregierung. Er ist noch nicht Online. Soll es aber bald werden. Sobald er es ist, werden wir ihn verlinken.

Der Artikel beschreibt Hannelore Kraft und ihre Regierung in NRW. Der Artikels beschreibt eine Art Bankrotterklärung.

Willeke sagt, die Landesregierung leide an „Entkraftung“. Unter Hannlore Kraft sei eine „Ermüdung“ zu spüren, „die sich in Gereiztheit ausdrückt.“ Abgeordnete in der eigenen Landtagsfraktion würden sich nicht mehr trauen, Hannelore Kraft zu kritisieren. Einwände würde die Minsterpräsidentin abbügeln. Statt sich der Fragen von Journalisten zu stellen, verschwinde sie regelmäßig und versuche sich mit Ausreden vor Stellungnahmen zu drücken. Bei dem einen Skandal gibt sie an, sie sei per Handy tagelang nicht zu erreichen gewesen. Bei einem anderen will sie nichts gewusst haben. Willeke schreibt in dem grandiosen Zeit-Artikel, Kraft würde sich vor Genossen darüber beklagen, „wie schlecht sie in den Berichten der Medien wegkomme, und empfahl – gewissermaßen als Gegengift – ihr eigenes Video-Blog.“ Die folgende Beschreibung ist an Trübsal kaum zu überbieten. „Auf ihren Schreibtisch in der Staatskanzlei stellt sie dann einen gelb-grün gemusterten Pappkarton, richtet die Handykamera auf sich aus und erzählt etwas über ihre kurze Nachtruhe oder den Bundesrat.“

Ich habe mir nach dieser Beschreibung mal den Video-Blog angesehen. Kraft sieht müde aus. Die Beiträge sind belanglos. Manchmal fast zum fremdschämen peinlich inhaltsleer. Wenn sie doch nur was sagen würde. Nicht nur, wen sie grade trifft und wie spannend das alles ist. Eine der Aufzeichnungen des Video-Blogs hat Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes in Deutschland, mit einem Selfi-Stick in die Parteizentrale der SPD in Berlin am Wahlabend im März aufgenommen.

https://youtu.be/TaV_ORiUvuM?list=PLZcOU5Iusx5vjTA8gmj2sKlJTwySlQcXC

Sie zeigt den erstaunten Sigmar Gabriel, wie er sie ungläubig anstarrt. Wie diese Frau ihn am Schreibtisch filmt. Im Selbstgespräch mit ihrem Handy. Während andere wen zum Reden haben. Einer der dabei war, erzählte mir später vom bassen Erstaunen der Anwesenden.

Willeke schreibt dazu: „Ein Video-Blog mit Hannelore Kraft? Sie hält gewöhnlich nichts von Ego-Shows. Zumindest war es lange Zeit so.“

Das hat sich geändert. Warum? Auch hier findet Willeke in seiner Langzeitbeobachtung Antworten.

NRW steht heute so schlecht wie nie da. O-Ton Willeke „Vor wenigen Wochen kamen Zahlen des Statistischen Landesamtes heraus, die erschütternd ausfielen. Kein Wirtschaftswachstum in Nordrhein-Westfalen, 0,0 Prozent. Das schlechteste Ergebnis aller 16 Bundesländer, schlechter als in Sachsen-Anhalt. Maschinenbau, Stahl, Energiewirtschaft, die Industrien des Landes stecken in der Krise. Wenn es dem Wirtschaftsland NRW während einer wirtschaftlich starken Zeit in einem wirtschaftlich starken Deutschland nicht gelingt mitzuhalten – wann dann?“

Ja, wann dann? Die Regierung in NRW müsste was tun, reagieren, Einsatz zeigen. Aber es passiert nichts. Hannlore Kraft wird nach einem Jahr Abstinenz auf der Landespressekonferenz nach ihren großen Themen gefragt. Willeke beschreibt, wie sie in ihren Papieren sucht, blättert, rumfummelt. „Schließlich blickt sie auf und sagt: ‚Ich finde es nicht, tut mir leid. Wir können Ihnen gern nachliefern, was noch an großen Themen dabei ist.’ Das ist – nach sechsjähriger Regierungszeit – eine verheerende Aussage“, schreibt Willeke.

Die NRW-Landesregierung: das sind Versäumnisse in der Silvesternacht, die Krisen der Industrie, das Verkehrschaos auf den Straßen. Und ein Blitzermarathon, der tausende Stunden Arbeitskraft der Polizei dabei verschwendet, Zuschnellfahrer zu erziehen, während die Einbruchszahlen im Land explodieren.

Willeke beschreibt Hannelore Kraft, wie sie in der Staatskanzlei in Düsseldorf sitzt. Abgehoben in einem der oberen Stockwerke. Mit einem weiten Blick hinaus auf eine florierende Stadt. Weit weg von den Sorgen in Essen-Karnap mit einer SPD in Aufruhr, Dortmund-Dorstfeld und den Nazis, Dinslaken mit den Salafisten, und Bottrop, der letzten Stadt mit einer Zeche, die bald dicht macht. Stadtwerke in der Krise? Einwandererprobleme? Ein Aufbruch in der Region? Neue Lösungen?

Die Ausreden sind immer die gleichen. Seit Jahren. „Strukturwandel“. Lösungen bietet Kraft, bieten ihre Minister nicht an. Sie tun nichts. Sie sehen die Probleme. Sie erstarren vor ihnen.

Die Regierung unter Kraft, für die Willeke das Wort „Entkraftung“ findet, gleicht einem überforderten Menschen, der nicht mehr weiter weiß, der prokrastiniert, der sich in sich selbst zurückzieht, poltert und weint und immer mehr verzweifelt. Es erscheint, als leide die Regierung unter einem Burn-Out-Syndrom – einem Syndrom, das nicht nur die eigenen Psyche befällt, sondern das ganze Land zum Mitleiden zwingt.

Ich bitte alle politisch interessierten Menschen, den Artikel von Stefan Willeke aus der ZEIT zu kaufen, zu lesen, ihn zu verbreiten und darüber nachzudenken, was die Folgen sein können; nein, sein müssen.

Auch Hannelore Kraft bitte ich, nachzudenken. Vielleicht wäre es klüger aufzuhören. Zumindest mit dem Video-Blog.

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Martin FRANZ
Martin FRANZ
8 years ago

….und hier meine konkreten Erfahrungen als (deswegen Ex-)Polizeibeamter mit diesem Land und seiner Regierung!
http://www.freitag.de/autoren/martin-franz/diktatur-der-angst-und-einschuechterung

Sebastian Brinkmann
8 years ago

Den Text kann man für 89 Cent bei Blendle kaufen:

DIE ZEIT: Sie will: nichts
https://blendle.com/i/die-zeit/sie-will-nichts/bnl-zeit-20160504-13613

Auf der Website von Zeit.de finde ich ihn bis heute nicht.

kE
kE
8 years ago

"Ermüdung", "Entkraftung", "Burn out"….

Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass die Regierung außer zur Selbstdarstellung (Hochzeit, Blitzer-Marathon, Loveparade-Kommandozeilen-Bilder vor der Katastrophe, Video-Blog) überhaupt kraftvolle Aktivitäten ausgeübt hatte bzw. Ideen für die Zukunft produzierte.

Der Wähler wurde auch nie überzeugt. Das Wahlergebnis für die SPD war historisch betrachtet unterirdisch.

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