Das Dilemma mit den ‚Besentagen‘

Na, alles im Sack? Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei
Na, alles im Sack? Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei

Der Frühling ist da! Zeit für den Frühjahrsputz!

Das denkt man sich wohl aktuell auch in vielen Städten der Region und ruft zum inzwischen schon fast traditionellen ‚Besentag‘ in der jeweiligen Kommune auf.
Und tatsächlich finden sich doch überall, mal mehr, mal weniger, freiwillige Putzhelfer, die die ursprünglich vor Jahren mal der jeweiligen Gemeindeverwaltung bzw. dem örtlichen Ver- und Entsorgungsbetrieb einer Stadt zugedachte Grundreinigung des Stadtgebietes zumindest ein kleines Stück weit mit zu übernehmen und die tatkräftig dabei mithelfen ihrer Heimatgemeinde wieder ein wenig mehr Sauberkeit zu verleihen.
Und das ist in vielen Städten ja aktuell auch dringend nötig, wenn man sich mal kritisch in der Region umschaut.
Zu sehr haben die Stadtverwaltungen in den letzten Jahren vielerorts schon an genau diesen Dienstleistungen gespart. Teils den großen finanziellen Nöten, teils aber auch einer in den letzten Jahren extremen Ausweitung der regelmäßig zu reinigenden und zu pflegenden Infrastruktur, einer schier explodierten Anzahl von Grünflächen und Verkehrsinseln geschuldet, der man nun nicht mehr Herr zu werden scheint. Und das alles bei einem inzwischen überall stark steigendem Kostendruck auf Grünflächenpflege und Stadtreinigung. Das Ergebnis sieht man jetzt.
Aktuell daher besonders häufig in den Lokalzeitungen zu finden: Vermeintlich besonders engagierte Bürger, die zusammen mit dem jeweiligen Bürgermeister und/oder ein paar Parteien- bzw. Vereinsvertretern öffentlichkeitswirksam posieren und jeweils ein paar Kilo Abfall vor den Augen der verbliebenen Lokalreporter wieder aus der Umgebung ihres Wohnortes verschwinden lassen. Ein gutes Gewissen im Nachgang der Veranstaltung natürlich bei allen Beteiligten inklusive! Auch an vielen Schulen findet eine solche Aktion derzeit unzählige Nachahmer. Besentage quasi überall!

 
Klingt ja zunächst alles auch ganz löblich und durchaus auch irgendwie pädagogisch wertvoll. Aber ist es das am Ende eigentlich auch? Jüngste Erlebnisse lassen da doch größere Zweifel aufkommen. Zumindest bei mir.
In der hiesigen Lokalzeitung ‚beschwerte‘ sich in der Vorwoche doch tatsächlich eine Dame, dass der ‚Besentag‘ immer nur an die gleichen Orte der Stadt käme, dass die Karawane der Putzhelfer doch auch mal rund um ihr Haus, in ihrer Siedlung für Ordnung sorgen solle, wenn zukünftig wieder einmal so etwas organisiert würde.

 
Und damit offenbarte sie unfreiwillig auch schon das ganze Dilemma dieser Aktionen. Irgendwelche armen, fremden Freiwilligen werden hier inzwischen offenbar schon regelrecht eingeplant, auch von ihren Mitbürgern bereits zur Pflege der halben Stadt mit in Verantwortung gezogen.
Doch was sind schon ein paar Dutzend mehr oder weniger Freiwillige, in Anbetracht der Gesamteinwohnerzahl der jeweiligen Stadt?
Bei vielen Zeitgenossen erwächst hier offenkundig eine Erwartungshaltung, die so schlicht blödsinnig ist.

 
Die Stadtverwaltungen nehmen sich hier nach und nach immer weiter aus der Verantwortung. Vielerorts werden sogar die Papierkörbe im Stadtgebiet für alle Bürger sehr spürbar reduziert. Das sorgt natürlich tendenziell auch für mehr wilden Müll in einem Stadtgebiet.
Die im Gegenzug für dessen Beseitigung motivierten Bürger kann man hingegen fast an einer Hand abzählen. Zumindest erscheint ihre Zahl, verglichen mit der Gesamtbevölkerung fast überall verschwindend gering.
Und der große Rest der Bevölkerung wartet auf die hilfreichen Hände der freiwilligen ‚Deppen‘, die den Dreck der Anderen für sie wegräumen. Da stimmt doch etwas grundsätzlich nicht!

 
Auch Kinder, die in der Schule durch Besentage vermeintlich zu einem größeren Problembewusstsein erzogen werden sollen, reagieren da schon ähnlich. ‚Warum soll ich meinen Müll denn nicht dahin werfen? Demnächst machen wir doch eh wieder Besentag, dann sammeln wir es weg.‘ Klingt unglaublich, habe ich aber sinngemäß so auch schon mehrfach gehört. Scheint also nicht so, als sei hier im Ansatz verstanden worden worum es dabei eigentlich wohl mal gehen sollte.

 
Besentage in der jetzigen Form werden also am Ende vermutlich wohl weder in Richtung grundsätzlicher Sauberkeit der Städte noch in pädagogischer Hinsicht viel bringen.
Ein paar Kilo Müll verschwinden aus dem Stadtgebiet. Das ist schön!
In Anbetracht der vielen dort inzwischen angesammelten Tonnen von Abfall bleibt es hier allerdings zweifelsfrei nur bei symbolischen Aktionen.
Und ein größeres Problembewusstsein schaffen sie offenbar bei vielen eben auch nicht.

 
Die Verantwortung für die Pflege des Stadtbildes verlagert sich durch diese wenigen Taten lediglich zunehmen von der vor Jahren mal nahezu noch vollumfänglich hier zuständigen städtischen Behörde in Richtung einiger weniger Freiwilliger, die von einem großen Teil der Leute dann auch rasch und nur zu gerne hierfür in die Verantwortung genommen werden, ohne dass diese daran denken selber auch nur einen Finger zu rühren.

 
Kein guter Weg auf dem sich das Projekt ‚Besentag‘ da aktuell vielerorts zu befinden scheint. Denn ähnliche Berichte und Erzählungen erreichen einen aus diversen Städten, wenn man mal hinhört. Und eine wirkliche Lösung? Ehrlich gesagt, ich sehe keine.
Jeder der es ordentlicher in seiner Umgebung haben möchte, der ist gefordert sich im Rahmen seiner Möglichkeit selber mit einzubringen, vor der eigenen Wohnungstür selber ein Stück weit für mehr Sauberkeit zu sorgen. Und zwar immer, nicht nur am ‚Besentag‘. Ob das am Ende aber genügend Leute tun werden? Die Gegenwart lässt einen zweifeln.
Und auf große Unterstützung der jeweils ‚Anderen‘ braucht man dabei wohl auch nicht zu setzen.

 

Solch sinnlose, häufig nur symbolischen Aktionen wie die ‚Besentage‘ bringen allerdings auch wohl nur den Beteiligten Politikern und Organisationen die gewünschte positive Presse. Ein oder zweimal im Jahr für einen Nachmittag ein paar Säcke voll Müll zu sammeln, das reicht eben in vielen Städten längst nicht mehr aus um die stetige ‚Vermüllung‘ auch nur abzubremsen, geschweige denn die Situation dort dauerhaft wieder etwas zu verbessern.

 
Am grundsätzlich immer beklagenswerteren Zustand vieler Städte in der Region werden und könne solche Aufräumaktionen nichts ändern. Zumindest nicht, solange die Städte im Gegenzug genau auf diesen Gebieten so viel eigene Leistungen einsparen. Da muss man sich nun auch nichts vormachen…

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WALTER Stach
WALTER Stach
9 Jahre zuvor

Robin, wenn ich mich nicht irre, erwähnt Mark Twain in seiner Autobiographie oder anderswo, daß ihm der Besentag als “ Besonderheit der Deutschen“ während seines Aufenthaltes bei uns aufgefallen ist.

Zu meiner Kinderzeit war es selbstverständlich, daß samstags vor jedem Haus gefegt wurde. Die nciht befestigten Randstreifen in den Wohnsiedlungen wurde zudem an jedem Samstag sorgfältig geharkt .

Ich denke, in ländlichen Gemeinden, z.B. des Sauer- und des Münsterlandes wird das auch heute noch so sein. In den Städten fehlt es vermutlich an dem Bewußtsein, daß jeder als Teil einer Nachbarschaft, als Mitglied einer Quartier-Gemeinschaft für diese Gemeinschaft etwas tun muß, indem er beispielsweise mithilft, den Dreck von den Bürgersteigen und von der Straße zu entfernen.
Über das Warum dieser Einstellung der Menschen in unseren Städten wäre nachzudenken und zu diskutieren : “ Mangel an Bürgersinn, an Bürgerverantwortung über den Besentag hinaus“ ?

Daß auch die wenigen Gutwilligen irgend wann das Saubermachen auf „ihrem Bürgersteig, auf ihrer Straße“ sein lassen, kann ich nachvollziehen, wenn sie tagtäglcih feststellen müssen, daß Mitbürger stets für Nachschub auf dem Bürgersteig, auf der Straße sorgen, indem sie Papier, Zigarettenkippen, Flaschen wegwerfen -„ergänzt“ durch die Hinterlassenschaften ihrer Hunde.
Ich muß mich jedenfalls immer wieder überwinden, um mich an das Säubern von Bürgersteig, Baumscheiben, Straße heranzumachen. Und wenn ich dann noch von Mitbürgern „blöd angequatscht werde“, dann……… .

Robin,
Du wirst an dieser Grundeinstellung der Mehrheit der Bürger, auch in unsere gemeinsamen kleinen Heimatstadt Waltrop, nichts ändern.
.
„Es ist wie es ist“.

Im übrigen ist dieser private Besentag im öffentlichen Raum ein relativ simples Beispilel dafür, warum es der „öffentlichen Hand“ bedarf. Nicht, weil die darauf quasi von sich aus „besonders scharf wäre“, sondern weil den Mittgliedern der Zivilgesellschaft „Verantwortung in Freiheit“ abhanden gekommen ist!

Aber auch daran wird mein einschlägiges (Be-)Klagen so wenig ändern wie Deine Klage über das Fehlen eines „flächendeckenden, regelmäßigen“Besentages in den Stadtquartieren.

Was bleibt also, wenn die Stadt nicht im Dreck verkommen soll?
Den öffentlichen Dienstleister „Straßenreinigung“ organisatorisch, personell, maschinell weiter aufrüsten und mittels entsprechend hoher kostendeckender Straßenreinigungsgebühren die Bürger zur Kasse bitten -die Hauseigentümer und über die Nebnkostenumlage alle Mieter.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

Wir brauchen die Bürgerverantwortung, weil ein Dauerservice nicht finanzierbar ist. Ich bin auch der Meinung, dass nur ein Tritt in den Hintern (Geldstrafe, Strafputzen) hilft, um ein paar Unverbesserliche zu erziehen. Aktionen wie das besonders hohe Reinigungsintervall in der Nordstadt betrachte ich als wenig sinnvoll. Der Müll an Verkehrsampeln/Auffahrten von LKW-Routen ist unerträglich und auch für die Natur gefährlich.

Warum aber an Freizeiteinrichtungen (z.B. Do-Ems-Kanal, Emscherradweg) keine Müllbehälter sind, ist nicht nachvollziehbar.

Auch im Ausland habe ich den Eindruck, dass Sauberkeit der Strassen eine Einstellung und sozialen Druck voraussetzt. Es kann doch keiner sagen, dass das Einsammeln der Hunde-Sch… Freude bereitet, aber in vielen Innenstadtvierteln, die auch so gepflegt aussehen, wird es gemacht. In anderen Vierteln derselben Stadt nicht. Hier sind auch keine Tütenspender notwendig. Wenn ich einen Hunde habe, kann ich die Beutel mitschleppen. Auffällig ist auch, dass ärmere Viertel mit Mietwohnungen wohl besonders wenig Verantwortung erzeugen. Dies ist überall so.

Kehrwochen in der Stadt können helfen, ein Bewusstsein zu schaffen. Sonst helfen wohl nur Strafen. Ich mag die Natur, aber viele Straßenränder ähneln immer mehr Müllhalden. Früher war Sauberkeit ein Erkennungszeichen für Deutschland. Jetzt sieht es in vielen anderen Ländern oft deutlich sauberer aus als hier.

Thomas Weigle
9 Jahre zuvor

@ Robin „Die Gass kehre“ funktioniert halt nur bei entsprechender Bebauung und halbwegs intakter Nachbarschaft.

teekay
teekay
9 Jahre zuvor

Ich denke, dass man mit dem ‚frueher war mehr Buergersinn‘ vorsichtig sein muss. ‚Frueher‘ gab es wöchentliche Muellleerungen, Strassenreinigung und den Beruf des ‚Strassenkehrers‘. Und Schlaglöcher waren nach 6 Wochen nicht nach 3 Jahren zu. Und es gab auch weniger Miet- und Ladenleerstand-wenn also ‚frueher‘ jeder vor seiner Tuer gekehrt hat und das heute noch immer der Fall ist gibt es eben 20-30% Tueren vor denen nicht gekehrt wird. Ich wuerde den massiven Service-Rueckbau nicht den BuergerInnen in die Schuhe schieben-und da kommunale Abgaben ja immer fleissig weiter steigen kann ich verstehen, wenn der Buergersinn darunter leidet…

Martin Kaysh
9 Jahre zuvor

Die schwäbische kehrwoche ist einmalig. Nur einma in meinem Leben durfteich sie samstags in einem Vorort von Stuttgart beobachet. Frau, im resoluten Alter, Kasack tragend, war wohl so im hormonell/genetischen Überschwang, dass sie mit ihrem Besen nach dem Trottoir auch noch die fraushohe Hecke fegte. Ich habe im Auto dann nur die Kindersicherung runtergedrückt und bin mit Tempo 30 geflohen.

WALTER Stach
WALTER Stach
9 Jahre zuvor

Martin Kaysh-6-
Wenn ich unter -2-Mark Twain mit seinen Bemerkungen zum deutschne Besentag erwähnt habe, dann hatte er, soweit mir im Moment erinnerlich, in der Tat die „kehrenden Schwaben“ im Sinn.
Aber, nicht nur die Schwaben „kehrten vor der eigenen Haustür, u.a. auch in meiner Heimtatstadt Waltrop, also im nördlichen Ruhrgebiet an der Schnittstelle zum westfälischen Münsterland, war es selbstverständlich, wie ich bereits unter -2-gesagt habe, ,daß an jedem(!) Samstag vor der „eigenen Haustür “ durch die Bewohner Bürgersteig und Straßen gekehrt wurden.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

Im ländlichen Münsterland, Sauerland etc. habe ich auch schon mehrfach Bewohner beobachtet, die sich um den Bürgersteig vor den Wohnungen kümmerten.

Das erlebt man auch in jedem Urlaubsort. Morgens wird vor den Geschäften der Sand etc. entfernt. Der hiesige Einzelhandel hat an den Hauptstrassen weniger Probleme mit den Fast Food Packungen vor den Geschäften. In dieser wenig einladenden Umgebung vermeide ich dann meistens auch das Geldausgeben.

Thomas Weigle
9 Jahre zuvor

„Vor der eigenen Tür kehren“ ist keine schwäbische Eigenschaft. Ich bin damit im Rhein-Main-Gebiet aufgewachsen.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

@teekay: Schlaglöcher sind zumindest in meinem Viertel relativ schnell „zu“, aber halt mehr so dahingekleckst, einmal mit Schüppe draufgekloppt, im nächsten Frühjahr ist daneben sofort das nächste Loch, wieder Schüppe Teer draufgekloppt – bis der Bürgersteig (und auch die Straße) aussieht wie die Vollmond-Oberfläche. „Kehrwoche“ heißt bei uns höchstens mal mit dem Gartenschlauch drübergehen, denn jeder Besen (und jeder Schneeschieber) versagt auf diesem Asphalt-Streuselkuchen namens „Straßenbelag“ seine Pflicht.

Dazu kommen dann noch die Geistesriesen vom Tiefbauamt, die Baumscheiben dadurch totsanieren, dass man ohne Umrandung einfach Sand um den schon sterbenden Baum herum drapiert, welcher dann mit ein bisschen Wind Straße und Bürgersteig vollends versaut. Sysiphos lässt grüßen…

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