Die Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich (ARG) ist eine atheistische Organisation mit einem besonderen Touch. Sie will als eine „staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft“ anerkannt werden. Dazu ist es notwendig, 300 Mitglieder zu haben und tatsächlich eine Religionsgemeinschaft zu sein, also auch über eine Religionslehre und eine religiöse Praxis zu verfügen.
Im Falle der Anerkennung wäre es amtlich besiegelt, dass die AtheistenInnen, die in dieser Organisation Mitglied sind, sich als Mitglieder einer „staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaft“ bezeichnen dürfen. Das hätte dann nach aktueller Rechtslage zur Folge, dass auch die Religionslehre der ARG vom § 188 StGB („Herabwürdigung religiöser Lehren“) geschützt wird. Das ferne Ziel ist es, mit den Großkirchen (Anm. in Österreich haben wir nur eine wirklich große Kirche, die Römisch-katholische) auf Augenhöhe mitreden zu können.
Die ARG hat Ende 2019 ihren Eintragungsantrag an das Kultusamt gestellt. Ich konnte das Präsidiumsmitglied Wilfried Apfalter interviewen und fragte ihn, warum man als atheistischer Mensch so etwas überhaupt wollen soll. Gestern hat das Kultusamt entschieden.
„Wir, die Mitglieder der “Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich”, bekennen uns beim Versuch, die Gestaltung der Welt und unsere Stellung als Menschen in ihr zu erklären, in religiöser Selbstbestimmung als „Atheistinnen” beziehungsweise „Atheisten” und (a) glauben, dass nicht Gottheiten uns Menschen erschaffen haben, sondern dass jeweils Menschen ihre Gottheiten (und deren Geschichten und so weiter) erschaffen haben beziehungsweise erschaffen, sodass alle diese Gottheiten (usw.) letztlich immer (nur) als von Menschen erschaffene Gottheiten (usw.) existieren, und (b) wollen, dass dieses religiöse Bekenntnis auch als ein solches in einem umfassenden Sinn in Österreich anerkannt wird.“
(Anfangssatz der ARG-Religionslehre, § 2 Absatz 1 der ARG-Statuten)
Es gibt in Österreich, neben den herkömmlichen großen Religionen, neun staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften: die Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft, die Bahá’í, die Christengemeinschaft, die Hinduistische Religionsgesellschaft, die Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft, die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, die Pfingstkirche Gemeinde Gottes, die Vereinigungskirche und die Vereinigte Pfingstkirche. Die staatliche Eintragung ist für eine religiöse Gruppierung der erste wichtige Schritt zur gesetzlichen Anerkennung. Eine solche Bekenntnisgemeinschaft besitzt Rechtspersönlichkeit, ist aber im Gegensatz zur gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft keine Körperschaft öffentlichen Rechts. Eine Bekenntnisgemeinschaft, die über mindestens zwanzig Jahre besteht, davon zehn Jahre in organisierter Form und zumindest fünf Jahre als „staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft“, kann eine gesetzliche Anerkennung beantragen. Dazu braucht sie des Weiteren eine Mitgliederzahl von wenigstens zwei Promille der österreichischen Bevölkerung. Eine gesetzlich anerkannte Religion hat das Recht, Religionsunterricht abzuhalten und steuerliche Vorteile zu genießen. Doch für die ARG ist das Zukunftsmusik; es gilt zunächst einmal, die erste Hürde zu überwinden und die Eintragung zu erreichen.
Die österreichischen Gesetze geben keine genaue Definition des Begriffes „Religion“. Das EU-Recht hingegen liefert einen umfassenden Religionsbegriff (EU-Richtlinie 2011/95/EU): „der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen (…)“ (Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b).
Die große Frage bis gestern war, ob das Kultusamt es ebenso sieht bzw. so sehen will.
Die Antwort ist: Nein.
Ich konnte Herrn Apfalter einige Fragen stellen:
MJ: Die Entscheidung ist gefallen …
WA: Wir schauen uns diesen Bescheid des Kultusamts jetzt einmal sehr genau an und werden dann sehr gezielt über die nächsten Schritte entscheiden. Unser Ziel bleibt natürlich weiterhin die staatliche Eintragung. Wir lassen uns nicht abschrecken 🙂
MJ: Warum soll man als Atheistin oder als Atheist einer atheistischen Religion beitreten?
WA: Uns geht es um ernstgemeinten Dialog auf Augenhöhe. Dazu ist eine gewisse Ambiguitätstoleranz sicherlich sehr förderlich, und natürlich auch eine konstruktive Religionskritik, die hoffentlich auch Selbstkritik miteinschließt. Es geht uns gleichzeitig auch um eine volle Gleichberechtigung. Eine volle Gleichberechtigung bedeutet im Endeffekt, als Mitglieder der ARG gleiche Rechte wie Mitglieder schon länger etablierter Religionsgemeinschaften zu haben. Das bedeutet konkret etwa die Aussicht auf eine gleichberechtigte Berücksichtigung zum Beispiel unseres optionalen vegetarischen bzw. veganen Ritus. Ein religiös begründeter Vegetarismus bzw. Veganismus wird ja zum Beispiel bei Buddhist(inn)en und Hindus vom Staat respektiert; der Staat nimmt darauf zum Beispiel bei der Verpflegung von Zivil- und Präsenzdienern Rücksicht. Ein weiteres Beispiel: derzeit sind wir rund 350 Mitglieder – wenn wir eines Tages gesetzlich anerkannt sind, was nach § 11 des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes je nach zukünftiger Bevölkerungszahl etwa 17.000 bis 18.000 Mitglieder voraussetzt, dann wird es uns nach § 17 Absatz 2 des Privatschulgesetzes möglich sein, eine Privatschule als konfessionelle Schule unseres Religionsbekenntnisses anzuerkennen. Wir würden ihr damit die volle Gleichbehandlung mit anderen konfessionellen Privatschulen und dadurch eine erhebliche finanzielle Absicherung durch den Staat vermitteln. Da geht es also auch um Chancengleichheit.
MJ: Die ARG will also im Kreise der Religionen mitmachen?
WA: Wir wollen für uns Atheist(inn)en neue Räume kultureller Partizipation eröffnen und damit auch zu einer Art von Normalisierung beitragen. Wir wollen aktiv dazu beitragen, dass es unproblematisch und völlig normal wird, auch Atheist(inn)en zu berücksichtigen. Zum Beispiel in der gesetzlich geregelten ORF-Berichterstattung, aber auch zum Beispiel in Ethik-Kommissionen, bei parlamentarischen Enqueten und anderswo. Im interreligiösen „Dialogforum Ethik“ der „Initiative Weltethos Österreich“ (IWEO) beispielsweise ist das bereits der Fall.
MJ: Die meisten Atheisten, die ich kenne, wollen jedoch nicht Mitglied in einer Religionsgemeinschaft sein.
WA: Tja, das ist natürlich ihr gutes Recht. Sie bleiben damit allerdings weiterhin dort, wo sie auch jetzt schon sind.
MJ: Wie genau könnten Atheist(inn)en Seelsorge leisten?
WA: Einen sehr spannenden Raum kultureller Partizipation stellt Seelsorge dar. Das ist jetzt vielleicht für viele ein sehr unerwarteter und vielleicht stark kontroverser Punkt. Seelsorge als gegenseitige Begleitung auf einem Weg setzt keine unsterbliche Seele voraus. Warum sollten nicht auch interessierte Atheist(inn)en in der Lage sein, sich auf die Suche nach den aktuell besten Erzählungen, Ritualen etc. zu begeben, die uns allen hilfreiche Perspektiven auf existenzielle Themen eröffnen können, einen realistischen Blick auf die Welt ermöglichen und gleichzeitig ein gutes Leben fördern?
Speziell für Seelsorge in so besonders herausfordernden Zusammenhängen wie beispielsweise Medizin, Hospiz und Militär sind natürlich sehr gut überlegte Konzepte (und vieles mehr) erforderlich. Wir werden sehen, was davon wir in Zukunft verwirklichen wollen und können.
Was wir jetzt schon tun können und auch tun: wir unterstützen schon seit einiger Zeit Mitglieder, die sich in einem Asylverfahren befinden, bei Bedarf dabei, dass ihre atheistischen Überzeugungen auch von Behörden bzw. Gerichten wahr- und ernstgenommen werden. Mehrere Mitglieder haben bereits rechtskräftig Asyl erhalten. Auch diese Begleitung ist eine Form von Seelsorge – eine, die sich mit oft besonders existenziellen Fragen beschäftigt.“
MJ: Ihr müsst ja auch eine religiöse Lehre vorweisen. Wie sieht denn eine atheistische Theologie aus?
WA: So wie eine atheistische Religion möglich ist, so kann auch Theologie aus einer atheistischen Perspektive heraus in sinnvoller Weise wissenschaftlich betrieben werden. Atheistische Theologie auf Augenhöhe mit den Theologien bereits etablierter Religionsgemeinschaften: das wäre sicherlich für mehrere Seiten zunächst einmal sehr ungewohnt. Und irgendwie faszinierend, finde ich. Auch diesbezüglich ist vermutlich noch sehr viel Neues, Veränderndes, Spannendes möglich.
MJ: OK, und wie sieht ein atheistisch-religiöses Leben in der Praxis aus?
WA: Wir wollen für uns selbst und für andere eine weltoffene, weitblickende und nachhaltige atheistische Alternative zu den traditionellen Religionen entwickeln und verwirklichen. Gewissermaßen eine gute Religion, die das Leben vieler Menschen auf eine menschenrechtlich unbedenkliche Art und Weise positiv bereichern kann. Dabei wollen wir unter anderem durchaus auch Rituale (weiter-) entwickeln (auch etwa zur Begrüßung eines neugeborenen Menschen und zur Verabschiedung eines verstorbenen Menschen), gemeinsame Feste feiern, vielfältige Dialogmöglichkeiten mit Leben füllen, und uns insgesamt ein tragfähiges österreichweites Netzwerk für einen menschenfreundlichen humanistischen Atheismus aufbauen.
MJ: Willst Du uns noch etwas auf den Lebensweg mitgeben?
WA: Der Genetiker John B. S. Haldane hat einmal geschrieben (Journal of Genetics, 58 (1963) 463-464, auf Seite 464): “I suppose the process of acceptance will pass through the usual four stages: 1. This is worthless nonsense, 2. This is an interesting, but perverse, point of view, 3. This is true, but quite unimportant, 4. I always said so.” („Ich gehe davon aus, dass der Prozess der Akzeptanz durch die üblichen vier Phasen verlaufen wird: 1. Das ist wertloser Blödsinn, 2. Das ist eine interessante, aber perverse Perspektive, 3. Das ist wahr, aber ziemlich unwichtig, 4. Ich habe es immer schon gesagt.“)
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