Schauspiel Dortmund: Das goldener Zeitalter – Wortarm im Bildreich

Das Goldene Zeitalter Foto: Birgit Hupfeld Lizenz: Copyright
Das Goldene Zeitalter Foto: Birgit Hupfeld Lizenz: Copyright

Trösten soll uns dieses Theater. Jedes Jahr erneut, wenn der Sommer zu Ende geht, es schmuddelig wird draußen, herbstlich und kühl, wenn die Dunkelheit sich irgendwann schon um halb fünf durch die Straßen schiebt, dann, immer wieder, sperren diese Kulturbuden die Türen auf und zeigen, was die Menschen da drin so geübt haben in den letzten Wochen. Zeigen, wie es weitergeht in diesem Leben oder auch nicht. Und wenn da keine Lösung ist, haben sie sich doch Mühe gegeben, stellvertretend für uns. Wir finden dann die Schauspielerin knorke, den Regisseur blöd oder genial und die Musik zu laut. Egal, wir gehen anschließend noch was essen oder trinken. Im Grunde gilt die Vereinbarung: Um halb acht geht der Vorhang hoch, und am Ende, nach zwei Stunden, sind alle tot oder immer noch verheiratet. (Was gerade im modernen Text ein geringer Unterschied ist).

Das Dortmunder Schauspiel eröffnet die Spielzeit mit „Das goldene Zeitalter – 100 Wege dem Schicksal die Show zu stehlen“, von Chef Kay Voges und Dramaturg Alexander Kerlin. Da geht man mehr oder minder kurz vor halb acht in den Saal, da aber geht dann kein Vorhang hoch. Weil die Akteure schon zugange sind. Weshalb auch, im Premierenfall, sich knapp drei Stunden später der Eiserne Vorhang senkt, darauf projizierte Videobilder den Abend rekapitulieren, aber niemand kommt zum Schlussapplaus. Woraufhin sich das Publikum irgendwann trollt. Was ist geschehen? Mh. Es hat sich auf der Bühne alles wiederholt, nicht unendlich lange, aber oft. Oft sind die sechs schwarzweiß-gekleideten Schulmädchen beiderlei Geschlechts eine Treppe hinabgestakst, hat eine monotone Stimme ihre mechanischen Schritte gezählt, haben die Animegirls unten ihre Schuhe abgetreten, sind mit dem Aufzug wieder hinauf gefahren.

Kurz nach Beginn sind Voges und Kerlin dazu gekommen, haben Platz genommen an einem Regiepult in der achten Reihe, blendet Kerlin Texte ein in die Videoprojektionen, Texte, die mal sortieren nach Tagen und Orten, Vergangenheit und Allgegenwart aufblitzen lassen. Voges dirigiert das Ensemble, spricht die Akteure mal in ihrer Rolle, mal mit ihrem ganz privaten Namen an, mal gut hörbar gleichzeitig fürs Publikum, mal nur als Sound wahrnehmbar, dann gehen die Anweisungen meistens Richtung Musik, Video und Sound..

Dieses Loopen, Schleifen, ständige Wiederholen geht nicht gut, es kann nicht gut gehen. Das scheinbar mechanisch perfekte Ballett gerät schon bald und zusehends aus den Fugen, die Mädchen rempeln sich an und tanzen sich zu Haufen zusammen, weil Neues ihr Treppensteigen beeinflusst, durcheinander würfelt. Der Regisseur schreitet ein, fordert den Auftritt des deutschen Michels (Uwe Schmieder), lässt Nietzsche (Björn Gabriel) aus Lust gleich mehrfach erschießen oder seinen Text immer wieder sprechen. Irgendwann findet er das bekanntlich endlose Zappeln eines Duracellhasen so öde, dass er ihn von der Bühne schmeißt. Eva-Verena Müller darf sich poetisch, anmutig, salat- und zeitfressend als Raupe die Treppe hinaufwinden, ihr Lied singen darf sie nicht mehr, da klingt Kay Voges manchmal harsch.

Vielleicht ist er irgendwann nervös geworden, als Zuschauer nach anderthalb, zwei Stunden den Saal verlassen, sicher  beeinflusst das Geschehen im Parkett den Regisseur, der all das am Laufen halten will, Diener zweier Herren hier und heute ist sozusagen. Denn nach dem unendlich komischen, loriothaften, dann doch nicht albernen Auftritt von Adam und Eva (Eva Verena Müller, Caroline Hanke),  nachdem Sisyphos (Merle Wasmuth) gezeigt hat, dass er vielleicht glücklich, aber vor allem ein Tölpel ist, lichten sich die Reihen. Aber das ist nicht mehr diese demonstrative Saallucht, bei dem 85-jährige Abonnenten noch einmal Fitness mit Renitenz koppelnd Türen knallen. Nö, das Theater selbst hat zur selbstbestimmten Pause aufgefordert. Der Einladung folgen viele, kommen aber nach einem Bier oder einer Kippe zurück. Andere bleiben dem Spiel fern. Was soll´s, auf Partys gehen auch immer einige Leute früher.  Wenn die Dortmunder es jetzt noch zuließen, auch später zur Vorstellung zu kommen, hätten sie den strengen Zeitrahmen der herkömmlichen Bühnenerzählerei endgültig gesprengt.

Dieser Abend ist wortarm und bildstark. Nietzsche, das Alte Testament, Heine, die Tagesschau und Jogurtreklame, Gott am Telefon und Anton Tschechow tragen bei zum Spiel. Das mag nach einer Collage aus dem Jugendclub klingen, ist aber zu keiner Zeit Wissensangeberei oder elaboriertes Null, sondern immer schön, bewegend und anrührend.

Wer über die Zeit verfügt, so scheint es, hat das Sagen. Weshalb die Wiederholungstäter aus der Abteilung Bild und Ton, auf einer Empore platziert, als Götter agieren dürfen und doch an den Fäden der Live-Regie hängen. Daniel Hengst, der mit acht Kameras neue Höchstleistungen in Dortmund erreicht, und Tommy Finke, der nun endlich und gleich mit Wucht im Theater angelangt, dem Erwachsenwerden nicht mehr entrinnen kann.

Was soll das Ganze? Wenn ich das mal wüsste. Wiederholungen zermürben, machen krank, nerven, aber geben, wie vieles Ritualisierte, auch Sicherheit. Manchmal sind sie subversiv. Ich erinnere mich an eine frühe Strafarbeit in meiner Schulzeit. Drei Mal sollte ich wegen irgendeines Vergehens die Hausordnung abschreiben. Dreimal lieferte ich, „Hausordnung Hausordnung Hausordnung 111… Die Die Die Schüler Schüler Schüler des des des…“ Soviel Widerstand musste sein, konnte sein. Der Mathelehrer tobte, als er meine Arbeit sah. Botschaft angekommen.

Oder Wiederholungen entlarven Lügen. Videokünstler Klaus vom Bruch war in seinen frühen Werken so ein Wahrzeiger. Er loopte schon in den 80-ern, als das noch Arbeit war, Videoschnipsel. Machte aus einem Werbegesäusel minutenlange, derart penetrante Belästigung, dass ich bis heute das so angepriesene Papiertaschentuch nicht benutzen kann.

Kommen wir zur Aufgabe des Tröstens, also zur Nichtaufgabe der Hoffnung zurück. Irgendwann zitiert man an diesem Abend Heinrich Heine, wortstark. „Das goldne Zeitalter, heißt es, liege nicht hinter uns, sondern vor uns; wir seien nicht aus dem Paradies vertrieben mit einem flammenden Schwert, sondern wir müssten es erobern durch ein flammendes Herz.“  Das kommunistische Manifest, gerade zum Weltkulturerbe erklärt, endet mit ähnlichem Gedanken. Den Abend im Dortmunder Schauspiel sollte man wiederholen, als Zuschauer, unbedingt. Wiederholen. Als Zuschauer. Unbedingt.

Weitere Termine: 21. September, 9., 17. Oktober, 17. November.

 

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