Heimat? Auch die Autoren dieses Blogs haben sich über diesen Begriff Gedanken gemacht. Und sie kamen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Voilá – die zweiten Fünf:
Robin Patzwaldt Für mich ist Heimat ein ziemlich einfacher Begriff. Es ist die Gegend aus der ich stamme, die wo meine Wurzeln liegen. Hier habe ich viele Freunde, viele schöne Erinnerungen an Schule, Jugendzeit und Familie. Ich war immer auch ein gutes Stück weit glücklich darüber ausgerechnet aus Dortmund zu stammen. Wenn ich in meinen Personalausweis schaue, dann freut es mich noch immer, dass da als Geburtsort ausgerechnet ‚Dortmund‘ eingetragen ist. In der Fremde habe ich schon in meiner Kindheit begeistert von meiner Geburtsstadt, von ihrem bekanntesten Fußballteam, dem BVB, und von der ganzen Region aus der ich stamme, dem Ruhrgebiet, erzählt, wenn ich einmal wieder irgendwo im Lande, oder auch darüber hinaus, unterwegs war, dort neue Freundschaften schloss, oder auch gearbeitet habe. Heim gekommen bin ich stets immer wieder gerne. Im Laufe der Jahre wurde mein Blick auf meine Heimat dann auch durchaus deutlich kritischer, ist inzwischen bis zu einem gewissen Grad sogar zynisch geworden, weil ich eben auch immer mehr Fehler an und in meiner Heimatregion entdeckt habe, ich bemerkt habe, wie schön es doch auch woanders sein kann. Trotzdem bin ich bisher nie wirklich lange von hier fortgegangen. Hier komme ich immer noch gerne her, hier gehöre ich hin. Das ist und bleibt eben meine Heimat. Und ich bin selber auch ein kleines Stück davon.
Michael Kolb Was ist Heimat? Pffff… dumme Frage, natürlich weiß ich genau was Heimat ist… zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem mich wirklich jemand fragt und ich darüber nachdenken soll, was ich antworte. Am Ende ist Heimat, für mich, doch nur ein abstrakter Ort. Ein Ort, den man erst dann „Heimat“ nennt, wenn man gezwungen ist, oder gezwungen wird, ihn, möglicherweise für immer, zu verlassen. Heimat ist eine Kombination aus Ort, Menschen und Erinnerungen. Der Ort, an dem man sentimental wird, wenn man noch einmal an alle Plätze geht, noch einmal Revue passieren lässt, was hier alles geschehen ist. Bilder und Stimmen aufsteigen lässt… um noch einmal den Duft einzuatmen, sich umzudrehen und für immer zu gehen.
Sebastian Bartoschek Was Heimat ist, frage ich mich schon sehr lange. Zuerst mit kindlichen Begriffen, dann nicht mehr ganz so, und angesichts meiner Söhne nun wieder. Meine Eltern kommen aus Polen bzw. Schlesien bzw. nicht von hier. Ich bin der erste meiner Familie seit mehreren Generationen der (bisher) relativ nah am Ort seiner Geburt geblieben ist. Das Heimat-Denken vieler Freunde war mir deshalb fremd.
Mittlerweile habe ich für mich eine sehr schräge und verschränkte Heimat-Definition gefunden. Heimat ist für mich ein Konstrukt aus vielen Facetten. Es ist zunächst sowas wie ein Raum-Zeit-Bereich, der einen Ort zu einer bestimmten Zeit mit Erinnerungen anfüllt und ein warmes Gefühl gibt, wenn man daran denkt, und ein wehmütiges Gefühl, wenn man wieder dort ist, und sieht, dass es heute in Recklinghausen-Süd auf dem Schulhof von früher eben anders ist, als in den 80ern oder 90ern. Deswegen suche ich ungern solche Ort auf, oder nur selten, oder nur mit Freunden. Freunde und Familie wiederum waren dann lange die prägende Stütze meiner Heimatsdefinition.
Heimat ist dann eine Phase in der Zeit, in der ich mit Freunden und/ oder Familie den Moment genießen kann – letztlich unabhängig vom Ort. Bin ich mit meinen Jungs auf Sauftour auf der Reeperbahn, wird eben die Reeperbahn für mich ein Stück Heimat, zudem wird ein neues Stück Heimat im Raum-Zeit-Bereich angelegt. Das trifft genauso zu, wenn ich mit meiner Frau in Irland bin, oder mit meinem Vater in Polen skype, während ich im Starbucks Bochum – das es mittlerweile nicht mehr gibt – sitze.
Aber auch neue Menschen und Orte können Heimat erzeugen. Das habe ich sehr selten. Aber in Irland gibt es viele Ecken, und auch auf Kreta einige wenige, wo ich für mich Heimat entdeckte. Einige Pubs in Dublin und Limericks sind für mich mehr Heimat, als große Teile von Herne und Recklinghausen, oder Bochum, oder Essen.
Dann ist da dieses genetische Heimatkonstrukt: ich habe DNA-Analysen und Ahnenforschung machen lassen und habe nun ein ganz gutes Bild, woher meine Vorfahren kamen – und deswegen, oder in Zusammenhang damit, oder vielleicht auch ganz losgelöst davon, empfand ich auf meinen Roadtrips nach Tschechien in Prag, in Pilsen, aber auch auf dem einfachen Land dort, schnell ein Gefühl, das ich mit Heimat zuordnete.
Seit meine Söhne auf der Welt sind, ändert sich mein Heimatbegriff, wie ich es nicht erwartet hätte: Heimat werden für mich die Orte, die meine Söhne als Heimat erleben, über die sie mir berichten, wo sie soziale Kontakte und Anderes erleben. Plötzlich fühle ich mich zunehmend (auch) als Herner.
Und so ist es für mich hauptsächlich irritierend bis überraschend, wenn derzeit die eine oder der eine behaupten, dass Heimat genau dies oder jenes sei, und dies oder jenes getan werden müsse, damit diese Heimat so oder so bliebe oder wieder werde. Ich halte dies für den verzweifelten Versuch, den Raum-Zeit-Bereich festzuhalten, einen Strom einzufrieren und auf ewig ein Gefühl zu konservieren.
Ein anderes meiner Heimatgefühle bezieht sich auf Schalke, auf das Parkstadion. Ich habe hier viel Zeit meiner Jugend verbracht, und meine Schalkemitgliedschaft ist mir letztlich wichtiger als meine Nationalität oder meine Religionszugehörigkeit. Und ja, ich schwärme von den „guten alten Zeiten“ von Ristic und Neururer und und und. Aber es ist vorbei – weil der Moment eben stets vergeht. Und das ist normal, und das ist gut, weil wir sonst nie all die großartigen Dinge erschaffen hätten, die immer nur die Zukunft bringt.
Deswegen freue ich mich über und genieße ich Momente von Heimat – und die Menschen – und werde wohl nie verstehen, was ein Heimatministerium, von einem Zauberministerium unterscheiden sollte.
Silke Zeidler Erst nach wiederholten Anfragen an mein Hirn bekomme ich zwei Suchergebnisse zu dem Wort Heimat: *Heimatfilm, Peterle*
Das ist alles.
Also setze ich mich zu YouTube und gebe *Heimatfilm, Peterle* ein.
Es singen Don-Kosaken.
Google erklärt mir, dass die Don-Kosaken-Sänger ursprünglich Exilanten waren.
Das ist ja zum einen das Gegenteil von Heimat und zum anderen werden sich Anti-Immigranten sicherlich nicht mit Asylantragenden wieder einhegen lassen.
Ich überspringe also die nächsten Kosaken-Chor-Vorschläge bei YouTube und gucke weiter bei Mr. Verdi und dessen Gefangenenchor.
Wo doch auffällig wird, dass YouTube das Thema komplett verfehlt.
Aber der Gefangengenchor singt so ¾ – taktig * vor sich hin, in der Not assoziiere ich – Walzer, Werther, Mr. Goethe.
Mr. Goethe, kulturelle Heimat, klingt vielversprechend.
Google stellt auch diensteifrig eine Seite bereit, die ich überfliege. Hängen bleibe ich bei: “Hier grenzt er sich mit wachsender Schärfe ab, gegen das Spießbürgertum” **
Auch dieser Teil Kultur also wird die, die so stolz sind auf dieses nasskalte Stück Erde, nicht froh stimmen, der hat nämlich schon damals auf sie herab geblickt.
Und so geht es immer weiter.
Das kulturelle Angebot für Dumpfsinn ist tatsächlich sehr überschaubar.
Mr. Wagner hören und dazu ausgewählte Texte von Mr. Grass lesen, das war’s dann auch fast schon.
Das sind düstere Aussichten, aber es sind ja auch deprimierende Gestalten, die Deutschland in Deutschland vermissen, könnte also funktionieren.
Allerdings ausschließlich für die.
Statt also weiter Menschen hinterher zu rennen, die Hass schüren und Zwietracht sähen im Namen des abendländischen Christentums, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wissen wollen, in welchen Höllenkreisen sie nun dafür landen werden, statt also braune Stumpfsinns-Denke immer noch mehr zu bestärken, ist’s ja auch möglich, den Neugierigen entgegen zu kommen.
Mit freiem Eintritt in alle Museen, beispielsweise.
Die Weltoffenen, klar auch die ohne Geld, mögen so was gern.
Heimat? Ich bin nie jemandem begegnet, der Peterle heißt.
Google sagt, dass YouTube Wiki Fandom sagt, dass Peterle ein Let’s play und Vlog-Kanal ist.
Na ist doch gut, wenn er Freude daran hat.
Werner Streletz (Gastautor) Der Begriff Heimat besaß für mich von jeher einen ausgesprochen herben Beiklang. Die von Kohle und Stahl demolierte Landschaft bot sich mir als das Gegenteil einer anheimelnden Flucht- und Rückzugsmöglichkeit dar. Im Ruhrgebiet konntest Du Dich nicht entspannt zurücklehnen und gefällig bis selbstgefällig betrachten, wie wohlgetan die Umgebung sich ausbreitet, in der du aufgewachsen bist und lebtest. Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass man im Ruhrgebiet vor allem „Vorsicht“ walten lassen muss, allzu große Vertrauensseligkeit eher schädlich sein konnte. Und die weitverbreitete Ansicht, dass die Menschen hier geradeheraus sind und immer „sagen, was Sache ist“, konnte mir zeitweise Unbehagen einflößen. Denn was ist, wenn Du selbst nicht zu dieser zupackend-sympathischen Spezies gehörst, eher verträumt bist, verzwickt? Ich habe das Ruhrgebiet früher (heute bin ich etwas altersmilde geworden) nicht unbedingt als Heimat begriffen, sondern als Zuhause, mit dem man zurechtkommen muss. Mal recht, mal schlecht.- Also eher heimatlos (wie einstmals Freddy Quinn in besagtem Song) als heimattümelnd (wie später Karl Moik im Schrammel-TV).
Mehr zu dem Thema:
Ein "Heimatbuch" der besonderen Art fiel mir am Wochenende beim Wühlen in den Tiefen meiner Bücherschränke in die Hände: TRAMTOURRUHR. Ein Bildband über die ersten Nachkriegsjahrzehnte, als die Straßenbahn noch allgegenwärtig und selbst über Land fuhr. Im Gegensatz zu Bildbänden über Eisen-und Schnellbahnen fangen Straßenbahnaufnahmen auch das "wirkliche" Leben ein, laden zum Vergleich mit heute ein. Die Begleittexte sind nicht 08/15, sondern sparen nicht mit Kritik an der städtebaulichen Entwicklung.
Wer von den geschätzten Lesern weiß, dass ein großes Wohngebäude am Borsigplatz einst von Hoesch für Werkswohnungen errichtet wurde?
Das einzige Manko dieses Bildbandes ist der Neupreis: fast 40 Euro. TRAM-TOUR-Ruhr Straßenbahnen im Ruhrgebiet der Nachkriegsjahre, EK-Verlag Freiburg, 2008