Am 24. Juli 2010, dem Tag der Loveparade, erhält Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland eine Minute nach halb fünf eine SMS auf sein Smartphone. Der erste Bürger der Stadt hält sein Handy in der Hand, sein Blick ist kritisch auf das Display gerichtet. Die SMS macht offenbar eine schnelle Entscheidung notwendig. Eine Geschichte zum historischen Foto aus dem 2. Print-Ding der Ruhrbarone. (Das ganze Print Ding mit langen, sauteuren Stories kann hier bestellt werden. klack)
von Thomas Meiser
Auf dem Foto steht neben Oberbürgermeister Sauerland der Spaßmacher Oliver Pocher, er will in diesem Augenblick ein funky Kurzinterview mit dem Politiker machen. Auf der anderen Seite von Pocher steht Kulturhauptstadt-Popdirektor Dieter Gorny – auch der soll reden. Die Nummer soll über BILD Online laufen. Hier wird ein Videostream des Medienpartners BILD abgespielt. Die drei stehen oben auf einer Brücke über dem Party-Gelände auf dem alten Güterbahnhof gegenüber der Hauptbühne. Ein Pulk von Knipsern will genau hier und jetzt das Bild vom Tage machen: Strahlende Sonne, Love and Peace. Im Vordergrund die Promis, im Mittelgrund die ravende Masse, im Hintergrund die Loveparade-Bühne, schön bunt illuminiert. DJane Monika Kruse spielt ihr Set.
Eine oder zwei Minuten zuvor hatte Sauerlands persönlicher Referent Josip Sosic seinem Chef etwas ins Ohr geflüstert. Danach hatte sich der Adlatus sofort wieder aus dem Focus gedrängt. Ist etwas passiert?
Dieter Gorny sagte später, Sauerland sei per SMS aufgefordert worden, irgendwo anzurufen. Irgendwas sei passiert. Mehr wisse er auch nicht.
Ähnlich äußert sich Sauerland selber. Es sei eine unbestimmte SMS gewesen, die er da bekommen habe. Man habe ihn gebeten, sich zu melden. Da es sehr laut gewesen sei, habe er den Rückruf um ein paar Minuten nach hinten verschoben.
Bernd Dix, ein Kollege, der beim WDR schafft, stand schräg hinter Sauerland. Gerade nicht im Bild. Er konnte die SMS lesen, sagt er. Die wenigen Worte seien ihm im Gedächtnis geblieben: „Sofort im Krisenstab anrufen“, habe dort gestanden.
Sauerland muss sich entscheiden.
Ein belangloses Interview mit dem Online-Boulevard durchziehen, und tun, was eine Meute Knipser von ihm erwartet?
Oder jetzt sofort auf die drängende SMS auf seinem Smartphone reagieren?
Beraten kann sich Sauerland zu diesem Zeitpunkt mit Niemanden. Seine Mitarbeiter sind zu weit weg. Selbst auf Armlänge kann man kaum jemand ohne technische Hilfsmittel verstehen. Es groovt, es kracht, es ist außer Kontrolle. Und Sauerland muss sich entscheiden. Er ist Oberbürgermeister. Er ist im Amt. Er ist der Chef. Am Pressecounter liegen den Mädels vom Dienst so eine Art Steckbriefe vor, die Fotos mit Namen darunter fordern Spezialbetreuung für Prominente. Darunter das Bild von Sauerland.
In der Ankündigung zum Pocher-Interview auf der Pressebrücke vor der Bühne stand: „17.30 Uhr. Statements zum Tag und offizielle Verkündung der Besucherzahlen.“
Auf dem Foto kurz vor dem angekündigten Statement kann man fast erkennen, wie es in Sauerland arbeitet. Wie seine Entscheidung reift.
Krisenstab oder Kamera? Jetzt sofort losgehen und zurückrufen, oder eine gute Viertelstunde vertändeln, mit der Bekanntgabe von gefälschten Besucherzahlen? Es ist ein Symbol für den Umgang mit Verantwortung, wie der Duisburger Oberbürgermeister sie versteht.
Sauerland gibt Pocher ein Signal. Er hat sich entschieden.
Dann redet der Oberbürgermeister in das Mikrofon.
Für den Livestream von BILD-Online von der Brücke über der Katastrophe herab. Was er sagt, ist längst vergessen.
Ein paar Stunden später wird Sauerland den Opfern der Loveparade vorwerfen, sie wären aus Leichtsinnigkeit in den Tod gestürzt, weil sie über Absperrungen hinweg geklettert seien.
Kulturhauptstadt-Popdirektor Dieter Gorny wird sich kurz nach dem Pocher-Interview aus allem raushalten, was mit der Loveparade zu tun hat. Zwar wird er später noch einmal im Backstage-Bereich einer desaströsen Sauerland-Pressekonferenz hocken, als dort überlegt wird, ob Gorny als Vertreter der Kulturhauptstadt gemeinsam mit Sauerland auf das Podium soll, um für die Katastrophe gerade zu stehen. Aber Gorny wird nicht gehen. In den kommenden Wochen wird er fragen, was die Kulturhauptstadt schon mit der Loveparade zu tun gehabt habe?
Sein auf dem Bild dokumentierter Auftritt ist Gornys letzter Gig als Repräsentant der Loveparade im Ruhrgebiet.
Der Popdirektor macht heute in Kreativwirtschaft.
Nach dem Pocher-Interview damals verließen Sauerland und Gorny die Presse-Brücke nach rechts.
Im Promizelt ging die Party der VIPs übrigens stundenlang weiter, als wäre nichts gewesen. Das Pilsbier wurde für lau aus Plastikbechern gesoffen.
Die Handys schwiegen ansonsten. Das Netz war zusammengebrochen.
Pocher ist danach nie wieder in Sachen Loveparade aufgefallen.
Auch der Boxer,wie heißt er noch? ist da.
Ein Freund von Schaller.
Ein Arzt.
Hat sich auch gut amüsiert und sich dann verdünnisiert.
[…] (Loveparade 2010): Das historische Foto (Ruhrbarone) – (aus dem Ruhrbarone-Print Ding 2 "Wir […]
Klitschko, der Arzt, der andere Menschen vertrimmt und verletzt.
Aber unangefochten als Boxer verehrt wird.
Hat man irgendwie und irgendwas von Anteilnahme an 21 Toten und über 500 Verletzte gehört. Der Mann ist eine Schande für den Ärztestand.
Jetzt habe ich ein Idol beleidigt und mein Kommentar wird gelöscht.
So wäre es bei NRZ und WAZ wenigstens.
Mit Oliver Pocher und anderen VIP´s über den gesicherten großzügigen
VIP-Weg zum Gelände kommen, denn DIE sind ja wichtig.
Das einfache Volk kann sich über einen engen Weg, durch Tunnel den Weg bahnen und gucken, wie sie klarkommen, ankommen.
Schauen aus sicherer Entfernung, amüsieren sich, verschwinden und haben mit der Tragödie nichts zu tun.
Armes Deutschland, wenn wir solche Menschen als Idole und Vorbilder haben.
Ich zumindest könnte kotzen.
[…] Imagebildung) jeden Haushalt seiner Stadt selbst besuchen möchte. Ob er dabei von seinen Loveparade-Kumpanen begleitet wird, wissen wir nicht. In Berlin kann sich die Arbeitsgemeinschaft SSB („Sarazin Soll […]
[…] Loveparade, 21 Tote. Irgendwann mal was mit einem verlorenen Arbeitskampf der Stahlarbeiter. Neuzeitlich das Problemhaus In den Peschen. Ein halbes Dutzend Bauskandale. Gehaltsschiebereien in der Stadtverwaltung und ihren Angliederungen. […]