Alles fing vor ein paar Jahren an, mit schweren Worten von Erfolgen, von Existenzen und so Sachen. Am Ende war es wieder nur ein ausgeträumter Ruhrpottraum, die Geschichte von der Designstadt Zollverein in Essen.
Das Haus Designstadt #1. Die Designetage ist grün markiert. Das ist alles, was von dem Plan blieb, eine Designstadt einzurichten. copyright: zollverein.de
Dabei hörte sich die Idee damals gut an. Die städtische Wirtschaftsförderung sprach von einem Platz für „Himmelsstürmer“, der im ärmsten Teil von Essen entstehen sollte. In der Broschüre „Freiraum Zollverein“ hieß es: „Insgesamt stehen 35.000 Quadratmeter Fläche zur Ansiedlung und Gründung von Unternehmen zur Verfügung.“ Die Rede ist da von der Zollverein School of Design, als einem Ort, „der Querdenkern und visionären Köpfen den nötigen Spielraum zur Verfügung stellt.“ Es gab Modelle, in denen sich duzende Gebäude in gewagten Konstruktionen zwischen Grünanlagen und Zechenbauten einfügten. Alles hell, lebendig, voller junger Leute. Ein Lockruf an alle Menschen aus der weiten Welt des schönen Scheins. Und oben drüber ein tolles Logo. Gefördert wurde das Ganze von der Essener Wirtschaftsförderung und der Entwicklungsgesellschaft Zollverein (EGZ).
Doch der Traum ist aus. Die School Zollverein, als Ankerpunkt der Designstadt, geriet schon ein Jahr nach ihrer Eröffnung im vergangenen Herbst in die Existenzkrise. Zu wenig Studenten, zu geringe Einnahmen. Die Gebühren für einen 20-monatigen Executive MBA waren mit 22 000 Euro wohl zu happig. Zumal über Deutschland hinaus bekannte Professoren kaum in der neuen Schule unterrichten wollten. Der spektakuläre Bau der Schule ist mit zuletzt noch 30 Studenten kaum ausgelastet und nur an wenigen Tagen in der Woche überhaupt geöffnet. Etwa 20 Mio. Euro Fördergelder stecken drin.
Das geplante neue Designstadt-Viertel hinter der Schule, neben der Kohlewäsche? Eine Brache, umzäunt, abgesperrt, leer. In der Mitte ein pinklakierter toter Strauch. Einmal lies sich ein saudischer Scheich mit Namen Hani Yamani im Helikopter über das Nichts fliegen und versprach 39 Mio. Euro in den Zollverein-Staub zu investieren. Nur an der folgenden Ausschreibung für das Gelände wollte sich Scheich Yamani nicht beteiligen. Investiert wurde auch nichts. „Zu Stolz“, hieß es bei der Wirtschaftsförderung.
Der Marktingleiter der EGZ, Ralf Thielen, bestätigt, das nicht viel von den Plänen umgesetzt wurde: „Die Designstadt, das ist heute ein Gebäude.“ Tatsächlich gibt es nur ein Haus, das den Namen trägt „Designstadt Nummer 1“. Mehr ist nicht da. Thomas Stratmann ist einer von den wenigen, die sich von den Versprechungen haben anziehen lassen. Heute sagt der Webdesigner: „Das ist hier nur Blendwerk.“
In dem Haus „Designstadt Nummer 1“ sitzen ein Hallenbauer, der fast nie da ist, ein Ingenieurbüro und noch ein paar andere Gewerke, die mit dem Kreativitätsbusiness soviel zu tun haben, wie ein Elektriker mit Malerei. Ein Haus „Designstadt Nummer 2“ wird seit Jahren geplant – jedoch bis jetzt nicht umgesetzt.
Die Kreativen sitzen ausschließlich in der ersten Etage der „Designstadt Nummer 1“: ein duzend Kleinstfirmen, mit meist einem Beschäftigten. Auch Thomas Stratmann wollte hier seine Agentur aufbauen. Er hoffte auf ein gutes Umfeld, in dem er Kunden und Partner auftreiben könnte. „Aber hier ist nichts. Hier ist eine Wüste drum herum.“
Der Traum vom Kreativbusiness löst sich auf wie ein Trugbild im Morgenlicht. Gebaut hat das Haus „Designstadt Nummer 1“ der Unternehmer Andreas Schürmann aus Dortmund. Von ihm mietete die Essener Wirtschaftsförderung fast zwei Etagen und vergab diese zu deutlich subventionierten Tarifen über die EGZ an die Design-Gründer weiter. Der geförderte Mietpreis lag etwa bei 8,50 Euro je Quadratmeter warm, inklusive Strom. Für ein kleines Bürozimmer, modern ausgestattet, zahlt beispielsweise ein Mini-Betrieb knapp 195 Euro.
Nun, laufen die Subventionsmieten aus. Und die Gründer sollen neue Verträge mit dem Unternehmer Schürmann abschließen. Dieser fordert jedoch einen Zins von etwa 16 Euro je Quadratmeter warm, inklusive Nutzung von Nebenflächen, wie Klo und Teeküche. Das belegen Mietunterlagen, die der Welt am Sonntag vorliegen. Wie viele Subventionen bislang insgesamt an Schürmann und in die Designstadt geflossen sind, wollte die Essener Wirtschaftsförderung auf schriftliche Anfrage nicht sagen. Es scheint, als seien die verpulverten Subventionen peinlich.
Den Kreativen in der „Designstadt Nummer 1“ ist die hohe Miete offensichtlich zu teuer. Sie kündigen Reihenweise ihre Mietverträge. Die Tarife in der Essener Innenstadt sind wesentlich günstiger. EGZ-Vermarkter Thielen bestätigt: „Etwa 50 Prozent der Verträge wurden bereits gekündigt.“ Dieser Zeitung gegenüber behaupteten dagegen fast alle Design-Mieter, ihre Verträge auflösen zu wollen. „Hier ist doch nichts wahr gemacht worden. Warum sollen wir hier bleiben?“, fragt Norman Bruckmann, der einen Internet-Fernsehsender aufbauen will. Statt auf eine interessante Umgebung blickt er auf einen Metallzaun. Der direkte Zugang zur Kohlenwäsche ist versperrt. Parkverbotsschilder stehen im Abstand von wenigen Metern.
Von der isolierten Lage am Rand der Brache Zollverein ist vor allem die Galerie von Christof Mika in der Existenz bedroht. „Ich hab hier viel investiert. Aber von den ganzen Versprechen wurde nichts gehalten“, sagt der Galerist. Er hat keine Mietsubventionen bekommen und alles aus der eigenen Tasche bezahlt. „Mir wurde immer wieder gesagt, hier geht es aufwärts. Aber nichts ist passiert. Der Scheich war doch auch nur eine Ente“, sagt Mika. Selbst ein gemeinsames Marketing sei immer wieder blockiert worden. Einen Newsletter unter dem Namen Designstadt durften die Designer jedenfalls nicht über das Internet versenden. Webdesigner Stratmann sagt: „Das ist die Leistung der Wirtschaftsförderung Schürmann.“ EGZ-Mann Thielen meint lediglich: „Wir werben nicht nach außen für die Designstadt.“
Nun hoffen alle auf die Zukunft. Die Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) hat als Eigentümerin der Brache rund um die Design-Etage einen europaweiten Wettbewerb ausgelobt. Neue Investoren sollen auf Zollverein Hotels bauen, Kneipen und Wohnungen. Das neue Viertel wird allerdings nicht unter dem Namen Designstadt angeschoben. Ergebnisse sollen im Juli präsentiert werden. Niemand wollte sagen, wie viele Interessenten sich beworben haben. Das sei geheim, heißt es.
Stattdessen wird gemunkelt, dass es auch gut sei, wenn die Ausschreibung scheitert. Dann könne die EGZ das Gelände von der LEG bekommen und versuchen, die Brache an befreundete Investoren zu geben. Vielleicht kommt dann ja auch Scheich Yamani zum Zuge, der sich ja nicht an der Ausschreibung beteiligen wollte.
Zum Schluss: Im Februar wurde bekannt, dass die Gesamtkosten von 150,3 Millionen Euro für den Aufbau von Zollverein zu einem Tourismuszentrum in diesem Jahr um 6,4 auf 156,7 Millionen Euro steigen werden.
Ingenieurbüros gehören nach Richard Florida zum Kern der Kreativwirtschaft – nur auf Zollverein sollten sich ja vor allem Desigmer ansiedeln und das hat nicht geklappt. Die Hauptschwäche des Standortes bleibt allerdings seine Lage: Inmitten von Stoppenberg hat das Quartier selbst nur wenig urbane Ausstrahlung. Um den Standort hoch zu bekommen, müßten sich dort, wie Anfang der 90er einmal geplant, nicht nur wie wohl bald die Designstudenten ansiedeln, sondern auch ein paar andere Fächer die mehr „Studienabbrecher“ produzieren, die dann Cafés, Kneipen und Galerien gründen: Kunst auf Lehramt ist eines der Fächer, die so etwas „leisten“. Es bleibt aber das Hauptmanko: Der „Kreative“ Stadtteil in Essen ist Rüttenscheid – für Zollverein muß man sich etwas anderes einfallen lassen, was vielleicht auch mehr den Bedürfnissen der Anwohner entspricht. Ein blick auf das Nahe ZZZ könnte helfen: Das dortige Gewerbegebiet läuft mit normalen Unternehmen und viel Service sehr gut. Vielleicht noch etwas Wohnbebauung und dann könnte es klappen. Man hätte, um das zu erreichen, allerdings weniger Geld ausgeben müssen. Ach so: Und dann muß natürlich die A52 kommen – Zollverein ist viel zu schlecht angeschlossen für ein Projekt dieser Größe.
Das Ganze zeigt doch, wie kindlich-naiv und provinziell sich die Planer und Wirtschaftsförderer hierzulande die Förderung der Kreativwirtschaft vorstellen – und den Umgang mit Kreativen. Die wenden sich mit Grausen ab und erzählen allüberall davon, wie man an der Ruhr krampfhaft versucht, sich ihnen anzubiedern.
Kreative Milieus kann man genauso wenige herbeizaubern/fördern wie Designstandorte. Hinter ihnen stehen komplizierte sozialräumliche,kommunikative und sachliche Netzwerke die lange Wachstumszeiten erfordern bzw. schon hinter sich haben ehe sie als „Standorte“ überhaupt erst sichtbar werden. So wie es schon vor Zollverein in Essen und Umgebung Kreative gab, gab es in Europa etablierte und renommierte Designzentren die wiederum jeweils selbst lokale, regionale ja internationales Netzwerke ausgebildet hatten. Und am allerwenigsten haben die dort Aktiven auf so etwas wie Zollverein gewartet. Egal ob es Weltkulturerbe ist oder nicht. Das genau spielt eben für Kreative keine besonder Rolle.
Kindlich naiv und provinziell? Mitnichten, lieber Matthias.
Beobachten wir doch schon seit Jahren den Aufbau von Technologiequartieren (diesmal Designirgendwas, ist aber egal) für Gründer zu niedrigen (weil subventionierten) Preisen, in die dann später ein Immobilienverwalter ein Heilpraktiker und ein Versicherungsverkäufer einziehen, weil sich die Gründer die Miete meist doch nicht leisten und dafür lieber von zuhause arbeiten wollen. Wieso 8,50 warm zahlen, wenn ich auch von meiner Bude in Bochum Innenstadt für weniger Geld mein Unternehmen starten kann?
Das Muster nachdem diese XYZ-Zentren entstehen ist immer das gleiche:
Brache mit Industrieschrottimmobilie->Viel Geld und hehre Worte->Leerstand->Umwidmung
Nur weil das dämlich aussieht, muss es aber nicht dämlich sein.
Erstens profitiert die Bauwirtschaft, zweitens die Politik (tolle Werbung), drittens kann man dort prima seine Kumpel aus der Partei als Verwalter einstellen, viertens hat der Makler Spass, fünftens komtt am Schluss heraus, dass das ein ganz famoses Haus.
Es geht nicht um die Kreativen, es geht nicht darum, dass man Gründern das Leben einfach machen möchte. Die sind nun wirklich in dem ganzen Spiel sowas von Hupe.
Also, nochmal langsam auf der Zunge zergehen lassen: Bei Zollverein hat man 150 Mio verbastelt. Das ist das Geschäft, und nicht die 5 Mio, die die paar Kreativen in 4 Jahren mal als Gewerbesteuer zurückzahlen.
Florida hin oder her, Zollverein krankt nun nicht an einem möglicherweise verengten Kreativitätsbegriff (und schon gar nicht an einem fehlenden Autobahnteilstück), sondern schlicht an der kollektiven Unerfahrenheit des Ruhrgebiets, städtebauliche Projekte zu realisieren, die einzig und allein auf einem europäischen Niveau und im internationalen Kontext erfolgreich sein können (bzw. dann, wenn sie dieses Niveau eben nicht erreichen, scheitern).
Das muss man halt lernen, und wer lernt, macht Fehler. Und die sind mitunter richtig kurios, wie etwa dieses schläfrige Bürogebäude, das als ?Designstadt No.1? bestenfalls zur Karikatur eines internationalen Design-Standorts taugt. Wer da als ?Kreativer? für 8,50 ?/qm reingegangen ist, muss sehr viel Humor besitzen.
Aber was macht man nun mit dem Fleckchen Europa hinter der Bullmannsaue? Kommt nach ?creative village? und ?Designstadt? nun die ?Talentoase? (wg. Scheich Yamani)? Das wiederum fänd? ich sogar gut ? (ja, ich weiss, um jede Oase gibt es ziemlich viel Wüste, aber Selbstironie hilft immer).
@Jens: Ok, ändern wir die Charakterisierung in „raffiniert“ statt „naiv“ (oder bauernschlau? passt besser zur Provinz). Und jeder Technologie- oder Sontwas-Standort nach dem oben genannten Prinzip heißt ab sofort „Ruhrwirtschaftliches Zentrum“, um das ganz Spezielle dieser Deals auch identitätsstiftend einsetzen zu können.
Ach ja: In Dortmund versuchen sie es gerade wieder mit einem kreativwirtschaftlichen Zentrum, weil es dafür ordentlich Kohle aus Düsseldorf gab – dem wahren Kreativzentrum des Landes.
Dass Investitionen in die „Kreativbranche“ vermutlich nur sehr begrenzt sinnvoll sind, kann man übrigens sehr schön an Großbritannien studieren, zumindest laut John Heartfields Aufsatz „[url=https://www.wdis.co.uk/blueprint/creative.pdf]The Creativity Gap[/url]“.
Wie heißt nochmal das eine Personengruppe bezeichnende Substantiv zu pöbeln? You know who you are.
@ Jens Kobler: Die Kritik an einer Architektur, die den selbst gestellten Anspruch eines internationalen Designstandorts nicht einlösen kann, sondern besser in der Rummelsburger Bucht oder im Dortmunder Technologiepark zuhause wäre, kann man überzogen finden ? sollte es dann aber auch klar sagen, gerade wenn man womöglich einer derjenigen ist, die da mit viel Hoffnung (und offensichtlich doch zu wenig Humor) reingegangen sind. Ich jedenfalls bin regelmäßig überrascht, welche Arbeitsumgebungen sich Kreative zumuten bzw. in diesem Fall ja auch noch ganz bewusst gewählt haben.
Gibt es so wenige ästhetisch herausfordernde Orte im Ruhrgebiet, die für Kreative (mit viel Hoffnung und wenig Geld) attraktiv sein könnten? Muss man ihnen wirklich solche ordinären Backsteinbutzen hinstellen? Sehen so die gebauten Sehnsüchte der kreativen Klasse im Ruhrgebiet aus?
Melden sich immer die falschen 😉
Ich lasse da nichts auseinander dividieren – als wenn ich da nur über alle lachen würde, so arrogant bin ich nun auch wieder nicht. Spalter beiseite, ich bin doch gar nicht kreativ, kreativ ist Fritz Pleitgen. Und das ist doch eine interessante Situation da, aus der ich lernen und in der ich tatsächlich Menschen kennen lernen kann die wenigstens etwas versuchen und machen (im Sinne von Tun). Man will ja nicht täglich immer nur Berichterstatter sein, aber das verstehn manche vielleicht nicht. Und über Architektur rede ich nur mit meinem Unternehmensberater, hahaha.
(Wurde vielleicht mal Zeit für einen sympathisch offenherzigen Beitrag, was?)
Es gibt genauso wenig kreative Gebäude wie es kreative Städte gibt. Sie können nur kreativ gemacht sein oder gemacht werden. Es gibt trotz vieler Gegenbehauptungen (bislang) auch keine kreativen Maschinen/Computer u.ä. sondern nur welche die die Kreativität ihrer Nutzer unterstützen können. Es gibt, wenn der Begriff überhaupt einen Sinn machen soll, (bislang) nur menschliche Kreativität.
Kreativitätsförderung ist deswegen zu 90% Menschen- bzw. Persönlichkeitsförderung. Gebäude und Technik sind zweit- bis drittrangig bzw. kommt ihre Rolle erst zum tragen, wenn es genug ?Kreative? gibt, die sie nach ihren jeweils sehr speziellen Bedürfnissen brauchen/fordern/finden/errichten/umbauen. Deswegen findet man diesen Menschenschlag sowohl in Garagen als auch in Hightec-Gebäuden. Allerdings nur dann, wenn es in der Nähe auch noch genügend andere von dieser Sorte gibt bzw. sie sich dort über kurz oder lang dazu gesellen.
Kreative brauchen vor allem andere Kreative, denn Kreativität ist zwar nicht immer, aber immer wieder, ein hochgradig interaktiver und emotionaler Kommunikationsprozess der auf inspirierende und spontane soziale Nähe angewiesen ist. Deswegen leben professionell kreative Menschen gerne mit Ihresgleichen an einem Ort zusammen, ohne sich dabei zu sehr auf die Pelle zu rücken. Gleichzeitig sind sie viel unterwegs und das nicht nur virtuell sondern auch real.
Für Kreative anziehende Orte müssen deswegen nicht (unbedingt) schön sondern interessant und spannend sein. Und gut zu erreichen. Und vor allem preiswert!! Innovative Persönlichkeiten sind in der Regel nicht reich, sie werden es höchstens, wenn es gut läuft. Und dann sind sie meistens nicht mehr so kreativ.
Wenn man alle diese nicht sehr neuen aber in Ruhr offensichtlich unbekannten Kriterien z.B. an den Standort Zollverein anlegt bzw. angelegt hätte, dann würde man sich jetzt nicht über den ?geplatzten Traum? wundern. Aber um Kreativität , und da möchte ich Jens König ausdrücklich zustimmen, ging es bei diesem Projekt am allerwenigsten.
Was brauchen Kreative? Nun, wenn sie nicht in Berlin leben eigentlich auch ganz gerne Aufträge – und daran hapert es im Ruhrgebiet. Warum sind denn so viele „Kreative“ in Köln, Düsseldorf oder Hamburg? Weil dort auch Auftraggeber sitzen: Sender, Verlage etc. Im Ruhrgebiet gibt es einfach nicht genug Auftraggeber. Räume sind jedenfalls genug vorhanden: in Bochum Mitte geht es ab gut drei Euro den Quadratmeter los und die meisten beginnen doch ohnehin in der eigenen Wohnung mit der Arbeit – was auch gut geht. Es ist im Ruhrgebiet noch nie ein Unternehmen aus der Kreativwirtschaft (auch wenn man den Begriff sehr weit fasst) daran gescheitert, dass es keinen adäquaten Büroraum gefunden hat. Wer in ein Zentrum wie Zollverein geht, hat die Hoffnung dort Kontakte für neue Aufträgen zu bekommen oder durch das Image leichter an Aufträge zu kommen – wenn man dann allerdings nur Kontakte zu Leuten bekommt, die auch gerne Aufträge hätten, ist das natürlich enttäuschend. Kreativwirtschaft braucht andere Kreative – sicher – aber sie braucht vor allem Umsätze. Ohne die geht es nicht – da ist sie eine Branche wie jede andere.
@ Arnold: Müssen wir hier wirklich einen Diskurs über Umweltpsychologie führen? Über die performativen Aspekte von Architektur? Natürlich sind die ästhetischen Qualitäten eines Gebäudes kreativitätsfördernd ? oder sie sind es eben nicht. Und natürlich geht es nicht um eine ?Schönheit?, auf die sich alle einigen können (?Schönheit? und ?Ästhetik? werden offensichtlich immer noch gerne verwechselt). Es ist ja diese Lieber-auf-Nummer-sicher-gehen-Schönheit von ?Designstadt No.1?, die das Gebäude zur ästhetischen Belanglosigkeit macht (jedenfalls gemessen am Anspruch, das Erste Gebäude eines international konkurrenzfähigen Designstandorts sein zu wollen).
Der ganze Vernetzungskram in Bezug auf kreative Szenen ist natürlich richtig, aber für einen Standort, der auf ?internationale Landkarten? will (um noch mal Jürgen Großmann zu bemühen), reicht das eben nicht. Da braucht es auch Bildmächtigkeit (was ja zumindest mit der Zollverein School gelungen ist), da muss man Kreativität auch räumlich erfahrbar machen.
Richtig gehend ärgerlich finde ich dieses allseits beliebte Gerede von ?geplatzten Träumen? auf Zollverein, meist verbunden mit dem Vorschlag, doch bitte jetzt ein bisschen ?realistischer? zu werden (was aber zumeist in absoluter Mittelmäßigkeit endet). An Mittelmäßigkeit besteht im Ruhrgebiet, da dürften wir uns einig sein, jedoch kein Mangel. Am neuen Zollverein ist vor allem das interessant, was dem durchschnittlichen Ruhrgebietsplaner /-politiker als ?unrealistisch? oder ?abgehoben? erschien (ich weiss noch zu gut, wie über die ?Unmaßstäblichkeit? des japanischen Zauberwürfels gestritten wurde, der sich ja so gar nicht in die vorhandenen Gebäudestrukturen entlang der Gelsenkirchener Straße einfügen will). Insofern werde ich mich über die meisten dieser 150 verbastelten Millionen nicht beschweren ? und hoffe inständig, dass da noch ein paar mehr Millionen in derart ?unrealistischen? Projekten verbastelt werden.
@ Stefan
Viele, sprich andere Kreative als man selbst, setzen natürlich auch viele Aufträge voraus. Das ist doch klar und zugleich banal. Aber warum gibt es z.B. n Berlin trotz der viel zu wenigen Aufträge so viel mehr Kreative (relativ zur Einwohnerzahl) als z.B. in Ruhr? Und warum werden die Aufträge aus Ruhr (die gar nicht so wenige sind!) in der Mehrzahl nicht an Leute in Ruhr vergeben?
@ Dirk
Das ist genau das Problem: Als der Strom kreativer junger Leute nach Berlin los ging gab es keine wirkmächtigen Bilder von „schöner“ Architektur. Ganz im Gegenteil. Da wo sie hingegangen sind war nicht mal Ästhetik.Es roch nur nach Um- und Aufbruch und nach Freiraum den man sich auch mit wenig Geld leisten konnte! Es ist diese maßlose Überschätzung von gebauter Ästhetik für Wandlungsprozess über die es dringend Zeit wird zu diskutieren.
Die Mittelmäßigkeit von Menschen wird (leider) nicht durch eine extraordinäre Umgebung aufgebrochen. Daran ist schon Karl Ganser auf ganzer Linie gescheitert!
@Arnold: Klar ist es banal – und doch in vielen Köpfen nicht angekommen: Ich durfte mehrere Interviews zum Thema Kreativwirtschaft erleben (Als „Kreativer“) ich wurde zu allem gefragt: Netzwerk, Partner, Räume, Hochschulen – aber nie nach dem Auftragsbestand. Der ist im übrigen im Ruhrgebiet so gut nicht. In meinem Bereich (Verlag/Presse) kann das Ruhrgebiet mit anderen Regionen nicht mithalten. Das Ruhrgebiet gehört zu den ganz wenigen Regionen ohne ein kommerzielles Hochschulmagazin. MARABO hat es damals versucht, Coolibri lässt schlauerweise die Finger davon: In Frankfurt und Hamburg boomen solchen Magazine. Gastrotitel: Düsseldorf geht aus hat Umsätze von weit über 350.000 Euro. Dortmund geht aus wurde vom selben Verlag eingestellt – nicht genug Umsatz. Die Liste lässt sich nahezu beliebig verlängern. Das Ruhrgebiet ist ein sehr schwieriger Markt – und der in Berlin ist sicher nicht einfacher: Ich glaube, dass dort mehr Leute leben, die im Bereich „Kreativwirtschaft“ arbeiten – aber ist das nicht oft kaschierte Arbeitslosigkeit? Ich kenne die Einkommen der Berliner nicht – und in der gelobten Branche wir ja eh tendenziell schlecht verdient – aber ich glaube, das durchschnittliche Einkommen liegt in Berlin weit unter dem, was die Leute in Hamburg oder München verdienen. Die Branche ist nun einmal in ihren klassichen Bereichen – Verlag, Werbung etc. – stark abhängig von der gesamtwirtschaftlichen Situation einer Region. Deshalb mag ich ja Floridas weite Definition: Wir brauchen vor allem Kreative aus dem technisch-wissenschaftlichen Bereich um das Ruhrgebiet in Schwung zu bringen. Das Umfeld für diese Leute ist in Dortmund, Bochum und Essen doch schon ganz gut.
Ja, z.B. an der Rüttenscheiderstraße , im Kreuzviertel oder um das Bermudadreieck herum, aber eben nicht auf Zollverein. Kreativität ist als sozialräumliches Phänomen (Szeneviertel) nach wie vor eng verknüpft mit Urbanität. Und die hatte immer schon wenig mit baulich-räumlicher Ästhetik zu tun, was man für Ruhr am Bermuda-Dreieck bestens studieren kann.
Ästhetisiert werden kreative Standort immer erst dann, wenn sie als solche auch ökonomisch erfolgreich sind. Städtebauliche und architektonische Ästhetik ist das Ergebnis und nicht die Voraussetzung von (ökonomisch erfolgreicher) Kreativität. Für Urbanität als soziokulturelles und nicht als bauliches Phänomen gilt das gleiche.
Was Berlin betrifft ist Vieles natürlich reiner „Hipe“. Aber der Erfolg von Kreativität misst sich eben nicht nur ökonomisch/finanziell. Die Berliner haben es mit diesem „Hipe“ im Gegensatz zu Ruhr geschafft, dass diese Stadt neben Hamburg, München usw. jetzt auch als Adresse für Kreativität gilt.
Das von den sogenannten Kreativen in Berlin dann ein großer Teil nach den „Mit-dem-Mac-im-Anschlag-in-aller- Öffentlichkeit-so-zu-tun-als-hätte-man-zu-tun-Jahren“ wieder nach Hause geht, hat sich auch in dieser Stadt mittlerweile rumgesprochen. Aber erst so trennt sich in diesem Millieu des leichtfertigen und/oder fremdfinanzierten Selbstbetrugs nun Mal die Spreu vom Weizen.
>Ästhetisiert werden kreative Standort immer erst dann, wenn sie als solche auch ökonomisch erfolgreich sind.
Aber selbst dort kann’s schnell bergab gehen – die Gehrybauten etwa wittern schon dem Ende der Designstadt Zollverein entgegen, der Lack ist ab:
https://www.flusskiesel.de/markus/files/47c671b8d4c68ad17134ebc6839cd336-433.html
>Das von den sogenannten Kreativen in Berlin dann ein großer Teil nach den ?Mit-dem-Mac-im-Anschlag-in-aller- Öffentlichkeit-so-zu-tun-als-hätte-man-zu-tun-Jahren? wieder nach Hause geht, hat sich auch in dieser Stadt mittlerweile rumgesprochen.
Von denen wurde aber, mittlerweile unübersehbar auch in den Mainstream lappend, ein spezifischer Groove geschaffen:
Der Topos Medienprekariat, der Umstand, daß Sacha Lobo mittlerweile ernst genommen wird, Holm Friebes Buch ‚Wir nennen es Arbeit‘, daß Kathrin Passing in Klagenfurt gewonnen hat – all das ist passiert.
Und es ist nicht mit neuester Bauästhetik in der ökonomischen Endausbaustufe verknüpft. Vielmehr ist es mit Digitialisierung und dem Gedanken des Netzes verknüpft. Mit dem Nutzen zeitgenössischer Technologieoptionen und ihrer Weiterentwicklung.
Einen solchen Aufbruch, sagen wir: den großen Exodus der Entertaste, hin zu was Neuem, hin zu was Unklarem, der Zukunft zugewandt, den wird man im Ruhrgebiet und in D’dorf nie erleben. Three strikes, an You’re Out!
Three strikes? Na klar: Industriealisierung, Strukturwandel, Strukturwandel verkimmelt. Die Karawane zieht weiter.
Wir leben hier in alte-Leute-Land. Und das beste an Zollverein ist immer noch die Unterschutzstellung. Die Denkmalwürdigkeit.
Der Rest ist Rauschen.
@Thomas: Den Topos Medienprekariat (früher: Medienproletariat) gibt es seit Jahrzehnten – ein Effekt der daher rührt, dass es mehr Menschen gibt die „Was mit Medien“ machen wollen als der Markt benötigt. Die Internet-Geschichte in Deutschlands begann übrigens in Dortmund – und wer sagt denn, das daraus auch bei uns nichts neues entsteht? Warten wir es doch ab. Ich weiß zwar nicht was und wo es passieren wird (und auch nicht sicher ob), aber ich weiß wo bestimmt nicht: Da, wo Planer und Förderer es sich wünschen. Übrigens, ganz so düster ist es hier dann auch nicht: Aus dem Ruhrgebiet kommt Galore, für mich das innovativste Print-Produkt der letzten Jahre. Und alte Erfolgsgeschichten wie Coolibri oder Unicum wurden hier auch geschrieben. Und online ist DerWesten nun wirklich nicht so schlecht. Sicher, nicht perfekt aber allemal von dem Willen getrieben, was auf die Beine zu stellen. Was mich hier stört ist das ewige zurückschauen – aber das hatten wir ja schon ein paar mal. Aber ein paar neue, kleine Pflänzlein gibt es – und ich kenne ein paar Leute, die heute noch nicht von ihren „Interdings“-Projekten leben können, aber es vielleicht in ein paar Jahren schaffen werden. Abwarten…
Stellt euch vor, die 155 Millionen für Zollverein wären in eine Stiftung zur Förderung von kreativen Menschen und ihrer Ideen in Ruhr geflossen.Das wären abzüglich der Verwaltungskosten von sagen wir 20% bei guter Anlage pro Jahr mindestens 10 Millionen gewesen.Für immer! Stellt euch das ganze zusätzlich z.B. für die Summe vor, die der Umbau der Jahrhunderthalle gekostet hat,oder der Neubau des Wissenschaftsparks in Gelsenkirchen oder für die, die das Dortmunder U kosten wird,und zieht meinetwegen davon pro Jahr die Erhaltungskosten für die denkmalwürdigen Gebäude wieder ab.Welch ein riesieger und zugleich nie versiegender Fördertopf für Innovationen und Innovatoren hätte das sein können!
@ Arnold
Oh, ich will gar nicht wissen, wie es hier aussähe, wenn die IBA und ihre Arbeit an den ästhetischen Prädispositionen dieser Region und ihrer Menschen wirklich auf ganzer Linie gescheitert wäre; nein, sie ist irgendwo steckengeblieben, und dieses Steckengebliebensein wird jetzt, da Ganser und Co. weit genug weg sind, gerne zum Großen Scheitern überhöht.
@ Stefan
Rüttenscheid, Bermudadreieck und Kreuzviertel ? alles nette, einigermaßen lebendige Stadtviertel (und deshalb auch bei hiesigen Kreativwirtschaftlern beliebt), aber nichts, was noch 100km weiter irgendjemanden interessiert ? und nichts, was man auch nur annähernd auf Zollverein übertragen könnte und sollte. Urbanität wird auf Zollverein völlig anders aussehen müssen ? das ist ja der Sinn heterotoper Orte! Weil es da aber wie gesagt keine Erfahrungen gibt, auf die man zurück greifen könnte, ist Zollverein gegenwärtig ein riesiges, teures Versuchsfeld. Das, was man sonst im Ruhrgebiet immer gerne vermisst, nämlich Experimente, hier finden sie in großem Maßstab statt. Und wenn da was schief geht, will man auf einmal wieder ?keine Experimente!? mehr. Oder sieht nur ?Rauschen?. Blöd, oder?
Und Arnold: Die Kohle für die Kreativwirtschaft kommt auch ohne ihren großen Umverteilungsplan zulasten extraordinärer Umgebungen (Zollverein, Westpark etc.) ins Rollen. Da gibt es kein Entweder-Oder. So arm ist dieses Land nun auch wieder nicht.
@Arnold: Das Geld würde ich nicht in einen Fördertopf für Innovatoren stecken sondern in Proberäume, Musikschulen, Schreibwerkstätten und Jugendkunstschulen und dann mal schauen, was sich so entwickelt.
@Dirk: Für ein großes Experimentierfeld agiert man auf Zollverein ein wenig mutlos: Das viele Geld sorgt weniger für spannende denn teure Projekte. Das sind keine Freiräume entstanden, wie es in den 70er und 80er Jahren mit den Soziokulturellen Zentren in den Industriegebäuden der Fall war (Zeche Carl, Altenberg etc.). Der Titel Weltkulturerbe sorgt dafür, dass der Mut zum wirklichen Experiment fehlt. Warum gibt man die Räume zum Teil nicht billig an Bands, Künstler und kleine Clubbetreiber ab? Alle suchen nach großen Lösungen – vielleicht wären viele kleine ja spannender und zielführender.
Ja, diese partielle Mutlosigkeit auf Zollverein sehe ich ja auch (sonst hätte ?Designstadt No.1? in der Art, wie wir es auf dem Foto hier sehen können, nicht entstehen können). Aber die Konsequenz kann ja nicht lauten: ?Noch mehr Mutlosigkeit!?, also der Rückgriff auf solche etablierten Konzepte, wie Sie sie am Beispiel der soziokulturellen Zentren aus den 1980er Jahren skizzieren. Solche Zentren hat das Ruhrgebiet schon, und für kleine, spannende Lösungen (die auch ich ?unterm Strich? wichtiger finde als den einen großen Wurf) ist das Ruhrgebiet aber auch ohne Zollverein schon groß genug.
Zollverein ? der Ort, um den uns im internationalen Maßstab viele beneiden (das sollte man bei aller Kritik am Handeln von EGZ und LEG nicht vergessen) ? ist aber der Ort, wo es um das Große Neue gehen soll. Das muss ein Gebiet, äh eine Stadt, mit 5 Mio. Einwohnern schon lernen können dürfen.
@ Dirk Haas
Das Problem ist doch, dass selbst Zollverein als Weltkulturerbe hundert Kilometer weiter kaum einen mehr interessiert! Die neue Londoner Tate-Gallery (auch ein Industriedenkmal der weltbekannten Sorte) hat jährlich mehr Besucher als das ganze Ruhr“gebiet“ zusammen einschließlich der ca. 2000 Industriekulturdenkmäler und der restlichen IBA-Gebäude.Das sollte uns doch hier zu denken geben, oder?
Zollverrein hat wirklich das Zeug zum internationalen Wahrzeichen von Ruhr und das habe ich auch nie bestritten. Genausowenig, dass es Industriekultur geben sollte. Genausowenig habe ich behauptet, dass die IBA keine Außenwirkung erzeugt hat. Aber sie ist außerhalb des Architekturtourismus, ja selbst da, bislang äußerst begrenzt. Alles andere ist Schönrednerei und/oder Zahlenmogelei.
Dahinter steckt ein Struktur und kein Methodenproblem. Einfach noch mehr Geld hilft da nicht!! Dass die diesbezüglichen europäischen Subventionen immer noch weiter oder wieder mal „ins Rollen kommen“ sorgt nur dafür, dass das regionale Mittelmaß immer weiter mitrollen kann bzw.jede andere Idee überrollt. Schon Karl Ganser hatte unter diesem Aspekt viel zu viel Geld zur Verfügung. Damit konnte er das regionale Mittelmaß sozusagen ästhetisch wunderbar und großzügig „verkleistern“ aber nicht strukturell verändern. Genauer gesagt überzeugte er die Leute vor Ort häufig mehr durch Geld und durch das Einhalten der üblichen räumlich-politischen Proporze als durch Inhalte. (Zu)Viel Geld macht es nun mal möglich, den wesentlichen Konflikten aus dem Wege zu gehn und das ist auf Dauer weder gut noch nachhaltig. (Zu) wenig Geld hat leider den gleichen Effekt.
@ Dirk
.. jetzt, da Ganser und Co weit genug weg sind ..
Karl Ganser ist nicht weit weg, sondern direkt nach der IBA weit weg gegangen! Sehr weit weg sogar! Und das aus gutem Grunde. Er ist übrigens in den ganzen 10 Jahren der IBA, an jedem abend an dem es irgendwie möglich war, aus Ruhr nach Düsseldorf in sein Apartment gefahren, bzw. hatte er sich nie eins z.B. in Gelsenkirchen genommen. Und an den Wochenenden war er, wenn er konnte, meistens in München. Das spricht keineswegs gegen seine Arbeit und das was er für Ruhr getan hat. Eher im Gegenteil. Aber es ist symptomatisch für viele der verbal und schriftlich äußerst Ruhr-Begeisterten aus dieser Zeit und danach. Das entscheidende daran ist für mich jedoch, dass Karl Ganser schon damals zu denen zählte, die man heute die „Kreativen“ nennt.
@ Arnold
Das könnte ja zweierlei bedeuten: Wer kreativ ruhrgebietsbegeistert sein und vor allem bleiben will, ist besser nicht (nur) im Ruhrgebiet zuhause. Und: Für die kreative Klasse werden, im Lichte dieser Erkenntnis, hier ab sofort bestenfalls Zweitwohnsitze vergeben. Mit allen Konsequenzen, die das für die noch zu gründende ?Stadt der Kreativwirtschaft? hat. Modell Teilzeitmetropole.
Aber wie bringt man so etwas der Wirtschaftsförderung bei? Könnte das nicht der Chefredakteur eines Wirtschaftsmagazin Ruhr übernehmen?
@Ich mag ja, wie schon mehrmals geschrieben, den weiten Ansatz von Florida: Ingenieure, Programmierer etc. als Kreative – da kann das Ruhrgebiet ankoppeln und auch erfolgreich sein. Gansers Arbeit habe ich immer kritisch gesehen, weil er sich sehr weit von der ursprünglichen Zielsetzung der IBA entfernt hat – deren Programm kann man in einer Broschüre nachlesen: Die Veränderung der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen im nördlichen Ruhrgebiet. Darauf angesprochen meinte er zum IBA-Ende es wäre halt gute Architektur herausgekommen und das wäre ja auch was. Klar ist das was, aber es war zu wenig und nur ein Teil der Aufgabe. Die Teilzeitmetropole sehe ich übrigens nicht: Viele die ins Ruhrgebiet ziehen lernen es sehr schnell lieben und wollen hier nicht mehr weg.
Oh je Stefan, das behauptet auch jedes Kleinpopelsdorf ? dass seine drei neuen Einwohner sich sofort in den Ort verliebt hätten und nie mehr weg wollten. Das heißt nichts, außer dass Menschen sich auch an den langweiligsten Orten ihr Leben so einrichten können, dass sie bald nichts mehr vermissen. Für die Innovationsfähigkeit (und gegen den Trübsinn) von Kleinpopelsdorf wäre es aber womöglich besser, wenn seine ?Kreativen? die Hälfte des Jahres woanders verbringen würden ? so jedenfalls verstehe ich Arnolds Hinweis auf jene Ruhrgebietsliebhaber, die sich ihren Möglichkeitssinn durch häufigen Perspektivwechsel (zwischen innen und außen) erhalten bzw. schulen.
Für meine, vielleicht nicht ganz so kreative Profession kann ich sagen: Wer seit zwanzig Jahren Stadtplanung nur im Ruhrgebiet betreibt, der sollte dringend mal woanders hin. Davon würde die Region mehr profitieren als von Leuten, die hier partout nie mehr weg wollen.
DirK: Oh je Dirk: Reisen bildet – dass wissen wir auch schon alle spätestens seit Goethes Italinischer Reise. Nur planen kann man so etwas nicht – aber in viele Jobs gehört das Reisen längst dazu – ich kennen keinen Ingenieur der in den letzten Jahren nicht häufig im Ausland war und auch andere Perspektiven von seinen Ausflügen mitgebracht hätte. Und doch wollen die meisten die ich kenne hier wohnen bleiben – und das ist doch erst einmal OK und kein Grund in Gelächter auszubrechen, denn das Image des Reviers ist außen ein anderes.
Es gab mal in den 80gern (glaube ich) eine Studie über weiträumige Pendler und ihre räumliche Indentifikation und es wurde dort(für mich nicht überraschend) festgestellt, dass diese sich sowohl von den „Nie wirklich weg Gekommenen“ als auch von den „Mal kurz Eingeflogenen“ insofern positiv unterschieden, als dass sie sich bezüglich ihrer „Heimat“ sowohl zur Identifikation als auch zur kritischen Distanz in der Lage sahen.
Allgemein gilt, dass die Vorausssetzung zur kritischer Selbstdistanz und -reflektion und das heißt auch zu der eigenen räumlichen Identität, sofern es die überhaupt gibt, Bildung und Persönlichkeit sind. Ohne die hilft weder Pendeln noch Reisen sonderlich viel. Auf jeden Fall kenne ich Menschen in Ruhr und nicht nur da, die darüber mehr verfügen als mancher „Weltbürger“, obwohl sie nie wirklich weg gekommen sind.
Im Übrigen ist die Welt voller Zweitwohnsitze, auf die aus diesem Grunde mittlerweile auch an einigen Orten Steuern abgeführt werden müssen. „Teilzeitmetropolisten“ sind also nichts ungewöhnliches mehr. Ansonsten ist die „Metropole“ respektive „Provinz“ im Kopf und nicht auf der Landkarte. Habe vor kurzem ein schönen Spruch auf einer Postkarte gelesen und sie mir deswegen auch gleich gekauft: Provinz ist da wo ich bin.
Und dann gibt es da noch die Lebensphasen in den Pendeln nicht nur besonders beschwerlich sondern auch noch absolut asozial ist. Z.B. wenn man Vater oder Mutter von kleinen Kindern ist.
@ Stefan, Arnold: Oh je, wir reden, lachen und seufzen aneinander vorbei (-: Über Dienstreisen und Ausflüge sprach ich nicht. Sondern über den intellektuellen Autismus einer Region, wo niemand weg und kaum einer hin will.
ªDirk: Sorry, ich sehe keinen intellektuellen Autismus. Ich sehe eher eine tiefe Unsicherheit darüber, was man tun soll und was nicht (Die glaube ich nicht nur ihm Ruhrgebiet vorhanden ist, sondern immer auftritt wenn es schwierig wird) und das man sich von der Abhängigkeit von Fördertöpfen reiben lässt. Warum muß denn Zollverein unbedingt werden, was es erfolgreich nicht werden kann: Ein Wirtschaftsstandort. Warum sagt man nicht: OK, das Ding ist Weltkulturerbe, da bekommen wir Besucher hin, bauen noch das neue Ruhrmuseum und das war es dann. Warum muß alles so überfrachtet werden? Weil das Geld für einen Museumsstandort nicht da wäre und man so ständig Konzepte basteln muß, die förderfähig sind – auch wenn sie nix bringen.
Stefan, das, was Sie ?überfrachten? nennen, nenne ich ?verdichten? und ?entgrenzen? ? und genau das soll hier stattfinden, in einem Weltkulturerbe, das eben nicht nur konserviert, sondern auf einem diesem Status entsprechenden Niveau weiter gebaut werden soll. Dieser Anspruch ist einigermaßen einzigartig, und wer das dem Ruhrgebiet nicht zutraut (oder besser: zumutet), muss das Ganze natürlich abwegig, unvernünftig, märchenhaft, irrsinnig oderwasauchimmer finden.
Und natürlich gibt es tausend Gründe, die dagegen sprechen (und sehr viele dieser Gründe leben sehr gerne hier und wollen nie wieder weg). Diese Gründe meinen, man sollte es doch so machen, wie es sich bislang im Ruhrgebiet bewährt habe.
Vor diesem Hintergrund ist Unsicherheit schon mal ein kleiner Fortschritt.
@Dirk: Aber es funktioniert nicht – und die Gründe sind vergleichsweise einfach: Zollverein selbst hat kaum schöne Räume – die müssen drumherum errichtet werden. Die Preise für Neubaubüroraum sind für Gründer nicht bezahlbar – und die Mieten wiederrum so gering, dass sich das Bauen für Investoren kuam rechnet. Dann: Zollverein liegt schlecht: In Rüttenscheid könnte das alles klappen aber nicht in Stoppenberg. Die Lage ist einfach nicht passend, um Kreativiwirtschaft (auch im weiteren Sinne) dort anzusiedeln. Es gibt im Ruhrgebiet ein großes Angebot an attarkriven Büroflächen – niemand muß nach Zollverein ausweichen. Zollverein würde übrigens auch als Wirtschaftsstandort nicht funktionieren, wenn es in einer miesen Ecke Frankfurts oder Münchens liegen würde. Für ein Unternehmen das einen Standort sucht zählt nicht nur das Ambiente – ein Standort muß gut erreichbar sein, das Umfeld muß stimmen und die Preis-Leistungs Realtion muß attraktiv sein. Für einen Investor (Und die sollen ja da bauen) muß die Möglichkeit bestehen attraktive Mieten zu generieren, solvente Mieter zu gewinnen und Leerstände zu vermeiden. Vieles davon paßt auf Zollverein nicht – und wird auch nicht passen, wenn weitere Millionen dort hinein fließen. Zollverein kann nur funktionieren wenn Stoppenberg und Katernberg umgebaut werden, sich die Bewohnerstruktur verändert und die Wirtschaft im Ruhrgebiet so anzieht, dass der Flächenbedarf der Unternehmen wächst und die Mieten in Mitte und Rüttenscheid so hoch werden, das nach Alternativen geschaut wird. Das alles ist aber nicht der Fall – also sollte man Zollverein auf seine „Kernkompetenzen“ reduizieren: Ein toller Museumsstandort, ein Ausflugsziel aber nicht der Wachstumskern von Hip-Ökonomien. Als konventionelles Gewerbegebiet würden weite Teile von Zollverein übrigens gut funktionieren, wie ZZZ ein paar Meter weiter zeigt.
@ Dirk
Könnte es nicht auch intellektueller Autismus sein, wenn man aus einer einmal gefassten Idee,z.B.zu Zollverein, nicht mehr raus will bzw. sich darin (intellektuell) so wohl fühlt, dass es immer nur einen Schlachtruf geben kann: Weiter wie bisher!
@Stefan
Selbstverständlich ist es einfach zu erkennen, dass das übliche Repertoire der Standortentwicklung für Zollverein nicht geeignet ist. Immobilienökonomen, die so ?ihr Geschäft verstehen?, beissen sich richtig gehend die Zähne aus: Das, was sie können, und das, was sie kennen, hilft nicht. Richtig. Und gut so. Warum ? das hatte ich schon geschrieben.
@Arnold
?Weiter wie bisher!? ruft ja niemand. Mein Votum, Zollverein weiterhin als prominentes Versuchsfeld für Inselurbanismus auf europäischem Niveau zu begreifen, heißt ja gerade nicht, dass LEG und EGZ so weiter machen sollten wie bisher. Sondern bspw. aus den Fehlern von ?Designstadt No.1? lernen. Und aus den Erfahrungen mit der ENTRY. Oder endlich einmal die gegenwärtige Debatte um zeitgenössische Campuskonzepte zur Kenntnis nehmen. Oh, es gibt viel, was man anders machen könnte, ohne dass ein intellektuelles Wohlgefühl darunter zu leiden hätte.
Inselurbanismus auf europäischem Niveau klingt irgendwie klug und witzig. Ich frage mich nur, was damit gemeint sein könnte? Ein Urbanismus der ohne Umland auskommt? Ein Urbanismus der Isolation? Ein Urbanismus ohne Urbanität sozusagen? Oder ein Urbanismus der sein kann wo er will? Der aus dem Boden gestampft werden kann, wenn man nur genug Geld hat oder organisieren kann? Also z.B. einen russischen Ölbaron kennt, der sich statt eines Fußballclubs einfach mal ein Unesco-Kulturerbe kauft, und als er merkt, dass das aber viel langweiliger ist, soviel drumherum bauen und bespielen lässt, bis da richtig was los ist. So wie er das kennt, wenn er abends in Soho mit seinen Freunden die Sau rauslässt. Notfalls auch mit gekauften Statisten. Und mit weltbekannten Architekten sowieso.
Inselurbanismus kostet halt ein bisschen Jungs, aber wir habens doch, oder? Scheiß auf den Urbanismus für Jedermann! Ist sowieso völlig veraltet! Für die armen Schweine halt, die sich nichts Neues leisten können. Wir machen uns ab jetzt unseren eigenen! Wo es uns passt und wann es uns passt. Inselurbanismus halt. Was drum herum ist war uns doch immer schon scheißegal! Und wenn uns die Leute da nerven bauen wir einfach ne Mauer drum und fliegen mit dem Hubschrauber ein. Machen wir doch in Südafrika auch, oder?
Falsche Vorstellung? Natürlich! Selbst Leute die mit ihrem Geld nicht wissen wohin würden nicht in und um Zollverein in Inselurbanismus investieren. Es sei denn sie könnten genug Steuern damit sparen. Das machen stattdessen EU Bürokraten zusammen mit NRW Bürokraten und Lokalpatrioten mit dem Geld derer die Steuern zahlen und dem Schlachtruf: Der Inselurbanimus soll ewig leben, auch wenn wir sterben müssen. Und zwar auf europäischen Niveau.
Another Wespennest.
Ja, Arnold, ?Inselurbanismus? ist schön verpönt, weil er auf kleinräumigen Kontextualismus (das Erste Gebot im klassischen Städtebau!) weitgehend verzichtet ? oder, um es am Beispiel von Zollverein zu veranschaulichen, die Zukunft des ehemaligen Zechenstandorts eben nicht aus den Bedarfen und Strukturen des benachbarten Stoppenbergs ableitet, sondern seinen Kontext weiträumiger fasst (regional, national, und hier auch: international). Sein ?Umland? sind andere, manchmal ganz woanders gelegene ?Inseln? ? sein urbaner Kontext ist also räumlich diskontinuierlich, wie es so schön heißt.
Das macht gerade in solchen Städten Sinn, in denen z.B. das Ausmaß der vorhandenen Brachflächen weit über die gegenwärtigen Entwicklungsdynamiken dieser Städte hinausgeht. Konkret: Wenn aus einem Stadtteil wie Stoppenberg (oder einer Stadt wie Essen oder einer Region wie dem Ruhrgebiet) kaum sinnvolle Perspektiven für dieses räumliche Überangebot an Entwicklungspotentialen hergeleitet werden können. Und für ?Inselurbanismus auf europäischem Niveau? sucht man natürlich diejenigen Orte aus, die sich dafür eignen ? ein rätselhaftes Weltkulturerbe zum Beispiel.
Sterben muss deshalb niemand. Nicht hier. (Der Inselurbanismus in Indien oder Südafrika ist ein anderes Thema, unter dem gleichen Begriff).
Warum, Dirk, können Städtebauer/ Stadtkünstler/ Urbanisten/ Architekten/ Urbane Interventionisten,usw. usw. so schlecht mit Leere umgehen? Mit, wie schreibts du so schön, räumlichem Überangebot? Warum müssen sie immer irgendwas tun? Irgendetwas gestalten, entwerfen, konzipieren? Zumindest aber eine Begriff finden? Zusammen mit einer „sinnvollen“ Perspektive?
Arnold, es ist so, dass ein Gutteil der Urbanisten (für die ganze Zunft sprechen kann ich nicht) mit Leere und Unbestimmtheit sehr viel besser umgehen kann als z.B. diejenigen, die leere Flecken per se als Horte der Unsicherheit und Bedrohung, als Inkubatoren des ökonomischen und kulturellen Verfalls begreifen. Zumeist sind das die Nachbarn dieser leeren Flecken. Oder ihre Abgesandten.
Nichtsdestotrotz haben Sie natürlich auch recht: Räumlich-funktionale Unbestimmtheit ist in keinem deutschen Planwerk vorgesehen. Und wenn dann, wie jüngst im regionalen Flächennutzungsplan, mal eine Fläche ganz einfach weiß gelassen (ihre Perspektive eben nicht funktional bestimmt) wird ? oder langfristige Planungsziele (die es jetzt noch nicht gibt) einem informellen Prozess vorbehalten bleiben sollen ? , kommen die unabhängigen Planungsrechtsexperten zu dem Urteil, dass es so aber bitteschön nicht geht. Und die Zeitungen schreiben dann von einem ?vernichtenden Expertenurteil?. Neenee, es ist schon so, dass sich auch das deutsche Planungsrecht ein wenig bewegen muss (denn die Wirklichkeit des Ruhrgebiets steht nicht im Baugesetzbuch).
Ich bin kein unbedingter Verfechter der „kleinräumlichen Kontextualismus“. Architektur und Design haben unter bestimmten Voraussetzungen das Recht auf den „Kontrapunkt“, ja manchmal sogar die Pflicht zur nahräumlichen „Unverbundenheit“. Aber es gibt einen Grad und eine Art von „Leere“ die weder durch Kunst, noch durch Architektur ja nicht einmal durch großräumigen Städtebau sinnvoll zu bearbeiten ist.
Keine Frage, Zollverein erlaubt von der baulich-räumlichen Struktur eher An- und Zubauten als zum Beispiel das Ensemble der Zeche Zollern. Spektakuläre und/oder funktionale. Aber sie hatte und hat deswegen noch lange keine Eignung zur „Stadt“. Weder als Insel noch als neues Zentrum seiner unmittelbaren Umgebung.
Zollverein ist nicht einmal eine richtige Insel im Sinne relativer aber doch eindeutiger Abgeschlossenheit von ihrem direkten Umland. Sie ist mittlerweile von der wegebezogenen Zugänglichkeit bestens darin eingebunden.
Das Problem von Zollverein ist vielmehr ihre völlige Verwobenheit mit und damit ihr tendenzielles Verschwinden im heterotropen „Ruhrdschungel“.
Sie eignet sich deswegen höchstens zu einer Art urbanen Ankerpunkt als Teil eines urbanen Puzzles das man sich in Ruhr jedes Mal aufs neue und je nach seinen gerade anstehenden urbanen Bedürfnissen durch pure und oft weite Fahrerei zusammenzusetzen gezwungen ist. Egal welches Verhältnis sie zu anderen thematisch ähnlich gestrickten „Inseln“ in Europa und sonst in der Welt aufbaut.
[…] in einer Region mit Leuchtturmprojekten, Beispiele unter vielen: die gescheiterte Privat-Uni „Design School auf Zollverein“ in Essen oder die eben erst wieder abgeschafften Elektroautos der „Innovation-City“ […]