AfD, PEgIdA, Identitäre Bewegung: Die neue Rechte und deren Strategen – Götz Kubitscheck, Martin Sellner, Jürgen Elsässer, Björn Hoecke, Phillip Stein u.a. – sind Thema eines Buches von Christian Fuchs und Paul Middelhoff. Die beiden Autoren haben die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg absolviert und schreiben als Reporter für die Wochenzeitung Die Zeit.
In ihrem im März erschienenem Buch Das Netzwerk der neuen Rechten schauen Christian Fuchs und Paul Middelhoff auf das – der Buchtitel lässt es vielleicht erahnen – Netzwerk der neuen Rechten. Auf ihre Motivation, dieses Buch zu schreiben und die dunklen Stellen des Rechtsextremismus in Deutschland zu beleuchten, gehen die Autoren am Anfang des Buches, mit einem Zitat vor George Orwell ein.
Journalismus ist, zu veröffentlichen, was andere nicht gedruckt sehen wollen: Alles andere ist Öffentlichkeitsarbeit.
Ein guter Ansatz, um sich mit der neuen Rechten auseinanderzusetzen.
Vorab klargestellt:
Das Buch ist gut und informativ! Für alle Menschen die sich mit der Materie bisher nicht (permanent) eindringlich beschäftigt haben und einen guten und kompakten Überblick wollen: Eine klare Lesempfehlung! Das „so lala“ im Titel betrifft nur die Leserschaft, die mit dem Thema sehr vertraut ist und wirkliche Neuigkeiten erwartet.
Wer mit der Materie bereits vertraut ist und Informationen zu Personen und Strategien noch mal kompakt lesen möchte: Klare Empfehlung!
Wirklich viele Neuigkeiten – etwa über die anonymen Spender der AfD – findet man in dem Buch nicht. Aber: Verbindungen ins Ausland – insbesondere der AfD nach Russland und zu ominösen Vereinen mit zu viel Geld in der Schweiz werden gut dargestellt.
Positiv: Überblick über VIPs im rechten Netzwerk!
Die Informationen zu den Menschen, die hinter dieser Strategie stecken – Götz Kubitschek, Dieter Stein (Junge Freiheit), Björn Hoecke und besonders Jürgen Elsässer (Compact-Magazin), sind detailliert, aber an keiner Stelle langweilig. Die Autoren ermöglichen hier einen guten und schnellen Einblick in die „Denke“ dieser Strategen.
Bahnbrechende Neuigkeiten erfährt man dabei nicht: Elsässers Weg vom Antideutschen zum Querfrontler ist jedem bekannt, der die Entwicklung in Deutschland seit 2015 auch nur halbläbig mitverfolgt hat. Das Elssässer früher bei der Junge World geschrieben hat: Geschenkt. Die Tatsache, dass Jürgen Elsässer antisemitische Vorurteile bedient, wenn er vom „Widerstand gegen das internationale Finanzkapital und seine Kriegsbrandstifter in Washington, London und Jerusalem“ schreibt – nun ja: Das ist offensichtlich.
Zu den anderen Protagonisten der neuen Rechten – Götz Kubitscheck, Martin Sellner, Jürgen Elsässer, Björn Hoecke, Phillip Stein – gibt es selbstverständlich ebenfalls detailreiche Informationen über deren Background.
Trotzdem ein Zugeständnis an diesen Teil des Buches: Die Biografien sind spannend und – naja: gut verdaubar – geschrieben und zeigen auf, wie die rechten Ideologen so ticken.
Übrigens: Jeder, der sich bisher aufgrund der Berichterstattung über Jürgen Elsässer gedacht hat, dass dieser eventuell ein radikaler Narzisst sein könnte: Ein damaliger Freund von ihm bestätigt im Buch genau diese Einschätzung.
Strategie der neuen Rechten
Der Fakt, dass sich die Identitäre Bewegung heuer bei ihrer PR-Strategie bei Werkzeugen aus der Umwelt-Bewegung bedient – sei es mit den ausgerollten Bannern von irgendwelchen Gebäuden oder mit der – nicht sehr erfolgreichen – Bootstour im Mittelmeer (In Anlehnung an die Rainbow Warrior der Umweltorganisation Greenpeace!): Ist bekannt. Das Strategien der Linken übernommen wurden – z.B. bei Wohnprojekten – auch keine Neuigkeit.
Die offensichtliche Tatsache, dass sich die heutigen neuen Rechten klar von den Altnazis der offen antisemitisch agierenden NPD unterscheiden und auch nicht als Skinheads mit Bomberjacke und Springerstiefel verkleidet durch die Straßen ziehen, sondern ihren Latte Macchiato auch schonmal mit gesunder Ziegenmilch trinken und Jutetaschen und Vollbärte tragen: Bekannt.
Die Strategie der neuen Rechten wird in dem Buch natürlich ebenfalls thematisiert: Weg vom Judenhass, der Holocaust wird nicht geleugnet – stattdessen wird ein neues Feindbild aufgebaut – der Islam – und natürlich die angebliche „Umvolkung“ des deutschen Volkes thematisiert.
Die Basisstrategie zum Rollback der liberalen Gesellschaftsordnung wurde 2017 von
Götz Kubitschek so formuliert:
Das Milieu besteht aus Partei, Milieu-Medien, vorpolitischen Initiativen und aktivistischen Initiativen. Das ist wie bei einer fröhlichen Regatta, die Kriegsschiffe fahren nebeneinander her und man winkt sich von der Brücke aus zu.
Hochgezogen, im Sinne der neuen Rechte, wurde laut Götz Kubitschek das Thema 2010 durch die Veröffentlichung des Buches Deutschland schafft sich ab von Thilo Sarrazin:
Alles begann am 30. August 2010. Damals veröffentlichte der SPD-Politiker und Ex-Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin sein Buch Deutschland schafft sich ab. Es wurde das meistverkaufte Sachbuch des Jahrzehnts in der Bundesrepublik. Darin behauptet Sarrazin, dass Deutschland seine Zukunft durch ungesteuerte Migration aufs Spiel setzen würde.
Die Montagsmahnwachen und – später – PEgIdA nahmen so ihren Lauf.
Dass die Geschichte der PEgIdA nochmals in Kurzform erzählt wird: Eigentlich überflüssig, weil hinlänglich bekannt und dieser Teil der deutschen Geschichte ja noch nicht aus den Köpfen verschwunden ist.
Der Weg der AfD – von ihrer Gründung bis zur Entmachtung vom AfD-Gründer Bernd Lucke und dem damit verbundenen Kurswechsel von Euroskepsis zu den Themen der NPD: Eigentlich ebenfalls bekannt.
Was im Buch sehr gut dargestellt wird: Die Vernetzung der Rechtsradikalen auf europäischer Ebene. Die Russland-Connection der AfD wird beleuchtet. Das die AfD-Reisegruppe bei ihrer Tour in die (nicht anerkannte) Republik Berg-Karabach illegal eine Grenze überquert hatte – der Grenzübertritt ohne Erlaubnis gilt in Aserbaidschan als Straftat – ging damals durch die Medien und lässt den Leser auch heute noch schmunzeln.
Die Verbindung der AfD zu dubiosen Vereinen in der Schweiz – bei denen die Finanziers unbekannt sind – wird sehr gut beschrieben.
Die Wurzeln der (Gegen-)Revolution von Rechts in den 50er Jahren werden in Das Netzwerk der neuen Rechten aufgezeigt: Viele Informationen zum Ursprung dieser Bewegung sind – wenn man sich nicht intensiv mit dem Thema beschäftigt – neu und interessant. Das letzte Buch in dem ich dermaßen ausführlich etwas dazu gelesen habe, war – wenn ich das jetzt nicht verwechsle – Die deutsche Rechte Von Peter Glotz irgendwann am Anfang der 90er Jahre.
Interview mit Darth Vader
Interessant finde ich das Interview mit „dem dunkeln Lord“ Steve Bannon, der zur Zeit dieses Gesprächs bereits nicht mehr im Team von Donald Trump war und im letzten Jahr seinen privaten Feldzug in Europa zur Stärkung von nationalistischen Bewegungen gestartet hat: Unter dem etwas paradoxen Motto: Nationalisten aller Länder vereinigt Euch. Darüber, dass Steve Bannon nicht mehr die Position hat wie einst als er noch im Weißen Haus diente ist klar: Trotzdem bleiben seine Aktivitäten nicht ungefährlich. Das dies sein letzter Versuch ist um nochmals „richtig“ politisch durchzustarten ist keine Neuigkeit: In seinem „War-Room“ in Brüssel arbeiten aktuell zehn Mitarbeiter die Wählergruppen analysieren und versuchen diese durch gezielte „alternative Fakten“ zu beeinflussen. Mit diversen Spitzenkadern der AfD und von anderen eurofeindlichen Parteien telefoniert Steve Bannon wohl regelmäßig. Ob sich seine Taktik, die in den USA erfolgreich war, in Europa auch durchsetzen kann, wird sich bei den Europawahlen zeigen.
Fazit:
Das Buch bietet einen guten und schnellen Überblick über die Strategie der neuen Rechten und die Personen, die hinter dieser Strategie stehen. Ebenso werden Verbindungen nach Russland und zu ominösen Geldgebern gut dargestellt.
Das Buch hat keine Längen: Die Autoren gehen ohne allzu großes Vorspiel auf das Grundthema ein. Wobei auch viel thematisiert wird, was längst „Geschichte“ und bekannt ist. Die Entwicklung der AfD von einer eurokritischen zu einer rechtsradikalen Partei z.B..
Die geschichtliche Entwicklung der neuen Rechten in Deutschland ist kompakt beschrieben. Derjenige, der die Geschichte des Brexit irgendwann in dieser Form derartig gut lesbar aufarbeitet, wird mit seinem Werk definitiv sehr reich werden.
Poltisch Interessierte, die bisher die Entwicklung nicht verfolgt haben und Hintergründe bei AfD und anderen Rechten besser verstehen möchte: Ganz klare Leseempfehlung!
Für diese Lesergruppe gilt bei dem Buch: Schulnote GUT mit Sternchen!
Wer jetzt zwischendurch ein schnelles Update zum Thema benötigt und alles nochmal „fix“ durchlesen möchte um sich die Entwicklung ins Gedächtnis zurückzurufen oder sich bisher nur am Rande mit dem Thema beschäftigt hat: Das Buch lohnt sich dann auf jeden Fall. Note GUT!
Wer in dem Thema absolut „Zuhause“ und up to date ist und wirklich bahnbrechende Neuigkeiten erwartet, könnte eventuell von Das Netzwerk der neuen Rechten (etwas) enttäuscht werden…
Mehr Hintergrund:
https://www.achgut.com/artikel/rowohlt_macht_werbung_fuer_achgut_com
Ist das Buch auch korrekt gegendert?