Das Ruhrgebiet hat alle Chancen. Es muss sie nur nutzen. In vielen Städten des Ruhrgebiets boomt es. Angezogen von Wissenschaft, Innovation und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen ziehen immer mehr junge Menschen ins Ruhrgebiet. Wie kann dieses Potential genutzt werden, um dem Ruhrgebiet noch mehr Strahlkraft zu verleihen? Ein Gastbeitrag von Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen
Seit 2018 ist Schicht im Schacht. Die Steinkohleförderung hat ausgedient. Mit Prosper Haniel stellte im Dezember 2018 das letzte Steinkohlenbergwerk im Ruhrgebiet die Förderung ein. Die Frage nach den Folgen des Strukturwandels war das Gebot der Stunde. Seit Jahrzehnten oftmals genutzt als Erklärung für soziale und wirtschaftliche Missstände in den Städten des Ruhrgebiets, zeigte sich in den letzten Jahren, was das Ruhrgebiet wirklich ausmacht: Das Ruhrgebiet ist ein riesiger Kraftraum.
Das Potential, das im Ruhrgebiet steckt, lässt sich anhand von Zahlen verdeutlichen: im Dynamikranking des Städtetests von WirtschaftsWoche, des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Consult (IW Consult) GmbH und Immoscout24 Ende letzten Jahres konnten sich in den vergangenen Jahren fast alle größeren Städte des Ruhrgebiets verbessern. Das Dynamikranking bildet dabei die Veränderungen der vergangenen Jahre ab, und zwar im Hinblick auf Faktoren wie beispielsweise Arbeitsplatzquote, Wohnkosten, Bauaktivitäten. Sprünge um 11, 12 oder 17 Plätze nach oben waren für einzelne Städte an Lippe, Rhein und Ruhr zu verzeichnen. So reihte sich Dortmund mit Platz 5 unter die Top 10 der deutschen Städte im Dynamikranking ein. Herne schaffte es nach einem Sprung von 17 Plätzen ins Mittelfeld des Rankings. Dabei ließen einige Ruhrgebietsstädte wirtschaftliche Metropolen Deutschlands wie München hinter sich. Bochum reihte sich auf Platz 21 direkt vor Hamburg und ganze sieben Plätze vor Frankfurt am Main ein.
Zur Wahrheit gehört aber, auch, dass der „Kraftraum“-Ruhrgebiet, sich aber leider mit zwei Geschwindigkeiten entwickelt. Es gibt aber leider auch Städte, die im Dynamikranking des Städtetests unten bleiben, trotz Verbesserungen innerhalb der letzten fünf Jahre. Hierzu zählen zum Beispiel Gelsenkirchen (Platz 61) und Hagen (Platz 67).
Dabei kann auch in Gelsenkirchen erhebliches Entwicklungspotential entfaltet werden. Es gibt dort heutzutage eher zu viele Wohnungen mit einem hohen Anteil an schlichten Wohnungen, die den heutigen Anforderungen nicht mehr Rechnung tragen. Die Konsequenz müsste ein Stadtumbau in Städten wie Gelsenkirchen sein, mit dem Rückbau und der Aufwertung von Wohnraum. Hiervon könnte auch das in unmittelbarer Nähe befindliche Bochum als prosperierende Stadt mit Menschen, die Wohnungen suchen, profitieren. Dafür benötige das Ruhrgebiet Erleichterungen bei der Vergabe von Bundesmitteln in der Städtebauförderung. Nach der Wende gab es für die ostdeutschen Länder ein Programm „Stadtumbau Ost“, denn die neuen Bundesländer hatten damals große Probleme mit ihren Plattenbauten. Solch ein Programm „Stadtumbau West“ wäre für das Ruhrgebiet ein großer Gewinn.
Ein Beispiel, an dem die positive dynamische Entwicklung im Ruhrgebiet aufgezeigt werden kann, stellt das Projekt „Mark 51°7“ in Bochum dar. Nachdem der Automobilkonzern Opel seine insgesamt über 70 Hektar große Fläche in Bochum aufgegeben hat, wird diese Fläche zu einem innovativen Standort für Wissenschaft, Gewerbe und Industrie entwickelt. Tausende Arbeitsplätze entstehen auf diesem Gelände. So zeichnet sich klar ab, was ein Erfolgsfaktor für eine positive Standortentwicklung im Ruhrgebiet ist: Da wo Industrie war, muss auch wieder Industrie hin.
Wichtig: Arbeiten und Wohnen müssen wieder zusammen gedacht werden. Denn: Wer im Ruhrgebiet wohnt, wohnt in der Zukunft. Eine Entwicklung von neuen Wohnbauflächen in unmittelbarer Nähe zu Gewerbe- sowie Industriegebieten und umgekehrt ist aber oft nicht ohne weiteres möglich. Nicht weil es die Menschen, die dort wohnen und arbeiten möchten, nicht wollen, sondern es das Bauplanungs- und das Immissionsschutzrecht nicht zulässt. Die Gefahr von Nutzungskonflikten zwischen Wohnen auf der einen und Gewerbe sowie Industrie auf der anderen Seite ist nach Auffassung des Bundesgesetzgebers zu hoch. Das heißt, die einzelnen Nutzungen müssen klar voneinander getrennt werden und immense Abstände eingehalten werden. Diese Einschätzung basiert allerdings auf Erkenntnissen und Denkweisen, die teilweise Jahrzehnte alt sind, und die die heutige Entwicklung des Ruhrgebiets hemmen.
Es wird von dem antiquierten Glauben ausgegangen, dass Gewerbe- und Industriebetriebe nahezu unzumutbare Belästigungen verursachen. Dies mag auch zutreffen, wenn man an Stahlhütten und Presswerke denkt. Es hat jedoch wenig mit der heutigen Realität vieler hoch-technologisierter Unternehmen zu tun. Eine Koexistenz von Arbeiten und Wohnen scheidet jedoch aufgrund der bundesgesetzlichen Vorgaben noch aus, und so sehen sich Menschen gezwungen, lange Pendelwege meist mit dem Auto in Kauf zu nehmen. An die Verkehrsbelastung und die Folgen für das Klima infolge entstehenden Emissionen durch Kraftfahrzeuge denkt das jetzige Bauplanungsrecht nicht.
Dem Zusammenführen von Arbeit und Wohnen hat sich in der letzten Legislaturperiode unter anderem die Baulandkommission auf Bundesebene gewidmet. Entsprechende Vorschläge im Umgang damit wurden erarbeitet. Die Große Koalition im Bund hatte aber nicht mehr die Zeit für einen großen Wurf, und die notwendigen Gesetzesänderungen blieben aus. Die jetzige Ampel-Regierung hüllt sich bisher in Schweigen, ob sie diese begonnene Arbeit zu Ende bringen möchte oder das ungenutzte Potential und die Vorarbeit der Baulandkommission liegen lässt. Nicht nur für das Ruhrgebiet wäre angebracht hier zu handeln und weniger zu reden.
Es gilt die Kraft und das Potential des Ruhrgebietes als eines der größten Kerngebiete Europas zu nutzen. In vielen Bereichen des Ruhrgebietes bestehen noch zahlreiche ehemals industriell genutzte Flächen, die brachliegen. Diese gilt es zu reaktivieren, auch um den Flächenbedarf an neuen Flächen zu minimieren. Mögliche rechtliche Hemmnisse, die ein attraktives Wohnen und Arbeiten im Ruhrgebiet verhindern, müssen beseitigt werden. Das Ruhrgebiet muss die Möglichkeit haben seine volle Kraft zu entfalten, sodass die Städte und Gemeinden an Lippe, Rhein und Ruhr zum führenden Innovations- und Wirtschaftsstandort in Deutschland werden. Davon profitieren vor allen Dingen die Menschen im Ruhrgebiet. Also packen wir es an und nutzen den riesigen „Kraftraum“ Ruhrgebiet.