Von unserer Gastautorin Irmgard Bernrieder
Das Sommerloch 2020 wächst sich aus, und insgeheim fürchten wir, dass es unermesslich sein könnte. Menschenleere Räume und der digitale Hall der Streamings und schwindelnde Unsicherheit für immer? Dieser Sommer vergeht, die Seuche bleibt: Antikörper, Immunität, Serum – Begriffe im regelmäßigen Schleudergang. Abstand, der uns vor Ansteckung schützen soll, vernichtet uns auf Dauer als soziale Wesen. Altmodisch gemütlich mutet dagegen die Geschichte vom Sommerloch an, in dem Tageszeitungsredaktionen sich einst bewegten! Menschenleere hitzeflimmernde Fußgängerzonen, leere Autobahnen, Parkplätze all überall.
Die Spitzenpolitiker hockten an Seen herum und gaben allenfalls eine Audienz. Unternehmen schickten ihre Mitarbeiter geschlossen in die Ferien. Museen überbrückten den Sommer notdürftig mit Ausstellungen aus dem eigenen Bestand und bereiteten ihre bedeutenden Vorhaben für den Herbst vor. Durchaus ambivalent galten diese rund sechs Wochen, in denen wenig los war, als leger und Aufmerksamkeit fordernd. Die Seiten mussten ja auch in der nachrichtenarmen Zeit gefüllt werden, weil die Anzeigen, die dem Verlag Geld einbrachten, einen Rahmen brauchten. So bekamen Artikel, die schon lange im Stehsatz schlummerten, eine Chance und entpuppten sich bisweilen gar als Glanzlichter. Wir ließen uns mehr Zeit, jahreszeitlich bedingte Reportagen, etwa aus Schwimmbad oder Schrebergarten, waren beliebt und förderten die vielzitierte Leser-Blatt-Bindung.
Doch immer bewegten wir uns nur einen Fingerbreit entfernt vom Abgrund der Langeweile und ersehnten die Spannung des Blattmachens. Blickt man noch weiter zurück, so wird deutlich, dass Ferien ohnehin eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sind, und vor gut hundert Jahren nur Geldige Ferien machten, indem sie zur Sommerfrische ans Meer oder in die Berge reisten. Das Gros der Bevölkerung malochte, Tag für Tag, auch samstags selbstverständlich. Kirchliche Feiertage bildeten für die Mehrheit die einzige Unterbrechung ihres Alltags. In Seuchenzeiten scheint manches auf den Kopf gestellt, ist es aber, genauer betrachtet, nicht. Die Einschränkungen gelten nämlich nicht für jene, die nicht mit der U-Bahn fahren, sondern im eigenen Helikopter unterwegs sind. Sie bleiben unter sich in ihren Hochsicherheits-Arealen. Sie tragen keine Gesichtsmaske wie die Mehrheit, der sie zur Gewohnheit werden wird wie der Sicherheitsgurt.