Ein neues Buch nimmt den westlichen Neo-Rassismus auseinander. Von unserem Gastautorin Terri Murray
Selbsternannte „Progressive“ aus dem Mainstream neigen dazu, Multikulturalismus und Vielfalt von Natur aus gut zu finden und für etwas zu halten, das nur Rassisten und Vorurteilsbeladene in Zweifel ziehen würden. Deshalb mischt das neue Buch des schwedischen Soziologen Goran Adamson, „The Trojan Horse. A Leftist Critique of Multiculturalism in the West“ (2015), die Debatte auf. Es liefert eine klare Kritik der Diversitätsideologie und zwar aus einer progressiven Perspektive. Es zeigt besonders, wie Vernunft, Freiheit und Individualität, die Grundpfeiler von Demokratie und Bürgerrechten, von der Ideologie des Multikulturalismus untergraben werden, indem Partikularidentitäten und -rechte über die universelle politische Freiheit gestellt werden.
Adamson ist sich der Probleme mit dem Multikulturalismus schon lange bewusst. Vor einigen Jahren wurde er von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte beauftragt, nach der geeignetsten Methode zu suchen, mit der sich die politische Beteiligung von Migranten in Europa erhöhen lässt. Nach Studium der empirischen Daten fand er heraus, dass der Ansatz einer pluralistischen, multikulturellen Gesellschaft mit gleichberechtigten Individuen weniger dazu beiträgt, politische Teilhabe unter Migrantengruppen zu fördern als ein eher klassischer liberaler Ansatz, bei dem Migranten eingeladen sind, am öffentlichen Leben als gleichgestellte Bürger teilzunehmen. Adamsons Bericht 1 wurde von den Auftraggebern schnell in der Schublade versenkt.
Dass die EU versucht, Untersuchungsergebnisse zu unterdrücken, die nicht mit der multikulturalistischen Agenda übereinstimmen, hat Adamson nicht überrascht. Wolfgang Kowalsky zitierend, einen Politikberater beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und Experten für Rechtsaußen-Demagogie, führt Adamson an, dass die Methoden und Theorien der Multikulturalisten denen von rechten Extremisten ähneln: Beide wollen die Realität zwingen, sich ihrer Weltsicht zu fügen, statt auf sie so zu reagieren, wie sie wirklich ist.
„Die Methoden und Theorien der Multikulturalisten ähneln denen von rechten Extremisten“
Es gibt weitere Parallelen zwischen Multikulturalismus und traditionellem rassistischem Denken. Zum Beispiel weist Adamson darauf hin, dass die multikulturelle Ideologie, ganz wie die rassistischen Theorien von einst, die ethnische Diversität zum Fetisch erhebt. Wichtig ist nicht der Charakter, wie noch Martin Luther King glaubte, sondern die Hautfarbe. Gemeinsame menschliche Eigenschaften, wie die Fähigkeit zu abstraktem Denken, Kreativität und Selbsterkenntnis, werden durch Trennendes verdeckt. Somit ist der Multikulturalismus ebenso auf Rasse fixiert wie der Rassismus der Vergangenheit.
Adamson führt außerdem an, dass die multikulturalistische Sicht auf Migranten diese nicht als Individuen mit einem grundsätzlichen menschlichen Bedürfnis nach Selbstbestimmung behandelt. Vielmehr bildet „der Migrant“ eine abstrakte Gattung, eine Art, eine Rasse. Die rassistische Tragweite des Multikulturalismus ist also, trotz seines vordergründigen Antirassismus, von großer Bedeutung. Das „Andere“ wird entweder als grundsätzlich faszinierend oder als schwaches Opfer dargestellt. Sie sind nicht wie wir. In dieser Trennung von uns und ihnen gärt der Rassismus, wie Adamson erklärt. Schließlich beruht der Diversitätsansatz auf dem Glauben, dass Migranten anders sind als wir und dass ihre Andersheit gefeiert und verherrlicht werden sollte. Entsprechend erscheinen dem glühenden Multikulturalisten der Universalismus und die Inklusivität der Bürgerrechtsbewegung als eine peinliche Form des „Kulturimperialismus“.
Die wesentlichen Pfeiler der pluralistischen multikulturalistischen Agenda sind Wertepluralismus und moralischer Relativismus. Folglich sind alle moralischen Überzeugungen, seien sie liberal oder autoritär, gleichermaßen legitim und alle moralischen Entscheidungen relativ oder subjektiv. Somit begeht man eine Art Greueltat gegen politische Ideologien, wenn man eine von ihnen, wie den Liberalismus (oder den liberalen Multikulturalismus), zu ernst nimmt.
„Der Liberalismus vermag Vielfalt eher zu schützen als der pluralistische Multikulturalismus“
Was den europäischen Liberalismus aber einzigartig macht und ihn von den voraufklärerischen Mitbewerbern unterscheidet, ist Adamson zufolge sein ausdrücklicher Versuch, Fragen der Moral aus dem politischen Bereich herauszunehmen. Er erkennt an, dass wir nicht dieselben Werte oder Vorstellungen vom richtigen Leben teilen. Anders ausgedrückt, bildet der Liberalismus explizit einen neutralen Rahmen für die gleichberechtigte Koexistenz vielfacher Ideologien. Der Liberalismus ist in der Lage, Fortschritt und Inklusion zu schützen und zu fördern und zwar genau deshalb, weil er einen Container für eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele und Werte bietet. Er verlangt von Bürgern nur eines: dass ein jeder sich an die Regeln gegenseitiger Toleranz hält und die Freiheit anderer nicht beeinträchtigt. Das ist keine inhaltsschwere Ideologie, solange es sich um eine Reihe von Regeln handelt, die das Verhältnis verschiedener Ideologien innerhalb eines Staates regeln. Aus diesem Grund vermag der Liberalismus Vielfalt viel eher zu schützen als der pluralistische Multikulturalismus, der Adamsons Schweden und anderen europäischen Staaten von EU-Bürokraten untergeschoben wurde.
Britische Multikulturalisten haben Angst, als tyrannische Mehrheit betrachtet zu werden. Sie überschütten die französische Assimilationspolitik mit Hohn und Spott. Tatsächlich aber wirken sie Bemühungen um Integration, Assimilation und Inklusion entgegen. Man könnte ihre Verteidigung der Minderheit und ihre Kritik an einer potentiell unterdrückerischen Mehrheitskultur als Prinzipienfrage betrachten. Adamson zufolge ist das aber nicht der Fall. Man betrachtet die „Vernichtung“ des anderen als ein ausschließlich westliches Phänomen. Bei ethnischen Gruppen werden die Rechte abweichender Minderheiten innerhalb dieser Gruppen selten verteidigt. Aus diesem Grund behandelt die multikulturelle Agenda ethnische Subkulturen als homogene Gruppen, als hätten Individuen ohne Ausnahme eine gemeinsame Identität, die lediglich von ihrem gemeinsamen Erbe oder ihrer gemeinsamen Religion bestimmt ist. Die Vernichtung anderer ist also akzeptabel, so lange die dafür verantwortliche Mehrheit die richtige Ethnie hat.
Es scheint so, als müssten wir „ihre“ Unterschiede zu uns schützen, aber nie die Individualität des ethnischen Dissidenten oder „Abweichungen“ von ihren eigenen kulturellen Traditionen. Adamson führt das Beispiel von Tasleem Begum aus Bradford an, der, nachdem sie ihren Ehemann und ihre Zwangsehe verlassen hatte, von ihrem Schwager in den Kopf geschossen wurde. Die Strafe des Schwagers wurde von Mord auf Totschlag herabgesetzt, wegen der „Provokation“, die aus der Schande erwachsen ist, die Begum der Ehre der Familie ihres Mannes zugefügt habe.
„Die Sorgen der Menschen wegen mangelnder Integration sollten ernst genommen werden“
Die Bedenken, die antirassistische Liberale mit der rechtsextremen, fremdenfeindlichen Politik und deren hetzerischer Rhetorik von „uns“ und „denen“ haben, sind legitim. Freilich müssen wir eine fundierte antirassistische Stellung zur Migration beziehen. Gleichzeitig sollten der politische und kulturelle Einfluss von Migration und die Sorgen der Menschen wegen mangelnder Integration ernst genommen werden.
Linksgerichtete Liberale sind jedoch so erpicht darauf, Rassismusvorwürfe zu vermeiden, dass sie traditionell progressive liberale Prinzipien verlassen haben. Somit haben sie sich unbeabsichtigt eine Form des Multikulturalismus zu eigen gemacht, die in ihrer derzeitigen Art und Weise zutiefst ideologisch und illiberal ist. Das Buch „The Trojan Horse“ ist in seinem Antirassismus bedeutend authentischer als die dort kritisierte multikulturelle Agenda. Adamson liefert eine wegweisende Untersuchung derzeitiger Denkfehler des pluralistischen Kulturalismus und einen Entwurf, sie zu beheben, der echte Vielfalt unterstützt.
Der Artikel erschien bereits auf Novo Argumente
Puh. Also eventuell verwende ich falsche Begrifflichkeiten für das, was unter Multikulturalismus in meinem Kopf schwebt, aber:
Für mich war es immer so, dass "Multikulti" bedeutet, dass Hautfarbe, Ethnie, whatever in den Hintergrund tritt und nur der Mensch bzw. sein Charakter – das, was er aufgrund Sozialisation ist – ausmacht.
Kann mir jemand in einfachen Worten darstellen, ob das falsch ist und es eine "offizielle" Version von "Multikulti" gibt? Denn das, was dort oben unter "Multikulti" verstanden wird, verfolge ich nun absolut nicht. Falls meine Version und die offizielle nicht übereinstimmen: Gibt es einen schöneren Oberbegriff für meine oben angeführte Einstellung? Damit ich demnächst nicht sage, ich bin für Multikulti sondern xyz…
@roteswasser, du hast da eine sehr gute Frage gestellt. Ich denke, wenn es auch nur einer der vielen streitenden Gruppierungen gefällt, den Begriff des Rassismus mit jeder beliebigen Streitfrage zu vermengen, dann ist er drin der Begriff. Ob der Begriff gut für die Diskussion ist, oder letztlich sogar genau deren Position schwächt, die ihn als Waffe einsetzen, kann ich nicht endgültig beantworten.
Ich meine aber, daß die Position derjenigen, die eine vielseitige pluralistische Gesellschaft für erstrebenswert halten, letztlich schwächen wird.
Ich habe schon häufig beobachtet, daß bei Linken einige glauben, daß Positionen oder Forderungen, die noch etwas radikaler sind, als die üblichen linken Forderungen, notwendig seien, damit sie gehört werden. Wahr daran ist aber, daß sie denen, die sie aussprechen, eine gewisse Popularität sichern, während sie der Sache selbst nicht dienlich sind und das Anliegen der eigenen Gruppe schaden. Es gibt m.E. keine "offiziele definition von "Multikulti" die allen interessierten Gruppen als verbindlich gilt. Du kannst und solltest also deine Position in deinen Diskussionen immer genau definieren. Genau so mache ich es. Oder suche dir eine Definition aus der literatur aus und sage " nach der Definition für Multikulti von ….xyz, meine ich….
Nur versteht dich dann niemand.
@roteswasser
"Multikulturalismus" (wie mMn im Artikelverwendet) bezeichnet ja eine Situation, in der es neben einer (evtl vermeintlichen) deutschen Kultur (bzw. der jeweiligen Lokalkultur – rheinisch, westfälisch, bayrisch, ….) auch andere Kulturen gleichberechtigt daneben auf dem selben Raum existieren. Was gehört nun zur Kultur? Natürlich Sachen wie Küche und Kunst, aber auch Sprache und Gebräuche, häufig auch Religion. Multikulti sind dann z.B. die Paralelgesellschaften in Duisburg-Marxloh, wo man kein deutsch braucht um durch den tag zu kommen und es alles aus der gewohnten Heimat gibt. Es bedeutet Assimilation und schon zu große Anpassung abzulehnen und die Unterschiede zu feiern und bewusst Aufrecht zu erhalten.
Ich finde den Artikel im weiteren sehr Interessant und werde mich mal nach dem Buch umschauen.
Es ist ein Phänomen, dass tatsächlich nicht nur im Zuge der Integration zu beobachten ist.
Nehmen wir ein anderes Steckenpferd der Progressiven: Transsexualität.
Auch auf dem Bereich, ist man derart darauf verbissen möglichst inklusiv zu sein, auf biegen und brechen. Das reicht vom "Zerschlagen der Norm" bis hin zur "Abschaffung der Geschlechter als solche".
Was dabei aber offenbar niemandem auffällt:
Die Rede ist dabei grundsätzlich von "Trans XY" als Identitäts- / Alleinstellungsmerkmal.
Betroffenen Personen wird es nicht gestattet ihren Wandel zu vollziehen, stattdessen werden sie ewig im "Trans-Limbo" gehalten, quasi, als eine Art Bindeglied, um sie als etwas besonderes, beschützenswertes darzustellen.
Von einer Normalisierung ist da nicht die Rede.
Eben genau das gleiche wie mit "den Migranten", die nie hier ankommen und sich beweisen können, ein einfacher Teil der Gesellschaft zu sein, wie eben jeder andere auch, da sie immer "diese beschützenswerte Minderheit" bleiben werden.
Da werden lieber Gesetzte gebogen und verdreht, statt diesen Leuten zuzutrauen, dass sie die gegebenen einhalten und befolgen können.
"Benevolent Racism", der wohlwollende Rassismus, bei dem Inklusion gepredigt aber Segregation ausgeübt wird. Man sagt dem Schubladendenken den Kampf an, in dem man Identitäten Gruppenbezogen auslegt (Der weiße Mann, der Moslem, der Migrant).
Und das alles schön verpackt unter dem Deckmantel des "Wir sind die Guten", die jegliche Form der Kritik abschmettern kann, denn diese muss dann im Umkehrschluss natürlich von den Bösen kommen, und das wollen wir ja nicht.
Es könnte wahrlich alles so viel einfacher sein, wenn wir doch alle nur gleich behandeln würden.
Niemand ist besonders, niemand ist anders, niemand wird hervorgehoben, alle werden nach den gleichen Standards beurteilt.
http://www.ruhrbarone.de/wie-der-postmoderne-antirassismus-zum-hemmschuh-der-multikulturellen-gesellschaft-wird/137996