Die Emscher ist seit gut zwei Jahren abwasserfrei. Der dreckigste Fluss Europas, der über viele Jahrzehnte zusammen mit seine Bachläufen als offene Kloake missbraucht wurde, ist nach über 30 Jahren Umbauarbeit durch die Emschergenossenschaft in einen klares Gewässer zurückverwandelt worden. Seitdem geht es in die Phase der naturnahen Umgestaltung. Grund genug, sich über die zukünftiges Rolle des Wassers in der speziellen Stadtlandschaft der Emscherzone Gedanken zu machen.
Ein neues städtisches Verhältnis zum Wasser ist nötig
Das Wasser ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr ins öffentliche Bewusstsein geraten. Zum einen als Zuviel in Form zunehmender Überschwemmungen und Überflutungen von Landschaft und Stadt, zum anderen als Zuwenig in Form von zunehmender Dürre und Trockenheit. Das Wasser ist vom ubiquitären Naturelement zugleich zur ökologischen Gefahr und zum umkämpften Versorgungsgut geworden.
Dass das in vielen Gegenden dieser Welt schon immer so war, ist den industrialisierten Ländern dieser Erde offensichtlich erst durch den Klimawandel klar geworden: Wasser ist weder selbstverständlich noch ist es umsonst zu haben. Es ist, wie alle Naturelemente, auf längere Sicht ein kostbares Gut, das einen in jeder Hinsicht pfleglichen Umgang verlangt.
Dies gilt in besonderer Weise da, wo die Menschen dicht beieinander wohnen. Hier kann sein Verbrauch nicht nur in exorbitante Höhen steigen, sondern seine natürliche Ausdehnungskraft auch besonders große Gefahr erzeugen. Insbesondere Städte und städtische Ballungsräume die in welcher Form auch immer am Wasser liegen, müssen deswegen zu einem neuen Verhältnis zu diesem Naturelement finden. Das gilt auch und insbesondere für das Ruhrgebiet und seine Emscherzone.
Der Umbau des Emschersystems als Produkt und Produktion eines neuen regionalen Bewusstseins über das Wasser
Beim Umbau des Emschersystems ging es nicht nur um die infrastrukturelle Anpassung an die neuen Wasserverhältnisses, die durch den Klimawandel auch im Ruhrgebiet produziert werden. Es ging und geht auch in Zukunft vielmehr über die damit verbundene Neugestaltung von Stadtlandschaft hinaus um ein wesentliches Drittes: ein neues regionales Bewusstsein über das Wasser.
Der von der Emschergenossenschaft dabei von Anfang an angestrebte und erfolgreich betrieben partizipative Einbezug der Bevölkerung hat hierin sein ökologischen Sinn und seine darauf bezogenes kommunikatives Ziel. Es ging deswegen bei allen diesbezüglichen Maßnahmen nie nur um die Akzeptanz einer über Jahrzehnte andauernden Großbaustelle, sondern um einen Prozess des kollektiven Begreifens der bisherigen und vor allem der zukünftigen Bedeutung des Wassers für die ganze Stadtregion.
Das Wasser als stadtgestaltendes Element, das durch den materiellen Umbau für viele Menschen im Norden des Ruhrgebietes überhaupt erst sichtbar gemacht werden konnte und kann, hatte deswegen von Anfang an eine über die ästhetischen und städtebaulichen Effekte weit hinausgehende Dimension: Die Produktion einer anderen sozialen und kulturellen Wahrnehmung dieses Naturelementes.
Die Teilhabe am Umbauprozess machte und macht – zumindest für die darin involvierten und engagierten Bürger – die Um- und Neugestaltung des Emscherraumes so sowohl zum Produkt als auch zur Produktion eines veränderten geistigen und emotionalen Verhältnisses zu ihm. Es ging und geht dabei auch weiterhin um eine neue Sinnlichkeit des städtischen Wassers, die seine Sinnhaftigkeit für die weitere Entwicklung der Stadtlandschaft mit einschließt.
Die Verbindung von Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit des Wassers in der Stadtgestaltung
Das Wasser ist von jeher ein architektonisches Gestaltungselement des gebauten Raumes, und zwar unabhängig davon, ob dieser selber am Wasser liegt. Das ästhetische Spiel mit ihm, sei es als gestalterischer Rahmen oder als unmittelbarer Gestaltungsgegenstand, lässt jedoch häufig, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, seine Bedeutung als Naturelement in den Hintergrund rücken, ja ganz verschwinden. Seine Sinnlichkeit wird so seiner Sinnhaftigkeit beraubt.
Seine Wahrnehmung als das Flüssiges und/oder Fließende im Festen und Stabilen der gebauten Stadt, als ihr formal-dialektisches Pendant sozusagen, steht im Mittelpunkt der Betrachtung und wir so unmittelbar zu der Freude und der Entspannung, die das Wasser gerade im städtischen Raum dem urbanen Menschen jenseits von Meer, Fluss und Kanal bieten kann, und das ist gut so.
Wer jedoch gestalterisch auch zur Sinnhaftigkeit des Wassers vorstoßen will, der muss es vom ästhetischen zum sozialen und kulturellen Gegenstand machen, bzw. alle drei Dimensionen miteinander verbinden. Dies gelingt nur, wenn der urbane Mensch von einem betrachtenden in ein handelndes Verhältnis zum Wasser gebracht wird, ohne die sinnliche Freude daran zu verlieren.
Stadtsinn, Lebenssinn und der Sinn des Wassers
Die in den letzten Jahren fast inflationäre gewordene Parole „Wasser ist Leben“ erreicht in der Regel nur die Menschen, die sich der biologischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wassers gewiss und in stadtökologischen Kontexten schon aktiv geworden sind. Der weniger engagierte Stadtmensch nimmt es nach wie vor als Gebrauchsgegenstand oder als gewohnten Bestandteil seiner Umgebung hin.
Für ihn ist eher die Stadt das Leben und das Wasser Mittel zum Zweck. Wenn überhaupt, ist es der Sinn seines eigenen Lebens, den er eventuell in Frage stellt und damit verbunden und darüber hinaus den Ort an dem er wohnt. Lebenssinn und Stadtsinn sind deswegen für die Mehrheit der Menschen engere Verwandte und als Wasser und Leben.
Der Stadtsinn, also das urbane Bewusstsein des Menschen, stellt dabei im Kern die Frage nach dem Sinn des Bleibens und Zusammenbleibens an einem Ort, nach eine Art räumlicher Perspektivverschränkung die bestimmter materieller Voraussetzungen bedarf, und hier erst kommt das Wasser ins Spiel.
Da es aber nicht nur materieller Gebrauchsnatur, sondern – ohne jede Kenntnis seiner näheren Bestandteile und seiner ökologischen Funktion -zugleich ein Projektionsfläche menschlicher Wünsche und Phantasien ist, kann beides zusammen zum Gegenstand von Stadtsinn, kann sozial und kulturell, ja sogar politisch werden.
Die Sinnhaftigkeit des Wassers ergibt sich für den urbanen Menschen nicht aus dem Wasser selbst sondern aus seiner sicht- und brauchbaren Rolle im städtischen Gefüge. Erst da wo sich der individuelle Lebenssinn mit dem kollektiven Stadtsinn zum Gemeinschaftssinn verbindet, kann nicht nur die Sinnlichkeit sondern auch der Sinn des Wassers klar werden.
Das Emschersystem als Sinnsystem
In der Emscherzone des Ruhrgebietes ist das Wasser durch die Industrialisierung zum großen Teil seines städtischen Sinns beraubt worden. Die Emscher und ihr Zuflüsse wurden durch ihre offene Kanalisierung zwar nicht der Sichtbarkeit, aber der sozialen Zugänglichkeit und der kulturellen Bedeutsamkeit entzogen. Wasser wurde be- und entsorgt oder per Frachtschiff befahren.
Stadtgestalterisch trat es jenseits seines materiellen Gebrauchswertes nur ausnahmsweise in Erscheinung. Es konnte sich so als Projektionsfläche von Wünschen und Phantasien nie ernsthaft entfalten, geschweige denn als Rückzugsraum von Stadt gerieren. Es war für die Masse der Bevölkerung weder als tägliche sinnliche Freude erfahr-, noch als sinnhafter städtischer Lebenszusammenhang, ja als Lebensbasis, begreifbar.
Es ist der Umbau des Emschersystems selbst, der überhaupt erst eine Sinngebung der Emscher möglich gemacht hat. Dazu gehört nicht nur ihre räumlich-materielle und biologisch-ökologische Umgestaltung einschließlich ihrer Zugänglichmachung, sondern die damit verbundene Wiederherstellung einer der wesentlichen sinnlichen Eigenschaften des Wassers überhaupt: Seiner Klarheit.
Auch wenn die Emscher nie ein unmittelbares Badegewässer werden kann, ist sie nicht nur die eigentliche Projektionsfläche für die Wünsche und Phantasien des urbanen Menschen, sondern die zentrale Schnittstelle zwischen dem Sinn und der Sinnlichkeit des Wassers. Konkret: Dass das Wasser der Emscher überhaupt wieder klar werden konnte, war für viele Bewohner des Emschertals, was den Hauptlauf betrifft, unvorstellbar.
Das Wasser als kollektive Projektionsfläche
Die völlige Transparenz und die Fluidität des Wassers, die je nach gegebenen ökologischen und physikalischen Bedingungen zwar nicht selbstverständlich, die aber für dieses Naturelement identitätsbestimmend ist, ja für viele Menschen sein ästhetisches und physikalisches Ideal verkörpert, macht die eigentliche Faszination für seinen Betrachter aus. Ihr visueller Kern ist die Spiegelung bei gleichzeitiger Durchschaubarkeit.
Schon jenseits des unmittelbaren körperlichen Kontaktes mit dem Wasser ergibt beides zusammen eine sinnliche Wechselwirkung die, wie unzählige literarische und poetische Auslassungen zeigen, eine besondere Form der emotionalen Verbindung erzeugt. Die spiegelnde Reinheit des Wassers und seine fluide Reaktionsmöglichkeit auf jede noch so geringe Außeneinwirkung macht es zu einer Art sprachlos sprechendem Medium.
Wird im städtischen Raum auf Grund der Größe und öffentlichen Zugänglichkeit der stehenden oder fließenden Wasserfläche, trotz dabei abnehmender Reinheit, eine kollektive Zwiesprache zwischen seinen Bewohnern und „ihrem“ Wasser möglich, wir dieses Naturelement zum Teil des alltäglichen kollektiven urbanen Bewusstseins, wird Teil des Stadt- und Gemeinschaftssinns.
Die Wiedergewinnung des städtischen Ufers entlang der Emscher
Der Ort der kollektiven Zwiesprache mit dem Wasser ist das städtische Ufer. Diese sinnliche Interaktion findet für den Naturtouristen natürlich in mehr individualisierter Form auch an den Wasserrändern außerhalb der bewohnten Räume statt, wobei sich bei Verdichtungsräumen die am Meer und/oder an Flüssen liegen beides durchmischen kann.
Im Ruhrgebiet ist dieser Durchmischungsgrad sogar von spezieller Natur, weil sich hier, jenseits einer Meeresküste, Stadt, Landschaft und fließende sowie stehende Gewässer in besonders fragmentierter und disperser Weise durchdringen. Die Wiedergewinnung und Gestaltung des Ufers der neuen Emscher stellt sich dabei als eine ganz besondere architektonische, städtebauliche und landschaftsgestalterische Herausforderung dar.
Sie aber ermöglicht erst die Emscher wieder zum Teil des regionalen städtischen Bewusstseins zu machen und sie so auch in einem größeren stadtökologischen Zusammenhang zu begreifen. Begonnen hat dieser Bewusstwerdungsprozess allerdings schon mit der Errichtung und dem Ausbau des Emscher Rad- und Fußwegsystems.
Abgeschlossen ist er jedoch erst, wenn das Wasser der Emscher nicht nur seine Fluidität mit seiner natürlichen Transparenz zu verbinden in der Lage ist, sondern ihr Ufer zumindest in einigen Bereichen die Aufenthaltsqualität hat, die es für eine Zwiesprache mit dem Wasser braucht. Der dann auch mögliche physische Kontakt mit ihm ist dann nichts anderes als die Fortführung dieser Zwiesprache mit anderen sinnlichen Mitteln.
Vom Stadt See zur Stadtseele – Der Phönix See
Während die in den meisten Bereich weiterbestehende Linearität auch des neuen Emscherufers vor keiner Stadtgrenze halt macht, kennzeichnet das Ufer des neuen Phönix Sees eine neue Stadtteilmitte, die sich durch das Wasser selbst definiert. Genauer gesagt ist es die durch die komplette Umgehung eines Sees ermöglichte richtungslose Weite des Wassers, die ihn bezüglich der umgebenden Bebauung zum Zentrum der gemeinsamen Wahrnehmung macht.
Der See wurde so zugleich zum Treff- und zum Ruhepunkt, und das unabhängig davon ob er selber zum Gegenstand urbaner Bespielung wird. Er geht so oder so in den alltäglichen sozialen und kulturellen Rhythmus des ihn umgebenden Stadtraumes ein, indem er sich in unmittelbarer und permanenter Interaktion mit seinen Anwohnern und Besucher begibt.
Diese führt in der Regel zu einem Grad der räumlichen Identifikation, die weit über das Übliche hinausgeht. Ein städtischer See kann so von der emotionalen Projektionsfläche seiner Betrachter zu einer Art seelischem Spiegel der Stadt, ja zur Seele der Stadt oder des Stadtteils selbst werden. Wasser und Urbanität werden vermittelt über das städtische Ufer ein und derselbe Erlebnisraum.
Emscher Island – Eine Stadtinsel im Ruhrgebiet
Bei der städtischen Insel kehrt sich das Verhältnis von Wasser und bebautem Raum zwar um, kann aber über das Ufer den gleichen Erlebnisraum erzeugen. Für das Ruhrgebiet ergibt sich nach der Renaturierung der Emscher dabei im Zusammenhang mit dem Rhein-Herne-Kanal eine ganz besondere Situation für den gut 30 Kilometer langen und überwiegend schmalen Raum der nahezu auf ganzer Länge der Emscher zwischen beiden liegt.
Diese bandartige Emscherinsel, die zwar nicht zu 100%, aber doch fast vollständig, vom Wasser umschlossen ist, wird dann zwei gleichermaßen zugängliche aber unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche städtische Ufer in nächster Nähe zueinander haben. Das eine entlang der Emscher zunehmend organisch einem naturbepflanzten engen Flusslauf zugewandt, das andere künstlich-gerade entlang dem viel breiteren Kanal verbunden.
Beide Ufer erzeugen zusammen mit der Vielzahl der über die Insel führenden Brücken nicht nur die Möglichkeit einer gestalterisch abwechslungsreichen Schnittstelle zwischen Wasser und bebautem Raum, sondern sie formulieren auch eine neue städtische Mitte. Dieses Mal jedoch über die einzelnen Gemeinden des Ruhrgebietes hinweg als ein vom Wasser gesäumtes sie zentral verknüpfendes stadtlandschaftliches Band.
Die dialektischen Urbanität des Wassers und die Zukunft des Ruhrgebietes
Das mit dem urbane Wasser und seiner unterschiedlichen Nutzung und Ausformung sich ergebende Wechselspiel von Fest und Flüssig ist vermittels Kanal, Fluss, See und Insel auch im Ruhrgebiet in der Lage eine gebaute Landschaft zu erzeugen, die konsequent zu Ende geformt, über kurz oder lang mit anderen, berühmteren Städten am Wasser mitzuhalten in der Lage ist.
Die gilt erst Recht wenn nicht nur die neuen Auengebiete und Überlaufflächen sondern auch die bislang tabuisierten Poldergebiete des Emschertals in diese urbane Wasserlandschaft und ihre zukünftige Gestaltung mit einbezogen werden. Der Umbau des Emschersystems ist nämlich mit der Klarheit des Emscherwassers im renaturierten Emscherhauptlauf noch nicht beendet. Er ist vielmehr die Voraussetzung für ein weitere große Gestaltungsphase.
Diese wird nicht nur einen zweiten kollektiven Bewusstseinsschub über die Bedeutung und den städtischen Sinn des regionalen Wassers einleiten. Sie wird damit auch die Frage aufwerfen, inwieweit nach der Kohle nicht das Wasser das nächste bestimmende Element für die Entwicklung und Gestaltung dieser Region sein sollte.