Morten Freidel, der stellvertretende Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung Deutschland, hat sich in seinem Buch ‚So rettet ihr das Klima nicht!‘ mit den Fehlern der ideologiegetriebenen deutschen Klimapolitik auseinandergesetzt und zeigt auf, wie Klimaschutz und Wohlstand zusammengehen können.
Ruhrbarone: In ihrem Buch schreiben sie, dass sie sich lange nicht sehr für Energiepolitik interessiert haben. Und dann hatten sie ein Erweckungserlebnis.
Morten Freidel: Ja, das war der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Damals begann ich, mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Energie war knapp und teuer. Ich wollte wissen, wie man die Versorgung sichern kann, ohne den Klimaschutz zu vernachlässigen. Ich bin relativ jung und geprägt von den Debatten der vergangenen fünfzehn Jahre. Atomkraft war für mich zum Beispiel eine Technologie aus der Vergangenheit. Auch beim Fracking glaubte ich, es sei unverantwortlich. Ich war lange überzeugt, dass die Gegner dieser Technologien gute Argumente haben. Aber in dem Moment, in dem ich mich genauer damit auseinandergesetzt habe, wurde mir klar: Die sind gar nicht so gut (lacht).
Im Februar 2022 hätte man die Energiepolitik ändern können und aus meiner Sicht auch müssen. Probebohrungen nach Schiefergas wären sinnvoll gewesen. Damals waren noch drei Reaktoren am Netz, und zwei weitere waren erst kurz zuvor abgeschaltet worden und hätten noch zur Verfügung gestanden. Je intensiver ich mich mit dieser Technologie auseinandersetzte, desto schräger kam mir die Debatte darüber vor. Die Kernkraft erzeugt große Mengen an klimafreundlichem Strom und ist eine hochpotente Energieform. Ihre Vorteile überwiegen bei weitem die Risiken, die in Deutschland immer im Vordergrund stehen.
Ruhrbarone: Aber es ging ihnen nicht nur um eine günstige und sichere Stromversorgung.
Freidel: Ich nehme den Klimawandel ernst und er beunruhigt mich. Unser Ziel muss es sein, so schnell wie möglich einen Weg zur Klimaneutralität zu finden, aber dabei sollten wir nicht den Wohlstand gefährden. Deutschland geht da ein hohes Risiko ein. Ich wundere mich, dass darüber hierzulande so wenig öffentlich diskutiert wird und dass es so still ist.
Ruhrbarone: Etlichen NGOs, vielen Grünen und Teilen der Medien ist der Erhalt des Wohlstandes oder gar dessen Ausbau auch nicht wichtig. Die Idee der Postwachstumsökonomie, also ein sinkender Wohlstand, trifft in diesen Kreisen auf viel Sympathie.
Freidel: Ich möchte den Grünen nicht pauschal unterstellen, dass sie ein Problem mit Wohlstand haben, aber es gibt bei einigen immer noch eine weit verbreitete Skepsis gegenüber der Industrie. Politiker wie Kathrin Henneberger, die früher Sprecherin von Ende Gelände war und heute im Bundestag sitzt, sagen ganz offen, dass Degrowth das Ziel ihrer Politik ist. Manche sehnen den Augenblick geradezu herbei, an dem wir uns kollektiv vom wirtschaftlichen Wachstum verabschieden. Sie glauben, dass die Menschen dann freudestrahlend Seit‘ an Seit‘ mit Spaten in die Moore marschieren, um sie zu renaturieren. Die Menschen fahren nicht mehr Sportwagen, sondern Zug, sie stehen nicht mehr unglücklich im Stau, sondern verbrüdern sich mit ihren Sitznachbarn im Abteil. Es ist eine sozialistische Utopie, nur grün angestrichen. Ich glaube nicht, dass wir den Klimawandel so aufhalten können. Kein Land wird uns dabei folgen, und auch in Deutschland wird es dafür keine Mehrheiten geben. Dann wählen die Menschen nur Parteien, die vom Klimaschutz gar nichts mehr wissen wollen.
Ruhrbarone: Es gibt in der Klima- und Umweltbewegung nicht wenige, denen die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr wichtig ist. In ihrem Buch gehen sie auf dieses Milieu ein.
Freidel: Ich finde das äußerst beunruhigend. Mich erstaunt, dass es Linke gibt, die der Ansicht sind, wenn es keine Mehrheiten für den Klimaschutz gibt, so wie sie ihn sich vorstellen, dann müsse er eben ohne Mehrheiten durchgesetzt werden. Das führt in die Ökodiktatur. Solche Leute sind ein Fall für den Verfassungsschutz. Es ist überdies geschichtsvergessen, so etwas zu fordern. Es muss darum gehen, demokratische Mehrheiten für den Klimaschutz zu gewinnen, und das gelingt nur, wenn die Wohlstandsverluste so gering wie möglich sind. Am ehesten erreicht man das, indem man jeden klimaneutralen Energieträger einsetzt, und dazu gehört ganz sicher auch die Atomkraft.
Ruhrbarone: In Deutschland sind viele der Ansicht, dass das Atomzeitalter zu Ende sei.
Freidel: Meine These ist, dass das Zeitalter der Atomkraft gerade erst begonnen hat. Das ist auch international gut belegbar. Überall um uns herum verlängern Länder die Laufzeiten ihrer Kernkraftwerke, reaktivieren wie in den USA bereits stillgelegte Reaktoren oder wollen neue Kraftwerke bauen. Der amerikanische Senat hat gerade mit großer Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, das den Neubau von Reaktoren deutlich vereinfacht. In Deutschland heißt es immer, „Wir haben abgeschaltet, es gibt keinen Weg zurück“, aber das ist natürlich Quatsch. Es hängt allein vom politischen Willen ab. Wenn der Rückbau nicht zu weit fortgeschritten ist, kann man auch stillgelegte Kraftwerke wieder ans Netz bringen. Das Risiko des Klimawandels liegt bei 100 Prozent. Das Risiko eines Unfalls in einem Kernkraftwerk ist hingegen minimal. Die Technologie ist beherrschbar. Selbst wenn man die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima berücksichtigt, sterben deutlich mehr Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung durch die Kohleverbrennung.
Ruhrbarone: Wenn Kernkraftgegner nichts mehr einfällt, argumentieren sie mit den hohen Kosten dieser Technologie.
Freidel: Ich zitiere in meinem Buch eine Studie, die in “Nature Energy”, einer internationalen Fachzeitschrift für Energie, erschienen ist. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich gerade im Zusammenspiel mit erneuerbaren Energien Atomkraft wirtschaftlich lohnt.
Ruhrbarone: Aber Sonne und Wind schicken doch keine Rechnung…
Freidel: Die Kosten für eine Kilowattstunde Strom, die mit Wind- oder Sonnenenergie erzeugt wird, sind tatsächlich konkurrenzlos günstig. Viele glauben deshalb, dass man einfach nur ganz viele Windräder aufstellen und Solarmodule auf den Dächern installieren muss, und es gäbe genug preiswerten Strom. Aber das stimmt so nicht. Der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint auch nicht ohne Unterlass. Für diese Zeiten braucht man Speicher, und die gibt es kaum in Deutschland. Die Netze müssen massiv ausgebaut werden…
Ruhrbarone: …und dass in Deutschland auch noch unterirdisch, damit es besonders teuer wird…
Freidel: …was vor allem auf das Konto der CSU geht. Und es braucht Gaskraftwerke, um die Zeiten zu überbrücken, in denen es keinen Strom aus Erneuerbaren gibt.
Ruhrbarone: Und die sollen am besten mit Wasserstoff betrieben werden.
Freidel: Den es bisher kaum in ausreichender Menge gibt und der womöglich sehr teuer sein wird. Das könnte sich ändern, wenn in der Wüste riesige Solaranlagen entstehen, die den Strom liefern, um mit Elektrolyse Wasserstoff zu produzieren, der dann nach Deutschland geschafft werden kann.
Ruhrbarone: Und wenn es einmal diesen Wasserstoff aus der Wüste geben sollte, wäre es günstiger und klüger, zum Beispiel ein Stahlwerk in Marokko zu bauen, anstatt den Wasserstoff technisch aufwendig und für viel Geld nach Duisburg zu bringen.
Freidel: Die Industrie wird natürlich dorthin gehen, wo die Energie günstig ist, und sonnen- und windreiche Länder haben dann Vorteile. Ich bin gar kein Gegner der erneuerbaren Energien, ganz im Gegenteil. Aber für Deutschland mit seiner Industrie, seinen Schwachwindregionen und den recht vielen Tagen, an denen es bewölkt ist, ist es riskant, allein auf Erneuerbare zu setzen. Es wäre höchste Zeit, den Atomausstieg zurückzunehmen. Wenn Deutschland ein bedeutendes Industrieland bleiben will, führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei.
Ruhrbarone: Noch werden ja die Phasen, in denen es nicht genug Strom aus Erneuerbaren gibt, mit Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken überbrückt.
Freidel: Nichts ist so schlimm für das Klima wie Kohle. Und bei Gas, das von der CO2-Bilanz deutlich besser ist als Kohle, achten wir auch nicht auf den Klimaschutz. Es wäre deutlich ökologischer und auch preiswerter, Gas in Deutschland zu fördern, als Frackinggas in den USA und anderen Ländern zu kaufen und hier per Tanker in Wilhelmshaven anlanden zu lassen. Aber gegen Frackinggas laufen seit Jahren Angstkampagnen, und kein Politiker traut sich aus Sorge vor Protesten, auch nur Probebohrungen zuzulassen. Die deutsche Klimapolitik ist also voller Widersprüche.
Ruhrbarone: Die Technologieskepsis ist in diesem Land sehr groß.
Freidel: Das ist schade und ein wesentliches Thema meines Buches, auf das ich immer wieder zurückkomme. Ein Teil des Landes hat kein positives Verhältnis zum Fortschritt mehr. Er will einfach, dass alles so bleibt, wie es ist. Auch Grüne können sehr konservativ sein. Ich halte es für unerlässlich, dass wir neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen sind und in den Bereichen Solar- und Windenergie ebenso forschen wie in der klassischen Kerntechnik, neuen, kleinen Reaktormodellen und der Kernfusion. Auch in der Gentechnik übrigens. Wir können Pflanzen erzeugen, die besonders nahrhaft sind, resistent gegen Schädlinge und die weniger Wasser verbrauchen. Aber wann immer solche Pflanzen in der Vergangenheit auf den Markt kommen sollten, haben Ökolobbyisten wie Greenpeace sie bekämpft. Und das, obwohl sie Menschen vor dem Verhungern bewahren.
Ruhrbarone: Sie wollen Christian Lindner nicht einmal seinen Porsche wegnehmen.
Freidel: Warum sollte ich das auch wollen? Viele denken, es sei sozusagen der Gipfel der Dekadenz, dass Sportwagenfahrer E-Fuels haben wollen. Dabei könnte dem Klimaschutz gar nichts Besseres passieren. Wenn es erst ein paar Sportwagenfahrer gibt, die bereit sind, drei Euro für den Liter E-Fuel zu bezahlen, um einen Wochenendausflug zu machen, dann wird es auch Lieferanten geben, die ihnen welche liefern. Und wenn immer mehr Lieferanten E-Fuels herstellen,sinkt irgendwann der Preis. Dann könnten sich irgendwann auch weniger gutsituierte Autofahrer diese Kraftstoffe leisten. Die Politik kann sich da vollkommen raushalten. Hauptsache, es wird weniger CO2 ausgestoßen. Dafür sorgt der Emissionshandel. Ob die Leute nun Elektroautosfahren oder oder E-Fuels tanken, ist für das Klima völlig egal.
Morten Freidel: „So rettet ihr das Klima nicht!“
Warum die Energiewende gescheitert ist und was wir jetzt tun müssen
Pieper, 22 Euro