Der Regionalverband Ruhr (RVR) sieht in einem Zielabweichungsverfahren eine Chance, dass das E.on-Kraftwerk in Datteln doch noch gebaut werden kann. Ein Gutachten, dass den Ruhrbaronen vorliegt, kommt zu einem anderen Schluss.
Neuer Zündstoff im Streit um das E.on-Kraftwerk Datteln. Ein Gutachten des Berliner Anwalts Philip Heinz bezweifelt, dass das vom RVR vorgeschlagene Zielabweichungsverfahren zur Genehmigung des Kraftwerks Datteln rechtlich möglich ist. Auftraggeber des Gutachtens Interessengemeinschaft (IG) Meistersiedlung-Datteln. Die Siedlung liegt in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk. Mit diesem Verfahren soll die Kraftwerksplanung im Nachhinein rechtlich legitimiert werden. Heinz kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass ein solches Zielabweichungsverfahren im Fall Datteln nicht möglich ist und rechtlich keinen Bestand haben wird:
Dem Unterzeichner ist kein Beispiel in Deutschland bekannt, bei dem für ein Vorhaben mit einer vergleichbar großen – zumindest landesweiten – Bedeutung einerseits und – mittels bestandkräftigem Urteil festgestellten – mehrfachen, eklatanten Verstößen gegen zentrale Ziele der Landesplanung andererseits, der Weg für einen neuen Planungsversuch durch eine Zielabweichungsentscheidung eröffnet wurde. Die Prüfung ergibt, dass der Umfang der Abweichung deutlich über das Maß hinausgehen würde, wofür ein Zielabweichungsverfahren vorgesehen ist. Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb die ehemalige Landesregierung nicht vordringlich ein Zielabweichungsverfahren vorangetrieben hat, sondern die Änderung des Energiekapitels des Landesentwicklungsplans.
Die Position von Heinz deckt sich weitgehend mit der der Grünen im RVR, die ebenfalls starke rechtliche Zweifel an dem Zielabweichungsverfahren haben. Hier das Gutachten als PDF zum runterladen: Gutachten Heinz.
Weitere Texte zum Thema Datteln:
[…] Gutachten gegen Zielabweichungsverfahren beim Eon-Kraftwerk (Ruhrbarone) – Das Gutachten der Gegner des Eon-Kraftwerkes in Datteln zeigt ganz überraschend auf, […]
Es wäre interessant neben diesem Bericht auch eine real-politische Analyse von Stefan Laurin zu lesen. Was sind z.B die Folgen für die NRW Regierungskoalition?
@Jan Luiten: Die habe ich bereits am Montag veröffentlicht. Ich glaube an eine Kompromisslösung: Das Kraftwerk wird ans Netz gehen – Eon dafür aber einen hohen Preis zahlen: Abriss und Neubau an anderer Stelle des Kühlturms, zusätzliche Investitionen in erneuerbare Energien oder kein Betrieb unter Volllast. Irgend etwas in der Art. Jeder wird etwas abgeben, keiner sein Gesicht vollkommen verlieren. Klassische Politik.
Kompromisslösungen inhaltlicher Art sind in diesem Fall wohl ausnahmsweise im politischen Geschäft ziemlich ausgeschlossen. Dafür ist das Thema bis zur Bundesebene von den Grünen zu stark besetzt und festgelegt worden. Sicherlich wackeln einige unter dem Koalitionsdruck, aber im Kern dürfte EON Datteln nicht verhandelbar sein. Bekanntlich haben die Grünen in Wählerumfragen inhaltlich nur die Umweltschutzkompetenz als Alleinstellungsmerkmal im Parteienwettbewerb und haben diese durch Trittin und andere Spitzen auf durchaus riskante Weise mit Eon Datteln verbunden (wie Stefan ja auch ausführlich berichtete) . Mit Blick auf die vielen Landtagswahlen 2011 mit der „historischen Möglichkeit“ grüner Ministerpräsidenten wird man wohl kaum zur Befriedung einer nicht alltagstauglichen Minderheitsregierung Eon Datteln ans Netz gehen lassen und die zugemessene Umweltkompetenz über Bord werfen. Mit dem Höhenflug der Grünen wächst zeitverzögert jetzt auch die öffentliche Aufmerksamkeit und Kritik. Wenn die Grünen NRW jetzt Datteln vier realisieren, könnte das ihr persönliches Stuttgart 21 mit demensprechenden Karriereknick werden. Neuwahlen in NRW sind deshalb aus meiner Sicht im nächsten Jahr schon möglich, wenn Lösungen über die Zeitschiene nicht möglich sein sollten.
Die andere nicht so demokratische Möglichkeit besteht darin, kontrafaktisch so zu tun, als wenn es gar nichts zu entscheiden gibt und die Gerichte das mal schön machen sollen (Koalitionsvertrag). Diese Möglichkeit hat aber der grüne Rommelspacher vorerst durchkreuzt, indem er den Ball wieder in die politische Arena mit seinem Zielabweichungsverfahren gebolzt hat. Jetzt ist doch wieder die Politik zuständig und im öffentlichen Rampenlicht. Nun steht die rot-grüne Manschaft, die sich eigentlich zum Nichtstun verabredet hatte, vor der Bombe auf dem 11-Meter-Punkt. Insofern analytisch ganz spaßig, wie sie das Ding wieder politisch entschärfen wollen, bei zu erwartenden Abzügen bei den Haltungsnoten……
@Lars: Die Grünen sind im Moment eine Projektionsfläche für die Wähler. Daher die extrem guten Umfragewerte. Sobald die Grünen wieder in Regierungen sind und Verantwortung übernehmen müssen, wird sich das alles wieder relativieren. Das weiß die Partei und verhält sich klugerweise zurückhaltend. Politik bedeutet Kompromiss. Und als ich die Variante mit dem Abriss und Neubau des Kühlturms gehört hatte, dachte ich: „Das ist Kunst“.
In der Politik gibt es meiner Ansicht nach nichts, was nicht verhandelbar ist. Politik ist Basar, feilschen, tauschen. Das macht für mich ihre Faszination aus. Nicht die Umsetzung irgendeiner reinen Lehre.
Und deswegen finde ich es auch gut, wenn über Datteln politisch entschieden werden muss und nicht juristisch. Klar, das ist eine harte Nuss. Aber wer sie knackt darf später stolz auf sich sein. Ich bin gespannt wie es weitergeht.
Stefan: Klar werden sich wahrscheinlich die grünen werte wieder normalisieren, aber das Kernthema bleibt für Wähler bei Grünen Umweltschutz und glaubwürdiger umgang mit Protestkultur und bis zu einer Entzauberung durch Regierungsverantwortung (BTW lässt noch lange auf sich warten…) gibts noch sehr viele Wahlen zu gewinnen.
Deshalb sind Verhandlungszwänge nur die eine Seite der Politik (interessant und richtig!), die andere Seite ist Wettbewerb und klares Profil, damit es für die Wähler auch tatsächlich etwas zu wählen gibt.
„Unangenehm“ wird es dann, wie bei den Grünen in NRW, wenn beides in der Regierungsphase aufeinanderprallt. Klare Festlegung und Profil im Parteienwettbewerb und Verhandlungszwänge mit dem Koalitionspartner.
Klar kann man als Regierungspolitiker sagen, Profil brauchen wir nur im Wahlkampf und danach verhandeln wir schön pragmatisch. Allerdings empfiehlt sich das nur für Politiker, die schon fast die Rente erreicht haben. Denn wenn das Profil und das Alleinstellungsmerkmal einer Partei erstmal nachhaltig durch entgegengesetzte Regierungspolitik verspielt wurde, dann kann kein spin doctor das mal wieder im nächsten Wahlkampf wie unschöne Politikernasen richten (siehe SPD-Sozialprofil und dann Hartz 4). Ganz so lassen sich also einige Wähler nicht veräppeln und genau dies hält die Demokratie aufrecht. Lautloses Regieren und Verhandeln in Hinterzimmern kann selbst bei hoher Effektivität kein Ersatz sein für öffentlichen Wettbewerb und klare Restprofile von Parteien und empirisch ist es das auch nicht! Wer sein Restprofil in Verhandlungen aufgibt, wird auf kurz oder lang abgewählt. Und das ist auch gut so, sonst könnte man die Wahlen abschaffen.
Hehe ok und das mit dem Abriss und Neubau ist wirklich Kunst und finde ich auch ganz witzig als ABM für die Region, aber das ist wirklich Kunst und nicht triste Realität
@Lars: Das Problem für die Grünen sehe ich. Aber wäre es nicht die bessere Lösung künftig weniger vollmundig aufzutreten? Das Datteln-Problem hat Grüns doch dem Großtaktiker Trittin zu verdanken, der daraus einen Stolperstein für Schwarz-Grün machen wollte. Nun muss das Rot-Grün ausbaden.
@Stefan: Falsch, denn wirklich ‚ausbaden‘ müssten es die vielen betroffenen Bürger in der Umgebung des ‚Schwarzbaus‘, die zukünftig mit dem ‚Monster‘ in ihrer (viel zu nahen) Nachbarschaft leben müssten. Das wird gerne vergessen, wenn hier die politische Seite analysiert wird. Leidtragende sind am Ende dann eventuell die unmittelbar Betroffenen, die normalen Bürger, eben nicht irgendwelche Politiker im fernen Düsseldorf bzw. Berlin oder Parteien, die sich aber nun offenbar eine Art Spaß daraus machen hier über das Leben von vielen hundert Leuten zu ’schachern‘!
Stefan, Naja, im Wahlkampf war er auch schon sehr aktiv in der Region und die Grünen haben dadurch in einigen Wahlbezirken extrem hohe Gewinne eingefahren, die noch weit über dem Landesschnitt lagen. So gesehen nicht schlecht: klares Profil, „Kante gezeigt“ und das wurde von den Wählern kurzfristig honoriert. Klar hat er null rechtliche Kompetenzen und kein Mandat das durchzusetzen, also schon sehr problematisch. Jetzt ist er nur noch Zuschauer, wenn die grünen Regionalligisten im RVR antreten und mit Rommelspacher fleißig Eigentore schießen. So gesehen für alle Grünen schlecht gelaufen. Große Klappe, nix dahinter, woll?
Klar kann man sagen, dass nächste mal gar nichts versprechen und sagen wählt mich, ich bin ehrlich, wir bekommen gar nichts zuverlässig hin, noch nichtmals ein Kraftwerk in seine Grenzen verweisen, das alle erdenkbaren rechtlichen Normen verletzt und direkt im Vorgarten der Wohnsiedlungen bar jeder Vernunft errichtet wird. Aber warum sollten dann die Wähler bei so hilflosen Politikern noch zur Wahl gehen?
Also insgesamt sehr zwiespältig, aber ok Trittin ist wohl offensichtlich deutlich zuweit gesprungen und hat sich und andere Grüne überschätzt. Da muss ich dir dann schon recht geben
Kurz ergänzen möchte ich hier noch, dass auf dem hier zu Bebilderung verwendeten Foto, welches offenbar lt. Bildunterschrift von E.on selber stammt, interessanter Weise genau die unmittelbar linksseitig angrenzende dichte Wohnbebauung samt Hauptstraße quasi millimetertgenau abgeschnitten wurde. Stattdessen sieht man auf dem Foto im Hintergrund viel Grün und freien Platz….. Welch ein ‚Zufall’…. Ein Schelm, wer sich Übles dabei denkt 😉 Ein Foto aus der Gegenrichtung würde dem Betrachter hingegen einen ganz anderen Eindruck vermitteln…
@Bibo: Wenn Du ein besseres Foto hast, würden wir das gerne verwenden. Das Eon-Bild habe ich reingesetzt, weil ich das alte Bild, einen schlechten Screenshot, nicht mehr sehen konnte.
@Stefan: War keine Kritik an Dir. Ich wollte den vielen Lesern, welche das ‚Monstrum‘ vielleicht noch nie vor Ort gesehen haben, sich aber trotzdem eine Meinung zu dem Thema bilden möchten, nur kurz den Hinweis zukommen lassen, dass die Ansicht in Realität nicht ganz so idyllisch ist, wie es das E.On-Foto vielleicht erscheinen lässt. Leider habe ich auch kein Foto aus der Gegenrichtung, und E.On selber dürfte solche wohl auch nicht veröffentlichen wollen, denn das könnte manch einen ortsfremden Betrachter sonst womöglich übel erschrecken 😉
Es gibt bei der Sache doch eine formale und eine inhaltlich Logik. Formal kann der Staat kein Verfahren heilen, das von vorne herein zu weit von den Genehmigungskriterien abgewichen ist. Damit würden die Behörden neben den rechtlichen Problemen ihre Glaubwürdigkeit gänzlich verlieren. Formal gibt es also sehr wahrscheinlich keinen Kompromiss, der bis zu höchsten Instanz standhält.
Das inhaltliche Problem besteht in der Frage, ob die Kohle als Brückentechnologie zur Bekämpfung des Klimawandels akzeptiert wird. Tut man das, dann läge, jenseits der Nachteile, die die unmittelbaren Nachbarn der Anlage betreffen, der Kompromiss auf der Hand. Wenn das Ding denn doch weiter gebaut wird, muss dafür ein altes Kohlekraftwerk vorzeitig abgeschaltet werden. Verfahrensmäßig korrekt ginge das allerdings nicht als Weiterbau sondern als Abriss und danach als Neubau an genehmigungsfäger Stelle. Was natürlich die Betreiber auf keinen Fall wollen.
Akzeptiert man die Kohle nicht als Brückentechnologie, dann passt zumindest politisch wieder alles zusammen. Formal kann es sowieso keinen und inhaltlich darf es dann auch keinen Kompromiss geben. Nicht mal den komplette Abriss und den Neubau an anderer, genehmigungsfähiger Stelle. Dann gibts nur den Abriss.
@Stefan Laurin, schöne Analysen, Realpolitik als Kunst !
Auch die Kommentare gefallen mir.
Ich interessiere mich für die Sache weil ich die NRW- Regerierungskoalition interessant finde. SPD/Grünen toleriert von den Linken.
Es muß doch viele Leute geben die hoffen das die Koalition wegen „Datteln“
scheitern wird !?
Ok, über die Grünen kann man reden. Aber die eigentliche Frage ist, wann die SPD sich mit der Rechtslage auseinandersetzt und wann sie sich mit den rechtlichen Gegebenheiten abzufinden bereit ist.
Allen Parteien ist die Rechtslage wohl ziemlich egal, sondern eher Mittel zum Zweck. Eon Datteln ist einfach zu einem hohen politischen Symbol aufgestiegen für „ja“ oder „nein“ zur klassischen Industriepolitik. Und die Mehrheit in der SPD würde so gerne mit aller Überzeugung „ja“ rufen, aber dann bricht die Koalition vermutlich auseinander. Insbesondere der männlich dominante IGBE-Flügel würde damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ja zur Kohle und dem Geschäft der Ruhrgebietsfirmen mit der Importkohle und keine Zusammenarbeit mit der verhassten Linken. Nur wer die Koalition so offensichtlich bricht, ist Königinmörder, verletzt innerparteiliche Normen und gefährdet damit kraftvoll seine eigene Karriere. Deshalb wird man es wenn von hinten im halbdunkeln versuchen und die Fährten zur Verwaltung oder den Gerichten legen, um nicht selbst erwischt zu werden. Also ein ganz spannendes mikropolitisches Spiel mit offenem Ausgang, halt Kunst wie Stefan es nennt.
Ich hatte von ´rechtlichen Gegebenheiten´ gesprochen und meine damit, dass die geltende und vermutlich nicht hintergehbare Rechtslage ein Faktum ist. Ein erratischer Block in der irren politischen Landschaft. Dass also in diesem Sinne über den Standort längst entschieden ist.
Nun läuft es so weiter, dass einige so etwas gewohnheitsmäßig nicht einsehen mögen und dass sie sich die Zähne ausbeissen und die Köpfe blutig schlagen müssen.
Es mag ja sein, dass politische Fragen politisch entschieden werden sollten. Der Idee Stefans stimme ich zu. Das setzte aber weit mehr voraus, als unsere politische Mechanik verarbeiten kann. Um von den Mechanikern zu schweigen. Zum Beispiel die Achtung rechtsstaatlicher Spielregeln.
Das OVG-Urteil lässt an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig. Und wer die Rechtsprechung Revue passieren lässt wird bemerken, dass den Richtern die Geduld mit selbstherrlicher, renitenter, rechtsvergessener Politik bereits vor geraumer Zeit abhanden gekommen ist.
@Manfred: Es wäre wirklich wünschenswert, wenn das so akzeptiert würde. Aus diesem Anlass gab es ja auch eine Demo im September (zum Jahrestag des Urteils) unter dem Motto ‚Recht muss Recht bleiben‘, wo ca. 400 Leute aus der Umgebung eine größere Akzeptanz des Urteils und einen wirklichen Baustopp angemahnt haben. Leider ist aber auch die Demo in der öffentlichen Wahrnehmung sehr kurz gekommen. Zumal E.On alles unternimmt um hier noch irgendwie weiterzubauen, und somit möglichst viele Fakten zu schaffen, um dann mit dem Argument zu kommen ’schaut doch mal mal was für eine große Summe hier bisher schon verbaut wurde. Es wäre doch eine Schande, wenn wir das jetzt wieder abreissen müssten.‘ Und leider hat die Taktik bei einigen, auch bei lokalen Medien, die ganz offensichtlich ‚pro-E.On‘ sind, Erfolg. Über einen möglichen Zusammenhang mit dort regelmässig geschalteten großen E.On-Werbeanzeigen kann man an dieser Stelle nur spekulieren… 😉
Hier übrigens mal ein Link zu einem Artikel unserer Lokalzeitung von heute:
https://www.waltroper-zeitung.de/lokales/waltrop/Im-Fruehjahr-reden-die-Buerger-mit;art1010,344520
Dort wird mal ein Foto aus der Gegenrichtung verwendet. Ist auch nicht ideal, aber man kann das Problem mit der nahen Wohnbebauung zumindest erahnen. Auf dem Foto von E.On selber geht das eben nicht…