Was in diesem Jahr mit der Debatte um Achille Mbembe und später die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit und ihren Trittbrettfahrern begann, könnte 2021 zu einem der bestimmenden Themen werden: Die Relativierung des Holocaust. Wer sich auf diese Auseinandersetzung vorbereiten möchte, sollte Steffen Klävers Buch „Decolonizing Auschwitz?“ lesen.
Deutschland hat mehr noch als Großbritannien oder Frankreich einen großen Nachholbedarf, wenn es um die Diskussion seiner Kolonialverbrechen geht. Sogar das Deutschland überhaupt einmal eine Kolonialmacht war, dürfte nicht allen hier lebenden Menschen bekannt sein. Dafür gibt es verschiedene Gründe. In Folge des Ersten Weltkriegs verlor Deutschland alle seine Kolonien, wirtschaftlich waren sie nie besonders bedeutend und es gab auch nur eine überschaubare Zahl an Siedlern. Auch die Genozide an den Hereros, Namas und Pangwas in den afrikanischen Kolonien haben keinen festen Platz in der Erinnerungskultur des Landes. Die Shoah und die deutsche Kolonialisierung des Ostens, die mit dem Vernichtungskrieg gegen Polen und die Sowjetunion nach Jahrhunderten ihren Höhepunkt fanden, sind die prägenderen historischen Ereignisse und das aus guten Gründen: Wie andere Kontinentalmächte auch konzentrierten sich Deutschland und all seine historischen Vorläufern auf Eroberungen zu Land und die Shoah unterschied sich fundamental von allen anderen bekannten Genoziden der Geschichte.
Die Shoah ist allerdings kein Grund, sich nicht mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen, ihre Verbrechen zu beschreiben, an sie zu erinnern und die Nachfahren der Opfer zu entschädigen, denn um die Opfer der deutschen Verbrechen hat sich kaum jemand interessiert, als sie noch lebten. Und um das zu tun, muss auch nicht die Shoah relativiert werden.
Doch genau das ist eines der Anliegen der Vertreter postkolonialer Geschichte, die weit mehr ist als der Zweig der Geschichtswissenschaft, der sich mit den Auswirkungen der Kolonialzeit sowohl auf die ehemaligen Kolonien als auch auf die einstigen Kolonialstaaten beschäftigt. Als der zurzeit wohl wirkmächtigste Teil des postmodernen Denkens verkennt die postkoloniale Theorie bewusst die Besonderheit des Antisemitismus. Antisemitismus ist hier einfach nur eine Form von Rassismus und die Beschäftigung mit der Shoah ein Instrument des Westens, um der Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit zu entgehen und die Leiden der Völker des „globalen Südens“ herabzusetzen.
Der Westen soll sich nach dem postkolonialen Denken nicht nur mit seiner Kolonialzeit beschäftigen, Opfer entschädigen oder seine Erinnerungspolitik erweitern, sondern inklusive seiner Errungenschaften wie Aufklärung und Demokratie auf seine koloniale Vergangenheit reduziert werden, die ihn quasi genotypisch bis heute bestimmt und nicht nur ein Teil, wenn auch ein fürchterlicher, seiner Geschichte ist. Es geht hier also nicht um klassische, historische Aufarbeitung, sondern um die Denunzierung der Aufklärung und der Demokratie für welche die Kolonialgeschichte instrumentalisiert wird. Dabei tritt die Realgeschichte, wie es Wolfgang Reinhard in „Die Unterwerfung der Welt“ treffend beschreibt, hinter politisch passende Erzählungen zurück. Die Entwicklung postkolonialer Staaten in Asien wird dabei ebenso wenig berücksichtigt wie die Rolle des Osmanischen Reichs, des arabischen und afrikanischen Sklavenhandels oder die Eroberungspolitik afrikanischer und arabischer Reiche. Die Relativierung der Shoah ist ein zentraler Bestandteil dieses Angriffs auf die Aufklärung, bei dem es natürlich auch um die Eroberung von Deutungshoheit, Posten und öffentliche Gelder geht, wie es Michael Burkhardt im Freitag beschrieben hat.
Mehr noch als im Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ wird das in dem Text ihrer Trittbrettfahrer deutlich, der unter der Überschrift „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ veröffentlicht wurde. Dort heißt es: „Wir erkennen das Bekenntnis Deutschlands zu seiner historischen Verantwortung für den Holocaust an und schätzen es zutiefst. Gleichzeitig verurteilen wir die ungeheure Nachlässigkeit des deutschen Staates, wenn es darum geht, die deutsche Täterschaft für vergangene koloniale Gewalt anzuerkennen. Der Kampf gegen Antisemitismus kann nicht nach Belieben von parallelen Kämpfen gegen Islamophobie, Rassismus und Faschismus entkoppelt werden. Nachdrücklich lehnen wir die Monopolisierung von Unterdrückungserzählungen durch Staaten wie Deutschland ab, die historisch Unterdrücker waren. Wir lehnen die Vorstellung ab, dass die Leiden und Traumata von Opfern politischer und historischer Gewalt gemessen und in eine Rangfolge gebracht werden können.“ Nicht nur, dass der Islamismus nicht als eine der Ideologien genannt wird, die bekämpft werden müssen, ist auffällig. Die angebliche „Monopolisierung von Unterdrückungserzählungen“, im postmodernen Jargon stehen natürlich nicht Unterdrückung, Massenmorde oder Genozide im Zentrum der Betrachtung, sondern die „Erzählungen“ von ihnen, zeigt klar, worum es geht: Die Relativierung der Shoah, denn die Beschäftigung mit ihr führt angeblich dazu, andere Verbrechen zu ignorieren. Sicher gibt es bei der Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit Defizite. Aber von einem Monopol der Shoah kann keine Rede sein. Die Menge und Qualität der historischen Literatur über die, auch deutsche, Kolonialzeit, ist beeindruckend, auch wenn es ein „ausreichend“ bei der Beschäftigung mit Geschichte nie geben kann.
Diese Relativierung der Shoah durch die Vertreter postkoloniale Geschichte hat gute Aussichten, im kommenden Jahr eine Debatte auszulösen, wie sie das Land zuletzt beim Historikerstreit in den 80er Jahren erlebt hat. Thomas Schmid brachte es auf den Punkt, als er von einer neuen „Schlussstrich-Debatte“ schrieb, die dieses Mal von links geführt wird. Doch ganz neu, stellte Thierry Chervel schon im Mai in Perlentaucher fest, sei die Relativierung des Holocausts durch Teile der Linken nicht: „Gerade die verknöcherte traditionelle Linke vor ihrer Modernisierung in der 68er-Zeit und danach interessierte sich nicht für den Holocaust. Eine Linke, die nur „antifaschistisch“ dachte, konnte den Holocaust gar nicht in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen. Denn der „Faschismus“ war nach dieser Ideologie nur das letzte Stadium des Kapitalismus oder genauer, nach der(…) offiziellen Definition von 1935, „das Instrument ‚der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals'“. Auch hier störte die Dimension des Judenmords nur, der sich aus keinerlei Logik des Kapitalismus erklären ließ.“
Das beste Buch, um sich auf diese Debatte vorzubereiten, ist im vergangenen Jahr erschienen. Es heißt „Decolonizing Auschwitz?“ und ist die Dissertationsschrift des Historikers Steffen Klävers. Klävers stellt in ihm verschiedene postkoloniale Texte und Autoren vor, arbeitet heraus, was die Shoah von anderen Genoziden unterscheidet und zeigt auf, dass ihre Relativierung im Zentrum der Arbeit viele postmoderner Historiker steht.
Einer von ihnen ist Michael Rothberg, der auch das Weltoffenheits-Plädoyer unterschrieben hat, in dem sich zahlreiche Kulturfunktionäre gegen den Bundestagsbeschluss gestellt haben, der die BDS-Kampagne als antisemitisch benannt hat und fordert, ihre Anhänger nicht mehr mit öffentlichen Geldern zu unterstützen. Im Januar erscheint Rothbergs Buch „Multidirektionale Erinnerung: Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung“ erstmals in einer deutschen Übersetzung.
Wie die in Deutschland prominente Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann geht Rothberg davon aus, dass „Völker“ ein „kollektives Gedächtnis“ besitzen. Die seiner Ansicht nach dominante Rolle der Shoah will Rothberg durch sein Konzept der multidirektionalen Erinnerung korrigieren, um so das „silencing“ gegenüber anderen Verbrechen zu beenden. Nach Rothberg sei, schreibt Klävers, „Die eine Erinnerungskultur (…) in der Lage, die andere ‚auszustechen‘ und damit zu marginalisieren.“
Rothberg befürwortet, wenn postkoloniale Historiker im Zusammenhang mit der Sklaverei von einem „black holocaust“ schreiben: „Wenn die Sklaverei (…) als „black holocaust“ beschrieben wird, dann wäre die Verdrängung und Leugnung dieses Ereignisses ebenfalls ein Fall von Holocaustleugnung.“
Den Status des ‚Besonderen‘, spricht nach Klävers Rothberg ausschließlich der Holocaust-Erinnerung zu, allerdings nicht dem Ereignis. Die Shoah wird zu einem von vielen Genoziden, deren einzige Besonderheit ist, dass ihr in Europa und Amerika besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Doch warum ist das so? Warum steht nach Meinung postkolonialer Historiker die Shoah im Zentrum der Erinnerung Europas und Amerikas, aber nicht die Verbrechen des Kolonialismus?
Klävers beschreibt, was der Grund für diese Annahme ist. „Der Holocaust sei im Westen nur aus dem Grund als bisher größtes Verbrechen der Menschheit bewertet worden, weil zuvor nahezu ausschließlich Nicht-EuropäerInnen bzw. Nicht-Weiße dem westlichen Imperialismus zum Opfer fielen. Prinzipiell handele es sich bei Kolonialismus und Holocaust jedoch um dasselbe Phänomen, nämlich um die Kolonisierung und Auslöschung von Menschen. Der Holocaust sei dadurch auch nicht einzigartig, sondern genau genommen eine logische Konsequenz aus der europäischen kolonialen Vergangenheit bzw. durch diese erst möglich geworden“
Er zitiert den Politiker und Schriftsteller Aimé Césaire, der in seiner Abhandlung über den Kolonialismus den Nationalsozialismus und den Holocaust als „Demütigung des Weißen“ beschrieb, „die in der „Anwendung kolonialistischer Praktiken auf Europa“ bestehe, „denen bisher nur die Araber Algeriens, die Kulis in Indien und die Neger Afrikas ausgesetzt waren“
Die postkolonialen Historiker haben, das wurde schon in der Mbembe-Debatte im Sommer klar, keinen Begriff von Antisemitismus. Auch die Beschäftigung mit historischen Fakten hat für sie keine allzu große Bedeutung. Ihre Welt besteht aus Erzählungen, die man durchsetzen muss. Alles ist nur ein großes Spiel um Macht, Geld und Einfluss. Klävers zeigt auf, wo die fatalen Lücken im Verständnis über die Shoah und den Antisemitismus liegen. „Der Nationalsozialismus unterscheidet sich daher fundamental von allen anderen bisherigen Ereignissen von staatlich oder durch staatliche VertreterInnen verübtem Massenmord und Massengewalt – allerdings nicht hinsichtlich der Anzahl der Opfer oder in der Technik des Tötens, sondern vor allem dadurch, dass er keinen konkreten Feind kannte. Der Feind im Nationalsozialismus ist primär das jüdische Leben, alles jüdische Leben, die Idee des Jüdischen selbst, sollte vernichtet, also zu nichts gemacht werden, ohne Ausnahme. Doch es gab keine konkrete Bedrohung, die vom Judentum ausging: Keinen territorialen Konflikt, keine Aufstände, keine jüdische Gewalt irgendeiner Art. Und mit keiner anderen Gruppe wurde eine spirituelle Erlösung des eigenen ‚Volkes‘ assoziiert.“ Dazu kommt noch, und auch das unterscheidet die Shoah von allen anderen Genoziden, dass der Vernichtungswille Deutschlands so groß war, dass die Mörder auch bereit waren, Nachteile in Kauf zu nehmen, um ihre Verbrechen fortzuführen. Züge voller Juden rollten durch Europa in die Vernichtungslager zu einem Zeitpunkt, als Transportkapazitäten dringend für die Truppen an der Front benötigt wurden. Männer, die als Soldaten hätten kämpfen können, wurde für die Massenvernichtung eingesetzt. Auch angesichts der drohenden Niederlage im Zweiten Weltkrieg war Deutschland die Vernichtung der Juden wichtiger als der Kampf gegen die von Westen und Osten heranrückenden Heere der Alliierten.
Uns steht eine Historikerstreit bevor, die in ihrer ideologischen Wucht weit über ihre Vorgängerdebatte aus den 80er Jahren hinaus geht. Damals schrieb der Historiker Ernst Nolte „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‚asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten? War nicht der ‚Archipel Gulag‘ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‚Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‚Rassenmords‘ der Nationalsozialisten? Sind Hitlers geheimste Handlungen nicht gerade auch dadurch zu erklären, daß er den ‚Rattenkäfig‘ nicht vergessen hatte? Rührte Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergangenheit her, die nicht vergehen wollte?“ Große Teile der Öffentlichkeit und der Historiker stellten sich damals Nolte entgegen. Die Debatte wurde nicht nur ideologisch, sondern auch auf Basis historischen Wissens geführt.
Dieses Mal könnte es anders sein: Zahlreiche Medien werden sich auf die Seite der Vertreter des Postkolonialismus stellen und sie verteidigen, ja, die Relativierung der Shoah als Erleichterung und Befreiung sehen. Historische Fakten wird man versuchen zu ignorieren. Was in den 80er Jahren noch als reaktionär galt, wird sich nun als links, offen und multikulturell präsentieren, als Verkörperung eines neuen, längst überfälligen Denkens, das es nun auch in Deutschland zu verbreiten gilt. Mit Begeisterung werden die Verbrechen des Kolonialismus genutzt, um aus einer Mischung aus Antisemitismus und Feindschaft gegenüber dem Westen die Shoah zu relativieren und Demokratie und Aufklärung verächtlich zu machen. Es wird spannend sein zu sehen, wo diese Gesellschaft in wenigen Jahren stehen wird, denn solche Debatten werden tiefe Spuren hinterlassen.
Steffen Klävers: Decolonizing Auschwitz? Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung. Berlin, Boston 2019.
Der beste Gruß zur Aufklärung für das Neue Jahr zum weiterleiten.
Danke!
Es ist eine Schande – aber auch ein Zeitzeichen, dass nicht Fakten eine Auseinandersetzung entscheiden sollen, nicht Geschichte, sondern Geschichten. Um so wichtiger wird es sein, für alles wissenschaftliche Nachweise einzufordern, wenn es um die Beurteilung einer Situation geht. Was manchen modernen Protagonisten schwer zu fallen scheint.
Eine flachere Begründung der Singularitätsthese habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Da wundern dann auch die Schlussfolgerungen nicht, die der Autor am Ende des Textes zum Besten gibt: „Mit Begeisterung werden die Verbrechen des Kolonialismus genutzt, um (…) die Shoa zu relativieren und Demokratie und Aufklärung verächtlich zu machen.“ Untergang des Abendlandes also – darunter machen wir‘s nicht.
Gottseidank kennt der Autor wenigsten die Gründe dieser finsteren Machenschaften: Es geht um „Deutungshoheit, öffentliche Posten und Gelder“. Hab‘ ich’s mir doch gleich gedacht …
@Frank: Was kann ich dafür, dass Sie den Text nicht verstehen? Klävers Begründung ist exzellent und lässt sich ebenso belegen wie meine Ergänzung. Also: Quellen, nicht „Narrative“.
@Laurin
"Frank" hat sehr wohl verstanden. Es schmeckt ihm nur nicht. Genausowenig wie Michael Burkhardts Text " Identitätspolitik ist Klassenkampf" im Freitag.
Leider hat sich Stefan Laurin über die Debatte um Mbembe für mich umfänglich diskreditiert aus einem einfachen Grund: Das hat mit aufrichtiger, informierte Auseinandersetzung nichts zu tun.
Ich habe Mbembe selbst einige Male auf Vorträgen gehört und kennen einen großen Teil seiner Arbeiten sehr gut. Es grenzt schon an Diffamierung Mbembe, der studierter Historiker ist, das ignorieren 'historischer Fakten' vorzuwerfen.
Herr Laurin, Sie haben Mbembes Argument und Position, das muss ich leider so sagen, einfach nicht verstanden. Sie projizieren zurechtkonstruierte Vorwürfe gegen diesen Gelehrten, um ihn als Antisemiten abstempeln zu können.
@Jens, dem Gegner vorzuwerfen, daß der "den Untergang des Abendlandes" befürchten würde, wenn sich identitäres Gedankengut durchsetzt, ist weltweit längst eine Standardbehauptung der linken Identitären geworden. Deshalb muß @Frank den Artikel überhaupt nicht verstanden haben. Dieser Vorwurf kommt bei vielen unterschiedlichen Texten sofort auf den Tisch, sobald klar ist, einen unangenehmen, nicht ins eigene Weltbild passenden Text vorliegen zu haben. Den kann man ohne ihn durchzulesen, tatsächlich an einigen, im Text vorkommenden, Wörtern "analysieren" und muß den Text auch nicht wirklich verstanden haben, weil man sich auf weitere Diskussionen gar nicht einlassen will. Ein Schlagwort als Antwort reicht denen meist. Aber damit, daß @Frank der Text nicht paßt, hast du natürlich Recht.
Habe mittlerweile eine Rezension gefunden, in der es tatsächlich um Herrn Klävers Beitrag zur Debatte geht – und nicht, wie bei Herrn Laurin, darum, was sich der Rezensent so denkt. http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28339
#6
Es wäre wünschenswert, wenn die Mbembe-Fans zur Abwechslung profunde Argumente vorbringen würden. Herbert Klamm verweist darauf, dass Mbembe „studierter Historiker“ sei und demzufolge unmöglich historische Fakten ignorieren könne. Das ist leider eine typische Null-Aussage. Natürlich können auch studierte Historiker geschichtliche Fakten ignorieren. Warum denn nicht? Der rechtsradikale britische Holocaust-Leugner David Irving ist ebenfalls „Historiker“ und macht was? Genau.
Laut dem Schreiber hat der Autor „nicht verstanden“ und projiziert „zurechtkonstruierte Vorwürfe gegen diesen Gelehrten[!], um ihn als Antisemiten abstempeln zu können“. Den Nachweis, was zurechtkonstruiert und warum dies so ist, bleibt der Kläger schuldig.
Tatsache ist, dass Mbembe als BDS-Sympathisant aktiv die Teilnahme einer Israelin an einem Kongress in Südafrika hintertrieben und dies nachträglich bestritt. Er hat sich somit auch als Lügner geoutet. Dies alles ist schon länger bekannt, kommt bei seiner Fangemeinde jedoch nicht an. Ich finde, wer zu solchen schäbigen Methoden greift, wird zurecht kritisiert. Nicht jeder Israelhasser bringt eine solche Energie auf, der Kameruner Historiker dagegen schon.
Mbembe strickt seine „wissenschaftlichen Erkenntnisse“ mit unbestrittenem Talent um seine zur Ideologie geronnenen Sichtweisen. Wenn es eng wird, weiß er aber auch die Rassismus-Karte auszuspielen und behauptet z.B., seine Gegner hätten aus rassistischen Gründen dessen Einladung zur Ruhrtriennale verhindert. Das ist so plump und lächerlich, dass man sich fragt, warum solche Konstruktionen nicht sofort jedem auffallen.
Am Ende der Sklaverei in den USA entstand eine zwar erkämpfte aber dieses Land mitbestimmende afromerikanische Kultur mit prägenden Charakter in Musik, Tanz, Literatur, Religion und Politik, einschließlich eines schwarzen Präsidenten. Am Ende des Holocaust in Europa gabe es so gut wie keine Juden mehr, die etwas ähnliches hätten erreichen können. Wer diesen Unterschied zwischen Kolonialismus und Ausschwitz nicht sehen will oder kann, mit dem ist eine Diskussion über Stefan Laurins Text sinnlos.
Danke nussknacker56
und
Danke an Frank für den Link.
In den Schlussworten dieses Artikels kommt deutlich zur Sprache, was vielen Beteiligten bei der Kolonialismusdebatte abgeht, umfassendes Quellenstudium. Stattdessen wird mit genehmen Fragmenten und viel Phantasie ein hipper Scheiß zusammengedengelt. Das trifft, so scheint es, auf Mbembe wie auf Kläver zu.
Die antisemitischen Entgleisungen Mbembe sind hinreichend dokumentiert. Der Grund warum er es nicht schafft, sich davon zu distanzieren, ist mutmaßlich Eitelkeit. Er würde gleichzeitig einräumen müssen, was für einen oberflächlichen Mist auch sonst verzapft.
Warum Kläver nicht sauber dagegen hält, ist nicht so offensichtlich.
@Wolfram Obermanns: Klävers Buch bezieht sich nicht auf Mbemne und es ist auch ein Jahr vor dieser Debatte erschienen. Und wie es sich für eine richtige Dissertation im Fach Geschichte gehört, hat er alles mit zahlreichen Quellen belegt.
@ Stefan Laurin
Das sieht der von Frank in #8 verlinkte Kommentar, der in beide Richtungen keilt, etwas anders.
@Wolfram Obermanns, das Buch ist von 2019 und Dissertation war bereits 2017, also tatsächlich vor der diskussion um Mbembe. Dort zu finden http://meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-55567.pdf
Das Buch beruht auf der Dissertation, ist sie aber nicht. Es könnte eine Erweiterung der Dissertation sein. Laurin zitiert die Dissertation, aber der Link von @Frank zielt auf das Buch von 2019.
Ich kenne jetzt nur Laurins Artikel und die Rezension zum Buch, aber das Buch selber nicht, auch kein Buch von Mbembe, kann also nur vermuten, daß man hier aneinander vorbei redet.
Die Rezension scheint aber den Inhalt des Buches gut zu beschreiben. Scheint. Aber egal, wenn klar ist worüber wir sprechen, könnte ich auf die Rezension und den Artikel von Laurin eingehen.
Aber vorab. Wir beide hatten bereits zu dem Artikel https://www.ruhrbarone.de/critical-whiteness-bin-ich-weiss/186859 am 20 Juni 2020 zu einem ähnlichen Thema diskutiert, und damals hatte ich auf einen Vorschlag oder Bitte von @Paule T. einen Artikel im Deutschlandfunk gelesen und ihm im Kommentar (26) darauf geantwortet und mir scheint, daß meine damalige Antwort auch sehr gut zu meiner heutigen Meinung, die zur Ansicht von Steffen Klävers paßt. Jedenfalls zu der, wie sie in der Rezension angedeutet wird. Wenn der koloniallismus des Westens angesprochen wird, geht es um eine Phase der geschichte, die mit dem, was die Nazis gemacht haben zur Zeit gerne verglichen wird, aber fälschlicherweise in einen topf geworfen wird. Die Nazis waren insofern schlimmer, als das sie den Kolonialisten der Welt noch eins draufgesetzt hatten. Die haben sogar die Kolonialisten unterjochen wollen, und haben es auch getan. Aber die Juden haben sie nicht kolonisieren wollen, die wollten sie vernichten. Die "Beute", also alle, die sie nicht zur eigenen Rasse in ihrem schizophrenen Weltbild von der Herrenrassen gesehen haben, versklaven und diejenigen, die sie als ihre eigentlichen Gegner angesehen haben, also ihre "Freßfeinde" wollten sie vernichten. Die Nazis haben ihre Beute verachtet, aber die Juden gehasst. Die waren nicht im Beuteschema. Die waren außerhalb, waren für die Nazis eher so etwas wie Konkurrenz. Darum der Holocaust. Wer jetzt also Kolonialismus und Holocaust als ein und dasgleiche Phänomen betrachtet, hat einfach nicht kapiert, was die Nazis gemacht und was sie gedacht haben.
Und weil dieses Denken bei denen, die von den Nazis erzogen wurden, nachwirkt, und bis heute im Volksgedächtnis als Erbsünde festgefressen ist, aber bei all denen, die später dazugekommen sind, nicht in ihrer Erbsünde "drin" ist, und sich vielleicht solch ein Gedankengut gar nicht vorstellen will, weil man es ja dann irgendwie mittragen muß, es aber überhaupt nicht mittragen kann. Denn es ist doch neben der Menschenverachtung auch noch schizophren, kommen solche falschen Theorien heraus.
Und aus der Rezension zu dem Buch von Kläver schließe ich, das Kläver so etwas meinen könnte.
Ich finde die Debatte reichlich theoretisch. Der Nationalsozialismus mag durch vieles geprägt worden sein, aber entscheidend ist eher, was ihm die Macht gegeben hat, abstruse Ideen und auch perverse Ideen umzusetzen.
Deutschland war nicht die einzige Kolonialmacht, aber die einzige, bei der später ein Holocaust stattgefunden hat.
Da halte ich es für müßig intellektuell theoretische Kausalketten aufzubauen, die zwar denkbar sind, aber eben auch nichts wirklich erklären können, außer das niedere Triebe sich immer bei Machtgefällen manifestieren, das Einzige, was meiner Meinung nach Kolonialismus und der Holocaust gemeinsam haben.
Kranke Ideen wird es immer geben, sie sind ohne Belang, von belang ist es, was den Trägern von kranken Ideen soviel Macht verschafft, das ein Holocaust dabei raus kommt.
Nun jeder Massenmord größeren organisierten Ausmaßes ist singulär, das gilt sicher auch für den der Roten Khmer am eigenen Volk in Kambotscha.
Nicht singulär ist dagegen die Tatsache, das an die Macht gekommene Verrückte immer wieder im Laufe der Geschichte so etwas fertig bringen, egal wie singulär sie ihre Taten begründen.
Die Frage stellt sich ob Singularität hinsichtlich des Phänomens überhaupt von Bedeutung ist.
Oder doch vielmehr die Frage, wie man solche Irre von der Macht fern hält.
> Der Westen soll sich nach dem postkolonialen Denken … inklusive seiner Errungenschaften wie Aufklärung und Demokratie auf seine koloniale Vergangenheit reduziert werden, die ihn quasi genotypisch bis heute bestimmt…
Das ist nichts Neues:
"Einen Europäer erschlagen, heißt zwei Fliegen auf einmal treffen, nämlich gleichzeitig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten aus der Welt schaffen. Was übrig bleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch."
– Jean-Paul Sartre, Vorwort zu Frantz Fanon: „Die Verdammten dieser Erde“.
https://de.wikiquote.org/wiki/Jean-Paul_Sartre
http://www.zeit.de/1974/51/ein-stimme-fuer-sartre/komplettansicht
»Die weiße Rasse ist der Krebs der Menschheitsgeschichte;« sie rottet »selbstständige Zivilisationen« aus und bringt »den Planeten aus dem ökologischen Gleichgewicht«
– Susan Sontag, 1967, Partisan Review, p. 57, 58
https://en.wikipedia.org/wiki/Susan_Sontag#White_civilization_as_a_cancer
faz.net/aktuell/politik/wolfgang-schaeuble-abschottung-wuerde-europa-in-inzucht-degenerieren-lassen-14275838.html
»Schäuble zu Flüchtlingskrise: „Abschottung würde Europa in Inzucht degenerieren lassen“«
Wenn Politiker wie Schäuble uns im Nazijargon "Inzucht" und "Degeneration" prophezeien, sofern wir Blut und Boden nicht durch sog. Flüchtlinge und Migranten bereichern lassen, kommt das aus dem üblichen progressiv-kritisch-sozial-engagierten Schoß, der so fruchtbar ist, wie seit jeher.
Es gibt ein Fachbuch "The Aryan Jesus". Es versucht, die christliche Bekehrung der Nichtgläubigen als Akt zu verstehen, das andere Religionen abwertet, und zieht eine Linie vom Predigen der christlichen Kirchen gegen andere Religionen zu der Gewalt gegen Andersgläubige. Ich sehe im Nationalsozialismus eine Ausprägung der Gewalt gegen Juden, die christlichen Antisemitismus als eine Wurzel hat. Ich finde es gut, dass ich auf ruhrbarone von neuen Ideen lesen kann. Interessante Ideen!
[…] Rothbergs Vergleich der Nürnberger Gesetze mit den Rassegesetzen der USA führt gleich mehrfach in die Irre. Zum einen erkennt Rothberg nicht, was den Antisemitismus vom Rassismus unterscheidet. Steffen Klävers hat es in seinem „Decolonizing Auschwitz?“ dargelegt: […]
[…] um dann erst auf die eigentliche Geschichte einzugehen.“ – Ähnlich Stefan Klävers in “Decolonizing Auschwitz? Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung“: Bei Rothberg sei „nicht ganz […]
@17
Essit eine Kennzeiche der Monotheistischen Religionen (und eben nicht nur des Christentums)
in gut böse Kategorien zu unterteilen.
Dieser Dualismus zieht sich durch alle diktatorischen und übergriffigen Zeiten der Kulturen die vom Monotheismus bestimmt sind.
Was nicht bedeutet, das andere Kulturen nicht ihre eigenen Formen der Übergriffigkeiten haben, hinter denen immer Machtmotive stecken.
Deshalb aber von einer Kontiuiät der Übergriffkeiten auszugehen ist schlicht Nonsens.
Da jede Kultur in Machkämpfen ebenfalls damit zu tun hatte, sie wurden nur anders begründet und motiviert.
Wir erleben ja gerade wieder so eine Polarisierung auf einfache schwarz weiss Denke, für die letztlich christliche Ethik missbraucht wird. Jegliche Grauabstufung wird wieder einmal als Häresie verurteilt und mit dem Versuch der Ausgrenzung bestraft.
Mit Kolonialismus an sich oder dem Antisemitismus an sich oder heute dem Antifaschismus hat das alles nur oberflächlich zu tun.
Es sind alles nur kulturspezifische Vehikel für einen übergriffigen Machtanspruch.
Andere Kultur, nur andere Vehikel.
[…] um dann erst auf die eigentliche Geschichte einzugehen.“ – Ähnlich Stefan Klävers in “Decolonizing Auschwitz? Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung“: Bei Rothberg sei „nicht ganz […]
Der heutige entweder transatlantisch, germanomanisch od. ex-sozialistisch geprägte Europäer kann unmöglich jener postkolonialistisch geschönten Botschaft widerstehen, “weisse Siedler” von dort zu vertreiben, wo die Juden sich zwar mit englischer Hilfe, aber entgegen NS-Vetos einen eigenen Staat zu errichten sich erfrecht hatten. Nur jeweils ein Häppchen Augstein, Blüm, Grass, Sloterdijk, od. Walser brauchte es, um den Deutschen klarzumachen, was sie im Grunde ja schon bei Karl May mitzufühlen gelernt hatten. Die postnazistischen Fraktionen berufen sich eher auf Eckart, Evola, Fries, Moeller van der Bruck, Naumann u/o. Rosenberg.
Der metapolitisch vorauseilend agierende Mbembe-Tross liefert heute nur die hochwillkommene “Genugtuung” beim Vorbereiten dessen, was die stets lächelnd-leidende chrislamische Cooperative a) blockbuster-artig zu inszenieren und b) blutig zu vollstrecken in Auftrag gegeben hat, seit Rommels NS-Armee vor knapp 80 Jahren nicht zum Ziel kam. – Die bei Assmann, Benz & Co. geschulten Historiker glorreicher Zukunft werden emsig bestrebt sein herauszufinden, weshalb "die Juden das Erreichte haben verlieren müssen.” – Denn: "Die bessere Menschheit hat nicht bloß das Recht, den Rassenschädling auszumerzen, sondern es muß dies auch in einer Weise geschehen, die Genugtuung verschafft und den seit Jahrtausenden verübten Frevel rächt. " (Dühring, Ulrich 1911 > zit. bei Brakelmann)
Eva Garrard nannte es übrigens The Pleasure of Antisemitism (2013)
> https://fathomjournal.org/the-pleasures-of-antisemitism/
Meine unsanfte Schlussfolgerung resultiert aus überschaubarer Sammlung:
https://docs.google.com/document/d/1O15JOH9YcMQ4l-QuRwtvx2UliZZQqSmOighzcLT1aBE/edit
[…] der zweite Weltkrieg, ein Teil ihrer Geschichte. Der Historiker Steffen Klävers hat in seinem Buch „Decolonizing Auschwitz?“ zudem belegt, was ihn von anderen Genoziden unterschied, womit der Frage der Singularität geklärt […]