Demokratie: Experimente statt Experten

v. l. Prof. Dr. Claudia Kemfert, Dr. Julia Hertin (Geschäftsführerin), Prof. Dr. Christian Calliess, Dr. Carsten Neßhöver (Generalsekretär), Prof. Dr. Manfred Niekisch (stellv. Vorsitzender), Prof. Dr. Claudia Hornberg (Vorsitzende), Prof. Dr. Wolfgang Lucht, Prof. Dr.-Ing. Vera Susanne Rotter, Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker. Foto: Sachverständigenrat für Umweltfragen/PR

Das Buch „Experimente statt Experten“ von Novo stellt die Frage, wie demokratisch unsere Demokratie ist. Die Antworten geben Anlass zur Sorge.

Die Demokratie gehört zu den besten Ideen, welche die Menschheit je hatte: Die Bürger bestimmen ihr Schicksal selbst. Sie diskutieren, streiten und gehen dann wählen. Kein Diktator, König oder Kaiser sagt ihnen, wo es langzugehen hat. Und alle haben eine Stimme – egal ob Mann oder Frau, arm oder reich, zugewandert oder nicht – an der Wahlurne sind alle Bürger gleich.

Und diese Idee ist nicht nur gut, das zeigt das bei Novo erschienen Buch „Experimente statt Experten“, sondern auch erfolgreich: Nie war das antike Athen so erfolgreich wie in der Zeit als es, wenn auch noch sehr unvollkommen, demokratisch war. Die reichsten Länder der Welt sind Demokratien, wie die Schweiz zeigt. Bestimmen hingegen Eliten, das zeigen die im Buch gezeigten Beispiele, droht Ungemach. In Deutschland waren es die Eliten, die im ersten Weltkrieg immer weitreichendere Kriegsziele forderten, Weimar ging daran zugrunde, dass die Eliten die Demokratie verachteten und Hitler und die NSDAP an die Macht brachten.

Doch so alt wie die Demokratie ist auch die Warnung vor der angeblichen Dummheit des Volkes: Von Aristoteles über Mill  bis Clinton zieht sich eine lange Linie der Verachtung über einen angeblichen Pöbel, der nicht weiß, was gut für ihn ist. Experten sollen den Kurs des Landes, Europas und der Welt bestimmen. Schon Yascha Mounk beschrieb in seinem Buch „Der Zerfall der Demokratie“, wie sehr wir alle von Expertengremien und Kommissionen und nicht mehr von demokratisch gewählten Parlamenten regiert werden.

Als ein Beispiel nennen die Autoren die Wahl Ursula von der Leyens zur Präsidentin der Europäischen Kommission: Im Europawahlkampf spielte von der Leyen keine Rolle, sie war keine Spitzenkandidatin und wurde von den Regierungschefs bestimmt – das frisch gewählte Europäische Parlament konnte ihre Kandidatur nur noch mit knapper Mehrheit abnicken. Es gab nicht einmal einen Gegenkandidaten.

Werden die Probleme als zu groß angesehen, ist man bereit, die Demokratie außer Kraft zu setzen. Die Griechen wollten sich nicht der Kontrolle der Europäischen Union fügen, aufgezwungen wurde sie ihnen trotzdem. Niemand fragt die Sparer, ob sie die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank wollen, die ihre Ersparnisse auffrisst, sie haben nur die Folgen auszuhalten, zu denen für viele Altersarmut gehören wird. Nur wer Immobilien besitzt, kann sich noch über steigende Einkünfte und eine gesicherte Altersversorgung freuen.

Und auch beim angeblich größten Problem unserer Zeit, dem Klimawandel, wollen viele nicht mehr auf die Wähler und ihre Abgeordneten warten, wenn es darum geht, die „Große Transformation“ umzusetzen.

Der von der Bundesregierung eingesetzt Umweltrat schlägt vor, einen „Rat für Generationengerechtigkeit“ zu schaffen, der bei Gesetzen, die Auswirkungen auf Klima- und Umwelt haben, ein Vetorecht gegenüber dem Parlament hat. CDU, SPD und FDP lehnen den Vorschlag ab, nur die Grünen, die ein eher instrumentelles Verhältnis zur Demokratie haben und sie vor allem dann schätzen, wenn sich ihre Ansichten durchsetzen, befürworten die Idee.

Ohnehin steht die Demokratie bei den Propheten der Apokalypse nicht hoch im Kurs. Schon die Autoren der 2013 vom Bundesumweltamt herausgegebenen Broschüre „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ gefielen sich nicht nur darin, Journalisten zu maßregeln. In diesem Blog schrieb ich seinerzeit: „Zwar betonen sie an vielen Stellen das die „Große Transformation“ auch in Demokratien möglich ist und fordern sogar  einen Ausbau mit basisdemokratischen Elementen – aber die Demokratie ist für sie nicht aus sich selbst heraus legitimiert. Immer wieder ist in dem Buch davon die Rede, dass die Große Transformation“ eine Bewährungsprobe für die Demokratien sei und es offen ist, ob sie diese bestehen. Auch Elemente der Demokratie wie Kompromisse und manchmal langwierige Verfahren werden in dem von der Bundesregierung finanziertem Papier kritisiert. Auch hier zeigt sich wieder dieselbe Einstellung wie zu Journalisten: Die Demokratie hat eine Funktion. Erfüllt sie sie, ist es gut. Wenn nicht? Auf diese Frage findet sich in dem Buch keine Antwort, aber ein anderer Klimaaktivist James Hansen hat sie längst gegeben. Für ihn ist klar, dass der demokratische Prozess nicht funktioniert. Lobbyisten würden harte Regeln bei der Klimareduzierung verhindern. Lobbyisten – das sind alle die eine andere Ansicht als Hansen haben und auch in der „Großen Transformation“ wird klar gemacht, wen man dazu zählt: Wirtschaftsvertreter, Menschen die Sorge haben durch die Kosten der „ Großen Transformation“ noch ärmer zu werden wie diejenigen, die schon heute die steigenden Energie- und Sanierungskosten kaum aufbringen können sowie kritische Journalisten und Wissenschaftler. Sie alle sind Lobbyisten – alle die sich gleichfalls an die Politik wenden, um ihre Interessen und Ansichten durchzusetzen engagierte Bürger und Unternehmen die Teil der “Großen Transformation“ sind.“

Daran hat sich nicht viel geändert. Journalisten wie Sixtus haben in diesem Jahr die angeblichen Vorteile des chinesischen Regimes für die Umwelt entdeckt und das Wochenmagazin „Der Freitag“ fordert gar die Einführung einer Ökodiktatur. Alle wissen sie es besser als die Bürger, die man am besten wohl gar nicht mehr fragt.

„Experimentieren statt Experten“ ist ein Plädoyer für die Demokratie. Es setzt auf den Menschen, auf Streit, auf Freiheit. Nicht trotz aller Probleme, sondern genau, weil Demokratie die beste Antwort auf die Herausforderungen ist, vor denen wir stehen.

Ein ebenso gute wie leider notwendiges Buch, dem man viele Leser wünscht.

Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie
Novo Band 128 Preis: 14 Euro ,

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Spion und Spion
Spion und Spion
5 Jahre zuvor

Genauso sieht es aus.Angefangen bei der Satire siehe Dieter Nuhr.Als Satiriker hat er die Pflicht Humoristisch auf Zustände in der Gesellschaft hinzuweisen.Vielen Anhängern der Öko Diktatur ist das wohl ein Dorn im Auge.Siehe Shitstorm gegen Nuhr.Auch ich der gerne Humorisrisch gerne was Kommentiert hat mittlerweile Facebook den Rücken gekehrt,weil von der Öko Lobby nur noch so Argumente wie Nazi und AFD sprach kommt.Hingewiesen sei auf einen sehr guten Artikel bei den Salonkolumnisten.Die nächste NSDAP trägt die Farbe Grün.

Helmut Junge
5 Jahre zuvor

Also ein Gremium, dessen Mitglieder von der jeweiligen Regierung ernannt werden, dürfte dann Gestze blockieren, die vom Parlament beschlossen worden sind?
Das Gremium würde sich sehr schnell, oder sogar sofort in einen verlängerten Arm der Regierung erweisen, und das Parlament wäre faktisch ausgeschaltet. Solche Geschichten kann man zur Zeit in Groß-Britannien beobachten. Die jeweilige Regierung bräuchte nur die in ihrem Sinne richtigen Gremienmitglieder auswählen. Und das würde mit Sicherheit früher oder später geschehen.
Und dann könnte es sein, daß die derzeitigen Befürworter dieser Idee gar nicht mehr glücklich über ihre Entscheidung wären.

Gerd
Gerd
5 Jahre zuvor

"Journalisten wie Sixtus haben in diesem Jahr die angeblichen Vorteile des chinesischen Regimes für die Umwelt entdeckt und…."

Dabei glatt übersehen, dass China jedes Jahr etwa sechs neue Kohlekraftwerke baut und das noch viele Jahre tun will.

Timo Rieg
5 Jahre zuvor

Das erfolgreiche Athen war auch keine Wahl-Demokratie, sondern eine Los-Demokratie. Da man per Los aber kein Postengeschacher betreiben kann, hat sich das Verfahren – von einigen Experimenten abgesehen – eben nicht durchgesetzt. Demokratie muss stets das Bemühen sein, den Machttrieb einzelner zu bändigen. Mehr dazu, u.a. zum aktuellen Anwendungsfall "Bürgerrat Demokratie", im Blog: http://www.aleatorische-demokratie.de/

paule t.
paule t.
5 Jahre zuvor

Irgendwie ist in dem Artikel die Information verlorengegangen, dass das angeregte Vetorecht kein absolutes (wie man denken könnte, wenn es nicht erläutert wird), sondern nur ein aufschiebendes sein sollte. Das kann man immer nich kritisieren, aber es scheint mir ein nicht ganz unwesentlicher Unterschied zu sein.

Gerd
Gerd
5 Jahre zuvor

@5:

a) Ist wurscht. Von der Exekutive ernannte Personen bremsen die Legislative aus.
b) Salamitaktik. Das absolute wäre nur eine Frage der Zeit. Wobei Die Zeit sicher dafür sein würde.

Aristoteles
Aristoteles
4 Jahre zuvor

Was Gerd und Helmut ebenfalls nicht richtig wiedergeben, ist dass der Rat für Generationengerechtigkeit (mit seinem aufschiebenden und nicht absoluten Vetorecht) im genannten Vorschlag gar nicht von der Exekutive, sondern von der Legislative benannt werden soll. Von einer Machtanhäufung bei der Exekutive kann also keine Rede sein.

Helmut Junge
4 Jahre zuvor

@Aristoteles, wer von irgendeiner Regierung der Welt eingesetzt wird, wird dieser Regierung nicht wehtun. Wehtun ist Aufgabe der gewählten Opposition. Alles andere ist doch Speichelleckerei, oder?

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