Demokratie ist kein Ponyhof: Der zukünftige Umgang mit der AFD

Alice Weidel und Alexander Gauland auf dem AfD Bundesparteitag 2017 in Köln Foto: Olaf Kosinsky Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE


Das einzige, was für mich am AFD Ergebnis überraschend war, war die Überraschung darüber. Die Strategie des Draufhauens musste einfach nach hinten losgehen. Genauso klar war, dass die Kleinen gewinnen und die beiden Großen verlieren. Gut, das die FDP wieder im Bundestag sitzt. Und wer sonst, als die mehrheitlich wohlhabenden und zugleich wohlmeinenden Grünen, sollte sich der Umweltpolitik auch noch dann annehmen, wenn sie für andere zum Nachteil wird. Dass aber die LINKE von alledem am wenigsten profitiert und die sich immer faschistischer aufführende AFD stattdessen unangefochten zur dritten politischen Kraft gekürt worden ist, ist nichts anderes als eine politische Zeitenwende.

Denn selbst wenn sie sich zerlegt, wird sie als politische Kraft nicht mehr verschwinden. Erst recht nicht, wenn sich in der kommenden Zeit der Flüchtlingsdeal mit der Türkei als brüchig erweisen wird oder Neuwahlen zur erneuten Eintracht zwingen. Es ist vielmehr zu vermuten, dass nach anfänglichen Racheakten al la Frauke Petry eine mehr oder weniger stabile Kooperation zwischen dem rechtsradikalen und dem nationalkonservativem Flügel entsteht. Sie alleine verspricht, trotz aller innerparteilichen Konflikte, den größeren Stimmenerfolg.

Mit einem Satz, die AFD wird sehr wahrscheinlich ein fester Bestandteil der deutschen Parteienlandschaft werden, und das mit der Option auf Vergrößerung. Diese Wahl war kein einmaliger Betriebsunfall in der politischen Nachkriegsgeschichte unseres Landes, sondern ihr Ergebnis. Das ist kein Grund zur Panik, hat damit Deutschland im europäischen Maßstab doch nur gleichgezogen. Aber es ist im innerdeutschen Maßstab ein politisches und kulturelles Desaster, dessen Ursachen weit über die sogenannte Flüchtlingskrise und die Entpolitisierung durch die Dauer-GroKo hinausgehen. Und zwar sind das:

  1. Die nationale Frage, die nach dem zweiten Weltkrieg zwar neu gestellt aber nie für alle überzeugend beantwortet wurde. Selbst bei der Wiedervereinigung nicht. Wofür genau sollte dieses Deutschland, jenseits des großen Bedauerns über die eigenen Verbrechen, positiv stehen? Für die konsequente und dauerhafte globale Öffnung? Für eine relative Autonomie in einem vereinten Europa? Oder doch am Ende wieder für eine neue, wenn schon nicht weltpolitische, so jedoch ökonomische global orientierte Hegemonie?
  2. Die soziale Frage, die lange Zeit durch die deutsche Sozialdemokratie quasi automatisch zu beantworten zu sein schien. War eine durch ihre besonderen Opfer im Faschismus besonders legitimierte klassische Arbeiterpartei dazu nicht geradezu berufen? Allerdings mit dem Ergebnis, dass Deutschland, auch unter kräftiger Mitarbeit eben dieser SPD, spätestens am Ende des 20 Jahrhunderts wieder eine soziale Klassengesellschaft geworden ist. Ein objektives Faktum an dem alles Reden über soziale Gerechtigkeit irgendwann scheitern mussten.
  3. Die Frage des Antifaschismus, die sich das offizielle Deutschland ganz groß auf die Fahnen geschrieben, aber vorrangig rückwärtsgerichtet beantwortet hat. Der jeweils gerade aktuelle Faschismus wurde dagegen genauso verdrängt, ja still geduldet, wie der dazu gehörige aktuelle Antisemitismus und das sowohl im Westen wie im Osten des Landes. Während die Geschichte Nazi Deutschlands immer mehr zum Standardwissen wurde, ist die Geschichte des Staates Israel den meisten genauso unbekannt geblieben wie die Tatsache, dass Deutschland weder ausreichende materielle Wiedergutmachung geleistet noch den Nachkriegsfaschismus im eigenen Land konsequent bekämpft hat. Vielmehr war das genaue Gegenteil der Fall.
  4. Die säkulare Frage, die bis heute in Deutschland nicht beantwortet ist, weil sich die Kirchen dieses Landes immer noch erheblicher ökonomischer, rechtlicher und sozialer Privilegien erfreuen, die mitnichten etwas mit der Trennung, sondern mit der engen Verbindung von Religion und Staat zu tun haben. Nur so konnte Christ Sein und Deutsch Sein zu einer kulturellen und sozialen Selbstverständlichkeit, ja selbst für die, die gar keiner Religion angehören, zum unveränderlichen, ja verteidigungswerten Teil ihrer nationalen Identität werden.
  5. Die Frage nach dem Verhältnis von Gewalt und Politik, das in Deutschland immer schwierig war. Den ein Teil der radikalisierten Durchschnittsdeutschen linker oder rechter politischen Couleur neigt nämlich schon immer dazu, moralische Überlegenheit nicht nur mit im Rechtsein zu verwechseln, sondern auch die unmittelbare Gewalt in jedweder Form der rechtsstaatlichen Entscheidung vorzuziehen. So neigt bis heute auch ein gehöriger Teil der deutsche Antifaschisten häufig zu ähnlich gewalttätigen, zumindest aber rechtsbeugenden, Methoden der politischen Auseinandersetzung wie die deutschen Faschisten, während der Rest,jenseits immer wiederkehrender Empörungswellen, bis heute vor allem seine Ruhe will.

Mit einem Satz: Deutschland ist gut 70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, trotz zunehmender innerer Probleme, immer noch ein Land ohne eine öffentliche und zugleich kontroverse demokratische Streitkultur, trotz allgemeinen Reichtums voller Armut, trotz jahrzehntelanger Einwanderung ohne Einwanderungsgesetz, trotz dauerhafter globalökonomischer Orientierung ohne ein prägendes Weltbürgertum, trotz seiner weltweit gelobten Erinnerungskultur über die eigenen Verbrechen wieder gut mit Antisemiten und Faschisten bestückt und trotz der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit von geringer religiöser Toleranz, wenn es sich um Muslime handelt.

Nur wer das nicht sehen will, wundert sich über den Wahlerfolg der AFD, die allgemein zunehmende Fremdenfeindlichkeit und die Angst vor einer neuen Flüchtlingswelle. Nur wer das nicht sehen will, wundert sich über die Unfähigkeit der insgesamt gut situierten linksliberalen Mehrheit, damit umzugehen. Nur wer das nicht sehen will, ist erstaunt, dass die verbliebenen Konservativen ihre Rettung in der mehr oder weniger stillen Übernahme von AFD-Forderungen suchen, während der engagierte Rest in typisch deutscher Antifaschistentradition ruft: „Keine Debatte! Bekämpft sie! Macht sie fertig! Mit allen Mitteln“

Als wenn das nicht schon die Strategie der letzten Jahre war, die offensichtlich nichts geholfen hat. Die die Aktivisten nicht beeindruckt hat und die Sympathisanten nicht davon abhält, sie zu wählen. Ganz im Gegenteil. Natürlich gilt es den rechtsradikalen Kern zu isolieren und in Schach zu halten. Aber wer die Themen der Faschisten nicht selbst besetzt und progressiv wendet, der erreicht ihrer potentiellen Wähler nicht. Wer, gerade in der globalisierten Welt, keine progressiven Antworten auf die nationale und die soziale Frage findet, wird immer wieder Nationalsozialisten jeder Art zum Erfolg verhelfen.

Wer, gerade in einer globalisierten Welt, die Einwanderung und die Integrationsprobleme der multikulturellen Gesellschaft nicht thematisiert, der fördert die Fremdenangst. Und die ist der Zündstoff des Faschismus. Wer, gerade in einer mehrkulturellen Gesellschaft, keine kontroverse Streitkultur fördert und praktiziert, sorgt für eine antidemokratische Grundstimmung. Und die ist der Nährboden des Faschismus. Wer, gerade in einer multireligiösen Gesellschaft, nicht offensiv die konsequente Trennung von Staat und Kirche fordert, fördert jeder Art der systematischen Vermischung von politischen Zielen und religiösen Werten. Und das ist bis heute der verführerische irrationale Mobilisierungskern des Faschismus.

Wer mehr Demokratie will, muss deswegen lernen auch mit denen zu diskutieren, die nicht seiner Meinung sind und nicht sein Wertesystem teilen. Der muss sich darin üben, andere Meinung auszuhalten anstatt in den Rechthabermodus zu verfallen. Der darf sich auch nicht auf die Methoden der Antidemokraten einlassen. Das kann sehr wohl zur Zumutung werden, aber Demokratie ist kein Ponyhof, sondern die entscheidende Arena für den sozialen, technischen und ökonomischen Fortschritt eines Landes. Wer will, dass die AFD nicht noch stärker sondern schwächer wird, darf deswegen auf den Dialog mit den noch Dialogfähigen nicht verzichten.

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Robin Patzwaldt
Editor
7 Jahre zuvor

Sehr schön, Arnold! Sehr viel Zustimmung meinerseits. (Bis auf die scheinbar große Freude über den FDP-Wahlerfolg bei Dir 😉 😀 Wobei ich auch das nicht wirklich schlecht finde… 🙂 )

abraxasrgb
abraxasrgb
7 Jahre zuvor

D´accord! Anpassung an die Wirklichkeit passiert eben nur, wenn es sein muss 😉
Wie heisst es so schön bei Baudrillard? "Welcome to the desert of real" 😉

Thorsten Stumm
7 Jahre zuvor

Gut auf den Punkt Arnold, so sollten wir es halten….

Walter Stach
Walter Stach
7 Jahre zuvor

Inhaltlich und in meiner Rhetorik versuche ich zu unterscheiden zwischen
a.) der Partei AFD und
b.) ihren Anhängern, Sympathisanten und Wählern.

a.)
Die Partei ist für mich eine politische Bewegung getragen und geprägt von einer völkisch-rassistischen-natonalistischen-fremdenfeindlichen und antidemokratischen Ideologie, die mit zunehmender Tendenz auf mich faschistisch wirkt.

Dementsprechend setze ich mich mit ihr auseinander -als überzeugter Demokrat, als überzeugter Verfechter der Idee des sozialen Rechtstaates und vor allem ausgehend von dem für mich indiskutablen Mythos von der unantastbaren Würde eines jeden Menschen!
Ich weigere mich in der Tat, mit Funktionäre dieser Bewegung darüber zu diskutieren, ob es nicht doch geboten sein könnte, bei Menschen je nach Rasse, Herkunft, Geschlecht pp. bezüglich ihrer Würde zu differenzieren, um so mehr fehlt mir jedes Verständnis für die Versuche in Politik und , Wissenschaft -und in den Medien, im Feulition großer deutscher Zeitungen! , wenn dort aus unterschiedlichen Gründen, aus unterschiedlichen Motiven, mit unterschiedlichen kurz-, mittel- und langfristigen politischen Absichten versucht wird zu erklären, ja sogar versucht wird zu rechtfertigen, daß es eine solche politische Bewegung namens AFD gibt, ja geben müsse.
Mir fehlt folglich nicht nur jedes Verständnis, sondern ich bin voller Wut, lesen und hören zu müssen, daß "man" auf die Bemerkungen von Gauland (…..entsorgen;) und auf seinen Versuch, das sog. III.Reich, die Hitler-Herrschaft, die Wehrmacht zu rechtfertigen (zu entschuldigen) entweder gar nicht reagiert oder wenn, dann mit "wohlwollendem Verständnis".
D a s ist für mich ein Zeichen dafür, daß die Wurzeln unser freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft anfangen zu faulen. Die Bewegung AFD ist nicht Anderes als der Spross aus diesen faulenden Wurzeln.
Wenn die AFD Nazi-Partei genannt wird oder die Wiederkehr einer modifizierten NSDAP, dann entspricht das nicht meinem Vokabular. Ich begegne diesen Begrifflichkeiten jedoch mit viel Verständnis und denen, die sie verwenden, mit aller größtem Respekt.

b.)
So wenig wie jeder NSDAP-Sympathisant, NSDAP-Wähler ein völkischer Rassist war, ein Antidemokrat, ein politischer Mensch mit einer faschistischen Grundhaltung, ein Anitsemit, so wenig ist jeder AFD-Sympathisant, jeder AFD-Wähler ein überzeugter völkischer Rassist, ein Feind aller Fremden , ein Antidemokrat oder gar ein überzeugter Faschist.
Heraus zu finden, was diese Menschen -geschätzt 50 % der AFD-Wähler (?)- zu ihrer Wahlentscheidung gebracht hat, was sie getrieben hat, gegen die Kanzlerin, gegen die sog. etablierten Parteien zu wüten, ist eine Aufgabe alle gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland, die von allen Demokraten als solche begriffen und angegangen wird und die ja schon erste und m.E. bedenkenswerte Ergebnisse zeigt, u.a. daß "man" den etablierten Parteien, daß man der Kanzlerin einen Denkzettel verpassen wollte, weil "man" sich vernachlässigt fühlt und deshalb wütend ist.
Selbstverständlich bedarf es dieserhalb des Gespräches, um herauszufinden, ob der AFD-Fan ein "völkischer-rassistischer-nationalistischer-antidemokratischer oder gar faschistischer Glaubenskrieger ist, mit dem ich nicht weiter diskutieren würde, denn es wäre vergeblich Liebensmüh. Wenn das Gespräch, die Diskussion zeigt, daß es hier jemanden gibt, der aus anderen Gründen AFD-Sympathisant , AFD-Wähler ist, dann würde ich nicht nur ein Gespräch mit ihm gutheißen, ich würde es mir wünschen!

Walter Stach
Walter Stach
7 Jahre zuvor

"Anti-Faschismus muß Alltag werden"
Kolumne von Margarete Stokowski -SPIEGEL online-!!

"Gut so"!!!!

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