„Den Bürgern ist es schlicht egal, von welcher Organisation sie gerettet werden“

Rettungswagen Foto: julFirefighter Lizenz: Gemeinfrei


Aufregung im Rettungsdienst? Nein, nur bei denen, die intransparent Leistungen vergeben haben und bei denen, die eine ordentliche Tarifbindung scheuen. Von unserem Gastautor Magnus Memmeler.

Die Vergabekammer Westfalen hat mit einer Entscheidung zur Vergabe rettungsdienstlicher Leistungen im Az.: VK 1 – 20/22 einem privaten Rettungsdienst zugestimmt, der eine Vergabe unter Anwendung der sogenannten Bereichsausnahme als intransparent anzweifelte. Genau ging es um die Vergabe der Stadt Kamen an die Malteser, die im Auftrag der Stadt Kamen 2 Rettungswagen betreiben sollten. Der EuGH hat 2019 die Anwendung der Bereichsausnahme, zum Schutz ehrenamtlicher und gemeinnütziger Strukturen im Rettungsdienst, genehmigt (Az.: C-465/17). Voraussetzung hierfür ist die Umsetzung der geänderten Vergabepraxis im nationalen Recht. Da der Rettungsdienst im jeweiligen Länderrecht geregelt ist, hätte auch das Rettungsdienstrecht in NRW angepasst werden müssen, denn dort heißt es, dass neben den anerkannten Hilfsorganisationen auch andere Leistungserbringern beauftragt werden können.

Die Rheinische Post hat den Fall sehr verständlich aufbereitet und erste Reaktionen auf die Entscheidung eingeholt.

Die Stadt Kamen wird nun eine abschließende Klärung der Vergabekammerentscheidung vor dem OLG Düsseldorf anstreben.

Ich persönlich bin inzwischen der Überzeugung, dass es bei Vergaben von rettungsdienstlichen Leistungen viel mehr darauf ankommen muss, dass Leistungsmerkmale klar und transparent beschrieben werden müssen, die der Landkreis und die Stadt neben der Personalgestellung, vom Dienstleister erwartet. Ich habe die Urteilsfindung des EuGH 2019 sehr eng begleitet und fand es extrem wichtig, dass Bevölkerungs- und Ehrenamtsstrukturen im Rettungsdienst geschützt werden sollten. Um das zu erreichen, verwies der EuGH auch auf die Erfordernis der Gemeinnützigkeit beim Dienstleistungserbringer und den erforderlichen Mehrwert im Bevölkerungsschutz, der mit der Vergabe rettungsdienstlicher Leistungen einhergehen muss.

Wenn die Anwendung der sogenannten Bereichsausnahme zu intransparenten Vergaben führt, die möglicherweise sogar einen Beigeschmack haben oder lediglich Besitzstände sicherstellen sollen, ist diese Vergabepraxis abzulehnen. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bereichsausnahme angewendet werden kann aber eben nicht muss.

Hätte zum Beispiel der Kreis Siegen-Wittgenstein transparente Vergabeverfahren zur Vergabe rettungsdienstlicher Leistungen angewendet, in denen auch klar Mehrwerte für den Bevölkerungsschutz von den Leistungserbringern abgefordert worden wären, gäbe es jetzt kein Getuschel über Seilschaften im Netz. Auf den einen oder anderen am Rettungsdienst interessierten Mitmenschen wirkt es zumindest fragwürdig, dass regelmäßig Erweiterungen im Rettungsdienst an das DRK vergeben werden und dessen Präsident im Kreis Siegen Wittgenstein zufällig der Landrat ist. Diesen unliebsamen Fragen hätte der Kreis Siegen-Wittgenstein entgehen können, wenn eine transparente Beteiligung aller als gemeinnützig anerkannten Rettungsdienstanbieter möglich gewesen wäre. Selbst eine aufwändige Recherche im Internet gab keinerlei Anhalt, dass die Leistungsvergabe öffentlich bekannt gemacht wurde, bevor es zur jeweiligen Angebotsbewertung gekommen ist.

Solche Vergabebeispiele, der bestehende Personalmangel im Rettungsdienst und die Notwendigkeit eines aufwuchsfähigen Bevölkerungsschutzes in Landkreisen und Kreisfreien Städten führt zwangsläufig dazu, dass vielmehr das Gebot der Wirtschaftlichkeit bei Vergaben neu interpretiert werden muss, um Innovation und nachhaltige Leistungserbringung zu gewährleisten.

Wertungskriterien wie Tarifbindung (mind. TVÖD und vergleichbare AVR) und betriebliche Altersvorsorge fördern die Ausfallsicherheit, da zufriedene Mitarbeitende sicherlich seltener den Dienstgeber wechseln. Außerdem wird so, in die Zukunft gedacht, Altersarmut gemindert, was zu einer geringeren Belastung der Sozialkassen führen wird. Auch das kann und muss bei der Maßgabe der Wirtschaftlichkeit von Angeboten beachtet werden. Zusätzlich müssen Konzepte zur Aufwuchsfähigkeit und zur Kompensation von Personalausfällen durch zum Beispiel Krankheit bewertet werden. Gleiches gilt für den Mehrwert für den Bevölkerungsschutz in der Region, der mit konkret benannten Komponenten Bestandteil der Ausschreibung sein muss. Warum kann die Vergabe eines Rettungsdienststandortes nicht an zum Beispiel die Bereitschaft gekoppelt werden, eine taktische Einheit Strom bereitzustellen, die bei lokalen Stromausfällen zu Einsatz kommen kann? Und so weiter.

Statt solche Qualitäts- und Mehrwertkriterien endlich zu etablieren, erfolgt nun reflexartig der Aufschrei, dass die großen Hilfsorganisationen vor den privaten Heuschrecken geschützt werden müssen. Das mag überall dort zutreffen, wo die Hilfsorganisationen sehr gute Arbeitsbedingungen anbieten und auch den Mehrwert für den Bevölkerungsschutz vertraglich garantieren, der in der jeweiligen Region als Bedarf evaluiert wurde. Überall dort, wo es bereits zu nicht besetzten Rettungsdienststandorten gekommen ist oder zugesagte Bevölkerungsschutzkomponenten nicht bereitgestellt werden konnten, sollte und muss man über Alternativen nachdenken. Gleiches gilt für Regionen, in denen längere Zeit der Rettungsdienstbedarfsplan nicht erfüllt werden konnte.

Unabhängig davon, ob eine regelhafte Ausschreibung vorgenommen werden soll oder die Bereichsausnahme Anwendung finden soll, müssen die zuvor genannten Mehrwerte und Qualitätsanforderungen als Bedingung der Vertragsschließung benannt werden. Nur so können die großen Herausforderungen für den Rettungsdienst gestemmt werden, die in diesem Video „Wer rettetet den Rettungsdienst“ auf Youtube sehr anschaulich benannt sind:

Den Bürgerinnen und Bürgern ist es schlicht egal, von welcher Organisation sie gerettet werden. Wichtig ist, dass die Qualität im Rettungsdienst und Bevölkerungsschutz gesichert ist. Deshalb gehören alle Anbieter von Vergaben rettungsdienstlicher Leistungen ausgeschlossen, die nicht mindestens den Tarif TVÖD garantieren und eine betriebliche Altersvorsorge anbieten, in die in Höhe von mind. 4,5% Bruttogehalt eingezahlt wird. Ich will von niemand gerettet werden, der nebenher noch an der Tanke jobben muss, um seine Miete bezahlen zu können. Ich wünsche mir gut ausgebildete und motivierte Retter.

 

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Walter Stach
Walter Stach
2 Jahre zuvor

Sachbezogen, argumentativ, abwägend in der Meinungsbildung und abschließend mit einem klaren persönlichen Votum. Dem habe ich inhaltlich nichts hinzuzufügen..

Ist es nur ein „frommer Wunsch von mir“, darauf zu bauen, daß hier bei den Ruhrbaronen öfter Beiträge dieser Qualität zu allen Themen erscheinen könnten?

Andrea Henning
Andrea Henning
2 Jahre zuvor

Bereitschaft und Ehrenamtliche haben in einem professionellen Rettungsdienst nichts mehr verloren.
Oder will jemand sein teures Auto von jemandem reparieren lassen, der dies nur alle paar Wochen Ehrenamtlich macht und sein Hauptberuf Finanzbeamter ist?

M. Memmeler
M. Memmeler
2 Jahre zuvor

@ Walter Stach: Herzlichen Dank für dieses ermunternde Feedback.

M. Memmeler
M. Memmeler
2 Jahre zuvor

@ Andrea Henning: In der Tat ist der Rettungsdienst inzwischen so professionell geworden, dass dem Ehrenamt ohnehin kaum Raum bleibt. Außerdem muss der Einsatz von Ehrenamt arbeitsmarktneutral geschehen.
Wichtig ist Ehrenamt aber in den von mir genannten Mehrwerten im Bevölkerungsschutz, die im Idealfall begleitend zu Vergabeverfahren im Rettungsdienst platziert werden sollten. Bei guter finanzieller Ausstattung kann aber auch das über Rufbereitschaft abgebildet werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die vom EuGH recht eindeutig benannten Vorgaben für den Rettungsdienst kaum noch erfüllbar sind, weswegen die Anwendung der sogenannten Bereichsausnahme eher die Ausnahme statt die Regel sein müsste.

Daniel P.
Daniel P.
2 Jahre zuvor

Ob HiOrg oder Privat ist doch mittlerweile egal, beide streben Gewinne an. Rettungsdienst gehört, wie das gesamte Gesundheitswesen, in kommunale Hände. Nur dann ist das Thema Geld und Korruption zu lösen.

SvG
SvG
2 Jahre zuvor

Was ist am Roten Kreuz oder den Maltesern denn noch gemeinnützig?
Das Fußvolk arbeitet umsonst oder gegen Aufwandsentschädigung, während sich die Regionalfürsten dieser undurchschaubaren Konstrukte selbst großzügige Gehälter, Dienstwagen und angenehme Arbeitsbedingungen verordnen. Und zur Anwerbung neuer Mitglieder werden auch gerne Fremdfirmen beauftragt, im Volksmund Drückerkolonnen genannt. Auch der Handel mit gespendetem Blut bringt Geld in die Kasse…

Bebbi
Bebbi
2 Jahre zuvor

Ich verstehe auch nicht, warum etablierte Akteure bevorzugt Zugriff auf dieses Aufgabenfeld haben sollen.

Ich verstehe nicht, warum eine Privater die nicht mit dem Rettungsdienst zusammenhängenden Aufgaben nicht auch mit erbringen soll. Ich sehe auch keinen Nutzen darin, andere Aufgaben damit zu verknüpfen, so es ausschreibungsrechtlich überhaupt zulässig ist.

Wenn alle den gleichen Tarif zahlen, die gleichen Stundenanzahl abdecken müssen, die gleiche Ausstattung vorhalten müssen, worin sollen sich Angebote dann noch unterscheiden? Im zugrunde gelegten Einkaufspreis von Mullbinden und Benzin? Nutzt dieser Minimalwettbewerb jemanden?

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