In der Abendsonne ihrer Karriere wollte Stefanie Carp ihre dreijährige Intendanz dazu nutzen, mit der Ruhrtriennale ein Hochamt ökologischer und postmoderner Kapitalismuskritik zu feiern. Ihr Scheitern bescherte dem Land eine längst überfällige Antisemitismusdebatte und half, die Handlungsspielräume für die antisemitische BDS-Kampagne und ihre Unterstützer zu verengen.
Dass Felix Klein, „Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus“, unter Druck steht, wäre zu hoch gegriffen. Die Bundesregierung und die ihn tragenden Parteien SPD und CDU stehen hinter ihm, auch aus den Kreisen von Grünen und FDP gibt es an seiner Arbeit keine Kritik. Der Zentralrat der Juden schätzt seine Arbeit, ebenso ein großer Teil der seriösen Medien dieses Landes. Aber einige Wissenschaftler, zum Teil aus dem Umfeld der antisemitischen BDS-Kampagne, fordern seine Entlassung und in einer Reihe von Artikeln wird versucht, Kleins Kritik an Mbembe zu nutzen, um Mbembe vom Vorwurf der Relativierung des Holocausts zu entlasten. In Artikeln mit zum Teil ähnlich lautenden Überschriften versuchten Daniel Bax im Freitag und Arnold Schölzel in der Jungen Welt aus dem „Fall Mbembe“ einen „Fall Klein“ zu machen. Im Kern werfen sie Klein vor, sich gegen Mbembe gestellt und seinen Job gemacht zu haben. Schölzel bezichtig Klein, er hebe „regelmäßig Rufmord gegen Kritiker israelischer Regierungspolitik aus medialen Niederungen in die Höhe einer Bundesbehörde“, Bax wirft Klein vor, er habe 2018 die Evangelische Akademie in Bad Boll aufgefordert, „ eine geplante Konferenz zum Nahostkonflikt abzusagen, weil er ihr Einseitigkeit unterstellte. Im vergangenen Jahr warnte er Juden davor, in bestimmten Vierteln eine Kippa zu tragen, was für manche einer Kapitulation vor Judenhassern gleichkam. Und nun seine Diffamierung eines afrikanischen Denkers, die an Rufmord grenzt: Das Maß ist voll.“ In Bad Boll sollten zahlreiche Referenten auftreten, die der BDS-Kampagne nahestehen. Und dann schließlich Kleins Kritik an Mbembe: „Klein hatte sich gegen dessen geplanten Auftritt bei der Ruhrtriennale ausgesprochen und dem weltweit anerkannten Philosophen nichts weniger als Holocaust-Relativierung und „antisemitische Muster“ unterstellt: schwere Vorwürfe,“ schreibt Bax „ die der Politiker durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate belegen zu können glaubte.“
Den Reigen komplettiert die scheidende Ruhrtriennale-Intendantin Stefan Carp, die in einem Gastbeitrag im Portal Nachtkritik Klein vorwirft : „Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesrepublik Felix Klein sprach früh sein Urteil, ohne die Vorwürfe zu überprüfen und ohne sich zumindest um Sachkenntnis zu bemühen. Darf der Antisemitismusbeauftragte ohne Begründung urteilen? Schreibende Helfer*innen sollten oder wollten in der Folge beweisen, dass er Recht hatte. An der Kampagne des erschreckend an der Kampagne des Diskreditierens und der Verleumdung war der kaum verhüllte Rassismus und das geringe Interesse an dem, was der Beleidigte und Beschädigte tatsächlich geschrieben und gesagt hatte.“
Es ist müßig, Carp nach Belegen für ihren Vorwurf, die Kritik an Mbembe zeuge von „kaum verhülltem Rassismus“ zu fragen, sie wird sie nicht finden, weil es sie nicht gab. Den offenen Brief des FDP-Landtagsabgeordeneten Lorenz Deutsch, in dem er sich gegen Mbembes Auftritt auf der Ruhrtriennale aussprach, nannte Mbembe gegenüber der Welt am Sonntag eine „Diffamierungskampagne, die nicht nur dumm und ignorant, sondern auch ein Zeichen von Rassismus gegen einen unabhängigen, freien und international anerkannten afrikanischen Geist“ sei. Auch von Mbembe gab es für diesen Vorwurf keine Beleg. Dafür lässt er zu, das Deutsch in einem Interview mit Cameplus in die Nähe Neonazis gestellt wird: “ Il est officiellement membre du FPD. Certains d’entre vous me demandent s’il entretient quelque lien que ce soit avec les milieux néo-nazis et ultra-nationalistes. Je n’en sais rien.“ ( „Er ist offizielles Mitglied der FDP. Einige von Ihnen fragen mich, ob er in irgendeiner Weise mit neonazistischen und ultranationalistischen Kreisen in Verbindung steht. Ich weiß es nicht.“)
Was sich als Angriff auf Klein geriert, ist eine Mischung als Ablenkung und Abwehr. Ablenken soll die Konzentration auf Kleins Aussage, Mbembe habe den Holocaust relativiert von den Texten Mbembes. Wenn Carp seinen Kritikern mangelndes Interesse an seinem Werk vorwirft, ist das natürlich Unfug. Je mehr man von Mbembe liest, umso weniger sind diese Entscheidungen zu verstehen. In der FAZ weist Thomas Weber heute nach, dass Mbembe sich seit 1992 mit Israel und dem Holocaust beschäftigt und diese Beschäftigung für sein Werk von großer Bedeutung ist.
Zahlreiche Artikel Mbembes haben sein Verhältnis zu Israel und zum Antisemitismus belegt und das, weil seine Texte gelesen wurden – was ihm allerdings nicht zum Vorteil gereichte:
Mbembe unterstütze den akademischen Boykott gegen Israel:
BDS: Ruhrtriennale gibt Unterzeichner des „Academic Boycott of Israel“ ein Forum
Mbembe fühlt mit palästinensischen Selbstmordattentätern mit:
Leerstelle Antisemitismus
Mbembe forderte die globale Isolation Israels und nannte den israelisch-palästinensischen Konflikt „größten moralischen Skandal unserer Zeit“:
Mbembe: „The time has come for global isolation“
Er ist stolz darauf, den Auftritt einer Israelin verhindert zu haben:
Achille Mbembe erzwang Konferenz-Ausladung einer israelischen Psychologin
Er verquickt das Alten Testament mit Israel:
Eine echte Causa
Israel ist ein zentrales Motiv in seiner Arbeit:
Opfer werden zu Verfolgern(€)
Sein Israelhass rückt die Postcolonial Studies ins Zwielicht:
Wie rassistisch ist der Westen?
Das Ergebnis der Beschäftigung mit Mbembes Texten fasst Jürgen Kaube treffend in der FAZ zusammen:
„Achille Mbembe mag daherreden, wie er will. Es kommt auf einen törichten Intellektuellen mehr oder weniger nicht an. Aber es ist bedauerlich, dass Verlagslektoren, Stiftungskomitees, Festivalleiterinnen und womöglich sogar Kulturbeauftragte in Ministerien nicht lesen, was dasteht. Dass sie sich nicht die Zeit nehmen zu prüfen, wen sie zu einer großen Figur erklären. Gar zu einer moralischen Instanz.“
Den Kampf gegen Klein führt nun ein Milieu, dem es in den vergangenen Jahren gelungen ist, die eigenen Existenz mit den Mitteln des Staates und von Stiftungen abzusichern und das nun unangenehm davon überrascht worden ist, dass sich jemand jenseits der eigenen Fan-Szene mit ihren Aussagen beschäftigte.
Intendanten wie Carp, die von ihr als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale eingeladenen Achille Mbembe und Vandana Shiva, ihr für 2018 vorgesehener Auftritt fiel aus persönlichen Gründen aus, sind Hofnarren, die sich eine erfolgreiche, kapitalistischen Demokratie gönnt, weil es sich so fein gruselt wenn sie dem Publikum die Leviten lesen. Ernst nimmt sie niemand, als Gefahr wird das, was sie vielleicht selbst als subversives Denken verstehen, ebenfalls nicht gesehen. Wenn Carp dem WDR 2019 sagte „Unsere Demokratien, auf die wir so stolz sind, waren von vorneherein ein rassistisches Konstrukt, auf einer Vorherrschaft der weißen Rasse gegenüber anderen beruht haben – wenn man das mal ernsthaft denkt“ zuckt das Publikum mit den Schultern. Es nimmt Carps Aussage als das was es ist, ein Teil der Kultur-Show, die kritisch zu sein hat, das gehört einfach dazu, sonst wäre es ja noch langweiliger. Als bedenkenswerter Beitrag zu den politischen Debatten wird es natürlich nicht gesehen und auch Carp kann gut damit leben, wenn ihr die rassistische Demokratie ihr Gehalt finanziert und die Innogy Stiftung und die Alfred Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung der Ruhrtriennale Geld überweisen.
Auch für Mbembe und Shiva ist das Geschäftsmodell Kapitalismus- und Globalisierungskritiker lukrativ. Im verachteten Westen gibt es die gut honorierten Vorträge und Preise, hier ist das Publikum so satt, dass es ihm nicht um Inhalte, sondern um Unterhaltung geht. Carp machte in Nachkritik den Grund für Mbembes Engagement klar: „Die drei Kölner Vorlesungen von Achille Mbembe im vorigen Juni in brechend vollen Sälen vor Tausenden junger Menschen, mit denen er bis Mitternacht diskutierte, die ihn nicht gehen lassen wollten, waren eine große Beglückung und Bereicherung.“ Mit den Worten kann man auch einen Auftritt von Lady Gaga beschreiben, auch wenn es natürlich ungehörig ist, sie in die Nähe Mbembes zu bringen.
Der Kampf gegen Kleins Kritik ist ein Kampf gegen alle, die etwas genauer hinschauen und feststellen, mit wem sie es zu tun haben, die merken, dass sie es nicht nur mit antikapitalistischen Possenreißern zu tun haben, die am Ende des Tages mit ein paar Euros zufrieden sind, sondern dass sich hinter vielen der hip klingenden post-irgendwas Texten übelster Antisemitismus verbirgt. Und Antisemitismus kann schlecht fürs Geschäft sein – zum Glück.
In den vergangenen Jahren haben sie die Räume für Antisemiten verengt, die BDS-Beschlüsse des Bundes und vieler Länder und Städte haben dafür gesorgt, dass Geld und Bühnen nicht mehr gesichert sind. Entsetzt fragt Carp in Nachtkritik: „Wir Deutschen nehmen Israel als Staat der Opfer wahr, der gegründet wurde, um den von uns Verfolgten Schutz zu gewähren. Für Menschen aus dem globalen Süden ist Israel ein Staat des Westens. Dürfen wir Menschen mit kolonialen Erfahrungen und Wahrnehmungen aus anderen Teilen der Welt Antisemitismus vorwerfen, wenn sie Israels Regierung kritisieren? Dürfen wir dann Künstler*innen und Intellektuelle aus arabischen Ländern insgesamt nicht mehr nach Deutschland einladen?“
Niemand wirft jemandem, der Israels Regierung kritisiert, Antisemitismus vor. Allerdings ist es schon auffällig, warum sich die Kritik so oft auf die Regierung eines kleinen Landes am Südrand des Mittelmeers konzentriert, gerade so, als ob das Handeln der anderen fast 200 Regierungen der Staaten dieser Welt keine Anlässe zur Kritik bieten würden. Da ist die Idee, es könnte daran liegen, dass Israel der einzige jüdische Staat ist, nicht ganz abwegig. Davon ab: Israel als einen westlichen Staat wahrzunehmen ist richtig. Es ist eine Demokratie, ein Rechtsstaat und kapitalistisch. Es ist all das, wovon nicht wenige Menschen im „globalen Süden“ träumen. Dessen Bewohner haben auch oft andere Sorgen als Israel. Zum Beispiel finden sie es oft kritisierenswerter, dass ihre eigenen Regierungen korrupt sind, Schwule an Baukränen aufhängen, Frauen unterdrücken, Meinungsfreiheit unterbinden und es nicht einmal geregelt bekommen, für ihre eigene Bevölkerung eine halbwegs vernünftige Gesundheitsversorgung oder Schulbildung zu organisieren. Es wird auch im globalen Süden Intellektuelle geben, die sich mehr um das Überleben und die Freiheit der eigenen Mitbürger als für die Bedürfnisse und den Antisemitismus der Schickeria des globalen Nordens interessieren, auch wenn letzteres lukrativer ist. Ihre Stimmen werden zu selten gehört, ihre Bücher zu selten verlegt.
Israel war zudem immer mehr als der „Staat der Opfer“, ist heute ein selbstbewusstes Land und eine starke Wissenschaftsnation – das sich, wie in den Kreisen westlicher Staaten üblich, eine eigene Klasse von Hofnarren leistet.
Carps Kritik am Westen dürfte von wenigen Menschen in den Slums von Lagos, den Flüchtlingslagern im Irak und in den von Assad zerbombten Städten geteilt werden, aber dies einzusehen wäre von Carp und den Ihrigen intellektuell zu viel verlangt, denn im Gegensatz zum mittelalterlichen Hofnarr sind sie nicht einmal in der Lage, ihre Rolle und Funktion in dieser Gesellschaft zu erkennen. Die sollte sich allerdings fragen, warum sie sich Hofnarren leistet, die weder unterhaltsam noch klug sind.
Großartig, mehr ist dazu nicht zu sagen.
Natürlich, heftige Kapitalismuskritik und Ökologie !
Selbst geht es der Dame im niedergehenden
Kapitalismus wohl aber glänzend : Bestbezahltes
Schaffen im höchstsubventionierten Kulturbetrieb,
eventuell Dienstwagen mit Chauffeur als grosse
Chefin der Ruhrtriennemale, garantiert dauernd im Flieger im Dienste der Kultur und auch gerne privat,
ihre Urlaubsreisen wären in Zusammenhang mit
Ökologie sicher auch interessant, ebenso wie ihr
Immo-Portfolio. Fazit : T y p i s c he pseudolinke
Heuchlerin der Chi-Chi-Chanel-Kultur-Schickeria mit einem Gläschen Dom Perignon in der einen,
und Gucci-Handtäschchen in der anderen Hand.
Und natürlich e n d l i c h den bösen Kapitalismus
überwinden ! Viel Erfolg, Frau Carp ! Ein schicker
Mao-Anzug von Dolce&Gabbana würde Ihnen
sicher auch klasse stehen !
Arnold Schölzel war ganz, ganz eifriger Stasi
Spitzel. Passt genau.
So viel Recherchearbeit steckt hier drin, da bin ich ganz begeistert. Danke!
"Hofnarren, die sich eine erfolgreiche, kapitalistischen Demokratie gönnt, weil es sich so fein gruselt wenn sie dem Publikum die Leviten lesen. Ernst nimmt sie niemand"
Es muss Matthias Hartmann, seines Zeichens Intendant des Bochumer Schauspielhauses 2000 bis 2005, gewesen sein, der in einem Interview sagte, er wolle "Theater für ganz normale Leute" machen. Was – oder besser gesagt wen – er darunter verstand, lieferte er im selben Atemzug nach: Eine Ingenieursfamilie.
Ich musste schon immer vor Entzückung in die Hände klatschen, wenn ich sah, wie in obigem Theater das Hobby der Besserverdiener (hoch)subventioniert wurde. Da konnte man – und kann vermutlich noch immer – Ärzte, Rechtsanwälte und besagte Ingenieure bestaunen, wie sie gut gekleidet für 2 1/2 Stunden Kapitalismuskritiker spielten. Welch Wohlfühlatmosphäre es doch ergibt, wenn sich Akademiker an ihrer Eitelkeit erfreuen. Was uns zur Annahme führt, dass hier Hofnarren auf Narren treffen.
Besonders gut hat mir der Gedanke der wohl bezahlten "Hofnarren" gefallen, "die sich eine erfolgreiche, kapitalistischen Demokratie gönnt." Da gäbe es noch so viele andere Theaterleute, Genderprofessorinen, ARD-Kulturredakteure, Gutmenschen-Stiftungen und und und …
Außer ihnen selbst hört ihnen niemand zu, aber der Blick auf den Gehaltscheck und das Bewußtsein, auf der richtigen Seite zu stehen, können da überaus beruhigend sein …
Die linke Kultur-Schickeria hat schon immer davon gelebt, dass sie sich als "Kämpfer" für genau das nur in ihrer Einbildung existierende "Proletariat" gerierte, mit dessen Widerspruch gegen diese Einvernahme sie niemals rechnen musste. Selbst wenn es diese Klientel auch nur in nennenswerter Zahl gegeben hat, in die Tempel dieser Hohepriester des Klassenkampfes von oben hätten die sich nie verirrt, die lagen in Mallorca am Strand oder standen im Stadion oder selbst aufm Platz.
[…] Den Kampf gegen Klein führt ein Milieu, das vom Wegschauen profitierte […]
@ Ein Lipper Das Proletariat hierzulande gab`s schon, aber es hat halt seit um 1950 nix mehr mit den Murxisten-Leninisten am Hut gehabt, außer vielleicht in Gladbeck und Bottrop, wenn ich das recht erinnere, wo die DKP in den 70ern und wohl auch noch in den 80ern, die über 5%, aber unter 10% liegenden Kommunalwahlergebnisse derartig abgefeiert hat, dass ängstliche Gemüter glauben mussten, die Weltrevolution lauere hinter der nächsten Ecke.
[…] Den Kampf gegen Klein führt ein Milieu, das vom Wegschauen profitierte […]