„Denkmäler reden lange und laut“: Jahn in der Stadt

Stadtbahn unterm Rathaus Bochum: Carl Arnold Kortum by Heinz Schroeteler 1984 | Foto Clic CC 4.0

Im Stadtwappen ein Buch, im Stadtpark ein Buchverbrenner: Was anstellen mit einem Denkmal, das den verehrt, der das Bücherverbrennen ins politische Repertoire gehoben hat. Ein Fall fürs Marketing? Letzter Teil der Frage mit ein paar Antworten aus Bochum.

Seit 1381, es gab noch keinen Buchdruck, führt Bochum ein Buch im Wappen, warum, weiß niemand zu sagen, vermutlich ein Hörfehler. Ein halbes Jahrtausend später wird ein Stadtpark angelegt und, es ist das Jahr 1883, ein Denkmal darin errichtet. Laut artibeau ist es „das älteste erhaltene Denkmal für eine berühmte Persönlichkeit in Bochum“, es erinnert an Friedrich Ludwig Jahn, den Buchverbrenner. Als würde Berlin, den Bären im Wappen, vorm Bärentöter knien.

Es dauert 50 Jahre, bis tatsächlich Bücher in Bochum brennen. Nicht am 10. Mai 1933 wie in den Hochschulstädten des Reiches, sondern bereits im März und dann noch einmal im Juni 33. Nicht von Studierenden entzündet, sondern von allen möglichen jungen Leuten, sie erklären:

„Wir deutsche Jugend der nationalsozialistischen Revolution bekunden an diesem Abend unseren festen Willen, allen undeutschen und volksfremden Geist auszurotten.“

Was dann reichsweit besehen nicht weniger, sondern mehr Kultur bedeutet, deutlich mehr: Die Zahl der Verlage, nachzulesen bei Jan-Pieter Barbian, steigt von 2500 auf 3500, in der Warenstatistik klettert das Buch auf Rang drei direkt hinter Steinkohle und Weizen, der Bilanzüberschuss im Außenhandel liegt bei rund 3:1.

„Feuerzangenbowle“ toppt „Volk ohne Raum“

Und dabei handelt es sich nicht nur um Kriegskrams und NS-Literatur, Tobias Schneider hat die Bestseller-Liste aller zwischen 1933 – 1944 verkauften Romane ab einer Auflage von 300 Tsd einschließlich Blut-und-Boden-Literatur erstellt, Ergebnis:

„die genuin nationalsozialistischen Romane (10/40) machen ein Viertel, die nicht-nationalsozialistischen, unpolitischen Unterhaltungsromane (30/40) drei Viertel dieser Bestseller-Liste aus“.

„Feuerzangenbowle“ (565 Tsd) toppt „Volk ohne Raum“ (330 Tsd). Neue Vermarktungsformen entstehen, vor allem  –  siehe „Feuerzangenbowle“  –  „das Zusammenspiel von Film und Buch wurde immer weiter professionalisiert“, berichtet Christian Adam, und es kommt jetzt zur

„vermutlich ersten Buchbesprechung weltweit. Ausgewählt wurde ein für die Zeit ‚politisch hoch bedeutsames Werk‘ über die ‚Judenviertel Europas‘.“

Vorgestellt wird dieses Werk so wie alle anderen bis heute: Präsentation des Covers, Gespräch mit einer Koryphäe, das Ganze von Einspielern unterbrochen, Szenen aus Ghettos gibt es inzwischen genug. Aus dem „Tag des Buches“ wird jetzt eine „Woche des deutschen Buches“, 1937 wird deren Abschlusskundgebung nach Essen vergeben, weil, so Goebbels, Weimar für „das Buch“ stehe und Essen für „das Schwert“, beide „bedingen sich einander“.

Gleichzeitig werden nicht-deutsche Autoren mit nicht-deutschen Stoffen aus nicht-deutschen Sprachen übersetzt, damit sie bekannt werden im sehr deutschen Reich: William Faulkner, Thomas Wolfe, George Berhard Shaw, John Steinbeck, Margaret Mitchell,  Edgar Wallace, Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, Herman Melville, Joseph Conrad, Antoine de Saint-Exupéry …

Überall neue Gleichzeitigkeiten, die entstehen, weil sich der totalitäre Staat mit zahllosen NS-Organisationen in die Ritzen des Alltags hinein organisiert. Hans Dieter Schäfer hat das alltägliche Bewusstsein im NS als „das gespaltene Bewusstsein“ beschrieben, völkisch und divers zugleich. Genauso wie 1945, auch da keine Stunde Null, wieder läuft Kultur durch und die Wirklichkeit an ihr vorbei. Im literarischen Bestseller-Segment lässt sich, so Christian Adam,

„von einem breiten Strom sprechen, der (…) aus den zwanziger Jahren kommend in die fünfziger weiterfloss und das Feld der populären Literatur in Gesamtdeutschland über mehrere Jahrzehnte beherrschte  –  ungeachtet aller politischen Zäsuren“.

 „Eine Jahnsche Philosophie gibt es nicht“

In diesem breiten Strom wird auch der Buchverbrenner mitgeführt. Während die Alliierten in Jahns Vorstellungen von „Volksthum“ NS-Gedankengut erkennen, stellt sich der Deutsche Turner-Bund bei seiner Neu-Gründung 1950 den Persil-Schein aus:

„Eine Jahnsche Philosophie gibt es nicht und hat es nie gegeben. Wo auf Jahn zurückgegriffen wird, ehrt man in ihm den Begründer des deutschen Turnens, den ‚Turnvater Jahn’.“

Bis heute windet man sich im Turner-Bund durchaus gymnastisch und legt Wert darauf, dass Jahn den Gleichheitsgedanken unters Volk gebracht habe, schließlich hätten Arbeiter wie Adelige dieselbe Turnübung verrichtet und alle hätten sich dabei geduzt. Was richtig ist, nur waren es die Nazis, die Jahns Gleichheitsideal ins wirkliche Leben hinein gepaukt haben: In „Hitlers Volksstaat“ wurde nicht nur gemeinsam geturnt, sondern konnte, schreibt Götz Aly,

erstmals in der deutschen Geschichte ein Offizier ein Mädchen aus einer Arbeiterfamilie heiraten“.

„Ariernachweis“ vorausgesetzt, im NS-Gleichheitsstaat tauchen Juden nicht mehr auf  –  so wenig wie in dem idealen Staat, den Jahn in seinem „Deutsches Volksthum“ 1810 entworfen hat. Zurück zu Jahn?

Überall führen Jahn-Straßen irgendwohin und an Denkmälern vorbei, die sein Denken anempfehlen, soll man es stürzen? Deuten? Adaptieren? Beispiele aus der Stadt, die das Buch im Wappen hat und den Buchverbrenner im Park:

_  1969 wird in Bochum ein Buch verlegt, Titel: „Zurück zu Jahn?“, verfasst hat es Horst Ueberhorst, in Bochum geboren, jetzt Sporthistoriker an der RUB, er entfaltet die „Persönlichkeit“ von Friedrich Jahn  –  „Grobschlächtigkeit, Halbbildung und Geltungssucht“  –  und erschließt von hier aus den Zugang zu seiner Gedankenwelt: Die Nazis, so Ueberhorst, hätten „Jahns Begriff der ‚Volksseele‘ mit dem der ‚Rassenseele‘ ebenso gleichsetzen (können) wie den von ‚Volkstum‘ und Rasse.“   –  Das ist scharf formuliert, „Volk und Rasse“ heißt das fürs Nazi-Denken zentrale Kapitel in Hitlers „Mein Kampf“. Ueberhorst lässt Jahn seinen Sockel, aber er nimmt ihm jeden Glorienschein.

Bochums OB Heinz Eikelbeck verbrennt Schultheiß-Urkunde 31.12.1979 | Bildarchiv Stadt Bochum

_  1979, Heinz Eikelbeck, Bochumer Oberbürgermeister, ruft am letzten Tag des Jahres zur öffentlichen Kundgebung auf den Rathausplatz, gegenüber liegt die Schlegel-Brauerei, Schlegel ist ein anderes Wort für Bochum. Vor ein paar Jahren hat die Union-Schultheiss-Brauerei mit Sitz in Dortmund und Berlin den Betrieb in Bochum übernommen, hat Eikelbeck zum „Ritter des reinen Bieres“ geschlagen, ihm eine Urkunde ausgehändigt und dazu das Versprechen, den Standort zu erhalten. Im Dezember 1979 die spröde Mitteilung, man werde Schlegel schließen. Eikelbeck hält seine Ritter-Urkunde in der Hand, ein Mitarbeiter den Benzinkanister, dann das Streichholz …  –   Hat Stil. Eikelbeck demonstriert, was Wortbruch bedeutet, ein altmodisches Wort, er demonstriert es altmodisch. Hätten sie ihm einen Säbel verliehen, hätte er den zerbrochen.

_  Vier Jahre später, im Bochumer Stadtpark stehen nahe bei Jahn zwei monströse Soldaten-Figuren, 1935 erigiert, 1983 von Unbekannten „gefällt“. Heute liegen sie im Stadtarchiv, am leeren Podest im Park ein Schild: „Nie wieder Krieg und Faschismus“.  –  Hat Stil, weil die beiden Figuren auch heute bäuchlings im Stadtarchiv liegen. Gefällte Martialität hält länger als ein Niewiederspruch.

_ Ein Jahr darauf, der Buchverbrenner ungefällt im Stadtpark, im Stadtzentrum jetzt ein Buchleser: Carl Arnold Kortum (1745 – 1824), Schriftsteller und Zeitgenosse von Friedrich Jahn. Der Künstler Heinz Schroeteler hat die U-Bahn-Station am Rathaus mit Skulpturen und Reliefs gestaltet, gutgelaunt sitzt Kortum in einem Erker und liest. Untertage, auf Augenhöhe.

Freie Stadtmarke

_  Neues Jahrtausend, Bochum will sich in einer neuen Stadtmarke erkennen, es kommt zu einem „Markenbildungsprozess“, Ergebnis: Zurück zum Buch, anders als im Wappen ist es jetzt aufgeschlagen. Bücher lassen sich fortschreiben statt verbrennen, unter diese Dachmarke ließe sich auch ein Buchverbrenner stellen, alles eine Frage mutigen Marketings …

Nur würde es damit vollends kompliziert. „Volkstümliche Denkmäler“, schrieb der Marketingexperte Jahn in seinem „Deutsches Volksthum“, man liest es heute, als habe er sich selbst gemeint, wie er aufgesockelt im Stadtpark steht,

„volkstümliche Denkmäler reden lange und laut; gegen ihre Sprache gibt es nur ein Mittel  –  Vertilgung.“

Sollte Jahn es am Ende selber sein, der sich, grobschlächtig, halbgebildet, geltungssüchtig, seinen Sockelplatz versichert hat? Weil, wer ihn stürzt, ihn bestätigt, und wer ihn stehen lässt, ihm souffliert? Ignorance is strength?

Eigenartiger Turn-Around.

_ _ _

Hier Teil (I) über Jahn und das Wartburgfest 1817: “Juden verachten, Bücher verbrennen: Warum wird Friedrich Jahn verehrt?” … und Teil (II) über Jahn und die Bücherverbrennung 1933: „’Jahn-Geist ist Hitler-Geist’: Was tun mit Jahn, dem Turn-Idol?”

 

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