DEPICTED – eine Mischung aus Fotobuch und Fanzine

Ein Mann mit vielen Talenten: Thomas Huntke aus Berlin

Thomas Huntke lebt in Berlin und er hat gleich mehrere Begabungen: er ist Freiland-Biologe, Fotograf und Autor. Mit seinen foto-journalistischen Arbeiten hat er gerade einen hochwertigen Fotoband hergestellt. DEPICTED heisst sein Baby – und umfasst 122 Seiten mit 87 ganzseitigen Fotos in Schwarzweiß und Farbe. Für das Magazin hat er Musiker wie Justin Sullivan von New Model Army, sowie viele Underground-Künstler wie die Bands (Dolch), Wolvennest, Indian Nightmare oder Necros Christos porträtiert.

Hallo Thomas, dein DEPICTED Magazin ist eine Mischung aus Journal und Fanzine. Siehst du das auch so?
Ich würde sagen DEPICTED ist eine Mischung aus einem Portrait-Fotobuch und einem Fanzine. Der Interview-Part ist ganz klar Fanzine, bei den Fotos war es mir wichtig, sie ganzseitig abzudrucken, wie in einem Fotografie-Bildband.

Du selber bist Fotograf, Autor und Musikjournalist (u. a. für Deaf Forever) – was hat dich dazu gebracht dein eigenes Magazin zu veröffentlichen?
Die Motivation dazu kam eher von der Fotografenseite. Jeder Fotograf träumt davon sein eigenes Magazin oder einen Bildband zu veröffentlichen. Das hatte ich auch schon immer auf meiner bucket list. Mir fehlte bisher nur eine zündende Idee, ein überzeugendes Konzept für so eine Veröffentlichung. Einfach nur ein Best-of meiner Fotos abzudrucken finde ich ziemlich sinnlos und das würde auch von der Finanzierung her nicht funktionieren. Dann, eines morgens nach einer durchzechten Nacht, wachte ich auf einem Sofa in Köln auf und hatte plötzlich die Idee, meine Portraitfotografie und den Musikjournalismus zu kombinieren. Innerhalb von wenigen Minuten habe ich mir das komplette Konzept für DEPICTED ausgedacht und schon zwei Wochen später hatte ich das erste Shooting mit César von INDIAN NIGHTMARE.

Ausgesuchte Stories und viele hochwertige Fotos liefert DEPICTED

Gab es für dich eine Initialzündung, dass du Musikjournalist und Fotograf werden wolltest?
Ich habe mir schon als Kind die Kamera von meinem Vater geschnappt und damit die Blumen auf meiner Fensterbank fotografiert. Seitdem fotografiere ich eigentlich ohne Pause. Diese Leidenschaft steckt einfach in mir drin, dazu brauchte es keiner besonderen Initialzündung. Beim Journalisten war es etwas anders. Es hat mir zwar auch schon immer Spaß gemacht zu schreiben, aber ich hatte nie besondere Ambitionen, Journalist zu werden. Das ergab sich zwangsläufig dadurch, dass ich meine Laufbahn als Konzertfotograf bei einem Online-Magazin (www.musikinstinkt.de) begonnen habe. Da habe ich fotografiert und musste dann auch immer einen kleinen Konzertbericht dazu schreiben, weil wir in Berlin keine Schreiber hatten. Als ich dann zum Deaf Forever kam, habe ich anfangs auch nur fotografiert. Dann habe ich ein paar Interviews gemacht und bin so auch ins Redaktionsteam gerutscht.

Wenn es einen roten Faden gibt, dann der dass alle abgebildeten Musiker in schwarz-weiß fotografiert worden sind und alle Texte/Interviews dazu in englischer Sprache sind – warum hast du das so gewählt?
Für mich hat Schwarzweiß bei Portraits eine stärkere Wirkung. Nicht immer, aber doch meistens. Das liegt daran, dass durch die Reduzierung auf Licht und Schatten eine starke Fokussierung auf die Kontouren und die Augen bewirkt wird. Farben hingegen lenken eher ab, weil sie den Blick des Betrachters auf den Hintergrund oder das Make-Up lenken. Daher finde ich, dass Schwarzweiß besser geeignet ist, den Charakter und die Stimmung der portraitierten Person abzubilden. In meiner Portraitfotografie mache ich ca. 80 % Schwarzweißfotos und 20 % Farbbilder. Bei der Bildbearbeitung schaue ich mir meist beide Versionen an und entscheide mich dann für den Stil, der besser wirkt. Das ist eine intuitive Entscheidung, aus dem Bauch heraus. Die englische Sprache habe ich gewählt, weil ich DEPICTED nicht auf deutschsprachige Leser limitieren möchte. Schließlich habe ich internationale Künstler im Magazin und deren Fans sollen auch die Möglichkeit haben, meine Interviews zu lesen. Außerdem, wenn ich mich schon alleine in meinem Freundeskreis und der Metalszene in Berlin umschaue, ist der Anteil an Expats ziemlich hoch. Ich möchte einfach jedem die Möglichkeit geben, DEPICTED zu lesen.

In deinem bürgerlichen Beruf arbeitest du als Diplom-Biologe – wie sehr unterscheidet sich dein Hauptberuf von deinem Neben-Job als Fotograf und Musikautor unterwegs zu sein?
Das ist eigentlich nicht so verschieden, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ich bin Freiland-Biologe und arbeite im Naturschutz in einem Gutachterbüro. Wir haben Projekte in ganz Deutschland, so dass ich von Frühjahr bis Herbst ständig durch die Gegend toure und an verschiedenen Orten Kartierungen von geschützten Biotopen und gefährdeten Pflanzen durchführe. Das lässt sich dann auch ganz gut mit den Festivals und Konzerten verbinden. Außerdem schaue ich mich vor Ort auch immer in der lokalen Modelszene um und habe so schon einige sehr gute spontane Shootings on the road gemacht.

Justin Sullivan von New Model Army / Credit: Thomas Huntke

In DEPICTED hast du in erster Linie Musiker aus dem Wave- und Metal-Bereich gefeatured, wie zum Beispiel Justin Sullivan von New Model Army, Toni von (Dolch) oder Shazzula von Wolvennest. Würde dich auch mal eine Persönlichkeit aus dem musikalischen Mainstream reizen?
Grundsätzlich würde ich mich nicht limitieren, was meine Künstlerauswahl für DEPICTED angeht. Es gibt zwei essentielle Kriterien für ein Feature. Zunächst mal muss ich den Menschen fotografisch interessant finden, das ist die Grundvoraussetzung. Dann muss ich auch das Gefühl haben, dass ich mit der Person ein interessantes Gespräch führen kann.
Wen ich mir für DEPICTED vorstellen könnte, wären zum Beispiel Sophie Hunger oder Farin Urlaub. Die finde ich musikalisch überragend und auch sehr interessante Persönlichkeiten. Aber auch wenn sie in Verkaufszahlen gesehen sehr erfolgreich sind, würde ich sie nach meinem Verständnis nicht unbedingt unter Mainstream einordnen. Da sehe ich eher Leute wie Mark Foster oder Helene Fischer, die sehr marktorientierte Musik produzieren und in meinen Augen kaum aus künstlerischer Motivation heraus kreativ sind. Das reizt mich dann null.

Du hast schon viele Bands und Musiker fotografiert und viele auch schon persönlich gesprochen. Hat dich bei deinen Treffen auch ein Musiker schon mal enttäuscht?
Ich muss sagen, dass meine Sessions für DEPICTED allesamt positiv waren. Alle Künstler waren super nett und haben mich mit meiner Idee voll unterstützt. Besonderen Bammel hatte ich in der Hinsicht bei Justin Sullivan, da ich seit vielen Jahren Fan der Band bin und vor der Begegnung mit ihm durchaus Angst hatte, dass mein sehr positives Bild von ihm von der Realität eingeholt wird. Aber das Gegenteil war der Fall, er entsprach zu 100 % dem Menschen, den ich von der Bühne und von seinen Texten her kannte und er war darüber hinaus auch noch super nett zu mir und war auch gegenüber kritischen Fragen oder Gegenargumenten von mir total offen. Da war ich hinterher ganz schön erleichtert, denn man hört ja immer mal wieder Geschichten von Leuten aus der Musikszene, denen der Erfolg charakterlich nicht so gut getan hat. Ansonsten kann ich auch auch wenig negatives berichten. Es ist ja auch so, dass wenn ich als Konzertfotograf im Fotograben stehe, ich nicht unbedingt auch privaten Kontakt zu den Musikern bekomme. Die Leute haben da oft die falschen Vorstellungen, denn der Fotopass gibt mir tatsächlich nur Zugang zum Fotograben, aber Backstage komme ich damit in der Regel nicht. Als Redakteur hat man da schon mehr Möglichkeiten, vor allem wenn man mit Kollegen unterwegs ist, die schon lange im Geschäft sind und dadurch viele persönliche Kontakte zu Musikern haben, was viele Türen öffnet. Aber auch in dem Kontext ist mir persönlich noch niemand dumm gekommen, da habe ich bis jetzt Glück gehabt. Dennoch hört man natürlich viele Geschichten und ist manchmal auch unmittelbar vor Ort, wenn solche Dinge passieren. Dann ist man natürlich auch ziemlich enttäuscht, wenn sich Idole aus der Jugend eher unsympathisch verhalten. Aber wie gesagt, ich habe das nie selbst erlebt und möchte deshalb hier auch keine Namen nennen.

Evelyn Frantic / Credit: Thomas Huntke

Musik ist für viele Menschen eine lebenslange Leidenschaft. Warum fängt man mit Ende 30/Anfang 40 dann doch nicht an sich für die Oper und Klavierkonzerte zu interessieren, warum bleibt man bei Slayer, Tool & Co. kleben?
Gute Frage. Oper hat mich nie interessiert, Klavierkonzerte finde ich zu eindimensional. Wahrscheinlich brauche ich einfach diese Bandkonstellation, wo mehrere Instrumente zusammenkommen und einen Vielklang erzeugen. Das muss nicht unbedingt Metal sein. Ich kann auch mit Alternative, Punk und Folk etwas anfangen. Natürlich kommt beim Metal auch noch dieses ganze Szeneding dazu. Das ist schon so etwas wie eine kleine Heimat, in die man zurückkommt, wenn man auf Konzerte und Festivals geht. Zumindest hier in Berlin ist das so, und auf den Underground-Festivals wie dem Chaos Descends, dem Hell Over Hammaburg oder dem Wolf City Fest. Je länger man dabei ist, desto mehr Leute kennt man und bei den meisten freut man sich auch, sie wieder zu sehen. Ein anderer Aspekt ist noch die Altersstruktur in der Metalszene. Hier findet man wirklich eine gute Mischung aus alt und jung und als Älterer wird man auch respektiert, weil man Dinge erlebt hat, welche die jüngeren Leute nur von YouTube kennen. Wenn ich mir hingegen Freunde anschaue, die bei der Popmusik hängen geblieben sind – wenn die mit Ü40 noch in einen Club gehen, dann sind sie dort ziemlich allein auf weiter Flur und haben sicherlich nicht mehr das Gefühl, dazu zu gehören. Da bin ich schon ganz froh, beim Metal gelandet zu sein.

Bands wie Metallica oder Motörhead kennt man weltweit – sowohl in der Mongolei, auf Haiti, in der Ukraine oder auf Grönland. Warum ist mit harter Rockmusik eine derartig große Strahlkraft verbunden?
Das ist einerseits das Gefühl einer Szene die zusammenhält, die einem weltweit Türen öffnet und mit Leuten ins Gespräch kommen lässt. Natürlich hat sich diese Szene leider inzwischen schon sehr weit aufgefächert in viele Teilszenen, die untereinander nicht mehr so viele Berührungspunkte haben. Letzte Woche kam ich zum Beispiel an einem Auto vorbei, das hatte Nightwish als Heckscheibenaufkleber und auf der Ablage lag ein Wacken-Schal. Wahrscheinlich habe ich mit den Leuten keine große Überschneidung mehr im Musikgeschmack. Trotzdem, wenn ich am Ende der Welt in eine Kneipe käme und sie dort an einem Tisch säßen, könnte ich mich dazu setzen und man würde locker ins Gespräch kommen. Das ist es, was ich mit Türöffner meine. Metal ist ja auch so ein Ding, über das man stundenlang abnerden kann. Inzwischen gibt es ja tausende bekannter Bands und noch mehr gute Alben, dass man wirklich endlos Gespräche alleine darüber führen kann. Letztlich steht über allem natürlich der musikalische Faktor. Dass die Musik wirklich gut ist zeigt ja nicht nur die große Zahl der Fans, es lässt sich ja auch an nüchternen Zahlen wie den Chartplatzierungen und den Besucherzahlen belegen.

Gibt es für dich Geschmacksgrenzen? Würdest du etwa einen Musiker nicht porträtieren wollen wenn sein Auftreten gegen allgemeine Geschmacksgrenzen/political Correctness verstößt?
Ganz klar: ja. Wobei für die Geschmacksgrenzen oder die politischen Kriterien alleine meine eigenen, ganz persönlichen Grenzen der Maßstab sind. Ich habe da allerdings relativ hohe ethische Standards, insofern wird das nicht grundsätzlich von „allgemeinen“ Geschmacksgrenzen, falls es überhaupt so etwas gibt, abweichen. Grundsätzlich habe ich kein Interesse, intolerante und/oder gewaltbereite Menschen zu porträtieren, egal aus welchem politischen Lager sie kommen. Was Geschmacksgrenzen abseits der politischen Ebene angeht, bin ich der Meinung, dass es Kunst erlaubt sein muss, Extreme auszuloten und den Finger dorthin zu zeigen, wo andere sich mit Grausen abwenden. Kunst muss konfrontieren, ansonsten ist sie gefällig und rutscht ins Beliebige ab. Insofern kann ich auf dieser Ebene relativ viel tolerieren, während bei der Frage der political correctness bei mir schnell die Klappe fällt. Dieser Begriff wird heutzutage leider von Vielen auch komplett falsch verstanden. Der Grundgedanke von pc war mal Toleranz, die Menschen so zu akzeptieren wie sie sind und sich nicht über Minderheiten zu erheben. Heute fassen viele Leute political correctness so auf, als wären es Verhaltensregeln, die einem von oben aufgedrückt werden und denen man Folgen muss oder man wird von bestimmten Kreisen geächtet. Aus diesem Missverständnis entsteht dann Widerstand und so kippt der Begriff aus einem fehlgeleiteten Rebellionsimpuls heraus in eine völlig falsche Bedeutungsebene. Deshalb vermeide ich diese Formulierung inzwischen und spreche lieber von meinen eigenen ethischen Grundsätzen, die natürlich bei der Auswahl der Künstler für DEPICTED eine große Rolle spielen.

Malte von Necros Christos / Credit: Thomas Huntke

Glaubst du, dass in der kommenden Heavy Metal-Generation, noch mal eine Band so groß und populär werden kann wie Iron Maiden oder Judas Priest?
Ich denke das ist heute schwieriger als damals, aber nicht unmöglich. Vielleicht muss man heutzutage bei Erfolg in größeren Zeiträumen denken. Das hat sicherlich primär mit dem Internet zu tun, welches die Plattenverkäufe stark dezimiert hat und die Musik allgemein verfügbar gemacht hat. Früher brauchte man mindestens ein Tape-Demo und eine Rezension in einer Zeitschrift, um eine größere Reichweite zu erzielen. Heute kann jeder am heimischen PC sein eigenes Album produzieren und bei Bandcamp oder Soundcloud hochladen. Das führt zu einer unübersehbaren Schwemme an Veröffentlichungen, die sich gegenseitig das Brot vom Teller nehmen. Trotzdem gibt es Erfolgsgeschichten. Wenn man sich jüngere Bands wie Volbeat, Amon Amarth oder Ghost anschaut, dann sind das schon ziemlich steile Karrieren. Allerdings haben diese Bands sicherlich nicht mehr den breiten Respekt der Szene, wie es Maiden oder Priest immer noch haben. Ob eine der kommenden Bands neben dem kommerziellen Erfolg auch diese breite Strahlkraft auf die gesamte Szene haben wird? Das weiß nur der Wind.

Wie weit ist deine Planung für eine DEPICTED Ausgabe Nummer 2?
Ich habe schon eine Liste an Künstlern für die nächste Ausgabe. Teilweise sind das auch Leute, bei denen es aus organisatorischen Gründen nicht für die erste Ausgabe geklappt hat; darüber hinaus habe ich aber auch ständig neue Ideen. Natürlich werde auch ich momentan durch die Coronakrise extrem ausgebremst. Ich kann wegen der Kontaktbeschränkungen nicht shooten und normalerweise wären bis jetzt schon einige vielversprechende Touren durch Berlin gegangen, die ich für DEPICTED ins Auge gefasst hätte. Ursprünglich wollte ich auf dem Roadburn-Festival in Holland mit der Arbeit an Ausgabe 2 beginnen, dort hatte ich eine ganze Reihe von Künstlern auf der Liste. Aber das sollte nicht sein und so wie es aussieht wird es mindestens bis zum Herbst dauern, bis wieder Bands auf Tour kommen. Trotzdem werde ich jede Gelegenheit nutzen, an dem Heft weiterzuarbeiten. Aufgeben kommt für mich nicht in Frage.

DEPICTED kann übrigens HIER bestellt werden. Weitere Infos zu Thomas Huntke finden sich unter www.huntke.de

 

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