Ein Stadtverband der CDU in Sachsen übt sich in peinlichem Geschichtsrevisionismus. Die Landespartei schweigt dazu.
Es war ein Schlussstrich unter 12 Jahre Terror und Schrecken. Das Ende des 2. Weltkrieges in Europa. Und des schrecklichsten Verbrechens, das Menschen anderen Menschen angetan haben: des Holocausts. Am 8. Mai 1945 kapitulierte Nazi-Deutschland bedingungslos. Alle demokratischen Parteien stimmen darin überein, was der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) 40 Jahre später wie folgt formulierte:
„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Alle demokratischen Parteien? Nein, leider nicht ganz. Ein sächsischer Stadtverband der CDU stellt auf seiner Homepage unmissverständlich klar: „Kein Tag der Befreiung.“ Wer glaubt, dies sei nur eine unglücklich gewählte Überschrift von Pressesprecher Mirko Krawczyk, der wird im Folgenden eines besseren belehrt. Es wird gemeint, was getitelt wird. Denn der 8. Mai sei „für die meisten Menschen in Ost- und Mitteldeutschland kein Tag der Befreiung, kein Tag der Freude oder der Zuversicht“ gewesen.
Im Folgenden findet sich eine Darstellung des Leides der deutschen Flüchtlinge aus den Ostgebieten und die These, dass in „der sowjetischen Besatzungszone (…) die nationalsozialistische Diktatur nahtlos abgelöst (wurde) durch die Tyrannei unter den roten Stern.“ Nach weiteren Ausführungen dazu wird dann noch gedacht. Und zwar der Opfer des Krieges. Zumindest teilweise. Denn gedacht wird da
„all der Coswiger, die als Soldaten oder Zivilisten ihr Leben verloren in diesem sinnlosen Weltkrieg. Unsere Gedanken sind auch bei denen, die nach dem Krieg in Coswig eine neue Heimat fanden, da sie aus ihrer alten vertrieben wurden. Und wir gedenken derer, die entweder im Widerstand gegen die rote Diktatur oder auf der Flucht vor ihr den Tod fanden.“
Leider kein Gedenken an die ermordeten Opfer des Nationalsozialismus, an die Millionen Menschen jüdischen Glaubens, kein Wort zu Sinthi, Roma, Homosexuellen, Soldaten und Zivilisten der überfallenen und geplünderten Länder. Es riecht nach üblem Revanchismus, nach Relativismus, nach Geschichtskittung. Ein Duktus der Geschichtsschreibung wie man ihn allenfalls von der NPD in Reinform noch gewohnt ist, selbst manche Vertriebenenvereinigung schlägt da mittlerweile differenzierte Töne an.
Was sagen die Partei-Oberen dazu? Eine 5-Punkte-Anfrage wurde heute morgen der CDU Sachsen übersandt. Die Pressesprecherin versprach dazu: „ich werde mich im Lauf des Nachmittags bei Ihnen dazu melden.“ Trotz Nachfrage blieb es jedoch stumm auf diesem Kanal. Schade. Hätte man doch mit klaren Worten einen braunen Nachgeschmack ausräumen können.
Um es klar zu sagen: ja, auch deutsche Vertriebene haben Unrecht erlitten. Ja, die DDR war ein Unrechtsregime. Aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der deutschen Geschichte sieht anders aus, als das Pamphlet das die CDU Coswig da veröffentlicht hat.
Oder wie es Richard von Weizsäcker 1985 sagte:
„Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Wir haben wahrlich keinen Grund uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.“
Ich mach es kurz: Sehr schön!
Die sächsische CDU fällt doch seit Jahren durch ein merkwürdiges Rechtsstaatsverständnis immer wieder auf. Das aber die Partei der Blockflöten sich jetzt mit rechtem Geschwafel als Opfer der DDR stilisiert, ist geradezu unverschämt. Wie nannte man diese Gegend früher? Tal der Ahnungslosen.
ja, wir unschuldigen Deutschen, die von allem nichts gewusst haben, wurden endlich befreit von der Belagerung durch die kleinen braunen Nazi-Aliens. *Das* kann das Gerede von der „Befreiung“ nämlich auch meinen, das in den letzten Jahren so populär geworden ist, als großer Konsens zwischen „allen demokratischen Parteien“ und der Linken, bis ins vulgär-antinationale Lager gleich mit. Schade, dass die Betrachtungsweise nicht mal ein wenig an Differenziertheit gewinnt. Umgekehrt wird nämlich auch ein Schuh draus: wer z.B. den 8. Mai feiert, den Sieg der Alliierten, mit Stickern wie „game over krauts“, der feiert nichts anderes als die *Niederlage* Deutschlands, und warum eigentlich auch nicht?
Irgendwie finde ich den Begriff Unrechtsregime für die DDR und die Sowjetunion auch ziemlich verharmlosend. Natürlich kann man das nicht mit dem Grauen des Dritten Reichs vergleichen, aber im Kern hat dieser CDU-Ortsverband schon Recht: wirklich befreit wurde bis 89 nur der Westen. Und wer anderer Meinung ist, der soll mal Foltergefängnissen wie Hohenschönhausen einen Besuch abstatten.
Bitte weiter dranbleiben und nachfragen.
Hier in Sachsen interessiert sich leider niemand weiter dafür …
[…] berichteten wir von relativierenden Ausführungen des CDU Stadtverbandes Coswig in Sachsen zum 8. Mai 1945. Und […]
Wir haben doch hier bei den Ruhrbaronen, wie ich meine in Quantität und Qualität bemerkenswert, über den 8.5.45 als „Tag der bedingunslsosen Kapitulation“ oder/und als „Tag der Befreiung“ diskutiert.
Die Beiträge könnten der CDU in Sachsen helfen, wenn sie ihre Aussagen zum „Tag der Befreiiung“ ‚mal in ihren eigenen Reihen zur Diskussion stellt, was angebracht wäre -aber nicht nur in der CDU Sachsen!!
Ich habe mir lange überlegt, ob ich einen Kommentar unter diesem Beitrag zum 8. Mai setzen soll, oder nicht, zumal wir seit dem 8. Mai, wie ich finde recht konstruktiv zu diesem Thema diskutiert haben und es vermutlich auch in Zukunft noch einige Male machen werden. Ich zumindest wollte noch Anmerkungen nachliefern, u.a. bezüglich der Weizsäckerrede, auf die ja auch in dem zweiten Beitrag zum 8. Mai von Sebastian Bartoschek explizit hingewiesen wird. Der Bemerkung von Walter (#7), die als Einladung dort mit zu diskutieren verstanden werden möchte, kann ich mich daher nur anschließen.
hier nochmal der Link:
https://www.ruhrbarone.de/8-mai-tag-der-befreiung/
Was mich ein wenig an diesem zweiten Beitrag irritiert, ist das Aufgreifen einer, ich nenne es mal ‚Provinzposse‘ aus dem tiefsten Sachsen, von Journalisten, die eigentlich das Revier bloggen wollen.
Provinzposse deshalb, weil es sich bei Coswig um ein vergleichsweise kleines Städchen an der Elbe handelt, irgendwo zwischen Meißen und Dresden mit etwas über 20.000 Einwohnern. Provinzposse auch deshalb, weil man die bei der Coswiger CDU kritisierten Umstände in vielen anderen Käffern der Republik vergleichbar erleben kann, nicht nur in Sachsen, sondern überall in der deutschen Provinz, im Osten wie im Westen. In jedem Nest stehen Kriegerdenkmäler, an denen sich zu allen möglichen Gedenktagen, die mit militärischen Ereignissen zusammenhängen, so auch dem 8. Mai, die unterschiedlichsten Gruppen versammeln und häufig in den oben zu Recht kritisierten revanchistischen Tönen der gefallenen deutschen Opfer gedenken. Da stehen die Mitglieder der Heimatvereine genauso stramm, wie die Abordnungen der Bundeswehr und häufig auch Vertreter der CDU und trauern alle gemeinsam stolz vor sich hin. Dafür muss man allerdings nicht bis nach Sachsen reisen, denn das gibt es bei uns in Nordrhein-Westfalen und den 52 Käffern im Ruhrgebiet genauso.
Meiner Meinung nach wird in diesem Artikel hier, wie man sprichwörtlich so schön sagt: „eine Sau durchs Dorf gejagt“ was ich bitte schön nur als Parabel verstanden wissen möchte. Anders ausgedrückt: Was machen die Ereignisse aus einem Kaff im hintersten Sachsen, die es auch bei uns vor der Haustüre gibt, so interessant, dass sie hier 500 km weiter auf den Tisch müssen?
Weil das nicht die einzige Frage ist, die ich als regelmäßiger Leser und Kommentator der Ruhrbarone an die Autoren um Sebastian Bartschok hätte, habe ich mir ebenfalls erlaubt, einen Fragebogen an den/die Autoren zu entwerfen, um der Sache ein wenig gehen zu können.
@Sebastian Bartoschek
Was Deine Bewertung des Beitrages der CDU Coswig zum 1. Mai angeht, stimme ich mit Dir überein, dass durch den Pressesprecher Geschichtsrevisionismus betrieben wird, denn die deutsche Verantwortung am zweiten Weltkrieg wird völlig ausgeblendet, während die Deutschen ausschließlich als Opfer stilisiert werden. Auf der Facebookseite des Pressesprechers, die man durch einfaches googeln erreicht, erfährt man unter anderem, wessen Geistes Kind er ist, wenn man sich die Titel seiner drei gelisteten Lieblingsbücher anschaut, unter denen sich auch „In Stahlgewittern“ von Ernst Jünger befindet. Jünger wird gelegentlich unterstellt, ein geistiger Wegbereiter der Nationalsozialisten gewesen zu sein. Auf jeden Fall war er ein erbitterter Gegner der Weimarer Republik mit antisemitischen Tendenzen. Der Kriegsroman „In Stahlgewittern“ zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass der Krieg von Jünger zwar in all seinen Facetten beschrieben, nicht aber auf seine politischen Hintergründe hinterfragt wird. Eine ähnliche Vorgehensweise hinsichtlich der Beurteilung des 8. Mai findet man analog auch bei Mirko Krawczyk. Ihm sind zwar die schrecklichen Folgen der Kapitulation für das deutsche Volk bewusst (und die waren in Ostdeutschland völlig anders als bei uns im Westen, was ich bei einer Beurteilung dieses Pamphlets zu bedenken gebe!), allerdings ist er nicht in der Lage bzw. Willens, den Krieg in den korrekten historisch-politischen Kontext zu setzen.
Dies alles ist es wert hinterfragt zu werden.
Was mich allerdings stutzig macht ist folgendes: Sowohl in dem Artikel oben, als auch in dem Update erwähnst Du zwar, dass Du den Landesverband der CDU Sachsen mittlerweile mehrfach kontaktiert hast, aber nie, dass Du den Stadtverband Coswig direkt auf seine Aussagen auf den 8. Mai angesprochen hast. Für mich wirkt das, als hätte es zwar Nachfragen beim übergeordneten Landesverband, nicht aber beim Verursacher des Textes gegeben, obwohl man den hätte auf demselben Wege erreichen können. Deshalb meine Frage: Kann man davon ausgehen, dass der Stadtverband Coswig von Dir zu der Angelegenheit überhaupt noch nicht gefragt wurde? Und falls ja würde mich interessieren: Warum nicht?
Als zweites hat mir das Zitieren Richard von Weizsäckers zu denken gegeben. Du schreibst in Deinem Text oben folgendes:
„Alle demokratischen Parteien stimmen darin überein, was der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) 40 Jahre später wie folgt formulierte:
„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.““
Für mich ist die Übereinstimmung aller Parteien noch kein Beleg dafür, dass eine Überlegung auch richtig ist. Unter ungünstigsten Umständen würde es mir sogar Sorge bereiten. An der Menschenverachtung der Nationalsozialisten gibt es natürlich nichts zu rütteln, auch nicht daran, dass wir alle froh sein können, dass das nationalsozialistische Gewaltsystem ein Ende hatte. Das heißt aber noch lange nicht, dass für alle Menschen dieser Tag eine Befreiung bedeutet. Jemanden den man hinter Stacheldraht eingesperrt hat, wie Juden, Schwule, Sinti und Roma, kann man befreien. Ein Volk, das unterdrückt und von der Landkarte wegradiert wurde wie die Polen, kann man befreien, Völker, die unter einer Fremdherrschaft leben mussten, wie Franzosen, Niederländer, Belgier usw. konnte man befreien. Aber wie soll man bitte schön ein Volk befreien können, dass sich seine Herrscher selber ausgesucht hat und so gut wie nie den Eindruck erweckte, dass es unterdrückt oder fremdregiert worden sei?
Wenn man nun den Deutschen ebenfalls zu Gute kommen lässt, dass sie befreit worden sind, dann geht das aus der Logik heraus nur, wenn man ihnen zugesteht, Opfer gewesen zu sein und das hat schon fast etwas schizophrenes, weil die Deutschen ja die Täter waren. Und an diesem Punkt sind wir bei Weizsäcker nur haarscharf vom Revisionismus entfernt. Das Wort Opfer hat nämlich eine ganz andere Qualität wenn wir beispielsweise den KZ Häftling mit dem vertriebenen deutschen Junker aus Ostpreußen vergleichen, der bis zum 8. Mai noch kräftig Heil Hitler gerufen hat. Fast alle in Europa lebenden Völker sind durch die Deutschen zum Opfer geworden, während das Deutsche Volk in seine Rolle als Opfer lediglich hinein geschlüpft ist. Meine Frage: Kann man aus diesem Zusammenhang heraus eine Befreiung Deutschlands nicht auch in Frage stellen?
Objektiv betrachtet ist der 8. Mai der Tag, an dem die Wehrmacht ihre bedingungslose Kapitulation erklärte. Ziel von Briten, Amerikanern und Russen war es allerdings nicht, Deutschland zu befreien, sondern zu besiegen. Folglich ist der 8. Mai bei uns in Westdeutschland auch erst einmal großräumig umschifft worden, statt irgendwelche Essenzen aus diesem Stichtag zu ziehen, die es würdig wären, stille zu halten und zu Gedenken.
In Ostdeutschland war das völlig anders. Ich werde mich hüten Naziregime und DDR System in einen Topf zu werfen und zu tun, als wäre es dasselbe. Ich würde allerdings nie auf die Idee kommen, einem „Ossi“ vorschreiben zu wollen, wie er das System in dem er leben musste, emotional einzuordnen hat, zumal ich beide Systeme nie durchleben musste. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass es vom Empfinden her für viele, vermutlich für die meisten Menschen in Ostdeutschland, vom Regen in die Traufe ging, als nach der Herrschaft der Nazis die Herrschaft der Kommunisten folgte.
Kannst Du Sebastian Baroschek, Dir eventuell vorstellen, dass man den 8. Mai als Tag der Befreiung eventuell auch in Frage stellen kann, wenn einige Jahre nach der Kapitulation der Wehrmacht, um dich herum auf einmal eine Mauer und ein hoch gesicherter elektrischer Stacheldrahtzaun errichtet wird, der mit scharfer Munition und scharfen Hunden bewacht wird und Du von Seiten der neuen Diktatoren zu allem Überfluss auch noch dazu gezwungen wirst, Dich befreit zu fühlen und diese aufgezwungene Freude gefälligst am 8. Mai zu feiern hast? ich kann mir das vorstellen.
Eine letzte Frage habe ich noch und dann soll für heute auch erst einmal Schluss sein. Weil mich interessierte, ob der Stadtverband Coswig der einzige CDU Verband ist, der im 8. Mai offiziell keinen Tag der Befreiung sieht, habe ich einfach mal „8. mai, kein tag der befreiung“ durch die Suchmaschinen gejagt und war recht überrascht nicht auf Verweise zu CDU Seiten zu stoßen, sondern auf auf den Verweis zu einer Seite von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und zwar auf die Seite des Kreisverbandes Meissen. Das ist genau der Kreis, in dem auch die CDU Coswig derzeit ein wenig die Geschichte verdreht. Dort gibt es bereits eine Stellungnahme zu den Aussagen der CDU Coswig, zwei Tage vor diesem Artikel verfasst, die inhaltlich so ziemlich dem entspricht, was auch von Dir kritisiert wird.
Was mich interessieren würde ist folgendes: Welches Verhältnis besteht zwischen Dir bzw. dem Autorenkreis im Hintergrund Deines Artikels und dem Kreisverband der Grünen in Meißen, denn durch Zufall stößt man vermutlich nicht als Journalist im Ruhrgebiet auf eine CDU Seite im hintersten Winkel Sachsens und drückt gemeinsam mit den Grünen vor Ort auf ein und dieselbe Tube? Ich frage deshalb, weil ich finde, dass das Problem bei den Politisch verantwortlichen in Meissen wesentlich besser aufgehoben ist, als hier bei den Ruhrbaronen im Ruhrgebiet und scheinbar ist es ja dort schon auf dem Tisch, zumindest bei Anne Kämmerer und Innocent Töpper. Auf mich persönlich wirkt das, was hier gerade bei den Ruhrbaronen mit Updates und Fragebögen hinsichtlich der CDU Coswig aufgetischt wird, wie der Versuch, den Grünen in Meißen eine gehörige Portion Schützehilfe im Wahlkampf gegen die dortige CDU leisten zu wollen und zwar in typischer Wessitradition, frei unter dem Motto: Lass uns mal machen, wir haben da die besseren Geschütze und auch 40 Jahre mehr Erfahrung als ihr.
Bis demnächst, Johannes Fischer.
hier geht es zu „8. Mai – doch kein Tag der Befreiung?“ bei den Grünen in Meissen: https://www.gruene-meissen.de/meldung/artikel/848/der-8-mai-doch-kein-tag-der-befreiung/
Nur kurz (ich muss schauen, ob ich diese Woche Zeit finde, was Längeres zum letzten Posting zu schreiben):
– es bestehen keine Verbindungen zwischen mir und den Grünen, auch nicht denen in Meißen. Ich wurde auf den Artikel aufmerksam durch einen Hinweis von Martin Sonneborn (nein, ich bin auch kein PARTEI-Mitglied) auf Facebook.
– ja, es ist eine Provinzposse in einem kleinen Ort in Sachsen. Die größere Relevanz hat sich für mich daraus ergeben, wenn ein Landesverband einer großen deutschen Partei, hier: CDU, solche Äußerungen unkommentiert bzw. unwidersprochen lassen will.
– ja, wir sind die Ruhrbarone. Und bloggen hauptsächlich zum Ruhrpott und zu NRW. Aber eben nicht nur.
– zur DDR-Thematik: beim 8. Mai 1945 geht es um das Kriegsende und das Ende der Nazi-Tyranei. Nicht um den Beginn der DDR. Das sollte man nicht vermischen, egal wo man wohnt oder sozialisiert wurde.
@Sebastian
Normalerweise würde ich die angekündigte Ergänzungen abwarten, aber weil ich ab Sonntag den ganzen nächsten Monat außer Landes bin und in dieser Zeit erfahrungsgemäß keine Gelegenheit haben werde mich weiter an den Diskussionen hier zu beteiligen, möchte ich jetzt schon auf den Kommentar eingehen:
Zu den ersten drei Punkten.
Eleganter wäre vermutlich gewesen, wenn Du die CDU Coswig direkt angeschrieben und ihr auch als erstes den Link auf Deinen Artikel geschickt hättest, statt Dich gleich an den CDU Landesverband zu wenden. So wirkt das alles ein wenig, als wolle man von oben herab Druck ausüben, was durchaus dazu betragen könnte, auf Deine Kritik, die aus dem Fragebogen ja ersichtlich wird, nicht antworten zu wollen. Vielleicht hätte bei einer etwas anderen Vorgehensweise auch jemand aus der dortigen CDU den Weg hierher zu den Ruhrbaronen gefunden und im Optimalfall eine Diskussion auszulösen. Martin Nievendick hatte das Ende letzten Jahres mal mit einem Artikel zu einem ähnlichen Thema hinbekommen, nachdem Mitglieder der Jungen Union Münster vor der Reichsflagge posierten und diese Fotos ins Internet stellten. Die Diskussion, die wir hier anschließend führten, war aller erste Sahne, auch wenn es dabei hoch her ging, weil sich die Jungs aus Münster von niemandem die Butter vom Brot nehmen lassen wollten. In Zeiten, in denen man sich fast schon daran gewöhnt hat, dass Politiker selbst mit ihren politischen Gegnern nur noch Kuschelkurs können, weil alles irgendwie auf Weichspüler eingestellt ist, kann ein politischer Streit hier bei den Ruhrbaronen richtig erfrischend sein.
Ich erwähne das deshalb, weil ich euch unterstelle, dass ihr die thematische Auseinandersetzung sucht und mir nicht vorstellen kann, dass es einfach nur darum geht der CDU Coswig wegen ihrer grenzwertigen Gedenkrituale einen einzuschenken. Da hat Sonneborn als Provinzpossenprofi ganz andere und mit seiner Satire wahrscheinlich auch die weitaus effektiveren Möglichkeiten.
Zur DDR Thematik wollte ich dann doch noch ein wenig ausführlicher werden. Dazu schreibst Du folgendes:
„beim 8. Mai 1945 geht es um das Kriegsende und das Ende der Nazi-Tyranei. Nicht um den Beginn der DDR. Das sollte man nicht vermischen, egal wo man wohnt oder sozialisiert wurde.“
Wenn wir im Zusammenhang vom 8. Mai von Befreiung reden, dann liegt das „frei sein/ befreit sein“ in der Zeit nach dem 8. Mai, weshalb dieses Datum eben nicht nur auf den Krieg und sein Ende Bezug nimmt, sondern auch auf das, was danach kommt. Aus diesem Grunde teile ich Deine Einschätzung nicht, dass es beim 8. Mai nicht um den Beginn der DDR, sondern ausschließlich um das Kriegsende und die Beendigung der Nazidiktatur geht. Es ging um beides, was ich gleich noch am Bespiel von Straßenumbenennungen hinsichtlich dieses Datums konkretisieren werde.
Ich sehe auch nicht, dass Naziherrschaft und DDR Herrschaft miteinander vermischt werden, wenn man den 8. Mai mit dem Beginn der DDR in Verbindung bringt. Beide Themen werden durch das Datum automatisch voneinander abgegrenzt und zwar zeitlich und inhaltlich.
Geschichte ist ein fortlaufender Prozess. Das bedeutet für das Ende eines Ereignisses, dass es gleichzeitig immer auch der Anfang eines neuen Ereignisses ist. Bezogen auf den 8. Mai heißt dies, dass dieser Tag das Ende des Krieges und gleichzeitig der Anfang einer friedlicheren Zeit ist. Bezogen auf die Nazidiktatur bedeutet das Datum dessen Ende und gleichzeitig den Anfang der Demokratie im Westen und der DDR Herrschaft im Osten. Für uns Rheinländer und Westfalen hier im Ruhrgebiet bedeutete dieser Tag der Beginn eines relativ freien Lebens, für einen Sachsen aber nicht. Nach der Diktatur der Nazis kam für die Menschen in der SBZ die Diktatur des Proletariats, zumindest ein Abklatsch davon und mit der Diktatur der Nationalsozialisten überhaupt nicht zu vergleichen, aber trotzdem eine Diktatur, welche mit all ihren hässlichen Drangsalierungen und Einschränkungen dem Begriff der Freiheit, die ja logischerweise einer Befreiung folgt, völlig widerspricht.
Wie stark der Tag der Befreiung mit der DDR zu tun hat, möchte anhand der bereits erwähnten Straßenbenennungen verdeutlichen. In Coswig, unserem Provinznest zwischen Meißen und Dresden, gab es bis zur Wende eine Straße mit dem Namen „Straße der Befreiung“ Es handelt sich dabei um die Hauptstraße nach Moritzburg, die mittlerweile wieder Moritzburger Straße heißt und ihren Namen lediglich zu DDR Zeiten trug. Diese Straße erfuhr ihre Umbenennung in „Straße der Befreiung“, um die Sowjetarmee zu ehren, die über diesen Weg 1945 nach Coswig einmarschierte. Direkt nach der Wende wurde sie wieder zurück in Moritzburger Straße umbenannt. Ist die Rückbenennung auch Geschichsrevisionismus, weil damit der 8. Mai als Tag der Befreiung“ infrage gestellt wird und so einer Erinnerungskultur entgegengewirkt? Ich finde nicht.
Coswig steht da bei weitem nicht alleine. In der ehemaligen DDR gab/gibt es unzählige Straßen der Befreiung, die alle zu Ehren der Sowjetarmee ihren Namen bekamen. Bei diesen Straßen handelt es sich meist um die wichtigsten meist östlichen Einfallsstraßen in die betreffenden Städte hinein, weil sie der Route entsprachen, den Rote Armee für ihren Einmarsch nutzte und von denen viele nach dem Zusammenbruch des DDR Systems ihren Namen wieder einbüssen mussten.
Hier ein paar bekanntere Beispiele aus den größten Städten der ehemaligen DDR für das Abschaffen solcher Befreiungsstraßen, um zu zeigen, dass Coswig da exemplarisch für viele Städte der ehemaligen DDR steht:
Berlin: aus der „Straße der Befreiung“ wird nach der Wiedervereinigung „Alt- Friedrichsfelde“,
Dresden: Aus der „Straße der Befreiung“ wird die „Hauptstraße“
Leipzig: Aus der „Straße der Befreiung“ wird die „Dresdener Straße“
Für mich sind diese Straßenumbenennungen ganz deutliche Zeichen, dass es bei dem 8. Mai sehr wohl auch um die DDR geht und dass sich ein Großteil (vermutlich der weitaus größere Teil) der Bevölkerung unter der Herrschaft des SED Regimes nicht als befreit betrachtete, sondern als unterdrückt, ein Recht was jedem Menschen auf dieser Welt zugestanden werden muss, der gezwungen wird in einer Diktatur zu leben. Vielleicht kann man sich diesen beschriebenen Zusammenhang besser erschließen, wenn man sich eine Straße bildlich vorstellt, über welche die Rote Armee in die Stadt einmarschiert und mit ihr ein diktatorisches System Einzug hält.
In Coswig, um noch einmal auf unser Provinznest bei Meißen zurückzukommen, bestand eine der ersten Amtshandlungen des ersten frei gewählten Rates der Stadt darin, die „Straße der Befreiung“ umzubenennen, was Anfang 1990 auch geschah. Das Datum liegt noch vor der eigentlichen Wiedervereinigung, weshalb ich mich hüten werde, in diesem Zusammenhang in irgendeiner Form Revisionismus Richtung Nationalsozialismus zu vermuten. Stattdessen würde ich ihn eher als symbolischen Akt des gesellschaftspolitischen Wandels, den wir gemeinhin als „Wende“ bezeichnen, verstehen wollen, der von der Intention und Außenwirkung vergleichbar ist mit den Lenin- und Stalinfiguren, die in den ehemaligen Staaten des Ostblocks nach dessen Zusammenbruch reihenweise von den Sockeln gerissen wurden. Der 8. Mai als „Tag der Befreiung“ ist echt nicht ohne, weder hüben noch drüben.
Schaut man sich an, wie lange es bei uns im Westen dauerte, bis man bereit war, den 8. Mai nicht nur als Tag der Kriegsniederlage zu betrachten, sondern ihn zum Anlass nahm, sich mit der Naziherrschaft ernsthaft auseinander zu setzen und hierbei die Rede Weizsäckers als Maßstab nimmt, dann sind es ganze 40 Jahre, die da verstreichen mussten. In den neuen Bundesländern ist man solange noch nicht dabei, wenn man bedenkt, dass erst mit der Wiedervereinigung, die gerade einmal 23 Jahre her ist, annähernd vergleichbare Ausgangsbedingungen geschaffen wurden sich frei diesen Zusammenhängen zu nähern. Vorher war man immer gezwungen, alles durch die rosarote Brille zu betrachten, erst durch die Brille Walter Ulbrichts und dann durch die Erich Honeckers.
Aber war bei uns im Westen der Blick besser, wo wir uns die Brille frei aussuchen konnten und über ein vergleichsweise buntes Angebot an politisch gefärbten Gläsern von rechts außen bis links außen verfügten? Wie revisionistisch es noch Mitte der 1980er Jahre in der BRD zuging, macht ein Ereignis deutlich, welches sich unmittelbar vor der Rede Weizsäckers abspielte und sowohl dessen Ansprache, als auch das vorgesehene Protokoll für den Festakt zum 40. Jahrestag der Befreiung entscheidend beeinflussen sollte. Die Rede ist vom sogenannten „Bitburg Fiasko“.
Was war passiert? – Ronald Reagen besuchte in der Woche um den 8. Mai 1985 die Bundesrepublik. Für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl war das Anlass, sich mithilfe des amerikanischen Präsidenten drei Tage vor dem eigentlichen Gedenktag symbolträchtig in Szene zu setzen; ein Ereignis, das aufgrund seiner eindrucksvollen Choreographie (deutsch-amerikanisches Händeschütteln erhobenen Hauptes über einem Soldatengrab) von einigen Journalisten gerne mit dem Kniefall Brandts in Warschau in Verbindung gebracht und als Reaktion darauf interpretiert wurde. Kohl, der auch promovierter Historiker ist und es deshalb eigentlich hätte besser wissen müssen, machte nie einen Hehl daraus, dass seiner Ansicht nach endlich ein Schlussstrich unter das leidige Thema Nationalsozialismus gezogen werden müsse; eine Meinung, der sich damals auch der überwiegende Teil der CDU ohne wenn und aber anschloss.
Im Gegensatz zu Willi Brandt, der im Wahrschauer Ghetto noch demütig auf die Knie gesunken war, wollte Kohl den ehemaligen Gegnern im zweiten Weltkrieg – wie er es nannte – „auf Augenhöhe“ und als gleichberechtigter Partner begegnen. Als Bühne für diese Inszenierung wählte man zum einen das Konzentrationslager Bergen-Belsen, um die Opfer der Nazis zu würdigen und zum anderen einen Soldatenfriedhof in der Nähe von Bitburg, wo man der deutschen und amerikanischen Gefallenen gedenken wollte, wo es dann aber zum Showdown kam, weil dort kein einziger Amerikaner, sondern ausschließlich deutsche Wehrmachtssoldaten und zum Entsetzen der Weltöffentlichkeit sogar eine stattliche Anzahl an Mitgliedern der Waffen-SS begraben lagen. Auf Kritik hinsichtlich der SS Leute regierte die CDU mit dem plumpen Hinweis, dass man Friedhöfe unmöglich entnazifizieren könne… Die Bundesbirne hatte sich einmal mehr geschickt in einen selbst zurechtgestellten braunen Fettnapf gesetzt und der amerikanische Bonzo saß gleich mit drin, was nicht nur in der deutschen sondern auch in der internationalen Presse für reichlich Irritationen sorgte, allen voran das Time Magazine, welches diesem Skandal seinen Namen „The Bitburg Fiasco“ gab.
Unter Umständen hätte die Rede Weizsäckers fast denselben Drive bekommen, wie Kohls misslungener Versuch einer Versöhnungsgeste mit der Vergangenheit, denn der Bundespräsident hatte geplant, sich in seiner Gedenkrede, aus der wir hier schon mehrfach zitiert haben, für eine Begnadigung des inhaftierten Hitlerstellvertreter Rudolf Hess auszusprechen, der als letzter Inhaftierter der ehemaligen Naziführungsriege, die in Nürnberg abgeurteilt wurde, mit 90 Jahren in einem Spandauer Gefängnis vor sich hindümpelte.
Die Reaktionen auf das Bitburgfiasko hatten zur Folge, dass der Bundespräsident das Begnadigungsgesuch von der Tagesordnung strich.
Durch die Wucht der so gekürzten Weizsäckerrede im positiven, als auch des Bitburg Fiaskos im negativen Sinne, wurde als Folge erstmals in Westdeutschland laut über den Umgang mit der Verantwortung nachgedacht, die sich durch die Schuld der Nationalsozialisten ergab und wie die nachfolgenden Generationen in Deutschland damit umgehen könnten. Der Holocaust war auf einmal nicht mehr nur eine Filmproduktion fürs Fernsehvolk sondern Thema in Politik und Wissenschaft, seine Einmaligkeit wurde diskutiert und an dieser Diskussion entzündete sich der legendäre Historikerstreit, der den Revisionismus in Deutschland aus dem braunen Dunkel der Vergangenheit ins öffentliche Licht zerrte, mit dem Historiker Ernst Nolte und der FAZ auf der einen Seite und dem Philosphen Jürgen Habermas und der Zeit auf der anderen Seite. Ein Phänomen übrigens, was als Strategie den angeschlagenen Journalismus heutzutage eventuell ein wenig abfedern würde, denn die Auseinandersetzungen damals fanden fast ausschließlich in den Printmedien statt, was den beteiligten Zeitungsverlagen eine Menge Leser bescherte. Damit das funktioniert, müssten die Verlagshäuser allerdings ein Stück weit zurück zu ihrem politischen Ursprung, der heutzutage kaum noch zu erkennen ist, aber das ist eine andere Geschichte…
Zum Abschluss noch ein Link zu einem Essey im Time Magazine aus 2005, welches 20 Jahre nach dem Fiasko auf das Ereignis in Bitburg zurück schaut. Der Text ist zwar englisch, aber alleine schon deshalb interessant, weil er zeigt, wie der Revisionismus in der ehemaligen Bundesrepublik der 80er Jahre im amerikanischen Ausland aufgenommen und nach 20 Jahren Abstand immer noch als solcher beurteilt wird. Die im Text immer wiederkehrende Bezeichnung V-E Day ist die amerikanische Bezeichnung für den 8. Mai 1945. V-E steht für Victory in Europe. Hier geht’s zur Time:
https://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,1048345,00.html