Der doppelte Lindner

Christian Lindner (FDP), Foto: Roland W. Waniek


Kurz nach der Landtagswahl in Niedersachsen am letzten Sonntag machte der Bundesvorsitzende der FDP eine interessante Bemerkung, die ihm in den sozialen Medien erheblichen Spott einbrachte. So äußerte Lindner, dass die FDP insgesamt als zu links wahrgenommen werde. Interessant ist, dass Linder damit gar nicht so falsch liegt, wie man auf den ersten Blick glauben mag. Von unserem Gastautor Ioannis Dimopulos.

Dass die Landtagswahl in Niedersachsen ein herber Einschlag für die Liberalen war, lässt sich nicht von der Hand weisen. Die FDP verlor insgesamt 2,8 % im Vergleich zur Vorwahl und flog damit aus dem Landtag. Dieses Ergebnis korreliert mit den Wahlprognosen auf Bundesebene, auf der die FDP im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 von 11,5 % auf 6-7 % zurückfiel. Diese Entwicklung hängt an der teils kruden und widersprüchlichen Krisenpolitik der Ampel im Zusammenhang mit der Ukraine und der Inflationsbekämpfung. Wie Christian Lindner aber zu der Vermutung kommt, dass dies mit einer Wahrnehmung seiner Partei als links zusammenhinge, bleibt er schuldig.

Verwirrend ist vor allem, dass die FDP wirtschafts- und finanzpolitisch keine radikal linken Positionen eingenommen hat. Dies bestätigt sich beispielsweise in der Weigerung einer Übergewinnsteuer, die – andere europäische Länder machen dies vor – durchaus zur Entlastung der sozial Schwächeren nützlich wäre. Stattdessen durfte unter der FDP eine Energieumlage bewilligt werden, die mitverantwortlich für die steigenden Ausgaben der Bevölkerung in Sachen Gas und Energie ist. Auch sind die finanziellen Kompensationszahlungen, die sich etwa in der Energiepauschale von 300 Euro zeitigten, wenn überhaupt der Versuch eines Ausgleichs für die steigenden Kosten.

Auch die Substituierung von Hartz 4 durch das sogenannte Bürgergeld kann nicht als linkes Projekt vermutet werden, da weder die Sanktionierung von Sozialhilfeempfängern erschwert, noch die Höhe der Leistung nennenswert erhöht wird. Dennoch markiert Lindners Behauptung, seine Partei werde immer mehr als links angesehen, eine politische Krise, der er sich vielleicht in seinem Ausspruch gar nicht bewusst gewesen ist. Dass nämlich Lindner behaupten kann, die FDP werde als links wahrgenommen, hängt mit der Krise der politischen Linken in Deutschland zusammen. Der Zusammenbruch der Partei Die Linke sowie die Stärke der politischen Rechten, die sich auch im sogenannten „heißen Herbst“ daran zeitigt, dass die AFD mehrere tausend Menschen zu Demonstrationen mobilisieren kann, öffnet eine semantische Leere der politischen Linken. Dadurch, dass die Linken in Deutschen immer mehr an politischer und gesellschaftlicher Relevanz verlieren, sind die Parteien, die nicht so weit rechts stehen wie die AFD dazu verdammt die semantische Lücke zu besetzen. Die FDP, die als Mehrheitsbeschafferin die Politik der SPD und Grünen mitträgt, erscheint dadurch für Lindner als links, da eine relevante politische Entität links der Ampel verschwunden ist.

Dieses Problem hängt auch mit der Spaltung und Krise der Linkspartei zusammen, die medial und politisch so sehr im Kampf um die Situierung in den Ukrainekonflikt eingespannt ist, dass sie die soziale Frage nicht mehr zufriedenstellend beantworten kann. Die politische Linke ist so verwahrlost, dass sie in den nächsten Jahren im politischen Niemandsland verschwinden wird. Dass dies ein Problem der Ampel-Koalition ist, wird deutlich an der Einordnung der SPD und Grünen als linke Parteien. In Bezug auf die soziale Frage erweisen sich die Grünen in ihrem elitär-pseudoemanzipatorischen Gehabe rund um Atomkraftwerke und Sozialleistungen als so weit ab vom Schuss, dass die SPD selbst dann nicht mehr in der Lage wäre die Krisenfolgen zu bekämpfen, wenn sie es denn wollen würde. Dass SPD und Grüne sich jedoch in diesem Punkt zumindest nur graduell von der FDP unterscheiden, lässt die Vermutung Lindners, die FDP werde als linke Partei wahrgenommen, tatsächlich gar nicht so abwegig erscheinen, da der große Krach innerhalb der Koalition ausbleibt.

Die FDP ist insofern links, als sie mit den vermeintlich linken Parteien der Grünen und SPD in der Bewältigung der Krise gemeinsam versagt. Dass dies zu einem Erstarken der Faschisten rund um die AFD führt, lässt sich sowohl anhand der Landtagswahl in Niedersachsen, als auch an den Wahlprognosen der AFD auf Bundesebene bestätigen. Dies wird das Problem der Verlagerung der Ampel in eine Linke politische Ordnung verstärken, da durch das Erstarken der Rechten auch die politische Mitte nach rechts verlagert wird. Das aber wird von Linder, bei allem bewusstlosen Wissen seiner doch auch lustigen Behauptung der FDP als linke Partei, nicht verstanden. In seinem Ausspruch, die FDP werde nun versuchen die Koalition zu blockieren, um die Partei in ihrem liberalen Kern zu konsolidieren, missversteht er, dass er sich in einem Dilemma befinden. Entweder er führt die falsche Krisenpolitik der Ampel weiter, was ihn zu einem vermeintlichen Linken machen würde, oder aber er blockiert diese und sorgt damit für eine politische Ohnmacht angesichts des sozialen Elends in Deutschland, das ebenfalls seiner Partei als Regierungspartei vorgeworfen werden wird.

Die Konsequenz daraus ist denkbar einfach: Die FDP, genauso wie die Grünen und die SPD bedürfen einer starken Partei links von ihr, die sie aus dem Vorwurf der linken Politik dadurch befreien, dass sie Ihnen das fehlende Linkssein vorwerfen. Dass die Linkspartei dies nur noch ungenügend angesichts ihrer eigenen Krise leistet, ist kein Grund zur Freude für die Liberalen oder die Ampel in Gänze, sondern eher ein berechtigter Grund zur Sorge. Die Mitte, die sich in der Ampelkoalition zeitigt, bedarf der Negation ihres Selbstbildes. Ohne diese dialektische Spannung wird sich spätestens dann, wenn der zweite Pullover vor dem Erfrieren nicht mehr schützt, dieser Effekt so verstärkt haben, dass das politische Gleichgewicht Deutschlands auf Jahre und Jahrzehnt nicht leicht wiederherzustellen sein wird.

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