Der fahrende Kugelschreiberhändler

Foto: (c) Christoph Baumgarten

Er zählt zu den fixen Einrichtungen in Sarajevo: Edo, der fahrende Kugelschreiberhändler. Ihn kennen im Stadzentrum der bosnischen Hauptstadt alle. Seinen Namen kennen nur die wenigsten. Das liegt vielleicht daran, dass seine Überlebensstrategie nur allzu typisch ist für bosnische Misere, die schon ein Vierteljahrhundert währt. Christoph Baumgarten hat mit ihm gesprochen. Und ihn beim Menschsein beobachtet.

Richtig Schwung ist bisher nicht aufgekommen im Kino Bosna.

Kino Bosna am Montag, das ist ein Geheimtipp für Sarajevo-Fans.

Live-Musik, viele Leute und Bier. Und die einzige nennenswerte Veranstaltung zu Wochenbeginn in der bosnischen Hauptstadt.

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Der Sänger der Volksmusikband und zugleich ihr Akkordeonspieler müht sich redlich ab, singt seine Schnulzen mit viel Gefühl.

So populär Volksmusik hierzulande in allen Schichten sein mag, mitgerissen hat er bisher kaum jemanden. Vielleicht ist der allgemeine Alkoholpegel zu niedrig.

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Gäste und Kellner sind eifrig bemüht, Abhilfe zu schaffen.

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Und dann kommt der Kugelschreiber-Mann.

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Edos typischer Gruß

Die Ersten, die ihn wahrenehmen, sitzen auf einem Tisch auf der Galerie. „Ooooo“ hört man den landestypischen Gruß für jemanden, den man gut kennt.

Der Kugelschreiber-Mann geht zielstrebig zur Gruppe.

Er berührt mit seiner Faust die des Gastes, der ihn begrüßt hat.

Sein bekannter Gruß für seine Stammkunden.

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Der Gast kauft zwei Kugelschreiber für eine Mark. Das sind 50 Cent. Der andere Gast schließt sich an.

Edin heißt der Kugelschreiber-Mann, Spitzname Edo. Er ist eine der fixen Institutionen im Stadtzentrum Sarajevos.

Abend für Abend geht er herum, und verkauft seine Kugelschreiber.

Es sind billige Produkte. Auf jeden einzelnen Stift hat er selbst eine bosnische Fahne aufgeklebt.

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Er selbst trägt immer eine Kappe mit der Fahne seines Heimatlandes.

Früher war Edo stolz auf Jugoslawien. Da war es besser, sagt er. „Aber das gibt’s nicht mehr.“

„Wir haben sonst nichts, aber wir haben Bosnien“, sagt Edo. Zumindest unter Bosnjaken eine gängige Sicht. Mit Nationalstolz die Misere übertünchen.

Die bosnische Misere

Edos Leben selbst steht für die bosnische Misere, die schon ein Vierteljahrhundert währt.

Ein blutiger Bürgerkrieg mit 100.000 Toten und dem Völkermord von Srebenica. Und ein Frieden, der das Land dysfunktional gemacht hat, aufgeteilt in zwei Teilstaaten, die einander so oft es geht ausbremsen und blockieren.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp 30 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist doppelt so hoch. Jahr für Jahr wandern aus dem Land mit mittlerweile weniger als vier Millionen Einwohnern 25 bis 40.000 Menschen aus.

Tausende versuchen darüber hinaus, in ausbeuterischen Zeitarbeitsverhältnissen im Ausland ein Auskommen zu finden.

„Bis vor zwölf Jahren hatte ich auch einen Arbeitsplatz“, sagt Edo, mittlerweile 55. „Aber dann haben sich mich gefeuert.“

Was er genau gemacht hat in diesen besseren Zeiten, erzählt er nicht.

Die Stimmung im Saal des KIno Bosna hat sich merklich gebessert. Der Sänger hat auch ein paar Sevdalinke dargeboten, Lieder der Musikrichtung Sevdah.

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Sevdah ist die bosnische Musikart schlechthin. Es sind Liebeslieder, in deren Lyrik und Melodien balkanische, sephardische und türkische Kultur zu einer poetischen Einheit verschmolzen sind.

Bis vor kurzem war der Montag im Kino Bosna für Sevdah reserviert. Heute ist sie nur mehr Begleitelement der Volksmusikabende.

Foto: (c) Christoph Baumgarten

Edo hat sich zu nach einer Verkaufsrunde zu uns an den Tisch gesetzt. Leise summt er mit.

„Dieses Lied kommt aus Mostar“, sagt er und lächelt. „Da bin ich geboren.“

Edo, das Kommunikationstalent

Wobei es nicht bemerkenswert ist, dass Edo lächelt. Edo lächelt immer. Er ist ein ausnehmend freundlicher Mensch. Selbst für hiesige Verhältnisse.

Die Freundlichkeit ist sein Hauptverkaufsinstrument. Sie unterscheidet ihn von den anderen fahrenden beziehungsweise vielmehr wandernden Straßenverkäufern jeglichen Alters im Stadtzentrum.

Abend für Abend bieten sie Touristen und den Bosniern, die sich einen Abend im Zentrum leisten können, billige Waren feil. Rosen, einzelne Packungen Taschentücher, billige Souvenirs.

Häufig sind die Verkäuferinnen und Verkäufer Halbwüchsige oder Kinder, und meist die ganz Jungen Roma.

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Edo ist der einzige mit Kugelschreibern im Sortiment. Auf die Idee gekommen ist er, nachdem er gefeuert wurde. „Von irgendwas muss ich ja leben“.

Und er ist ein Kommunikationstalent. Er spricht kein Wort Englisch. Das verhindert nicht, dass Fremde, die die Landessprache nicht beherrschen, wenn auch vielleicht nicht zu engen Freunden aber wenigstens zu Bekannten werden.

Mit der britischen Übersetzerin Sophie Buchan etwa hat Edo über lange Zeit ein beinahe herzliches Verhältnis.

Das zeigt sich auch heute Abend.

Sophie ist auch eine gute Kundin. Sie kauft nach Möglichkeit jedes Mal Stifte bei Edo, auch wenn sie sie kaum in so großer Zahl brauchen kann.

Edo kauft die Kulis en gros am Stadtrand, „wie sie eben hereinkommen.“

Es sind immer ein paar tausend Stück auf einmal. Die Kosten schwanken, sagt er.

Per Anhalter zur Ware

Zum Großhändler rauszufahren, ist jedes Mal eine Herausforderung. Der öffentliche Verkehr in Sarajevo ist außerhalb der Hauptverkehrsadern verbesserungsbedürftig. Edo fährt meist per Anhalter raus. Ein Taxi wäre selbst bei den ausnehmend niedrigen Tarifen in Sarajevo zu teuer.

Um die Stifte loszuwerden, ist er jeden Abend unterwegs, sieben Tage die Woche.

„Wie viel verkaufst du so am Abend“, frage ich.

„Keine Ahnung. Unterschiedlich. Es gibt gute Abende und schlechte.“

„Wann ist für dich ein guter Abend?“

„Wenn ich 100 Stück verkaufe, ist es ein guter Abend.“

Das wären 50 Euro Einnahmen. Vielleicht auch etwas mehr. Manche Kunden geben Trinkgeld.

Für bosnische Verhältnisse wäre das ein sehr gutes Einkommen, selbst wenn man Steuern und Eigenkosten abzieht. Wäre nur jeder Abend auch ein guter.

Edo nimmt einen Schluck Sarajevsko aus der Flasche.

Es kommt Stimmung auf

Der Sänger stimmt Djurdjevdan an. Ursprünglich ein Roma-Volkslied namens Ederlezi, wurde es in der Übersetzung der legendären YU-Rock Band Bijelo Dugme aus Sarajevo in den späten 80-ern populär. Bis heute ist es eines der meistgespielten- und gesungenen im ehemaligen Jugoslawien.

Foto: (c) Christoph Baumgarten

Dutzende Gäste springen auf, klatschen und singen lauthals mit. Edo stimmt mit ein, wenn auch leise.

Den Refrain singt der Sänger auf Romanes.

Foto: (c) Christoph Baumgarten

Edo nimmt seine Kappe ab, schaut begeistert in die Menge. „Jetzt ist es so richtig schön.“

„Ich liebe Musik“, sagt er und wiegt ein wenig im Takt mit.

Edo nimmt noch einen Schluck Bier. „Jetzt bin ein wenig betrunken. Ich muss bald heim.“

Er hat mehr Zeit im Gespräch mit Sophie und mir verbracht, als geplant. Geschäft sei ihm aber kaum entgangen, sagt Edo und zündet sich eine Zigarette an. „Am Montag ist eh wenig los.“

Dreimal wird er verkünden, dass er bald aufbreche. Dreimal sich überreden lassen, noch ein wenig zu bleiben.

Foto: (c) Christoph Baumgarten

„Normalerweise trink ich nicht mehr als ein Bier“, sagt er. „Nur beim Fuballschauen kann’s mehr werden.“

Edo ist Real Madrid-Fan. Wohl seit irgendwann. „Und natürlich Sarajevo-Fan“, sagt er.

Und beginnt mit Sophie ohne eine gemeinsame Sprache über die europäische Fußballlandschaft zu sinnieren.

Der Mann kennt sich ganz offensichtlich nicht nur mit Kugelschreibern aus.

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