Borussia Dortmund verzockt wichtige Punkte in der 97. Minute gegen den VfB Stuttgart, bei Hertha BSC geht es mit Vereinsikone Pal Dardei um die Wurst und der FC Hollywood von der Säbener Straße ist nur noch aus Trash-Gründen gerade Weltklasse. Thommy Junga und Peter Hesse glauben zudem, dass der HSV der neue Dino der Zweiten Liga ist und erinnern an die Kickers aus Offenbach.
Thommy Junga: Am Ende der Tabelle haben am Wochenende alle gepunktet, Schalke 04 gegen das neue Schlusslicht Hertha sogar dreifach – damit gingen nur die Hauptstädter leer aus. Jetzt wurde in Berlin der seidene Faden Hoffnung als Reissleine gezogen und zum gefühlt 42. mal Pal Dardei als Trainer installiert. Was ist das? Der zuletzt beschworene neue Berliner Weg oder verzweifelte Nostalgie?
Peter Hesse: Ich musste irgendwie an Hertha-Idol Erich Beer denken. Vor rund 45 Jahren stellte der offensive Allrounder am Beginn der Saison 1978/79 sein Kapitänsamt zur Verfügung. Das kam so: an einem freien Tag ohne Trainigseinheiten hat…
fast die komplette Mannschaft ihre Unterkunft verlassen – nur Erich Beer und Hertha- Innenverteidiger Ole Rasmussen blieben im Hotel. Da es immer schon sehr früh Abendbrot gab, schlichen sich die beiden Recken noch zu später Stunde in die Speisekammer der Unterkunft und beide schmierten sich dort heimlich ein Wurstbrot. Plötzlich werden die nachthungrigen Hartha-Spieler von ihrem Trainer Kuno Klötzer erwischt, der die beiden lautstark zusammenfaltet. Denn „professionelle Fußballer würden um diese Uhrzeit nichts mehr essen“, so brüllt Klötzer seine Spieler an. Beer zieht die Konsequenzen aus seinem „ungehörigen“ Verhalten – und teilt Klötzer mit, der er nicht länger Mannschafts-Kapitän sein kann. Jahrzehnte später treibt einem diese Art von „Anständigkeit“ fast Tränen in die Augen. Ich hoffe daher, dass es bei Pal Dardei ausschließlich Käsestullen „for free“ gibt – und hoffentlich nicht nach 19:30 Uhr.
Thommy Junga: Pokalaus, Fehltritte in Serie wie gegen Hoffenheim und nun das drohende Aus in der Championsleague. Bei Bayern brennt der Baum. Sportvorstand und Kaderplaner Salihamidzic und Vorstandschef Kahn wirken angreifbar und extrem dünnhäutig. Jetzt wird sich neuerdings auch noch in der Auswärtskabine geprügelt. Zwischen all dem sitzt nun Neutrainer Thomas Tuchel und moderiert sich in langen Pressekonferenzen wund – wohl auch in der Hoffnung nicht gleich innerhalb von wenigen Monaten verbrannt zu sein. Kommt nach dem möglichen Anti-Triple der große Knall?
Peter Hesse: In den letzten zwei Wochen haben schon so unterschiedliche Bayern-Akteure wie Bastian Schweinsteiger, Lothar Matthäus und Hermann Gerland lautstark ihre Bedenken geäußert, dass das „Mia san Mia“-Feeling in der Innen- wie Außen-Wahrnehmung extrem gestört ist. Mario Basler haut jetzt als überlebensgroße Eckkneipen-Posaune nochmal extra einen raus. Er sagt, dass Kahn und auch Brazzo für deren Job beim FC Bayern nicht prädestiniert genug sind. „Sie haben“, so Basler weiter, „für mich keine Ausstrahlung auf dieser Position und sie machen zu viele Fehler.“ Brazzo erinnert mich mit seinem Unglück manchmal an Christian Nerlinger, der im Sommer 2012 wieder abgesetzt wurde und dann wurde Matthias Sammer für den Posten des Sportdirektors eingestellt. Das Problem ist: wenn Brazzo rausfliegt, wer soll es sonst machen? Du hast da keine riesige Auswahl an Sport-Management-Sachkundigen, wenn du dich im oberen Segment bedienen willst. Mir würde als theoretische Lösung derzeit eigentlich nur Max Eberl einfallen, aber der ist ja bei RB Leipzig in Lohn und Brot.
Thommy Junga: Die kriselnden Bayern, die fraglos gute Ausgangsposition mit nur zwei Punkten Rückstand – BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl hat sechs Spieltage vor Schluss das große Halali auf den neunten Meistertitel ausgerufen. Trainer Terzic ließ in seinen ausschweifenden Ausführungen zum aktuellen Leistungsvermögen nach dem Stuttgart-Spiel seiner Desillusioniertheit über die vielen Baustellen freien Lauf. Zwei sehr unterschiedliche Motivationsansätze innerhalb von 48 Stunden, oder?
Peter Hesse: Seit fast elf Jahren sind Fans, Spieler und Mitarbeiter des BVB von einer zunehmend quälenden Sehnsucht nach einem Titel besessen. Anekdoten, wie Aki Watzke und Jürgen Klopp auf einem Müllwagen nach der Meisterfeier eingeschlafen sind – und klammheimlich mit zu viel Restalkohol nach Hause fuhren – das wird bis heute gerne erzählt. Oder Kevin Großkreutz, der nach meisterschaftlicher Trunkenheit von zwei Kumpels am Borsigplatz gestützt werden musste, weil er nicht mehr selbstständig laufen konnte. Jeder BVB-Fan liebt die Rubbeldikatz-Glückseligkeit in der Stadt, wenn die Borussen ihre Titel feiern – das ist wie Karneval, religiöse Wallfahrts-Orgie und 72-Stunden-Dauer-Party in einem. Nur wer nach 95. Spielminuten ein sicher geglaubtes 3:2 liegen lässt, wenn die Bayern parallel nur ein Unentschieden gegen Hoffenheim schaffen – der muss tatsächlich am schwarzgelben Esprit zweifeln. Und das tue ich im Moment auch – egal, was Kehl oder Terzic so behaupten. Nächsten Samstag ist Eintracht Frankfurt zu Gast in Dortmund – dass ist ebenfalls kein leichter Gegner. Und das könnte wiederum für lange Gesichter sorgen.
Thommy Junga: Auf dem Betzenberg ist der HSV unter die Räder gekommen und damit ist der direkte Aufstiegsplatz erst mal futsch. Als wenn das alles nicht schon schlimm genug wäre, steht nun das giftige Derby gegen den wiedererstarkten FC St. Pauli an – gegen den man auch zu Hause oft nicht gut aussah. Bei einer neuerlichen Pleite gegen die Elf von Kiez wäre sogar der Relegationsplatz in akuter Gefahr. Wird der HSV noch zum Zweitliga-Dino?
Peter Hesse: Schon Wahnsinn: vor der Rekordkulisse von 49.327 (!) Zuschauern im ausverkauften Fritz-Walter-Stadion trafen die beiden Alt-Meister aufeinander – und die Roten Teufel konnten kurz vor Spielende das 2:0 einlochen. St. Pauli wurden nach zehn Siegen in der zweiten Bundesliga von Eintracht Braunschweig gestoppt – ihr Ehrgeiz ist jetzt sicher doppelt gepackt, dass vor dem großen Hamburger Stadtduell die Punkte bei den Totenkopf-Kickern bleiben. Denn mit einem starken Endspurt und etwas Glück könnte St. Pauli theoretisch (und praktisch!) auch noch aufsteigen – und der HSV weiter in Liga 2 verharren. Aber wir wissen ja, dass der Fußballgott ein sehr ungerechter Schlingel sein kann.
Thommy Junga: Noch ein paar Ligen tiefer kam es zum Eklat. Regionalliga-Fünfter Kickers Offenbach hat seinen Cheftrainer Ersan Parlatan entlassen – im Fußballgeschäft keine Sensationsmeldung. Nun hat aber Geschäftsführer Matthias Georg offiziell seinen Rückzug bekannt gegeben, da er diese Entscheidung „inhaltlich nicht unterstützen und daher nicht mittragen“ wollte. Es gibt sie also noch im Fußball, die charakterstarken Persönlichkeiten?
Peter Hesse: Ich hatte letzte Woche ein Gespräch mit jemand vom bayrischen Fußballverband. Ich erzählte, dass der SV Sodingen (einem Vorort-Verein in Herne, die goldenen Zeiten liegen hier viele Jahrzehnte zurück) von drei Ü-75-Senioren geführt wird – und wenn die nicht mehr da sind, dass die große Probleme haben werden, geeigneten Nachwuchs für die Vorstands-Positionen zu finden. Da hörte ich am anderen Ende, dass es etwa 75 % aller kleinen Vereine in Bayern so geht. Diese Leute arbeiten durch die Bank unentgeltlich. Diese Form von „Ehrenamt“ bedeutet in erster Linie sehr viel Engagement, Fleiß, Sisyphos-Arbeit und wertvolle Lebenszeit, die man damit für die Gemeinschaft erbringt. Und auch Kickers Offenbach-Präsident Matthias Georg hat in erster Linie für Ruhm, Ehre und warme Worte gearbeitet – und dazu für irgendwelche Volltrottel, die sowieso immer nur meckern und selten etwas besser machen. Das so ein Job Grenzen hat, ist klar – man muss sich nicht jeden Mist gefallen lassen. Und wenn es zu viel ist, dann muss man seinen Hut nehmen.