„Der größte Fehler meines Lebens“

Wahlkampf in der Republika Srpska in Bosnien

Die Wahlen in Bosnien haben der Bevölkerung des Balkanstaates vier Jahre weitere Stagnation gebracht. Für die Jugend war der weitgehende Sieg der Nationalisten sie ein Signal, weiter in Massen das Land zu verlassen. In der allgemeinen Perspektivenlosigkeit macht ausgerechnet die Forderung, einen dubiosen Mordfall aufzuklären, Hoffnung. Reportage.

„Schätzchen, geh. Ich war wegen des Kriegs neun Jahre in den USA. Dann bin ich zurückgekommen. Das war der größte Fehler meines Lebens.“

Die Kellnerin in einem Cafe gegenüber der Ferhadija-Moschee in Banja Luka redet leidenschaftlich auf Milica ein, eine 22-jährige Studentin der Rechtswissenschaften.

„Schau dir an, was aus mir geworden ist. Ich hab einen Uni-Abschluss und muss froh sein, dass ich einen Job als Kellnerin gekriegt hab. Wenn du die Möglichkeit hast, geh.“

Als ob Milica Überzeugung bräucht. „Wenn die Wahlen nichts ändern, bin ich nächstes Jahr weg“, hat sie mir vor wenigen Minuten gesagt.

Auch Laborassistentin Tamara, 29, tendiert zur Auswanderung. ür den Moment will sie abwarten, wie das Bewerbungsgespräch mit einer australischen Firma verläuft, die in Bosnien Leute sucht.

Die jungen Frauen stammen aus der Gegend.

Die Gegend, das ist der Norden der Republika Srpska (RS), des serbisch dominierten Teilstaats im Osten Bosniens.

Mit Nationalismus die Misere zukleistern

Die RS ist der ärmste Teilstaat des Landes. Der Kanton Sarajevo, Ballungszentrum des anderen Teilstaats Federacija, hat ein größeres regionales BIP als die gesamte RS.

Die lokalen Machthaber kleistern die Misere mit viel Nationalismus zu.

Im laufenden Wahlkampf (die Recherche fand im September statt) gibt es kaum ein Wahlplakat, in dem nicht die Wörter Serbisch und Einheit vorkommen, meist umrahmt von stilisierten serbischen Fahnen – nicht denen der RS oder gar Bosniens.

Die fast durchgehend nationalistischen Parteien lehnen zumeist den Staat Bosnien ab. Je nach Standpunkt fordern sie noch mehr Autonomie für die RS, deren Unabhängigkeit oder, ganz rechts außen, eine Vereinigung mit Serbien.

In diesem Wahlkampf trieft der mehr oder weniger versteckte Separatismus nur so von den Wahlplakaten, kaum versteckt hinter Doppeldeutigkeiten. Ausnahmen gibt es wenige.

Nationale serbische Einigkeit, das ist die Hauptbotschaft der Plakate.

Das in einer Menge, die in Deutschland oder Österreich unvorstellbar wäre.

Keine Busstation in Innenstädten, keine größere Werbefläche, auf der nicht jemand für die Wahlen zum Parlament Bosniens und zum Staatspräsidium werben würde, dem je ein orhtodoxer (serbischer), muslimischer (bosnjakischer) und katholischer (kroatischer) Vertreter angehören.

In der RS bewirbt sich Nationalistenführer Milorad Dodik um den serbischen Sitz im Staatspräsidium. Bis dato ist er Präsident der RS und darf nach zwei Perioden nicht mehr antreten.

Dodik hatte immer wieder gedroht, ein Referendum über die Abspaltung von Bosnien abhalten zu lassen.

Dass ausgerechnet er einem Staat vorstehen will, den er ablehnt, stößt nicht nur im bosnjakisch-kroatischen Teilstaat Federacija auf Kritik.

„Ihm geht es nur um die Macht. Er tut alles, um sie zu behalten“, sagt Jelena, eine junge Rezeptionistin in einem Hotel in Banja Luka, dem Regierungssitz der RS. Und sie ist nicht die Einzige.

Auch Tamara und Milica zeigen sich dieser Meinung. Wenn Dodik die Wahl gewinnt, wäre das ein herber Schlag für die Menschen hier.

„Wir haben ihn so satt. Schau doch an, wie’s den Leuten hier geht. Wer ist dafür verantwortlich, wenn nicht er?“

Tamara, Studentin

Die politische Klasse feiert sich selbst

Auch in der Federacija macht sich bei den Menschen keine richtige Begeisterung über die Wahlen breit.

Dass die bosnjakisch-nationalistische SDA den bosnjakischen Vertreter im Staatspräsidium stellen wird, gilt als ausgemacht Sache.

Ähnlich wie Dodiks Partei SNSD hat sie sich mit nationalistischen Parolen und Klientelwirtschaft eine Machtbasis geschaffen.

Und nach wie vor profitiert sie von dem Mythos, den sie um Alija Izetbegović gewoben hat, der den muslimischen Sitz im Staatspräsidium während des Bosnienskriegs innehatte.

Politische Botschaften im engeren Sinn findet man auch auf den Wahlplakaten in Sarajevo kaum.

Dafür gibt es sie, wie in Banja Luka, überall. Etwa jede zweite Werbefläche ist mit politischen Botschaften zugekleistert.

An einer Bushaltestelle werben gleich zwei Parteien und der Präsidiumskandidat der Sozialdemokraten.

Die politische Klasse des Landes feiert sich selbst.

Sonst hat sie wenig zu feiern. Jedes Jahr verlassen 25.- bis 40.000 Menschen das Land. Meist sind es die Jungen und Gutausgebildeten. Wie Tamara und Milica.

Offiziell sind 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos, bei den Jugendlichen sind es 50. Der offizielle Durchschnittslohn liegt bei 400 Euro.

„Das alles zahlen wir mit unserem Steuergeld“, sagt Adi und klingt verbittert. Er ist ein Freund aus Sarajevo.

Die Plakate zeigen auch die patriachale Struktur Bosniens, wie sie nicht nur Milica und Tamara kritisieren.

Man muss lange suchen, bis man eine Frau auf den Plakaten findet.

Wählen mit Kalkül

Sympathisch ist Adi einzig und allein Željko Komšić, ein Linksliberaler, der für den kroatischen Präsidiumssitz kandidiert.

Adi, Bosnjake, darf, wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger Bosniens, eine Stimme für einen Kandidaten jeder Ethnie abgeben.

Das geschieht nicht nur aus Überzeugung sondern auch aus strategischem Kalkül. Diesmal sehen viele Bosnjaken und Serben in einer Stimme für Komšić eine Möglichkeit, wenigstens keinen kroatischen Nationalisten mehr im Staatspräsidium zu haben.

An der SDA und an Dodik werden sie sich die Zähne ausbeißen. Drei Wochen nach meinem Besuch werden SDA-Kandidat Šefik Džaferović und Milorad Dodik als muslimisches und serbisches Präsidiumsmitglied gewählt.

Auch im Bundesparlament bleiben die Nationalisten der drei großen Ethnien stark genug, um die Politik im Land die nächsten Jahre zu lähmen.

Die politische Lage macht es der EU und internationalen Geldgebern einfach, ihre Bedingungen durchzusetzen. In den vergangenen 20 Jahren ging das in der Regel zulasten der Bevölkerung, Stichwort Arbeitsrecht.

Neben der grassierenden Korruption ist das mitverantwortlich, dass kaum jemand mehr eine Perspektive im Land sieht.

Freilich, anders als Wahlkampf und Wahlergebnisse nahelegen, haben genug Menschen das nationalistische Geplärre und die aktuellen Machthaber mehr als satt.

Ein ungeklärter Mord

Wie die Menschen auf einer Gedenkkundgebung für David Dragičević am Trg Krajine in Banja Luka.

Der Student war Anfang des Jahres brutal ermordet worden. Nicht, dass es sanfte Morde gebe, aber der Mord an dem Reggae-Fan war besonders brutal.

Er verschwand eines Nachts mitten im Stadtzentrum von Banja Luka. Tage später wurde seine Leiche in einem Abwasserkanal gefunden.

„Das war eine Botschaft“, zeigt sich Tamara überzeugt. Sie ist eine der Aktivistinnen der Bewegung Pravda za Davida (Gerechtigkeit für David), die seit dem Fund der Leiche Aufklärung fordert.

Die Mörder hat man bis heute nicht gefunden, zumindest offiziell. Und es müssen mehrere Menschen gewesen sein, die David über Tage gefoltert, mit einem Rohr vergewaltigt und erdrosselt haben.

Wichtige Beweisstücke sind verschwunden.

Was die Staatsanwaltschaft und die Regierung der Republika Srpska nicht davon abhielt, David als Drogenhändler darzustellen, der vermutlich einer Fehde im Milieu zum Opfer gefallen sei.

Beweise, dass David mit Drogen handelte, gibt es nicht.

Davids Vater und tausende Sympathisantinnen und Sympathisanten gehen davon aus, dass die Polizei hinter dem Mord steckt.

Ob das stimmt oder nicht, ist einerlei. Allein, dass es im repressiven Klima der RS für möglich gehalten und öffentlich artikuliert wird, spricht Bände.

Und die Ermittlungsbehörden können sich bei dem Fall, der seit Monaten die Schlagzeilen dominiert, zumindest überschießenden Ermittlungseifer oder Genauigkeit bei ihren Nachforschungen nicht nachsagen lassen.

Eine Protestbewegung, nicht nur für David

Abend für Abend versammeln sich hier mindestens dutzende Aktivistinnen und Aktivisten. Eine emporgestreckte Faust steht als Symbol für ihren Kampf und die Trauer um David mitten auf dem Hauptplatz Banja Lukas.

Den haben die Aktivisten flugs auch in Trg Davidov umbenannt, Davids Platz.

Regelmäßig organisieren sie auch Großdemonstrationen, zu denen Zehntausende kommen. 40.000 waren es am Vorabend der Wahl.

Es ist die erste breite Protestbewegung in der RS seit dem Krieg überhaupt.

Und sie wird genährt von Mitbosnierinnen und Mitbosniern aus der Federacija. Auch sie reisen zu Tausenden zu Großdemos an, fordern auch in Kundgebungen in Sarajevo Gerechtigkeit für David.

Längst geht es nicht mehr nur um David. Es geht um die Willkür von Behörden und Politik, es geht um die alltägliche Korruption, es geht darum, dass sich Bosnierinnen und Bosnier nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen wollen, während man ihnen Dinge vorenthält, die für den Rest Europas selbstverständlich sind.

„Lange hat uns die Politik eingeschüchtert mit den Worten: Geht nicht auf die Straße, bei Unruhen kommt der nächste Krieg“, schildert Adi, der mit Pravda za Davida sympathisiert. „Viele lassen sich nicht mehr einschüchtern, Es reicht ihnen jetzt und sie zeigen, dass Bosnier auch demonstrieren können.“

Die Politik steht der Bewegung hilflos gegenüber, vor allem die Machthaber in der RS.

„Wir werden öffentlich als Agenten von George Soros beschimpft“, schildert Tamara.

Wenn gar nichts mehr hilft, packt man den Antisemitismus aus, scheint’s. Bei manchen Leuten zieht der immer.

Einschüchtern lasse sie sich davon nicht, sagt die Aktivistin. Milica pflichtet ihr bei. „Wenn mich Soros bezahlen würde, müsste ich mich dann um Arbeit umsehen?“, fragt sie und es klingt rhetorisch.

Milica und Tamara

Einfluss auf die Wahlen hatte die Bewegung in der RS kaum. So weit es ging, wurde sie von den meist regierungsnahen Medien nicht erwähnt.

In der Federacija gaben ihr die Medien breiteren Raum.

Ganz geheuer ist den nationalistischen Machthabern dort Pravda za Davida freilich auch nicht. Nichts kann ihre Machtbasis so erschüttern wie eine breite Bürgerbewegung in beiden Teilstaaten.

Das Potential und der Mangel

Das Potential, diese Erschütterung zu sein, hat Pravda za Davida.

Ein Häuflein Aktivistinnen und Aktivisten hat ohne Unterstützung großer Organisationen 40.000 Menschen auf die Straße gebracht. Die offizielle Facebook-Gruppe hat 340.000 Mitglieder.

Das in einem Land mit nicht einmal vier Millionen Einwohnern.

Gleichzeitig zeigt die Bewegung, dass es in Bosnien keine organisierte Zivilgesellschaft gibt.

So groß der Protest ist und so sehr sich der allgemeine Frust über die Lebensverhältnisse im Land in ihm Bahn bricht – so sehr fehlen Plattformen, die ihn zu einer treibenden Kraft für Veränderungen machen könnten.

So droht Pravda za Davida trotz des Potentials zu verpuffen, wenn daraus kein breiteres Bündnis wird. Und tausende zu überzeugen, dass im Land keine Veränderung möglich ist.

Darauf setzen auch die Machthaber. Nichts fürchten sie so sehr wie Veränderungen.

Dass in diesem Klimae Zehntausende jährlich das Land verlassen, ist ein Preis, den sie gerne für ihre wohlbestallten Positionen zahlen. Beziehungsweise die Jugend des Landes zahlen lassen.

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