Am letzten Oktoberwochenende sind Elke Wittich und ich mit drei Lesungen und einem Vortrag im Ruhrgebiet unterwegs (Termine unten). was Euch da in etwa erwartet? Keine alten Geschichten aus dem Blog, sondern neue Texte. Diese Kurzgeschichte habe ich auf den Lesungen im Frühjahr vorgetragen. Jetzt kommen neue Stücke und ich hoffe, ihr habt ein wenig Spaß mit dem Text.
„Es ist natürlich lächerlich, sich bei irgendwelchen Sitzblockaden von den Bullen wegtragen zu lassen oder mit diesen Lila-Lappen rumzuwedeln, wie sie das auf den Kirchentagen machen. Wer gegen den Staat, wer gegen den Kapitalismus kämpft, kann nur Erfolg haben, wenn er das bewaffnet macht. Alles andere ist albern. Pippikram.“ Hans nahm einen großen Schluck Bier aus der DAB-Export-Flasche, die auf dem Küchentisch in der Wohnung seiner Mutter stand. Sein Bruder Thorsten, Martin, ein Freund von Thorsten und ich hatten ihm aufmerksam zugehört. „Du findest also die RAF gut?“ fragte Martin. Hans schüttelte den Kopf. „Nein, die RAF waren aufgeblasene Spacken. Untergrund in Deutschland geht nicht, das ist was für Kinder.“ Wieder der Griff zur Export-Flasche. „Klar, nicht alles, was von der RAF kam, war schlecht. Ulrike sagte mal, es kommt darauf an, einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und dem Feind zu ziehen. Das war schon in Ordnung.“
„Ulrike? Die Tochter von diesem Friedenspfarrer in Zweckel?“ Thorsten schaute Hans mit ungläubigen Augen an. „Meinhof. Ulrike Meinhof.“ Ein Name wie ein Kugelstoß, abgefeuert aus einer AK 47. Leise surrte die kreisrunde Neonröhre in der Küchenlampe. Hans kannte sich, was den bewaffneten Kampf betraf, besser aus als wir alle. Immerhin war er bereits in der Oberstufe. Thorsten hatte die Schule abgebrochen und prügelte sich ab und zu mit dem Bottroper Zuhälternachwuchs, Martin machte eine Lehre als Chemiefacharbeiter auf der Veba und ich stand kurz davor, die mittlere Reife zu absolvieren. „Aber gemacht habt ihr noch nichts, oder? Das ist alles nur Gerede, oder?“ „Es gab ein paar Aktionen, aber darüber werden wir nicht reden.“ Ich erinnerte mich noch gut an die letzte Aktion.
Nachdem die Polizei Christian Klar verhaftet hatte, war Hans und mir klar, dass wir handeln mussten. Die Verhaftung Klars verlangte eine Entschlossenheit, verlangte nach einer militärischen Antwort. Wir waren uns sicher, dass Hunderte, wenn nicht Tausende in Deutschland so dachten. Hans und ich fuhren also mit seinem grünen Renault 12 mit den großen „Atomkraft? Nein Danke!“ – Aufklebern auf der Motorhaube und dem Kofferraum zur Tankstelle, kauften vier Flaschen Bier und füllten den Reservekanister mit Benzin. In seinem Zimmer angekommen, tranken wir die vier Flaschen Stauder Pils aus, um sie anschließend mit dem Benzin zu füllen. Bei drei Flaschen schafften wir das ziemlich schnell. Kanister auf, Rüssel draufgeschraubt, halber Liter in die Stauderpullen, Lappen rein. Fertig. Als wir in die vierte Flasche schon mehr als zwei Liter reingekippt hatten, fiel uns auf, dass das bei einem Volumen von ein halben Liter eigentlich nicht ging. Ein immer beißenderer Benzingeruch führte uns schließlich zur Lösung des Rätsels. Der Flaschenboden war kaputt und wir hatten den grauen Teppichboden in Hans Kinderzimmer gut mit verbleitem Esso-Normalbenzin getränkt. Die Revolution musste an diesem Abend also mit drei Molotowcocktails auskommen. Unser erstes Ziel war der Justizapparat. Klar war in die Hände der Klassenindustrie gefallen, sie musste als erstes angegriffen werden. Wir schlichen uns also nachts um eins durch das kleine Gärtchen des Riesener Gymnasiums von hinten an das Amtsgericht und warfen den ersten Brandsatz gegen die Tür.
Die Stauder-Flasche zerbarst, das brennende Benzin platschte vor die Tür, wir rannten schnell weg. Zwei Mollis hatten wir noch und weil wir jetzt so nervös waren, so viel Angst hatten und so nach Benzin stanken, schmissen wir sie einfach in den Müllcontainer unserer Schule. Weder der brennende Gymnasiumsmüll noch die nur leicht angekokelte Tür des Amtsgerichtes war der Zeitung auch nur eine kleine Meldung wert gewesen. Und da auch sonst nicht viel darüber zu lesen war, dass es in dieser Nacht hunderte von Anschlägen gegeben hatte, gingen wir der Einfachheit halber davon aus, dass die Medien und der Staat unter einer Decke steckten und ziemlich erfolgreich versuchten, die Schlagkraft des bewaffneten Kampfes in Westdeutschland herunterzuspielen. Aber davon erzählten wir Thorsten nichts. „Wenn ihr was braucht, könnt ich euch helfen.“ „Wie denn?“ „Naja, ich hab Ahnung von Chemie. Ich kann eine Rohrbombe bauen. Modell Oktoberfest. Reagiert auf Erschütterung. Kostet zwanzig Mark.“ „Ja“, sagte Hans. „Mach mal.“ Wir tranken dann noch den ganzen Abend Bier, Martin erzählte uns von seinen letzten Schlägereien und irgendwann ging ich nach Hause. Ein paar Wochen später rief Hans an. „Komm vorbei und bring zehn Mark mit.“ „Ich wollte eigentlich mit Connie ins Kino.“ „Komm vorbei.“ Hans legte auf. Ich rief Connie an und sagte den Kinotermin ab, holte mein Rennrad aus dem Keller und fuhr zu Hans.
Der saß, hektisch rauchend, in seinem Kinderzimmer. Vor ihm auf dem Tisch stand ein grauer Schuhkarton. Er machte den Deckel ab und auf ein altes Frotteehandtuch gebettet lag darin eine 20 Zentimeter lange Metallstange, die an ihren Enden mit schweren Stahlmuttern verschweißt war. „Das ist sie.“ „Das ist was?“ „Die Rohrbombe.“ „Scheiße.“ Wir blickten beide auf die Bombe auf dem Jugendschreibtisch von Hans und rauchten. „Und jetzt?“ „Keine Ahnung, pack sie doch in eine Tasche und leg sie auf deinen Kleiderschrank. In ein paar Wochen fällt uns vielleicht die passende Aktion zu der Bombe ein.“ „Und wenn meiner Mutter beim Putzen die Tasche auf den Fußboden fällt, bin ich Vollwaise.“ „Stimmt, dein Vater ist ja schon tot.“ Ich sah ein, dass eine Rohrbombe in einem Zechenhaus keine gute Idee war – obwohl Bomben ja bekanntlich im Gegensatz zu Milch jahrzehntelang frisch blieben. Zumindest, wenn sie in muffiger Erde gebettet waren. Für Adidas Sporttaschen auf grünen Jugendschränken galt das allerdings nicht. „Wir müssen sie zum Explodieren bringen.“ Obwohl mich das Wort „wir“ gewaltig störte, nickte ich. „Ja, müssen wir.“ Draußen herrschte seit Wochen strenger Frost. Der Boden war tiefgefroren und steinhart. Hans und ich fassten einen Plan: Wir wollten die Bombe in eine Kiesgrube werfen. Wenn alles klappte, würde sie explodieren. Wenn nicht, würden wir die Bullen rufen. Wir gingen zum Auto. Die Bombe lag, von mehreren Pullovern eingemummelt, in der Sporttasche. Die Sporttasche lag zwischen meinen Beinen. Hans hatte seit einem Jahr seinen Führerschein und der R12 alte Stoßdämpfer. Ich war so nervös, dass ich vergaß, Angst zu haben. Wir fuhren durch die Gladbecker Innenstadt. Hans achtete auf den Abstand zum Vordermann.
Eine Vollbremsung hätte uns beide in einen blutigen Haufen Schleim verwandelt – wenn wir Glück gehabt hätten. Wir fuhren durch Rentfort die Bundesstraße Richtung Kirchhellen. Dann nach Gahlen zur Kiesgrube. „Schau an“, dachte ich mir, „hier wolltest Du immer mal hin.“ Allerdings eher mit Caroline aus meinem Geschichtsleistungskurs und nicht mit Hans und nicht mit einer Bombe zwischen meinen Beinen. Wir stiegen aus. Nur ein paar Meter vom menschenleeren Parkplatz entfernt fanden wir eine ideale Stelle, um die Bombe zu werfen: ein Graben, vor dem sich, ein paar Meter unter uns, eine Senke befand. Kein Mensch war in der Nähe. Hans, der der bessere Sportler von uns beiden war, nahm die Tasche und zog vorsichtig den Reißverschluss auf. Ganz langsam nahm er die Bombe heraus. Ich zündete mir eine Zigarette an. Irgendwie fand ich die Vorstellung, mit einer Camel im Mund zu sterben, ganz ok – wenn es denn schon mit 17 sein musste, dann wenigstens mit einer gewissen Lässigkeit. Hans holte mit seinem Arm weit nach hinten aus. Dann warf er die Bombe. Wir schmissen uns in den Graben. Dann die Explosion. Ein gar nicht so lauter, trockener Knall. Es hatte geklappt. Das Scheißding war in der Luft geflogen, niemandem war etwas passiert. Wir gingen zu der Stelle, wo die Bombe explodierte. Sie war leicht zu erkennen. Der gefrorene Boden war dreißig Zentimeter tief aufgerissen. Von der Bombe fanden wir keine Reste, wir suchten aber auch nicht lange danach. Wir wollten nur weg. Auf der Rückfahrt sprachen wir beide kein Wort. Der bewaffnete Kampf gegen den Imperialismus musste ohne uns weitergehen.
Mitarbeit: Vannessa Stracke
Elke Wittich und Stefan Laurin unterwegs:
Lesung: Freitag, 21. Oktober, 20.00 Uhr, Goldkante, Bochum
Lesung: Samstag, 22. Oktober, 20.00 Uhr, Bodo, Dortmund
Lesung: Sonntag, 23. Oktober, 20.00 Uhr, Djäzz, Duisburg
Lügenpresse – Vortrag mit Elke Wittich und Stefan Laurin, Uni Essen, Raum T03 R04 D10